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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Ich wehrte ihn sanft ab, nickte ihm gütig und guädig zu, während ich selbst durch den Thürdiener in den Saal geschoben wurde.

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Die elende, sich duckende, beständig vor Fuß­tritten bebende Kreatur wie fühlt sie sich gleich von königlichen, despotischen Wonnen durchschauert, wenn sie einmal nach einem gelungenen Nacheiverfe Gelegenheit findet, großmüthig zu verzeihen! Im Siegestanmel, und noch erhitzt und erregt von der telebenden Kraft eines gerechten Zornes, stürzte ich mich, ohne mir meines Thuns bewußt zu sein, durch eine krumme Gasse von schwarzen Fracks und seidenen Toiletten; erst als ich ein mahnendes Pst!" ver­nahm und mein Blick auf einige Gesichter fiel, die sich mir mit strafendem Ausdruck zuneigten, und als mir gar ein Herr, ärgerlich über die Störung, zu­raunte: Wohin denn?" da war mirs, als wäre ich durch einen Backenschlag aus einem schändlichen Traumzustande erweckt worden; ich wich zurück ich wollte die Thür gewinnen und entflichen, und ich hatte das schreckliche Gefühl, als verfolgten alle die feinen Herrschaften mich mit wüthenden Blicken, und als würden sie mich wegen der von mir ver­ursachten Störung rauh hinausweisen, wenn ich nicht freiwillig von dannen eilte. Doch ich ließ mich in meiner ängstlichen Gemüthsverwirrung durch einen Thürvorhang täuschen und verfehlte die rechte Thür. Der Vorhang verdeckte eine geschlossene Thür; er bot mir einen Unterschlupf, und da ich mich nicht weiter verfolgt sah, auch nicht durch Blicke, blieb ich dort stehen. Jezt erst kant ich zur Besinnung, und ich ärgerte mich entseglich, daß ich schon wieder eine unverzeihliche Dummheit begangen hatte. Wie konnte ich nur so ungebildet und rücksichtslos sein, eine Störung zu verursachen, während auf der Bühne gespielt wurde! Die Hälfte meines gesammten Baar­vermögens hätte ich darum gegeben, wenn ich draußen gewesen wäre! Aber ich wagte die Flucht nicht ich hätte mich sonst schämen müssen vor dem Thür­diener und dem Kellner.

Die Vorgänge im Saale hatten für mich nicht das geringste Interesse; der Aerger benahm mir alle Lust, beinahe auch das bischen Verstand, und ich beschäftigte mich nur mit mir und der erlittenen Blamage. Wie ein frecher Bube zurecht gewiesen zu werden das war doch entsetzlich! Wenn der Herr Stadtsekretär mich gesehen hätte! Wie er es bedauern würde, mich eingeladen zu haben! Ach, ich wußte garnicht, wie ich dazu gekommen war, mich unter die Leute zu drängen!

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Hinter dem Vorhang hervor lugte ich aus nach dem großen Saale. Auf der Bühne sah ich bald Soldaten, bald Mädchen in weißen Gewändern. Eines der Mädchen sollte die Mutter Germania vor stellen; es stand auf einem rothen Sockel, sah starr vor sich hin, nach Art der egyptischen Delgößen, hielt in der einen Hand einen hölzernen Säbel, in der anderen einen Schild und schien sich vor dem Herunterfallen zu fürchten. Diese Germania, die so eckig und wackelig aussah und einen sehr breiten Mund hatte, fesselte unwillkürlich meine Aufmerksam= feit, und ich empfand Mitleid mit ihr. Wenn sie nun wirklich fiele!" dachte ich und unmittelbar darauf widerfuhr ihr thatsächlich ein Unglück. Hinter ihr standen ein paar Männer, die wie Briefträger gekleidet waren und große Fahnen hielten; einer der Männer gerieth ins Stolpern und stieß dabei der Germania die hübsche Papierkrone vom Kopfe. Tie Zuschauer lachten laut; ein Mann, der auf der Bühne, seit wärts vom rothen Sockel, ein Gedicht vorlas, brach mitten im Saße ab, und die arme Mutter. Germania, die zunächst nur verschämt und verlegen lächelte, doch auf ihrem hohen Posten ausharren wollte, sprang beim Schweigen des Vorlesers vom Postament, schleuderte heftig die hölzernen Zeichen ihrer Streitbarkeit von sich, bedeckte das Gesicht mit beiden Händen und verschwand hinter einem kleinen Walde von Lorbeer und Oleanderbäumen. Das Gelächter wurde stärker, schallender, und besonders die Damen schienen außer Nand und Vand zu ge= rathen vor Vergnügen. Wie roh, wie abscheulich mir dieses Lachen vorkam! Ich hätte weinen mögen, so leid that mir das unglückliche Mädchen. Von vornehmen Leuten hätte ich solche Gemüthsrohheit

nicht erwartet. Einige flatschten segar vor Entzücken über das Mißlingen des lebenden Bildes" mit den Händen.

Ruse erschollen, Geschrei erhob sich. Die Mutter Germania sollte auf ihren Sockel zurückkehren; der Vorleser sollte seine Aufgabe vollenden. Einige Männer begaben sich hinter die Lorbeer- und Oleander­bäume; sie zerrten die Germania, die nun ihr Ge­sicht mit dem Taschentuch bedeckte, hervor und redeten lebhaft auf sie ein; doch sie schüttelte abwehrend den Kopf, drängte die Herren von sich und entfloh in den Saal, wo sie meinen Augen entschwand.

Da ich mich unbeachtet sah, war ich hinter dem Vorhange hervorgetreten, und auf einmal erblickte ich in meiner Nähe den Herrn Stadtsekretär. Jezt sah er auch mich, und ein heiterer Schimmer ging über sein Gesicht. Na, da sind Sie ja!" rief er, auf mich zutretend.

Jählings aber stuzte er und ließ die Hand, die er mir entgegenstrecken wollte, sinken; seine Augen glitten an meiner Gestalt entlang, und er fragte in verändertem Tone:" Gefällts Ihnen?"

Ich nickte bejahend.

Na, wenns Ihnen nur gefällt!" sprach er, wandte mir den Rücken und ging fort.

Ich hatte ihm nicht gefallen, das war mir so­gleich flar; was er an mir auszusehen hatte, wußte ich nicht, dachte auch nicht weiter darüber nach; mir blieb ja die Genugthuung, daß die feine Gesellschaft auch mir nicht gefiel. Ueber den Grund dieses Mißfallens verschaffte ich mir keine Klarheit; ich weiß nur, daß sie mir widerwärtig erschien und daß mich das Ge­fühl einer großen Enttäuschung bescelte. Ich hatte mir gebildete Leute ganz anders vorgestellt! Wie? das wußte ich nicht und fragte auch, wie ge­sagt, nicht darnach. Aber meine Ansicht über sie hatte sich vollständig geändert.

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Da ich öfters den Ausdruck gebildete Leute" anwende, muß ich erläuternd bemerken, daß diese Bezeichnung in Thalungen zu der ortsüblichen Sprach­münze gehörte. An manchen Orten bildet ein Jeder sich ein, gebildet zu sein, selbst wenn er nicht weiß, ob Canada eine Jusel oder ein Sängethier ist, und wenn er sich seinen Mitmenschen gegenüber der ärgsten Flegeleien schuldig macht; in Thalungen hingegen verstand man unter gebildeten Leuten solche, die entweder studirt hatten, oder ein Amt bekleideten, oder steinreich waren und in theuren Kleidern einhergingen. Der gewöhnliche Bürger, sogar der Kaufmannsstand, war bescheiden und ein sichtig genug, die Bildung den besseren Ständen" sichtig genug, die Bildung den besseren Ständen" zu überlassen, wie bei uns die Reporter und die alten Weiber sagen; und wenn von einem Menschen erzählt wurde, er gehöre zu den Gebildeten, so ge­schah das allemal im Tone des Respekts. Freilich schah das allemal im Tone des Respekts. Freilich gabs auch Menschen, die sich in ihrem stark aus­geprägten Selbstbewußtsein den Gebildeten beizählten, doch von der verständnißlosen Menge als solche nicht anerkannt wurden; zu diesen gehörten beispielsweise der Kirchendiener und ich.

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Als der Stadtsekretär mir den Rücken gewendet hatte, brauste mein verlegter Stolz aufs Neue auf, und raschen Schrittes verließ ich den Scal. Kauni daß ich dem Thürdiener eine Gute Nacht" wünschte. daß ich dem Thürdiener eine Gute Nacht" wünschte.

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War das die ganze Ehre?" fragte ich, im Herzen Iohnvoll lachend, als ich der Herberge zurannte. Die ganze Ehre für den Dichter, der Euch eine Eisenbahn erdichten wollte? Ater wartet nur, Ihr sollt noch von mir hören! Wenn mein berühmter Name durch alle Welt erklingen wird, dann sollt Ihr bersten vor Aerger ; Ihr bersten vor Aerger; bersten, sag ich! weil Ihr mich hab: wie einen gepfropften Affen hinter dem Thürvorhange stehen lassen. D, Ihr eingebil­deten Tröpfe, was seid Ihr alle miteinander gegen einen Dichter!"...

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In der Herberge kam ich an, als der Schneider das Abendgebet sprach. Er stand breitbeinig am Tische, hob die gefalteten Hände mit einer Wichtig feit und Gespreiztheit empor, als erfülle er ein hoch bedeutsames Staatsgeschäft, quarrte schleppend, ein­tönig und halb singend, wie ein wasserpolackischer Wallfahrtsvorbeter, sein frommes, ihm geläufiges Kapitel herunter und ließ dabei seine blöden Kalbs= augen im Zimmer umherschweifen; er mochte in jenen

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Augenblicken an vielerlei denken an den Profit, den ihm die Sonntagsarbeit eingebracht, an all das Vettelgeld, das im Laufe des Tages aus den Taschen der Kunden in seinen Geldkasten gerutscht war; er mochte das Schlafgeld berechnen, oder Erwerbspläne für den nächsten Tag entwerfen, doch sicherlich dachte er nicht an die Zerrworte, die von seinen Lippen kamen. Das war kein Beten; da fehlte jede Weihe, jede Innerlichkeit; das war eine erbärmlich rohe Posse. Er glich dem Leiermanne, der, die Kurbel drehend, seine zwei, drei Stücke herunterleiert und dabei erwartungsvoll hinauf nach dem Küchenfenster schielt.

Nach dem Beten schlug er eines der auf dem Tische liegenden Bücher auf und las einen Psalm. Er kannte ihn auswendig, denn nur ab und zu widmete er der Schrift einen flüchtigen Blick; viel mehr Aufmerksamkeit schenkte er jetzt der Küchen­thür, wo seine Frau wiederholt erschien und ihm verstohlene Zeichen machte. Den Psalm sprach er mit ganz anderer Betonung als das Gebet; er verzerrte die Worte nicht mehr, er meckerte. Die Kunden standen indeß mit gefalteten Händen an den Tischen und langweilten sich.

Dem Psalm folgte Gesang. Der Herbergsvater vertheilte etliche Bücher und nannte eine Seitenzahl; die Seite ward aufgeschlagen, je drei oder vier Kunden steckten über einem Buche die Köpfe zusammen, und das Kirchenlied stieg. Auf gesangliche Schönheiten ward nicht geach et; überhaupt schien der Herbergs­vater fein Freund des Sanges zu sein. Ohne auf seine Mitsänger, die sich nicht rasch genug in sein Tempo zu fügen vermochten, Rücksicht zu nehmen, sang oder schrie er flott eine Strophe herunter und schlug das Buch zu, bevor die meisten der Kunden das Lied im Buche aufgefunden hatten. Ohne Zweifel fand der Gesang nur statt, weil ihn die Vorschrift in den christlichen Herbergen gebot und wohl auch heute noch gebietet.

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Etwas Seeleuloferes und Possenhafteres, als diese Abendandacht", läßt sich schwer denken, und es sei mir gestattet, voraus zu bemerken, daß in den meisten der vielen christlichen" Herbergen, in die mich das Geschick führte, bei den Morgen- und Abendandachten derselbe abgeschmackte, falte, nichts­sagende Frömmigkeitston vorherrschte. Solche Gebet­übungen sind vortrefflich geeignet, den Kunden das Beten zu verleiden.

Unmittelbar nach der letzten Silbe des Gesanges schrie der Herbergsvater:" Wer noch was verzehren will, muß schnell machen; es geht jetzt zu Bett! Gutes Einfach- Bier ist da, Korn, Käse, Wurst­Alles, was das Herz begehrt! Blos Pellkartoffeln giebts nicht mehr; dazu ist's 31 spät, da hättet Ihr zu Euch früher melden müssen."

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Obgleich keiner der Kunden sich auf diesen Auf­ruf hin meldete, brachte die Mutter" hurtig eine Flasche Korn, sowie eine Anzahl Schnapsgläser her­bei; die heiligen Bücher wurden beiseite geschoben und das Tischchen mußte als Schnapsbüffet dienen. Das gute Einfach Bier" kam nicht zum Vorschein - nur der Schnaps.

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,, Also will Einer? Die Nacht ist lang, und ins Wett bring' ich nichts gebracht!"

Er lachte über diese wißige Woriwendung eher als die Kunden lachten, und blickte dabei fragend und forschend im Kreise umher.

,, Nadierlich drinken wer an Soroff!" erklärte lustig ein alter Kunde und drängte sich an das Tischchen. " Heute zum Sonntag muß man sich schon was anthun!" ermunterte die Herbergsmutter.

Der Schneider füllte sämmtliche Gläser, und keines­wegs vergeblich. Seinen einladenden Blicken folgten nach und nach die meisten der Kunden; sie suchten ihre letzten Kupfermünzen zusammen, zählten sie sorg­sam auf dem Handteller, schöpften gute Hoffnungen für den nächsten Tag und warfen ihren schäbigen Neichthum dann mit übermüthiger Entschlossenheit dem Saufteufel in den Nachen.

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Die Mutter soll leben

,, Der Vater daneben!"

proft!"

" Prost, prost! Wohl bekomms! Aber besauft Euch nicht!"

Als die Flasche nahezu leer war, erfolgte die