318

Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Die

ernstem, fast verständnißlosem Blick auf den ver= zweifelt vor ihm knieenden Judas, der ihm den Säckel mit den Silberlingen entgegengestreckt. Die Gestalt des Verräthers umgeben zwei Figuren: int Hintergrunde der Teufel, wiet er in Gestalt cines affenähnlichen Ungethüms mit Fledermausflügeln, und ein Engel mit lichten Flügeln und einem aus sy metrisch gesetzten Augen gebildeten Kleide. Symbolik bringt hier wenig Neues zur Jdee. Das gauze Interesse ist auf die beiden Hauptgestalten gerichtet, auf die tiesinnere Seelenruhe und Uner­schütterlichkeit Christi und auf den wahnsinnigen Ver­zweiflungsschmerz des Judas Ischarioth. Ind   in dieser Art von Darstellung ohne jegliche Uebertriebenheit der äußerlichen Momcute ist Sascha Schneider   Meister.

Das Gleiche in Bezug auf Ebenmaß und einfache Würde läßt sich von dem nächsten Bibelbild: Eins ist noth" sagen. Auf einem niedrigen Hügel steht ein lichtes, in den dunklen Raum hineinragendes Kreuz. Das Kreuz trägt die Worte: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, die Losung, die einst die ungehenere französische   Revolution begleitete. Und an das Kreuz gelehnt steht Christus aufrecht und predigt zu der Menge, die von Fuß des Hügels horchend, doch ohne Verständniß zu ihn emporschaut. Hinter dem Kreuze aber klettert der Teufel als Affe mit Fledermaus­flügeln empor und grinst über den Cuerbalken hin­weg. Es ist die Predigt der Liebe und Freiheit, die Predigt des Menschenthums, den Menschen gegen= über, die von Freiheit und Liebe nichts zu fassen vermögen. Und hohnlachend lauert im Hintergrunde das Symbol der Niedertracht und Tücke und lacht über den Prediger der Menschlichkeit und zeigt in seiner eigenen Affengestalt, wie vergeblich das Wort der Freiheit, der mit Blut und Schmerz errungenen Freiheit, zu einer stumpfen und blöden Masse iſt. Gerade dieses Bild Sascha Schneiders   ist eines von den wenigen, das in großen Zügen eine immer wiederkehrende Wahrheit veranschaulicht.

So wie die hier angeführten Stoffe zumeist der Sage und der Bibel entnommen sind, findet man auf allen immer wiederkehrende gleiche Züge und Figuren. Man kann sagen, daß es im Ganzen stets mur ein kleiner Ideenkreis ist, den Sascha Schneider   bisher bearbeitet hat, aber auch, daß er durch neue Art der Behandlung und neue Auffassung diesen Ideenkreis zu vertiefen und durchdringen ge= sucht hat. Die Vorliebe, stets dieselben äußerlichen Formen und Figuren zu benutzen, bringt wohl in die zerstreuten Ideen eine gewisse äußere Einheitlich feit, erinnert aber auch an eine Art von Manirirt­heit, die in der Kunst nur zu oft zu finden ist. Es gemahnt gleichsant an die Begleitung in der Musik, die oft dieselbe bleibt, während das Thema wechselt. Die größte Kunst ist die, welche ihren Gestalten stets ein neucs Cewand zu verleihen weiß. Aber den wirf­lichen Grund für diese Manirirtheit bei Sascha Schneider  hat man anderswo zu suchen; und hiermit kommen wir auf das eigentlichste Wesen seiner Persönlichkeit.

Sascha Schneider   ist kein Künstler des wif lichen reellen Lebens. Er vermochte es bisher nicht, die Natur in ihrem großen Wechsel, in ihrer Mannig faltigkeit und das Leben in seinen bunten Kon­trasten zu zeichnen; gleichwie er noch nicht vermochte, das Landschaftliche in der Natur zu schauen und wiederzugeben. Sascha Schneider   ist im innersten Wesen bisher ein Grübler, man möchte sagen, ein metaphysischer Grübler. Er sucht fast überall das letzte Weltwesen, er sucht fast überall Erklärungen für das letzte Weltwesen. Bilder, wie, Der Anarchist", Das Gefühl der Abhängigkeit"," Der Gedanke an das Unendliche" beweisen es.

"

"

Ferner ist Sascha Schneider   kein Erotifer, ein Moment, das sehr in Betracht kommt. Alle Kunst jedweder Art hat zum Theil als Zweck, zum Theil als Mittel die Erotik nöthig. Die tiefe Sinnlich keit, die das Wesen alles Lebens ausmacht, um die sich alles Leben und Treiben auf Erden dreht, die ernste Sinnlichkeit, an die sich alle Schmerzen und alle Hoffnungen der Menschheit knüpfen, sie ist Sascha Schneider   bisher ein fremdes Element. Be­weis dafür: wir finden keine Frauengestalten auf seinen Bildern, wir finden nirgends ein Thema der Liebe, nirgends auch nur die leiseste Erinnerung

sie ist

an das, was das menschliche Leben treibt und be wegt. Ja noch mehr: wir finden nirgends Be­wegung und Wechsel. Schneiders Kunst gemahnt an den Stein, sie ist unerschütterliche Ruhe. Wir haben an dem Bilde Eine Vision" bemerkt, daß selbst das Schattenhafte und Hu'chende cines Traum­gesichtes unter der Hand Schneiders zum ewig Nuhenden wird. Man sage nicht, daß dies das Erbtheil aller bildenden Kunst sei, Erbtheil aller bildenden Kunst sei, eine Früh

"

lingslandschaft Hans Thomas' athmet Bewegung, man ahut den weichen wehenden Hauch der Früh­lingslüfte, man ahut das Keimen und Sprossen der Natur. In der Sphinx" von Franz Stuck   wird selbst der Stein zum lebendigen Weib und man hat das tiesinnere Gefühl, zu schauen, wie es sich niederbeugt. Und wo wir uns umblicken in der bildenden Kunst, entdecken wir Leben und Bewegung. Und wo wir uns umblicken in den Werken Sascha Schneiders  , entdecken wir steinerne Ruhe und Leb­losigkeit. Und gerade deswegen hat die Kunst Schneiders einen eigenthümlichen Neiz: den Reiz des Monumentalen, treg der primitiven Mittel, und den Neiz der kalten Askese.

Daran knüpft sich auch ein drittes Moment, das uns durchwegs bei Sascha Schneider   in die Augen fillt: Sascha Schneider   hat keinen Humor. Ich meine nicht den Sinn für die Lächerlichkeiten und komischen Auswüchse des Menschenlebens, sondern die innere Freude, dieses Gefühl des ruhevollen Betrachtens und Begreifens aller Wandlungen und jedes Wechsels, diese Freude an Leben und Re­wegung, die die starre Kunst erst mit schimmernden Lichtern umgiebt. Sascha Schneiders   Gestalten sind ohne Ausnahme ernst und feierlich. Sascha Schneiders  Gestalten sind Menschen oder Phantasiegcbilde, die nur denken, gleichwie der Künstler, der sie schuf, nur denkt. Sascha Schneiders   Gestalten sind aber auch leidenschaftslos. Wenn wir die Reihe der hier besprochenen Bilder durchgehen, wir finden nur zwei Leidenschaften ausgeprägt: Die Gier und den Haß auf der einen Seite, den Schmerz und die milde Versöhnlichkeit auf der anderen Seite wir finden nur Engel und Teufel. Und daneben finden wir wieder starre, schauende, denkende Menschen. Auch hierfür giebt es einen, wenn auch flüchtigen und nebensächlichen Beweis: Sascha Schneider   ver­meidet es, wo er kann, die Gesichter seiner Personen 31 zeigen. Auf zwei Bildern: Gefühl der Ab­hängigkeit und Der Anarchist" sind die Personen direkt abgekehrt. Auf dem Bilde direkt abgekehrt. Auf dem Bilde Der Mammon und sein Sklave" hat die eine Figur einen Vogel­topf, die andere Figur hält ihr Gesicht zu Boden. Auf dem Bilde" Der Gedanke an das Unendliche", das ein neuer Beleg für die metaphysische Grüblerei Schneiders wäre, hat die Figur fast gar kein Ge­sicht. Es ist ein halb abgekehrter, lichter Kopf, in dem nichts ausgeprägt ist. Dagegen zeigen sich die Gesichter, in denen Haß und affenartige Instinkte wohnen, stets voll, und Gesichter, in denen Gram und Schmerz und sonstige lebendige Momente ver= förpert werden, fast nur von der Seite. Wohl aber sucht der Künstler diesen Mangel mit pracht­voller Technik durch die Haltung seiner Gestalten zu ersetzen, ja, man kann sagen, daß er dadurch vielleicht mehr von dem Seelenzustand auszudrücken weiß, als es ihm durch den Ausdruck des Gesichtes gelungen wäre.

Sascha Schneider   ist gegenwärtig sechsundzwanzig Jahre alt. Er stammt von deutschen Eltern, hat aber seine Jugend in Rußland   verlebt. Diese Eindrücke, welcher Art sie auch gewesen sein mögen, prägen sich unverkennbar in seinen Werken aus. All das Ab­strakte, Innerliche, Melancholische, Grüblerische möchte man auf die seltsame Mischung von Germanen- und Slaventhum zurückführen. Slaventhum zurückführen. Wir haben in großen Zügen die wichtigsten Momente bei Betrachtung der Sunstwerke Sascha Schneiders   angeführt. Neben vielen Vorzügen wenige, aber ernste Mängel. Und gerade die eigenthümliche Vertheilung von Mängeln und Vorzügen hat dem jungen Künstler einen so raschen und wohlverdienten Ruhm eingetragen. Möge seine Weiterentwickelung eine so glückliche sein, wie seine Anfänge waren.

Soerbstgedanken.

Von Tor Hedberg  . Deutsch von Wilhelm Thel.

enn der Herbst sich naht und die Tage schon fürzer werden, dann scheint die Natur von dem glühenden Verlangen erfaßt zu werden, sich noch einmal in all ihrem Glanze zu zeigen. Eine Art Fieber treibt den Saft in den Pflanzen, die Blätter trinken das Licht, färben sich purpurn, und das ruhige, glückliche Grün verwandelt sich in eine unklare, bewegliche Masse, die in zitternde, warme Farben getaucht ist. Der Wald ist dann schöner, reicher als je, aber auch trauriger, denn unter dieser Farbenpracht verbirgt sich eine Ahnung der Hinfälligkeit und des Todes. Still und schweig­sam wächst diese Ahnung. Das Fieber, das die gelb gewordenen Blätter verbrennt, verzehrt sie, und der Herbst rückt unerbittlich näher.

Endlich kommt ein Tag, da der Himmel blaẞ­blau, ohne die geringste Wolke sich zeigt; die Luft ist kälter, durchsichtiger, und auf diesen Tag folgt eine eisige Nacht. In dieser hellen Nacht liefert die Natur ihre lezte Schlacht, sie fämpft gegen ihren Todseind: die Kälte. Am Morgen, wenn

die rothe Sonne am Horizont aufsteigt, glisert der Dann ist der Frost auf Gras und Blättern.. Kampf beendet, das Fieber erloschen, und die Blätter fallen ohne Gnade eins nach dem anderen.

Dieser erste Frost hatte sich über der Landschaft gelagert, doch während des folgenden Tages war die Luft milder geworden, die Sonne hatte die leicht gehärtete Erde wieder weich gemacht. Zu dieser Stunde verschwand sie hinter dem Fichtengehölz; die Dämmerung sank langsam hernieder und man fühlte durch die Atmosphäre fast einen Frühlingshauch streichen. Doch durch das Schweigen hörte man ein endloses Geräusch, ein geheimnißvolles Rauschen, wie ganz schwache Seufzer, wie die Klage unsichtbarer Elfen, die sich in der Luft schaukelten; das waren die Blätter, die sich von ihren Zweigen loslösten und zur Erde fielen.

Karin ließ ihre Arbeit auf die Knie sinken und blickte hinaus. Plöglich fühlte sie sich von dem niederdrückenden, beängstigenden Eindruck der Traurig= feit der Natur ergriffen. Sie hatte dem Vorrücken der Jahreszeit von einem Tage zum anderen zu­gesehen; sie hatte Schritt für Schritt den Leichenzug beobachtet, und doch war es ihr, als entdeckte sie jest zum ersten Mal, daß der Herbst drohend, un­erbittlich vor der Thür stand. Ein unerklärliches Gefühl bemächtigte sich ihrer; die vertraute Land­schaft nahm in ihren Augen ein seltsames Aussehen an. Man hätte glauben können, der weite Naum zwischen diesen kahlen Zweigen vergrößere, erweitere sich, und ganz im Hintergrunde las sie eine geheimniß­volle Frage. Sie dachte darüber nach, denn sie war nicht sicher, sie auch verstanden zu haben, doch es quälte sie die lleberzeugung, daß sie nicht wußte, was sie darauf antworten sollte.

"

,, Es giebt feine Antwort darauf", murmelte sie vor sich hin.

-

Der Ton ihrer eigenen Stimme entriß sie ihrer Träumerei, über die sie mit blassem Lächeln spottete. Aber einen Augenblick später schalt sie sich aus, daß sie gelächelt... und nun... nun hatte sie die eigenthümliche Empfindung, daß sie sich selbst ein Räthsel war; sie erkannte sich nicht mehr; ihre Seele erschien ihr als eine unbekannte Welt- wie eine Welt diese Landschaft vor ihrem Fenster voller Unklarheiten, an die sie nicht zu rühren wagte und die sie doch auzog, obwohl sie Furcht davor empfand. Das war ebenso, als wenn sie auf ihren Spaziergängen durch den Wald auf einen Fußpfad kam, den sie noch nicht betreten hatte; es war die­selbe unklare Anziehungskraft, dieselbe unbestimmte Furcht. Mit der Lebhaftigkeit eines Kindes ging sie einige Schritte auf dem ihr unbekannten Pfade; dann wurde sie plötzlich von einer gleichgültigen Mattigkeit ergriffen, dachte:" Vielleicht finde ich den Weg nach dem Hause nicht mehr wieder?" und drehte, ein wenig seufzend, wieder um. In diesem Augenblick ging nichts Anderes ver sich; sie machte einige Schritte in sich selbst hinein sozusagen und