Die reue Welt

Nr. 42

Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Klein- Ada.

Von Edgar Steiger .

( Auf den Tod meines Kindes, das während meiner Gefängnißhaft geboren wurde und starb.)

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Ein Geigenton im Abendwind Woher? Wohin? Wer könnt' ihn fangen? Sie schreiben mir: Dein liebes Kind Ist heute wieder fortgegangen!"

Ich weine nicht. Ich fühle blos Den dumpfen Druck, daß ich noch lebe, Und starre kalt und seelenlos Durch meiner Belle Eisenstäbe.

1897

In meinem Hirne schnurrt und spinnt Des Denkens nimmermüde Spindel Und drüben flattert hoch im Wind Ein Wölkchen wie' ne Kinderwindel.

Bist Du's? Mir wird so weh, so weh! Der Fährmann von dem dunklen See So kam er doch, der Nimmersatte, Und holte Dich, eh' ich dich hatte!

Nuf der Walze.

Aus den Papieren eines Fechtbruders. Von F. Riebeck.

Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Pauline Michalska.

bwohl ich einen nicht unbeträchtlichen Umweg machte, richtete ich meinen Marsch auf Bunz­ lau zu; dort wollte ich meinen Freund Franz aufsuchen.

Bei zahlreichen Dorftischlern sprach ich unterwegs vor, in der leisen Hoffnung, ein Winterquartier zu finden; doch stets ward ich abgewiesen, und selten nur geschah es, daß einer in die Tasche griff und einen Zehrpfennig für mich hervorholte; dagegen famt es öfters vor, daß mir genießbare Spenden zu Theil wurden, und zwar aus den Händen freund­licher Meisterinnen.

Die meisten Dorstischler entschuldigten sich bei mir mit dem Vemerken, daß sie die Tischlerei nur so nebenbei betrieben und hauptsächlich von dem ,, bissel Acker" lebten. Damit wollten sie sagen, daß sie eigentlich garnicht zur Zunft gehörten und somit auch nicht verpflichtet seien, mir eine Reiseunter stützung zu gewähren. Ich wollte ja auch keine Unterſtüßung obgleich mein in Thalungen er sparter Reichthum troy all meiner Knauserei rasch seinem Ende entgegen ging, ich wollte uur Arbeit. In Dorfwirthshäusern übernachtete ich und schlief zumeist auf Stroh.

Am Morgen des dritten Wandertages erreichte ich Bunzlau , und die Werkstatt, in der Franz Arbeit gefunden hatte, war bald entdeckt. Eine große Möbel­tischlerei wars; wohl sieben oder acht Gesellen waren darin. Ich fragte nach Franz, worauf einige Ge­sellen, die mir zunächst standen, einander anblickten und vergnügt lächelten, als käme ihnen meine Nach­frage wie ein guter Wiz vor. Dann trat ein älterer Mann, offenbar der Meister oder der Werfführer, auf mich zu, drängte mich, gleichfalls lächelnd, sanft zur Thür hinaus und sagte: Der ist nicht mehr da!"

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Können Sie mir vielleicht sagen, wo er ist?" Er geht uns nichts an!" gab der Mann kurz zur Antwort und schob mich dabei noch ein Stückchen weiter.

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Seit wann ist er fort?"

Der Mann würdigte mich keiner Antwort mehr; dagegen rief mir ein Gesell zu: Wir haben ihn ' rausgeschmissen; er fonnte ja faum bis Drei zählen!"

Dieser Bescheid wirkte so niederdrückend auf mein Gemüth, daß ich kein Verlangen mehr empfand, die Stadt näher zu betrachten; sogar den berühmten Stadt näher zu betrachten; sogar den berühmten Riesentopf, das Wahrzeichen und die größte Sehens­würdigkeit Bunzlaus, nahm ich nicht in Augenschein, obgleich ich, wie eine Tafel mich belehrte, an dem Hause, in dem er steht, vorüber ging. Man fann nach Ront gehen, ohne dort dem Papst seine Auf­wartung zu machen; doch man darf nicht Bunzlau verlassen, ohne den großen Topf gesehen zu haben. Und ich sah ihn dennoch nicht! So todesbange war mir ums Herz geworden, daß ich selbst für die be= rühmtesten Dinge der Welt keinen Sinn mehr hatte. In Bunzlau ist Martin Opiz, der Reformator Das deutscher Dichtkunst", zur Welt gekommen. hatte ich gelesen in dem Schullesebuch meines kleinen Freundes, des Kirchendienersohnes, und es war mir treu im Gedächtniß haften geblieben. In weihe voller Stimmung hatte ich den Boden der Stadt betreten, doch als ich die Bunzlauer Tischlerwerk­statt verließ, war es sogar mit meiner literarischen statt verließ, war es sogar mit meiner literarischen Audacht vorbei.

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Ich dachte nicht mehr an den hochberühmten Kunstreformator und Dichterkollegen; ich dachte nur an meinen lieben, unglückseligen Freund Franz, den sie hinausgeworfen hatten, weil er kaum bis drei zählen konnte, und der vielleicht auf der Wanderschaft zählen konnte, und der vielleicht auf der Wanderschaft umgekommen war. Im Geiste sah ich sein treues Gesicht, wie ich es zuletzt gesehen hatte in Thalungen, als wir Abschied nahmen ein leidenvolles, thränen nasses, hülfloses Kindergesicht, auf dem geschrieben nasses, hülfloses Kindergesicht, auf dem geschrieben stand: Helft mir, sonst bin ich verloren!...

Doch was mochte mir selbst noch bevorstehen!

Im Herbstwie oft hatte ich das vernommen!- war selten ein Meister geneigt, einen neuen Gesellen anzustellen. In den großen Städten, so sagte man, wo für die Möbelmagazine gearbeitet werde, sei es allerdings anders; dort könne ein tüchtiger Gesell zu jeder Jahreszeit Arbeit finden.... Ein tüchtiger Gesell!... Aber ich war noch nicht reif für die große Stadt; ich mußte mich vorläufig noch mit der fleinen Stadt, oder mit dem Dorfe bescheiden.... Wenn ich nur erst Gelegenheit zu solchem Bescheiden hätte!... Wenn ich aber keine Arbeit fände und der Winter käme mir auf den Hals was dann? ,, Sie ließen Vater und Mutter sein, Sie wanderten in die Welt hinein Und gingen bald verloren...." Wie mein ganzes Wesen erschauerte bei dem Gedanken an dieses Lied!

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Görlitz ist eine große, ungewöhnlich schöne Stadt. Ich war überrascht. Aber die breiten, lichten Pracht­straßen mit dem starken Menschenverkehr, die kühlen, mit den fabelhaftesten Reizen der Natur besäumten Spazierwege, die fesselnden Bauwerke, die prunkenden Gärten und all der Neichthum und all die Herrlich­feit erfreuten mich nicht, sondern ängstigten mich; die Menschen hasteten an mir vorbei, ohne meiner zu achten. Aus reichen Läden leuchtete der Wohl= stand, aus hohen Fenstern das Glück und ich zog dahin wie jeure arme Seele aus dem Fegfeuer, von der ich in einem frommen Jahrmarktsbüchlein gelesen hatte, daß sie einen Menschen suche, der das erlösende Gebet der heiligen Katharina für sie bete; sie sah überall vergnügte, lebenslustige Gesichter; sie selbst aber konnte nicht gesehen werden, denn sie litt, wie alle armen und auch reichen Seelen, an dem Uebel der Unsichtbarkeit. Und wäre sie auch sichtbar wer gewesen, und hätte sie Erbarmen gefunden weiß, ob dann Giner unter den vielen Menschen das Gebet der heiligen Katharina gekannt hätte! Und so mußte die Seele zurückkehren ins Jegfeuer und büßen, büßen ach, wer weiß, wie lange

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