Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Ende de schmalen Raumes, zu Häupten des Kranken, und wartete in banger Beklemmung der weiteren Ereigusse.
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Large stand ich dort entseßlich lange Minuten, und vagte kaum zu athmen. Die Arzneien ver= breiteten jenen scharfen Duft, der stets an die Gebrechlichkeit des Menschenleibes, an Qual und Sterben gemahnt, und der mir wie Leichengeruch vorfam. Das Fenster bedeckte ein dunkler Vorhang, der feinen Lichtschimmer hereindringen ließ; nur durch die offen stehende Thür floß aus dem Brunfzimmer eine matte Helle in das Sterbegemach, ruhte wie ein leises Gnadenleuchten auf dem Krankenlager und verklärte das bleiche, müde Gesicht der betenden Entsagerin.
Der Kranke regte sich nicht; kein Athemzug war vernehmbar, so gespannt ich auch lauschte. War die Erlösung schon gekommen?...
Jetzt ein ächzender Ton, wie ein verhaltenes Er lebte noch! Röcheln, dann wieder tiefe Stille. Er lebte noch! Die Schwester beugte sich vorsichtig über das Bett, betrachtete ihn ein Weilchen, winfte mir dann, kaum merklich, mit den Augen zu, und ihre schmalen Lippen bebten weiter im Gebet. Ich deutete den Augen wink als eine Einladung, den Kranken zu betrachten, und so machte ich geräuschlos einen Schritt auf das Bett zu. Einen Blick über die hohe Bettwand werfend, sah ich in den Kissen das fahle, bärtige Antlig eines Mannes; die Augen waren geschlossen, auf der schmalen, von grauen, buschigen Haaren umrahmten Stirn standen dicke Schweißtropfen. Da auf einmal ivar mirs, als verzerre sich in brennender Qual sein Gesicht, als öffne er Augen und Mund und als wolle er irgend ein furchtbares Wort sprechen und wieder vernahm ich jenen unheimlichen, röchelnden Seufzerton. Beklommen trat ich zurück.
Die Schwester war aufgestanden, um den Kranken genauer beobachten zu können. Zuweilen wandte sie sich nach der Thür und schien in die Ferne zu lauschen, und dabei glitt jedesmal ein Schatten des Unwillens über ihre ruhigen Züge. Auch war es dann, als hätte sie das Bedürfniß, recht zärtlich zu dem Kranken zu sein. Sie strich ihm sanft mit einem weißen Tuch über die Stirn, blickte ihn, jede seiner Bewegungen aufmerksam verfolgend, liebevoll an, und ihre weißen Hände waren jedes Dienstes gewärtig. Wie ernst sie ihren heiligen Beruf nahm! Je länger ich sie anschaute- se, ein lichtes Gebilde voll Demuth und zugleich voll Hoheit, voll Liebe und zugleich voll Strenge, voll Selbstverläugnung und voll inniger Sorge um das Wohl leidender Mitmenschen, desto eifriger redete ich mir ein, daß die wirklichen Engel Gottes nicht über den Wolken hausen, sondern auf Erden weilen.
Endlich Geräusch an der Hausthür. Wehklagen erhebt sich draußen, rasche Schritte erschallen. Laut schreiend stürzt eine ältliche, kleine, vollformige Dame in das Krankengemach, sinkt am Bette nieder, er= greift eine Hand des Sterbenden und beschwört ihn lärmend, sie nicht allein in der Welt zu lassen. Die Nonne, in höchster Bestürzung, preßt ihr ein Tuch an den Mund, um sie zum Schweigen zu bringen, wird aber bald von der kleinen, kräftigen Frau bei Seite geschoben.
„ Reinhold, Reinhold, lebst Du noch? So sprich doch mit mir Reinhold! Ach, ihr heiligen vierzehn Nothhelfer, o Du allerreinste, Du allerheiligste Jungfrau Maria, steht mir bei; o heilige Dreifaltigfeit, verlaß mich nicht!- Reinhold, mein Reinhold! Ach, er lebt noch, er lebt! Er darf nicht von mir gehu, er darf nicht!"
Sie ist aufgesprungen und will den Kranken umschlingen. Da greift die Nonne herzhaft zu und reißt sie zurück.
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Seien Sie vernünftig, Frau Oberst! Das ist
feine Art!"
Die Frau Oberst stößt einen freischenden Ton aus, als fühle sie sich vom Schlage getroffen; sie will rücklings hinsinfen, wird jedoch von der Schwester festgehalten, und gleichzeitig treten zwei junge, ländlich gekleidete Frauen oder Mädchen in das Zimmer und stehen der Schwester bei. Die kleine Dame wird in die Pruntstube geleitet und dort auf einen Polstersessel niedergelassen.
sich die Schwester an die beiden Frauenzimmer. Auch für den jungen Mann eine!" fügt sie, auf mich dentend, hinzu.
Die Zwei gehen hinaus, die Schwester kehit an das Krankenbett zurück.
Ich richte meine Aufmerksamkeit auf die Frau Oberst. Oft schon hatte ich das Wort Verzweiflung gehört und es selbst gebraucht, jetzt aber sah ich zum ersten Male einen verzweifelnden Menschen. Ihr Unglück ergreift, überwältigt mich und zwingt mir Thränen in die Augen. Der Gedanke, daß ich Zeuge bin, wie der Tod zwei trenliebende Seelen grausam auseinander reißt und einem schwachen Weibe den Gefährten und Beschüßer raubt, wirkt heftig er= schütternd auf mein Gemüth... Sie liegt im Sessel mit geschlossenen Augen; sie feucht, als kämpfe fie selbst mit dem Tode, und ihr hochgewölbter Vusen hebt und senkt sich mit unheimlicher Geschwindigkeit; der Kopf ruht schräge auf dem Polster, der Mund ist geöffnet, die Arme hängen schlaff über die Lehne ist geöffnet, die Arme hängen schlaff über die Lehne herab. Ich fürchte um ihr Leben und wünsche im Stillen, daß sie einschlafen und im Schlummer Stärkung finden möge.
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Da sie öffnet die Augen! Der Kopf hebt sich, sie reckt sich, mit den Händen auf die Lehnen gestüßt, empor. Der Ausdruck der Verzweiflung ist gestützt, empor. Der Ausdruck der Verzweiflung ist aus ihren Zügen gewichen; ihr Blick ist ruhig, eisig, lauernd. Und dieser Blick trifft mich. Sie erhebt sich rasch.
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Was ist das dort für ein Mensch?" fragt sie. Die Schwester wendet sich zu ihr und deutet ihr Schweigen an, indem sie einen Finger an die Lippen hält. Den hab ich gebraucht," erwidert sie leise.
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Die Dame erscheint auf der Schwelle.„ Schwester, der Kaffee kommt gleich!.... Er ist wohl aufder Kaffee kommt gleich! gewacht?"
Die Schwester antwortet nicht. Einen Blick der Neugier wirft die Frau Oberst nach dem Bett, dann wendet sie sich zu mir und befiehlt falt und herablassend:„ Gehn Sie nach der Küche, trinken Sie eine Tasse Kaffee." Ich file, wie sie mich verächtlich und mißtrauisch mustert.
Glücklich, aus dem Baune des Todes und der unerträglichen Atmosphäre zu gelangen, eile ich auf den Fußspißen davon.
Hunger und Durst sind mir vergangen; ich will sogleich die Villa verlassen und suche mein Nänzel. Dabei gelange ich in die Küche, wo die beiden jungen Frauenspersonen bereits beim Staffce sitzen. Die Eine erhebt sich und nöthigt mich, an dem weißgescheuerten Tische Plaz zu nehmen. Sie bringt mir Kaffee und bereitet mir ein Butterbrot. Beide find traurig gestimmt; die Eine scheint sogar geweint zu haben; sie fährt mit dem entblößten Arm über die Augen. Dabei kaut sie eifrig mit beiden Backen, leert mit raschen Zügen ihre umfangreiche Tasse, als wolle sie trinkend ihren Schmerz betäuben, und füllt sie schnell aufs Neue. Sie sprechen von der Alten", und obgleich ich nur wenige Worte erhasche, weiß ich doch bald, daß sie von ihrer Persönlichkeit nicht entzückt sind. Ich frage, an welcher Krankheit der Herr Oberst leide, und da sie gesprächig sind, erfahre ich im Zeitraum einer Viertelstunde die schlimmsten Familiengeschichten.
Der Oberst erliegt einem Krebsleiden. Seit zwei Jahren ist er frank. Seine Liebe zur Natur hat ihn veranlaßt, nach seiner Verabschiedung vom Militär eine Gartenwohnung außerhalb der Stadt zu beziehen. Noch im Frühling hat er, troß seiner Krankheit, weite Feldspaziergänge gemacht und Kräuter und Käfer für seine Sammlungen gesucht; doch im Sommer war er bereits so elend, daß er zu Fuß faum noch den Garten erreichte. Bald nachdem ihn Die Schwester ergreift sie am Arme und führt das Leiden für immer auf das Lager geworfen hatte, sie zurück zum Polstersessel.
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Da gebt ihm doch etwas, damit er gehen kann!" spricht die Frau Oberst mit gedämpfter Stimme. Er bekommt Kaffee!" entgegnet die Schwester. Er fann ja den Doktor holen!... Ja, was wo ist denn der Doktor? Wir heißt denn das müssen doch den Doktor haben!"
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Der Herr Doftor war hier; er sagte, es sei nicht mehr nöthig, ihn zu rufen. Ich bitte Sie, Frau Oberst, regen Sie sich nicht auf und sprechen Sie nicht so laut."
,, Aber Hochwürden muß doch kommen!" " Hochwürden war vorgestern hier. Ihr Herr Gemahl ist vorbereitet für den Himmel."
,, Nein, er muß noch einmal kommen!" ruft die Frau und beginnt zu schluchzen. Vorgestern, das ist schon zu lange! Mein Gewissen ließe mir keine Ruhe bis an das Grab!... Mein Gewissen, mein Gewissen!... Hochwürden muß kommen!"
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Wenn Sie ein Gewissen haben, Frau Oberst, so gönnen Sie Ihrem Herrn Gemahl einen ruhigen Tod!" raunte ihr die Schwester mit zorniger Entschiedenheit zu.
Ich bin überrascht von der bitteren Schärfe dieses Tones, und mein Erstaunen wächst, als die alte Dame, ohne ein Wort zu entgegnen, einen Wedel ergreift und Möbel und Geräthe damit abſtäubt. Ihre Züge bekunden eine erschreckliche Gleichgültig keit; ich erwarte, daß ihre Lippen eine heitere Melodie summen. Sie tritt auf die Schwelle und fragt:„ Haben Sie diese Nacht ein wenig geschlafen, Schwester?"
Die Schwester, am Bett beschäftigt, schüttelt den Kopf und winkt ihr zu, fern zu bleiben.
Da müssen Sie doch Kaffee haben!" spricht die Frau Oberst und geht hinans.
Mein Mitleid für sie hat sich in Abscheu verwandelt. Erst die wilde Verzweiflungsszene, und dann die empörende Rücksichtslosigkeit gegen den sterbenden Mann. Ich vermag mir das Näthsel dieses Weibes nicht zu erklären, habe jedoch die Ueberzeugung gewonnen, daß die Ehe, die der Tod nun lösen will, nicht im Himmel geschlossen ist.
Der Kranke hat seine Ruhe verloren; ich höre schwere, röchelnde Athemzüge und sehe, wie die Bettdecke sich bewegt.... Vielleicht das Röcheln des Todes.... Der Engel hat sich über ihn gebeugt; mit der Linken hebt er sanft ein wenig das Kissen, und auch mit der Rechten leistet er dem Sterbenden
,, Bereiten Sie mir eine Tasse Kaffee!" wendet Samariterdienste.
wandte sich sein frommes Weib, das er ein langes Leben hindurch treu geliebt hat, von ihm ab uno bezog eine andere Wohnung. Der Arzt, meinte sie, habe ihr körperliche und seelische Ruhe anempfohlen, und wenn sie allein sei, könne sie besser zum lieben Gott beten, auf daß er ihr das Liebste und Einzige, was sie auf Erden besize, ihren Reinhold, noch recht lange am Leben erhalte. In seiner Nähe könne sie nicht weilen; ihn leiden zu sehen, würde sie zu. sehr aufregen, und das wäre ihr Tod.
" Dabei ist sie zäh wie Rindsleder," bemerkte eine der Erzählerinnen.
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Die hält mehr aus, als drei Scheunendrescher zusammen," bestätigte die Andere.
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Sie thut aber immer, als pfiffe sie bereits auf dem letzten Loche."
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,, Als sie vor ein paar Tagen zum letzten Male hier in der Villa war, ist ihr ein Geist erschienen."
,, Nicht doch, vor der reißen ja die Geister aus!"
" Sie hats aber erzählt! Die Seele von ihrem Schwieger ater wars. Vielleicht hat ihr diese Scele den Kopf ein wenig zurechtstußen wollen, doch unsere Gnädige ist ausgerückt, und seitdem mochte sie nicht mehr in die Villa gehen."
Es kann auch der Leibhaftige gewesen sein, der nachsehen wollte, ob sie reif genug ist!"
„ Aber Kathrine! Die wird ja schnurstracks mit sechs Schimmeln in den Himmel abgeholt, wenn se stirbt. Denke doch, wie sie befreundet ist mit dem Herrn Kaplan, und was sie für Messen lesen läßt!" Wenn die einmal sterben sollte, dann feierten die Teufel vor Freuden Kirmeß ."
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,, Nicht so laut, Kathrine! Du weißt, die Alte lauscht gern."
,, Keine Angst, sie kann uns nicht hören."
Meine Mutter erzählte immer, daß zum gnädigen Herrn auch Geister gekommen sind. Da kam immer ein Vogel, und das war die Seele seiner Tochter."
" Rede nicht so dumm! Der Herr hat überhaupt an feine Gespenster geglaubt!"
„ Aber der Vogel hat noch voriges Jahr gesungen..."
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Es war eben ein Vogel, weiter nichts. Er hat