Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Interessenbund, den heute Kirche und Geldsack mit­cinander geschlossen haben.

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Clovis Hugues , ein bekannter so ialistischer De­putirter doch ebenso mittelmäßiger Politifer wie schwungvoller Balladendichterführt uns in einem Poëm, das er eine Dramatische Vision" nennt, nach Golgatha. Der Heiland und die beiden Uebel­thäter hängen am Kreuz und tauschen ihre letzten Gedanken aus über thren Pilgergang auf dieser so dornenvollen, irdischen Laufbahn.

Wie es in ciner Thesendichtung nicht anders sein kann, sym­bolisiren die redenden Persönlichkeiten die rerschiedenen Auf­fassungen, die der Ver­fasser vor der großen Deffentlichkeit möchte gegeneinander abgewo gen sehen.

Der reuige Sünder zur Rechten des Er­lösers rerkörpert die große Menge der Glän­bigen, die während ihres Lebens sorglos sündigend und der Er­füllung ihrer Bedürf nisse nachstrebend( wie es das Weltgetriebe jedem athmenden Wesen nahelegt), sich am Ende ihrer Laufbahn

der

ihnen terheißenen Ab­

solution ihrer Sünden

erinnern und, mit dem Segen eines Seelen­

hirten versehen, in die

Gefilde der Seligen einziehen. Der ver­

stockte Verbrecher zur Linfen ist der Empörer, der zynische Mörder, dem die Ungeheuerlich­feit seiner Thaten wohl zum Bewußtsein kommt, der sie aber nicht ein­mal bedauert, ja, der allen Verbrechen noch den frechen Hohn des verdorbenen Herzens hiuzufügt. Die Welt hat ihn geschunden, das Schicksal hat ihn verfolgt; der Hunger hat seine Eingeweide zerrissen er hat sich nur genährt. Und nun soll er zu alledem noch an einen Gott glauben, dessen Milde und Güte ihm ewig verborgen geblieben? Ah- da fannte man ihn und Seinesgleichen schlecht. Mit einem Fluch auf den Lippen gehen sie von dannen; ob zehn­mal die Pforten der

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Hölle sich ob ihren

hohugrinsenden Häuptern schlössen.

Jis mei e Schul, wenn in besternten Nächten Ich nur Gespe. ster sah statt Deiner Götter?

So antwortet er dem ihn zum Glauben er= mahnenden Nazarener an seiner Seite; und sein Sarkasmus überschreitet sicherlich nicht die Grenzen der vom Standpunkt der Moral und Vernunft jedem

Individuum zu gewährleistenden Meinungsfreiheit, wenn er hinzufügt:

Wenns wahr, daß Thränen unsere Sünden waschen,

wein schon ein Wort von Dir mich konnt' mit Unschuld krönen, Und meine Biluernacht mit reinem Glanz erleuchten Warum nicht gewannst Du mich, an Dich zu glauben?"

Vergeblich ist der Einwand des göttlichen Dul ders, daß die irdischen Leiden nur ein Durchgangs­stadium zu einem neuen, vollkommenen Leben in einer besseren Welt seien; daß er in seinen Wande­rungen durch die Wüste und auf dem Berge die Nichtigkeit der irdischen Schäße proklamirt und durch seinen Appell an die Herzen der Seichen den irdischen Jamner habe ein udämmen gesucht.

Aschenbrödel. Nach dem Gemälde von Ad. Echtler. Photographieverlag von Franz Hanfftaengl in München .

,, Du predigtest Barmherzigkeit:

Mein Herz schrie nach Gerechtigkeit!" Das ist die trotzige Entgegnung des reulosen Leidensgefährten und in ihr spiegelt sich jene Auf­fassung wieder, die heute das nach Licht und Be­freiung verlangende Proletariat der christlichen meta­physisch- dogmatischen Lehre gegenüber vertritt.

Etwas start idealisirt erscheint zwar, namentlich gegen Ende des Po ms, diese Pariagestalt der jüdischen Gesellschaft; wenn man aber feinen Typus schaffen, sondern nur durch Worte einer legenden

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haften Gestalt den ewig alten Kampf der Unter­drückten gegen ihre Unterdrücker symbolisiren will, dann erscheint jene biblische Handlung als Gegen­stand einer sozialen Dichtung nicht übel gewählt. Von diesem mehr agitatorischen Standpunkt aus muß man auch die Gestalt Christi beurtheilen, die troẞ aller Gottähnlichkeit sich selber sehr dem Wesen eines fast modernen, wissenden Führers des Proletariats nähert.

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Oder klingt es nicht sehr menschlich, nen­zeilich und wie von der Erkenntniß der Be­grenztheit der indivi­duellen Kraft und der richtigen Erfassung der treibenden geschicht

lichen Mächte diktirt, wenn der angebliche Erlöser des Menschen­geschlechts am Schlusse des Triologs zugesteht:

" Dus univerielle Glück, und aller Uebel Ende

Der Welt zu bringen, hab ich nie geträumt;

Was unser Schiff hen stützt in stürmischer Wetterwende, Das ist die Woge selbst, die ruhlos gährt und stäumt." Clovis Hugues schwingt in manchen anderen seiner sozialen Kampfgedichte gegen Muckerei und Kirchen­

thum das blanke Schwert seines revo= Iutionären und tem= peramentvollen Geistes. Bei sozialistischen Fest­lichkeiten, Banketts 2c. liest oder deklamirt er auch gerne von ihm verfaßte Gelegenheits­prologe, und es fehlt ihm weder an stimm­lichen noch an mimi­

schen Mitteln, 11111 jedesmal einen wahren Leifallssturm zu ent­fesseln.

Natürlich steht er weder innerhalb noch außerhalb der sozia­ listischen Partei mit seiner streng antifleri­falen Weltanschauung allein da.

Unter Denjenigen, in deren Dichtungen die Bekämpfung des Einflusses der fatholi­schen Kirche einen brei­ten Naum einnimmt, ist u. A. Mauri e de Talleyrand Perigord, Herzog von Dino, zu nennen. Er führt uns gleichfalls in das ge=

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lebte Land, in die Wüste und auf den Berg Sinai. Und von hier aus, statt wie so viele seiner dichtenden Vorgänger in mystisch­Sentimentaler Weise über das prosaische Treiben der glaubenslosen Menschenheerde da unten den Stab zu brechen, schmettert er seine freiheitsglühenden Kirchenfeind­lichen, Steine hinab zum Gruß an Rousseau und Voltaire ; zum Gruß an das kämpfende Paris ; zum Gruß an die kämpfende Avantgarde der im Joch der Unwissenheit ächzenden Menschheit.

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Und um feinen Zweifel darüber auffommen zu lassen, daß er sich selber identisch fühlt mit dem Helden seines Poзms, dem er ein vollständiges sozialistisches Glaubensbekenntniß in den Mund legt, schreitt er