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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

geschnitten, wenn er mir unter die Finger gekommen wäre!" rief er, als er zu mir zurückfehrte.

"

Es ist besser, Du hast ihn nicht erwischt," sprach ich.

"

Nicht?" schrie er, blieb stehen und zog den Dolch, den er bereits eingesteckt hatte, abermals hervor. Wenn Du mich wüthend machst; lauf ich zurück und ermurkse ihn. Und wenn er in den Keller friecht, ich finde ihn!"

"

"

Der dumme Junge ists nicht werth, daß Du Dich an ihm besudelst!" sagte ich, um ihn zu be­fäuftigen.

Er beruhigte sich ein wenig und wir marschirten weiter. Am Ausgange des Dorfes sammelte sich eine Schaar Landleute, doch kein Mensch folgte uns nach.

Wenn ich ihm die Klinge durch den Leib ge= rannt hätte, ich wäre nicht geköpft worden!" sagte Eduard.

,, Nein, aber eingesperrt hätten sie Dich!"

Das ist mir Alles egal! Als ich in Breslau im Stittchen steckte, da war Einer drin, der hatte seinen Werfführer mit dem Hammer todtgeschlagen. Ein Jahr hat er gefriegt, mehr nicht. Einfach deshalb, weil ihm der Werkführer vorher eine Ohr­feige' runtergehau'n hatte."

" Weshalb warst Du in Breslau im Rittchen?" Weil mir Alles egal ist! Mein Mitgeselle wollte mir Vorschriften machen, weil er schon länger beim Krauter war, als ich. Da ließ ich ihn Blut spucken, denn wenn ich in Wuth komme, ist mir Alles egal!"

" Hast Du ihn mit dem Dolche gestochen?" Mit dem Dolche, oder mit der Scheere, oder mit einem Stück Holz gestochen oder gehauen Alles ist mir egal!"

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Und nun prahlte er wieder eine gute Weile lang mit seiner Rohheit, so daß die stille Scheu, die ich vor ihm empfunden, sich in Grauen verwandelte und ich mir vornahm, bei guter Gelegenheit meinen eigenen Weg zu gehen.

Eine solche Gelegenheit bot sich nicht bald, und allmälig wußte ich mich so sehr in sein barbarisches Wesen zu fügen, daß ich mein Vorhaben vergaß; ich frente mich sogar, einen mächtigen Beschirmer in ihm gefunden zu haben. Mit ihm zu walzen war fein Vergnügen. Eine furzweilige Unterhaltung fam nicht zu Stande; für Scherze war er unempfänglich und herzlich fröhlich sein konnte er nicht. Er war ernst und finster und wortfarg, und nur, wenn er auf seinen Dolch zu sprechen kam, oder auf seinen Wagemuth, oder auf seine Meisterschaft im Bettelu, gerieth er ins Redefeuer und brüstete sich in un­ausstehlicher Weise. Im Gespräch mit ihm war ich gezwungen, die größte Vorsicht walten zu lassen, da er die Gabe besaß, oft die klarsten und unschuldig­sten Worte falsch zu verstehen und zu mißdeuten. Er ertrug feinen Widerspruch, war äußerst jähzornig und dann gefährlich. Dumm war er und stolz zu­gleich, wie ein befränzter Pfingſtochs; auf den Weg­zeigern konnte er die größten und deutlichsten Auf­schriften nicht lesen, und wenn ich ihm vorgeredet hätte, Sachsen sei das mächtigste Kaiserreich der Welt, so hätte er in meine Worte feinen Zweifel gefeßt.

Er wäre der nichtswürdigste Mensch gewesen, wenn er nicht neben allen den schlimmen Eigenschaften eine große und seltene Tugend in seinem Herzen getragen hätte eine Tugend, die ich nicht mit Namen zu nennen weiß, da sie, wie jede wahre Tugend, kein Name in ihrer ganzen Bedeutung be­zeichnen kann. Ich lernte sie in der ersten Stunde unserer Bekanntschaft kennen, als Eduard mir an jenem Schreckensabend Cbdach und Lagerstatt ver­schaffte; ich begegnete ihr wieder, als er mir mit Mohrrüben aufwartete, und sie sollte mir noch manches Mal zum Heile werden.

Eduard blieb bei der Behauptung, daß ich nicht dalfen könne, und das war für mich ein absonder­liches Glück, denn ich brauchte fortan dieses mir in tiefster Seele verhaßte Geschäft nicht mehr zu be­treiben. Er besorgte es ganz allein; ich konnte in­dessen ausruhen und mir einbilden, ich sei ein fahrender Ritter, der sorgenlos die Welt durchzieht und seinen Knappen den Banern auf den Hals hebt,

um ihnen den Tribut abzufordern. Eduard ließ mich nicht hungern; er sorgte für mich, ohne sich dessen zu rühmen und ohne Dankbarkeit von mir zu fordern. Er wußte nicht einmal, daß er an einem unglücklichen, unbeholfenen Mitmenschen ein gutes Werf that; er handelte so, wie es ihm seine Natur befahl, und machte sich darüber keine Gedanken. Nachdem wir am Nachmittag durch tie fleine Stadt Liban marschirt waren, fehrten wir Abends in ein Dorfwirthshaus ein und begannen dort ein wahres Schlemmerleben. Eduard, der die Kasse führte, sagte, er habe einen guten Tag gehabt, und daher seien wir gezwungen, gut zu leben, denn der ganze Kies müsse drauf gehen; nur so viel dürfe übrig bleiben, daß der Frühstückkaffee davon bezahlt werden fönne. Bleibe mehr übrig, so habe er am anderen Tage keine Luft zum Dalfen und auch kein Glück. Wir seisten gekochte Eier, Wurst und Käse, tranken bayrisch Bier und Korn, und kamen uns bei diesem Gelage im Vergleich zu einigen Ackersleuten, die stumpf und träge bei ihrem Abendschöppchen saßen und mißtrauisch zu uns herüberschielten, wie Nobel­männer vor. Nachher mußten wir allerdings mit einem färglichen Strohlager und ein paar Pferde­decken fürlieb nehmen; doch wir schliefen den süßen Schlaf der Gerechten , und ich war am Morgen so wohlgemuth und unternehmungslustig, wie ich es während meiner ganzen Wanderschaft noch nicht gewesen war.

Ich war

Die nächsten zwei oder drei Tage unserer gemein­samen Wanderfahrt glichen in ihren Hauptzügen dem ersten Tage. Eduard sorgte für mein leibliches Wohl; für meine geistige Unterhaltung mußte ich selbst sorgen. Ich that das auf die angenehmste Art, indem ich darüber nachsaun, was wohl aus mir werden könnte, wenn ich Glück hätte, und bei diesem Fabuliren spann ich täglich die allerschönsten Lebensromane aus, die sämmtlich darauf hinaus liefen, daß ich durch abenteuerliche Schickungen auf den höchsten Gipfel menschlicher Glückseligkeit gelangte. In einer dieser Geschichten ging ich unter die Sol­daten und fand bald Gelegenheit, an einem gewaltigen Kriege gegen die Russen theilzunehmen. der Tapferste der Tapferen, der Klügste der Klugen, und so konnte es nicht fehlen, daß ich schon nach furzer Dienstzeit die Tressen erhielt. In einer fürchterlichen Schlacht wurden wir geschlagen, und unsere ganze Armee retirirte in wilder Flucht. Nur ich nicht. Mit meinen zwanzig Venten, die ich kommandirte, feuerte ich aus geschützter Stellung so wüthend und nachhaltig auf den Feind, daß ich ihn zum Stehen brachte und somit die völlige Auflösung unserer Armee verhinderte. Diese Heldenthat brachte mir den Offiziersrang ein, und von nun an avan= cirte ich infolge der tollkühnen Thaten, die ich zum Schaden des Feindes verrichtete, mit solcher fabel­haften Schnelligkeit, daß ich innerhalb eines Jahres die Würde eines Feldherrn erlangte und somit die Macht besaß, die Russen durch einige geniale An­griffe zu überwinden und aus dem Lande zu treiben. In einer anderen Geschichte setzte ich den ganzen Erdball durch meine Dichtungen in Erstaunen und genoß Ehren, wie sie noch nie einem Dichter zu Theil geworden sind. Am merkwürdigsten war eine Geschichte, in der ich ein Adoptivsohn Rothschilds wurde und auf diese Weise zu unermeßlichen Reich­thümern gelangte, so daß ich von Ort zu Ort fahren und allen Armen ein Retter werden konnte. Für die Handwerksburschen begann ein goldenes Leben, denn ich wußte Mittel und Wege zu finden, etliche Millionen aus meinen Schazkästen unter ſie vertheilen zu lassen; auch suchte ich viele Pennen auf und drückte jedem Kunden die Hand voll Zwanzigmarkstücke. Dabei ergößte ich mich an dem Erstaunen und an der Ueberraschung der Beschenkten, die bald die Gabe, bald den Geber zweifelud anstarrten und über das Wunder gar nicht hinwegkamen. Wollten sie mir aber danken, dann verließ ich sie schnell, um andere Menschen aufzusuchen, die des Geldes bedürftig waren. Hinterher schämte ich mich persönlich meines billigen Wohlthäterthunis; aber es war doch eine Lust, viele Menschen glücklich zu machen, wenn auch nur in der Phantasie, und so fuhr ich fort, mir das Leben so auszudenken, wie ich es gern gelebt

hätte. Jeder dieser Gedankenromane enthielt, wie ein richtiger Roman, eine Liebesgeschichte, und stets war die Dame Pauline Michalska aus Hamburg die Glüdliche, die an der Seite des Helden ein­zichen durfte in das irdische Eden, dessen Pforte er­mit starkem Geist und forschen Wagemuth gesprengt hatte. Mit dieser Pauline beschäftigte ich mich gern in Gedanken. Für mich herrschte fein Zweifel, daß sie in jeder Hinsicht das vortrefflichste aller Mädchen sei, und unzählige Male zog ich ihren Brief hervor, um mich an seinem Anblick zu erfreuen, wobei es mir jedesmal leid that, daß er durch das oftmalige Entfalten Risse bekommen hatte und daß stellen­weise infolge darauf gefallener Regentropfen die Schrift verwischt war.

So marschirte ich, licblich träumend, an der Seite eines Schweigsamen Begleiters durch ein fremdes Land, ohne nach den Namen der Orte zu fragen, durch die der Weg uns führte, ohne Blick und Siun für die Landschaft und deren Bewohner, und ohne an einen Zweck und ein Ziel der Wanderung zu­denken. Die falten Regenstürme hatten schnell nach­gelassen und wir genossen die wunderschönsten Herbst­tage. Unbewußt das Zau erglück der sorgenlosen Freiheit genießend, zog ich mit leichter Secle dahin in der milden Sonnenfluth und dachte nicht daran, mich nach einem Winterquartier umzusehen. In alle Ewigkeit wäre ich so gewandert, wenn mein Ver­hältniß zu dem Galgenposamentirer ewig dasselbe geblieben wäre.

Kein Tag verging, ohne daß Krieg zwischen uns Beiden auszubrechen drohte; regelmäßig deshalb, weil mein Freund durchaus keinen Widerspruch duldete und sogleich in Zorn gerieth, wenn ich in irgend einer Angelegenheit nicht völlig seiner Meinung war. Ich gab dann gewöhnlich auf eine halbwegs an= ständige Art nach und stellte dadurch das gute Ein­vernehmen wieder her. Eines Nachmittags sah ich einige Schwalben fliegen. In anderen Jahren," sagte ich zu Eduard, sind die Schwalben um diese Zeit schon fort."

" Das sind Sandschwalben," entgegnete er. " Ziehn die später fort?" fragte ich. ,, lleberhaupt nicht!" lautete die Antwort.

"

Alle Schwalben ziehn im Winter sort," sprach ich. " Ich muß es doch besser wissen!" herrschte er mich grob an. ,, Bei mir zu Hause schlafen sie im Winter in den Sandlöchern."

"

Das sind vielleicht Fledermäuse," entgegnete ich.

Ich hau' Dir den Stock über den Schädel, wenn Du's nicht glaubst!" schrie er, hob mit der Rechten den Stock zum Schlage und stieß mich mit der Linken an die Brust.

"

Du brauchst doch nicht gleich so wüthend zu werden!" rief ich mit Entrüstung.

"

Da glaubs andermal, wenn ich was sage!" Ich war mächtig empört über seine brutale Beweis ührung, schwieg jedoch aus kluger Vorsicht und nahm mir wieder einmal vor, von ihm zu scheiden; nachdem wir aber eine Weile desselben Weges gezogen waren, ich auf der rechten, er auf der linken Straßenseite, verschwand bei den an­genehmen Betrachtungen, denen ich mich fast immer hinzugeben pflegte, mein Zorn und mit ihm auch der Trennungsvorsaz.

Am dritten oder vierten Tage unseres gemein­schaftlichen Wanderus erlebte ich eine große lleber­raschung. Während Eduard die wenigen Häuser abfocht, erfuhr ich plöglich, daß wir uns in Böhmen befanden. Ich las es auf der Dorftafel, und un­mittelbar darauf ging ein Mann an mir vorüber, der eine österreichische Uni orm trug und mir scharfe, bedrohliche Blicke zusandte. Diese Blicke ließen mich vermuthen, daß er ein Polizist sei.

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Wie, o du himmlisches Jerusalem, waren wir nach Böhmen gekommen? Wenn wir plötzlich so mein unvermuthet in der Türkei angelangt wären Erstaunen hätte nicht größer sein können. Ich glaubte, wir steuerten immer tiefer in das sächsische Land und müßten bald nach Dresden kommen, und nun befanden wir uns auf einmal in einem Laude, au das ich noch vor Minuten gar nicht gedacht hatte. Wenn ich kurz vorher gefragt worden wäre, wie weit es nach Böhmen sei, so hätte ich nach reifficher