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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

" Ihr hattet ein wenig geschmuggelt damals, nicht wahr?" fragte ich, mich vor ihn hinseßend. Nun ja, und was denn? Ein wenig Indiana ( Art Baumwollenstoff) und einige Flaschen Num. Nicht der Nede werth. Und dann wars zum ersten Mal. Aber was halfs? Zum Bestechen hatte ich nichts. Ob der Num abgeliefert worden ist, oder ob die Spizbuben ihn für sich selber haben ver­schwinden lassen, weiß ich nicht. Genug, ich befam ,, harte Arbeit". Auf dem Transport wurde ich wie ein räudiges Thier behandelt, gestoßen und geschlagen, wenn ich nicht gehen fonnte. Vielleicht mochten die Schufte sich ärgern, daß der Fang fein größerer gewesen und für sie selber nicht genug abgefallen war was weiß ich. Vordem war ich ein Mann, sag ich Euch; seitdem ward ich ein Teufel."

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" Ich habe gehört, wie Ihr entflohen," sagte ich, das Feuer ein wenig schürend, um dann auf und ab zu gehen.

,, Dann wißt Ihr auch, daß ich zwei todte Wächter hinter mir ließ. Sie hatten mich hungern lassen, mich geschlagen und mich verhöhnt, bis die Ver­zweiflung mich packte. Hätten sie mich allein und mich still gewähren lassen, würde ich auch meine Arbeit gethan und mich in Alles gefunden haben. Sie trieben mich zum Mord und zu Räubereien, und verflucht seien sie dafür."

" Ihr wurdet schlecht behandelt, wie das Gerede geht," warf ich ein, als er aufstand und mich mit wildem Blick austarrte; aber wurdet Ihr immer zu dieser Art Leben getrieben?"

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Was konnte ich anders thun!" rief er. Als ein entflohener Sträfling wurde ich sofort verfolgt. Wie lange konnte ich mich vor Entdeckung sichern, hätt ich mich nicht in die Wild:. geschlagen, und wovon sollte ich leben? Die Regierung hatte mich bald geächtet und einen Preis auf meinen Stopf ge= sezt, und wenn ich ergriffen werde, ist der Strick gut genug für mich. Da giebts weiter keine Wahl. Ich muß mich wohl so durchschlagen, bis das Ende kommit."

Ihr lest die Zeitungen dann und wann?"

" Ja, und ich sehe, daß jedes Verbrechen in den Bergen mir ins Register geschrieben wird. Ich habe deren genug verübt und bedarf feiner Ertrazugabe. Aus einer Galvestoner Zeitung fand ich heraus, daß die Belohnung auf tausend Dollar erhöht worden ist-

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Das ist wohl die Zahl, glaube ich."

Und hättet Ihr nicht Lust, sie zu verdienen?" ,,. ein, ich will kein Blutgeld. Mir ist erzählt worden, daß man Euch brutal behandelt hat, und ich will Euch über Eure Flucht und die Art, wie Ihr fühlt und denkt, keine Vorwürfe machen; aber für Eure Räubereien, die Ihr verübt, verdient Ihr allerdings den Strid."

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,, un ja, ich habe Blut vergossen," sagte er, sich wie er seßend. Manchmal möchte ich mich darüber freuen; manchmal wills mich aber auch niederdrücken. Ich habs gethan, um mit der Welt quitt zu werden, und man wirds wieder ausgleichen mit dem Strick oder mit' ner Kugel. Ich weiß es. Indessen sobald wird es nicht sein. Einige Jahre werd ich wohl noch im Busch zubringen, und dann findet sich auch wohl ein Ende ob nun gut oder schlimmer für mich."

" Ihr werdet schwerlich in dieser Gegend bleiben fönnen. Ich habe den Behörden nie Mittheilungen über Outlaws zukommen lassen und bin auch eigent­lich nie gefragt worden, aber ich weiß, daß zwei neue Wachtstationen eingerichtet werden sollen, und der Gou erneur* hat gesagt, er wolle den Busch säubern, foste es, was es wolle."

,, Nun, wenns hier zu heiß wird, bewegen wir uns ein wenig weiter, denke ich. Uebrigens werden wir ihnen einen harten Stand machen. Wißt Ihr, weshalb ich heute Abend hierher fam?"

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, Wahrscheinlich um nachzusehen, ob der Vaquero Antonio sich auch wirklich entfernt habe."

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So ist es, und ich hoffte, er hätte es nicht gethan, so daß ich ihn hätte erschießen können. Ich * Jn je einem der Vereinigten Staaten die höchste Regierungsperson.

sah Euch dann durchs Gebüsch, hatte den Finger am Hahn und würde Euch erschossen haben, wäret Ihr nicht vor die Thür gekommen."

" Der Mann muß ein Satan sein, der mit dem Gedanken umgeht, Leute in dieser Weise umzu­bringen," sagte ich, ihn fest ansehend.

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" Ihr mögt Recht haben," erwiderte er gleich­müthig, doch mit bösem Blick mich flüchtig streifend. Es giebt Tage, an denen meine schlechtesten Kerle mich fürchten und sich fortschleichen. Auch an diesem Morgen drang mirs zu Kopf, so daß Alle das Lager verließen. Bis zu dem Augenblick, als Ihr mir die Pfeife anbotet, hatte ich fest die Absicht, Euch nun, Ihr wißt ja-

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Allerdings, und ich bin Euch sehr verbunden, daß Ihr Euren Entschluß aufgegeben habt; denn ich ziehe es vor, noch etwas weiter zu leben bei vierzig Dollar den Monat und freier Kost. Uebrigens Ihr habt wohl garnicht daran gedacht, daß ich Euch zehnmal hätte niederschießen können, seitdem Ihr meine Hütte betreten hattet; aber ich wollte Guer Blut nicht an meiner Hand."

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Eine Minute lang sah er mich mit seltsamen Blicken an, dann stand er auf, hing den Gürtel nebst den Waffen an einen Haken und schien sich dann nach seinem Lager begeben zu wollen. Der Fußboden war mit Schaffellen gut ausgelegt, aber unter denselben befand sich eine Oeffnung viel= leicht durch einen Zufall gelegentlich entstanden und ihm passirte es, hier gerade hinzutreten und mit einem Krachen hindurchzubrechen. Sein rechtes Bein saß nicht allein vollständig zwischen den ver= bogenen Dielen, sondern diese zwängten es auch der­artig ein, daß er sich nicht allein heraushelfen konnte. Keine Waffe irgend welcher Art lag in seinem Bereich. Er war hülfloser als jemals eines seiner Opfer es wohl gewesen sein mochte. Er machte noch drei oder vier verzweifelte Anstrengungen, sich zu befreien, dann sagte er ruhig:

,, Vielleicht habt Ihr Eure Meinung bezüglich der tausend Dollar geändert. Ihr braucht nur eine Art zu nehmen und ein wenig zu versuchen, wie hart mein Kopf ist, wißt Ihr"

Ich ergriff einen fräftigen Pfahl und bog, thn als Hebel bennend, die zusammengeklemmten Dielen auseinander, so daß er sich bald herausarbeiten konnte. Er saß nieder, rieb sich eine Weile das schmerzende Bein und streckte sich dann auf seiner Schlafstätte aus. Kein Wort wurde weiter zwischen uns ge= wechselt. Ich machte noch einige Notizen im Stations­buch und legte mich dann auf das andere Lager, und ich habe nicht eine Nacht so gesund und fest geschlafen, wie ichs nach diesen verhängnißvollen Stunden gethan.

Bei Sonnenaufgang stand ich zuerst auf und hatte bald das Frühstück fertig, als Big- Bob sich auch erhob. Abgesehen von einem Guten Morgen " und einigen Bemerkungen über das Wetter hatten wir bis zur Beendigung des Morgenbrots weiter feine Unterhaltung. Als wir dann unsere Pfeifen angezündet hatten und vor die Thür traten, sagte ich: Hört mal zu, Bob, ich möchte den Antonio hier wieder her haben."

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Ich will sehen, daß ihn Keiner davon abhält," erwiderte er.

,, Und dann, Bob, mögt Ihr Euren Jungen ge= legentlich einen Wink geben, daß ich mich wenig. darum kümmere, auf einem meiner Ritte mal an­geschossen zu werden."

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Die werden fein Blei an Euch verschwenden." " Es ist gegen das Gesez, Euch in Eurer ver­brecherischen Laufbahn zu fördern, aber im Fall eines Unglücks oder einer Krankheit werdet Ihr den Vaquero willig finden, zu thun, was er kann. Er versteht sich ziemlich auf gebrochene Glieder und hat, glaube ich, auch ein Mittel gegen das Sumpffieber." Wollt Ihr mir die Hand geben?" fragte er rauh er schien eine Gefühlswallung nieder= zuzwingen und mich voll ansehend.

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" Ja, ich möchte wohl, aber nur in der Hoff= nung, daß kein Blut Eure Hand mehr beflecken wird.. Lebt wohl!"

Er schritt fort, am Fuß der Hügelkette entlang,

war aber noch keine zwanzig Schritte weit, als er sich wieder umwandte und zurücfen. Er ging ge= rade auf mich zu, legte seine beiden gewichtigen Hände auf meine Schultern und sagte mit einem vertaltenen Zittern in der Stimme leise und weich: Ich werde nie wieder so schlecht sein, wie ich es seither gewesen. Wenn Ihr gelegentlich von meiner Einfangung hört, dann versucht, mich zu sehen, Giles Werner."

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Ich versprachs ihm. Dann wandte er sich ab und ich habe ihn nicht wiedergesehen. Ich bin über­zeugt, daß er nicht aufhörte zu rauben, aber von einem Todtschlag in seinem Distrikt hörte ich nie mehr.

Ein Jahr mochte seit der geschilderten Begegnung verflossen sein, als das Gerücht von einem Eisenbahn­überfall in unsere entlegene Gegend drang. Er war von Big- Bob und seinen Genossen ins Werk gesetzt worden. Doch hatten der County Marshall und der Sheriff nebst ihrer Schußmannschaft, die gerade auf einem Streifzug begriffen waren, sich in einem besonderen Wagen befunden und den Kampf mit der Bande aufgenommen. Sie war zum größten Theil vernichtet worden. Big- Bob selber hatte, wie man sicher wußte, schwere Wunden empfangen, sich aber trotzdem auf seinem Pferde gehalten und war fort­gestürmt, dem schüßenden Dickicht zu. Troß alles Suchens hat man ihn nirgends gefunden, aber später auch nie wieder etwas von ihm gehört. Wahr­scheinlich ist er an seinen Wunden verblutet und einsam in der Wildniß gestorben.

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Aus dem Papierkorb der Zeit.

Das Schicksal.( Zu unserem Bilde.) Der Künstler bringt uns auf unserem heutigen Bilde eine Allegorie: Das Schicksal. Gewiß werden sich noch manche unserer Leser des Reliefs von Josef Mayr, Das Schicksal", er­innern, von welchem sich eine Reproduktion im vorigen Jahrgang der Neuen Welt" befand. Dort, wie hier, hat der Künst er das Echicksal als die grausame, unerbittliche Göttin aufgefat, die die Loose des Menschengeschlechts ver. theilt, unbefümmert, wie es den Einzelnen treffen mag so giebt sie dem Einen die Kette, an der er ewig zu schleppen hat, dem Anderen den Kranz des Glüaes, ob er ihn ver­dienen wird oder nicht. Hugo Lederer , dessen Gruppe auf der diesjährigen Berliner Kunstausstellung war, hat in seinem Schicksal" eine neue Idee verkörpert, und sür ihn handelt es sich nicht um die soziale Seite des Echicksals­problems, sondern um die Fr ge der Geschlechter. Die Schicksalsgö.tin, ein starres Weib mit müden, traurigen Augen schleppt g'eichsam zwei Wenschen ins Leben hinein: ein Mädchen, das sich willenlos zerren läst und stumm, mit geschlossenen Augen, sein Loos erträgt, und einen Jüngling, der sich in Schmerz und Verzweiflung wehrt gegen das ihm aufgezwungene Geschick. Leider fehlt es hier am Raume, näher auf die tiefe Bedeutung dieser Allegorie einzugehen, und es mag jedem Beschaner über­lassen bleiben, einen Vergleich zwischen der frü eren, etwas tonventionellen, und der heutigen Darstellung zu ziehen. Zum Schlusse sei noch ein drittes Bild erwähnt, dem die gleiche Schicksalsidee zu Grunde liegt. Es ist das Ge­mälde von L. Leempoel Schidsal der Menschheit", das sich im Jahre 1895 auf der Ausstellung im Münchener Glaspalast befand. Es stellt einen starren, regungslosen Männerfopf mit ernsten, weit geöffneten Augen dar, den ein ungeheurer Lichtskreis umgiebt das Schicksal. Und unten auf der Erde strecken die Menschen ihre Arme empor -betend und verzweifelud, hoffend und hoffnungslos.

Schnikel.

Verehrung hat auch ihre Grenze, Und Fluch der Hand, Die jemals wand

Dem Freiheitsmörder Ehrenfränze. Dem Bedürfniß ist es immer noch geglückt, Zu schaffen Das, was man unterdrückt.

Was Dir nicht selber klar und wahr, Das biet auch keinem Andern dar. Halbgötter giebt es nur in der Eage, Halbmenschen sehen wir alle Tage.

M.

Je ungebildeter der Mensch, desto stairer macht er die Gebräuche mit, die ihm autoritativ vorgemacht werden.

Nachdruck des Inhalts verboten!

Alle für die Redaktion bestimmten Sendungen wolle man an Edgar Steiger , Leipzig , Elisenstr. 90, richten.

Verantwortl. Rebatteur: Edgar Steiger , Leipzig.- Berlag: Hamburger Buchdruckerei u. Berlagsanstalt Auer& Co., Hamburg.- Druck: Mar Bading, Berlin .