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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Leben Heines zusammen zu ziehen, heute, wo Jeder, über den Ereignissen jener Zeit stehend, sich ein langsames und kühles Bild von all Dem machen fann, was Heine geschaffen hatte, was er war, was er nicht war, und was er jetzt noch und für alle Zeiten ist.

Hundert Jahre sind es nunmehr, seit in Düssel­ dorf dem jüdischen Kaufmann Samson Heine sein erstes Kind, Heinrich Heine , geboren wurde. Als Datum gilt der 13. Dezember. Ueber das Jahr aber schwanken die Angaben. Heine selbst gab als Geburtsjahr 1799 an. Aber er hat sich wohl nur des Wizes wegen zwei Jahre jünger gemacht.

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Seine Jugend verlebte Heine in Düsse.dorf, wo er bis 1814 das Lyceum be­suchte. Nach einer kurzen Lehr­zeit als Volontär in einem Bauk­geschäfte zu Frankfurt a. M. be­suchte er 1819 die Universität zu Bonn , 1821 zu Berlin und 1825 vollendete er seine juridi schen Studien in Göttingen , wo er auch zum Doktor der Rechte promovirt wurde. Schon imt Jahre 1827 erschienen seine ersten Gedichte" bei Dümmler in Verlin. In diesem Verlage erschien auch zwei Jahre später sein erstes größeres Werk, die beiden Tragödien Almansor " und William Rat.liff", sowie das ,, Lyrische Intermezzo". Diese Arbeiten bekundeten schon die bedeutendste dichterische Kraft, fanden aber wenig Anerkennung und wurden von verschiedenen Autoritäten heftig angegriffen. Als Heine in den Jahren 1826 Lis 1828 auf Reisen ging und das Resultat derselben in zwei Bänden, Reisebilder" und einem Gedich bande ,,, Buch der Lieder ", dem Schönsten, was er je ge= schrieben hatte, niederlegte, er warb er sich die nöthige Er­bitterung und Feindschaft, um als Dichter zur Geltung kommen zu können. In den Reisebildern befundete er auch zum ersten Male jenen wunderlichen Hang, aus der momentanen Laune heraus alle Erscheinungen des Lebens zu betrachten und alle StanSpunkte der Beurtheilung zu verrücken. Und hier begann er, jenen überzeugungslosen Spott an Allem zu üben, was ihm mißfiel, ob es hoch oder niedrig, erhaben oder gemein war, jenen äßenden Spott, mit dem er in seinen späteren politischen Schriften Alles über= goß und Alles parodirte: und nicht zum Wenigsten sich selbst. In den Jahren 1828-1830 erschienen: der dritte Band der

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Reisebilder" und die Englischen

Fragmente". Beide Werke waren

nicht darnach, den Haß, den sich Heine im Vaterlande zu­gezogen hatte, zu milderu. Und so sah sich der Dichter 1830, veranlaßt durch den Beschluß des Bundestages, der alle Werke der Jungen Schule" verbot, der auch Heine angehörte, gezwungen, nach Paris zu über­siedeln, das auch bis zu seinem Tode sein bleibender Aufenthalt wurde. Dies war der bedeutendste Wende­punkt in seinem Leben, denn von da an nahm Heine den Kampf gegen das damalige Deutschland auf, den Kampf, den er so schmählich führte und in dem er zum Verräther an Allem und an sich selbst wurde. Denn in diesem politischen Kampfe hat Heine nie etwas gezeitigt, was wirklich für die Entwickelung und die soziale Zukunft von Bedeutung gewesen wäre, in diesem Kampfe hat er nicht gegen die wirklichen Feinde der Freiheit und des Fortschrittes, sondern,

ein Don Quixote der Literatur, gegen Windmühlen und eingebildete Gefahren gekämpft, und nicht mit den ehrlichen Waffen der Ueberzeugung gekämpft, sondern mit den Spielzeugen seiner Phantasie, mit den Racketen des Spottes, der Ironie und des Sarkasmus. Er meinte zu tödten, wenn er lächerlich machte, er meinte abzuwehren, wenn er sich selbst hinter allen Mauern der Doppelzüngigkeit verbarg. Im Jahre 1833 erschienen Französische Zustände", eine Anzahl einzelner Artikel, die ein lebendiges, wenn auch unwahr verherrlichendes Bild von dem politischen Leben in Frankreich unter der Regierung des Königs Louis Philipp gaben. Heine selbst giebt an, daß seine höchste Absicht dabei gewesen sei, durch

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Heinrich Heine .

Gegenüberstellung Frankreich 3 die schmähliche Lage Deutschlands zu beleuchten und dadurch zur Be­freiung seines Vaterlandes beizutragen. Aber so freiung seines Vaterlandes beizutragen. Aber so unwahr die Absicht, so verfehlt der Zweck. Heine war es, troßdem er die Liebe zum Vaterlande immer und immer wieder in prunkhaften, pathetischen und oft widerlich rührseligen Phrasen fund that, niemals um das Vaterland zu thun. Er liebte Deutschland ebenso wenig, wie er Frankreich liebte: aber er liebte es, sich als Märtyrer für sein Vaterland hinzustellen. Seine Rolle in dieser Komödie liebte er, weil sie ihn mit einem Glorienschein umgab, der seine un­geheure Eitelkeit befriedigte. Aber auch das Künst lerische an diesen patriotischen Tiraden liebte er, denn er war durch und durch Künstler und sah die Welt niemals mit den Augen des talten Politikers

an, sondern mit den Augen des schaffenden Künstlers, der sich seine politische Welt erst gestaltet, um dann in ihr all seine künstlerische Freude, seinen künst­lerischen Schmerz zu empfinden. Und so heuchelte Heine sich selbst ein Reich von Freuden und Schmerzen vor, an das er insgeheim nicht glaubte, in dem seine Seele auch nichts fühlte. Die Welt mit ihrem ganzen damaligen Treiben kümmerte ihn nichts, aber er wollte sich selbst nicht eingestehen, daß sie ihn nichts künimere. nichts füntnere. So entstand auch aus dem Suchen nach Gefühlen und Empfindungen 1831 der Salon", 1835 das Werk Zur Geschichte der Philosophie und Religion in Deutschland ", welch letteres neben den trefflichsten und geistfunkeludsten

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Betrachtungen die größten, aus

bizarrer Lanne heraus entstan­denen Geschmad losigkeiten ent­hält. Hier wie in den späteren polemischen Schriften hat der Leser die bitter unangenehme Empfindung, als ob Heine , was er eben Warmes und Herzliches geschrieben, sofort wieder berene und durch einen Spott über diese seine Gefühle unschädlich zu machen suche. Und so verleugnet er nachträglich oft seine tiefsten Empfindungen, sei es, daß er ihre Unechtheit erkennt und sich darum selbst Lügen straft, sei es, daß er sie hinter der Masfe der Ironie noch tiefer verbergen möchte. Und so ist er äußerlich von der größten Ehrlichkeit, während ihm innerlich seine Lüge zum Bewußtsein kommt und er die Lüge durch eine neue Lüge

verbergen muß, um wenigstens mit seiner Lüge für ehrlich zu gelten. Seine Gefühle sind un wahr und aus den Gedan en heraus geschöpft, oft aus einer äußerlichen ästhetischen Be­trachtung heraus, aber er sucht sie wahr zu machen, indem er sie nachträglich verspottet. Aber sie bleiben unwahr und wahr bleibt nur der Hohn, der an dem Grab seiner Emp indigen seht und mit verzerrter Wiene eine burlesfe Leichenrede hält.

Aber mag man diesen Mangel an ernster und ursprünglicher Empfindung beurtheilen wie man will: gerade dieser Maugel war es, der Heine zum Bewußtsein seiner Seele brachte und stets von Neuem dazu zwang, seine gauze nackte Seele mit all ihrer Größe und Schwäche, mit all ihrer Tiefe und Seichtl, eit zu o enbaren, so daß er der erste große Realist geworden ist, der auch die Verstecke seiner Scele aufdeckt und ihr in alle die geheimsten Schlupfwinkel der Menschlichkeit nachfolgt; der große Realist, der sich nicht scheut, seine erlogenen Ideale zu entlarven und 311 zertrümmern; der große Realist, der in seiner Schwäche und Chumacht, in seinen tausend nagenden Zweifeln und Widersprüchen, in der ganzen wundersamen Sinnlosigkeit seiner Gedanken­gebäude und in den tausend lieblichen Luftschlössern seiner krausen Phantasie, dem Erbe der romantischen Dichterschule, der er entwachsen, seinen Werth und er, der Erste, der seine Menschlichkeit erkannt

es gewagt hat, an den Thoren seiner eigenen Welt­anschauung zu rütteln und in die Coulissen der eigenen Lebenskomödie hineinzuschauen.

Im Jahre 1837 verwickelte sich Heine in einen heftigen Kampf mit Adolf Men el, dem Banner­träger des Deutschthums gegen die Franzosen. Das Buch der Tenunziant" war das Resultat dieser