Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

gesperrt werde. Sie erzählten das nicht ernsthaft; sie hatten einen billigen Wig entdeckt, den sie, da solche Entdeckungen bei ihnen rar zu sein schienen, viele Dusend Male in verschiedenartigen Wendungen wiederholten und belachten, und aus den Worten, die drum und dran gesprochen wurden, erfuhr ich, welchen Zweck der militärische Marsch hatte. Der Wiz bestand darin, daß von jedem Soldaten, der niesen mußte, oder der irgend ein Zeichen des Un­behagens von sich gab, behauptet wurde, er sei von der Seuche angesteckt, und man wisse nun, zu welcher Thiergattung er gehöre. Gern hätte ich auch noch gewußt, weshalb ich an die Sachsen ausgeliefert werde, doch das wußten die Soldaten jedenfalls selber nicht. Zu meiner Beruhigung nahm ich an, daß ich nicht unter dem Verdachte eines Verbrechens, sondern nur deshalb ausgeliefert werde, weil ich feinen Auslandspaß besaß. Ein wenig Bangen flößte mir jedoch die Frage ein, weshalb ich vom Militär an die Grenze befirdert wurde, anstatt von der Polizei; ich konnte mir nicht gut denken, wie eine Militärbehörde dazu kommen solle, den Trans­port eines zur Ausweisung bestimmten Handwerks­burschen zu übernehmen.

Nach etwa halbstündigem Marsche erreichten wir ein Dorf und stießen dort auf eine andere Militär­abtheilung. Sie marschirte ab, als die unsere an­fam, und beide winften einander Grüße zu. Auf der Dorfstraße erwartete uns ein Offizier. Er gebot Halt, und die Soldaten blieben stramm stehen, bis sie sich auf ein neues Kommando oder Zeichen hin , rühren" durften. Der Offizier sprach einige Minuten mit dem Riesen, betrachtete dabei die Mannschaft und befahl dann den Weitermarsch. Er selbst blieb stehen und musterte die Reihen, die an ihm vor­überzogen. Als er mich sah, trat er an mich heran und fragte: Wer. sind Sie?"

Ich blieb stehen und erwiderte: Ein reisender Handwerksbursche. Mein Name ist..." ..."

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Ach so, das ist der Mensch, von dem ich die Papiere bekommen habe?" wandte er sich an den Korporal, der gleichfalls stehen geblieben war.

Der Korporal bejahte die Frage.

" Weshalb geben Sie ihm denn zwei Mann Bewachung?" fragte der Offizier unmuthig. Das ist ja lächerliches Komödienspiel! Lassen Sie ihn frei! Der geht von selbst mit an die Grenze."

Meine Leibwache wandte mir den Rücken; auch der Korporal eilte dem Zuge nach, und einſam schritt ich hinterbrein.

Da fam der Offizier nochmals an mich heran. Er begehrte zu wissen, weshalb ich ausgewiesen werde. Das weiß ich nicht!" erwiderte ich. Gern möcht ich wissen, weshalb."

"

"

Werden Sie drüben vom Gericht gesucht?"

" Nein! Ich vermuthe, daß der österreichischen Polizei mein Paß nicht genügt. Ich habe nämlich keinen Auslandspaß."

Das vermuthe ich auch. Wo sind Sie her?" Ich gab ihm Auskunft, und er stellte noch weitere Fragen, weshalb und auf welche Weise ich nach Böhmen gekommen sei, ob ich mich ärgere, daß ich nach Sachsen zurück müsse, und wo ich mich drüben hinzuwenden gedenke. Währenddessen folgten wir, Seite an Seite, der marschirenden Abtheilung nach, ungefähr fünf ehn Schritt von ihr getrennt. Bei der Beantwortung seiner Fragen fügte sichs von selbst, daß ich einzelne Wandererlebnisse erzählte; er schien sie furzweilig zu finden und ich mußte immer weiter erzählen. Plötzlich jedoch, mitten in einem abenteuerlichen Berichte, überreichte er mir eine Zigarre und rannte davon, zu seiner Truppe. Ich wußte, weshalb er sich so rasch verabschiedet hatte. Wir waren in die Nähe einer Ortschaft ge= langt, und angesichts der Dorfbewohner hielt er es für würdiger, vor strammen Soldaten herzumarschiren, als hintenau neben einem zerlumpten Kunden. Ich nahm ihm diese Verlängnung unserer jungen Freund­schaft nicht übel, sondern war unbändig vergnügt, in ihm einen mächtigen Gönner gefunden zu haben. Eine Zigarre hatte er mir geschenkt! Poz Hagel­schlag, wie eine solche Ehre wohlthut, wie gehoben fich das Herz dabei fühlt! Als wir eines Sonn­tags als Stifte auf den Festungswällen in Neisse

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spazieren gingen, trat ein Offizier an uns heran und bat meinen Freund Johann, der schon damals ein leidenschaftlicher Raucher war, um Zigarrenfeuer. Mit einer Ruhe, als sei er an derartigen feinen Verkehr gewöhnt, bot ihm Johann seinen Tabak­stengel dar und der Offizier sezte den seinen damit in Brand. Wie haben wir in unserer Einfalt den Johann beneidet, und wie erhaben ist er uns vor­gekommen! Wie sehr war ihm die Ehre zu Kopfe gestiegen, und wie verächtlich hat er uns an jenem Tage behandelt!... O, wir dummen Jungen!... Da ist es denn doch etwas ganz Anderes, wenn man von einem Offizier eine Zigarre dargeboten erhält! Und hier war es sogar ein österreichischer Offizier. Das verlieh dem Ereigniß noch eine be= sonders interessante Bedeutung. Mit vielem Stolz auch redete ich mir ein, daß er unter meiner zer= schlissenen Außenhülle die gebildete Persönlichkeit ent­deckt hatte. Wie hätte er mich sonst so höflich behandeln und mir eine Zigarre anbieten können! Das Schönste dabei war, daß sich einige Soldaten nach uns umgeschaut hatten und dadurch Zeugen des Schenkungsaktes geworden waren. Mochten sich die beiden ungehobelten Kerls, die mich Tags zuvor auf dem Transport so schauerlich behandelt hatten, an solcher Bildung ein lehrreiches Erempel nehmen!

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Den Genußwerth des edlen Krautes Tabak hatte ich noch nicht würdigen gelernt. Ich lebte der lleber­zeugung, daß alle Raucher Betrug an sich selbst begehen, indem sie sich wider besseres Wissen ein­reden, daß der Rauch einer Zigarre angenehmer sei, als beispielsweise der Rauch von verbrannter Milch Meinem festen oder von verbrannten Haaren. Glauben nach verdiente keine dieser drei Rauchsorten den Vorzug eine war mir so entseßlich, als die andere. Auch ich hatte als Stift meine Rauchstudien getrieben, und ich dachte mit Schrecken daran, als ich die schwarze und seltsam lange Blattrolle, die mir der Herr Offizier geschenkt hatte, zwischen den Fingern hielt und betrachtete. Aber ich faßte auf alle Gefahr hin den Entschluß, die Zigarre zu rauchen. Die Soldaten sollten sich darüber ärgern; sie sollten sehen, daß ich weder ein Raubmörder, noch ein Haderlump war, sondern Anspruch auf Respekt be= saß, und ungefähr dasselbe sollte durch die brennende Zigarre dem am Wege gaffenden Volfe gelehrt werden. Ich brauchte ja nicht zu rauchen; der große Zweck war schon erfüllt, wenn sie nur brannte... ,, Ist vielleicht einer der Herren so freundlich, mir ein bischen Feuer zu geben?"

" Feuer willst haben? Schlag' Dir ins Aug', da giebts Funken."

" Der Herr Offizier hat mir eine Zigarre ge­geben!" sagte ich stolz, um den Spötter niederzu­schmettern.

" Feuer sollst haben! Hier hast' Feuer," sprach ein Anderer und reichte mir eine Zündholzschachtel. ,, So'n Bettelnazi, der sogar unserm Herrn Leitnant eine Zigarre abbettelt, muß Feuer haben!"

"

"

Gebettelt hab' ich nicht!" rief ich grob. Nur g'schnorrt!"

" Er hat sie mir freiwillig gegeben, und wenn Sie's nicht glauben, will ich ihn herrufen, damit Sie ihn fragen können!"

" Halt a Guschen, Spißbub!" fuhr mich der Korporal an.

Mit der brennenden Zigarre im Munde marschirte ich strammen Schrittes im letzten Gliede. Hageldick prasselten Wize des schlimmsten Kalibers auf mich prasselten Wize des schlimmsten Kalibers auf mich los, und bis in die vordersten Reihen pflanzte sich die Kunde fort, daß der Raubmörder" rauche. Der ganze Heerbann lachte, und immer aufs Neue reckten die Krieger, sich umwendend, die Hälse, um mich zu sehen. Anfangs ärgerte ich mich und war empört, und um meine Männlichkeit darzuthun, paffte ich voll tödtlicher Verwegenheit in fräftigen Zügen; ich voll tödtlicher Verwegenheit in kräftigen Zügen; bald aber hielt ich es für gut, den Leuten den Spaß zu gönnen und mitzulachen. Das war das Ver­nünftigste und ich fuhr dabei am besten. Die Wize und Bosheiten waren zumeist harmloser Art, und da ich sie willig über mich ergehen ließ, gerieth ich zu den Soldaten in ein neues, recht gemüthliches Verhältniß. Sie betrachteten mich als lustige Figur, die sie nur anzusehen brauchten, um Ursache zu

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Scherz und Gelächter zu haben; schäßten mich aber gleichzeitig als ein verträgliches Wesen, das schon werth sei, daß man ihm einen Gefallen erweise. Wenn sie sich fortan an der Flasche stärkten, ward auch mir ein Schluck angeboten, und die Antheile, die sie mir von ihren Speisevorrätten gewährten, oder gewähren wollten, hätten hingereicht, ein hun­geri des Nilpferd zu sättigen. Als wir nach vier­stündigem Marsche in einem Dorfe anhielten und beide Wirthshäuser belagerten, wollte sich die Korporal­schaft, zu der ich mich zählte, das besondere Ver­gnügen machen, mir einen Rausch einzuflößen. Jeder verlangte, ich solle aus seinem Glase trinken; ich jedoch hatte mit feinem Ohr von ihrer Absicht Kennt­niß erlangt und hütete mich vor Schaden. Das fiel mir um so leichter, da ich eine natürliche Ab­neigung gegen geistige Getränke jeder Art besaß. Meine Sprödigkeit brachte mir neuen Spott ein; die Freundschaft aber litt darunter nicht.

Daß ich die Zigarre nicht zu Ende geraucht hatte, war ein Segen. Schon die wenigen Rauch­wolfen, die ich ihr entlockt hatte, waren meinem Organismus nicht gut bekommen, und wie leicht hätten jene Soldaten Recht haben können, die mir, als sie mich rauchen sahen, furchtbare Dinge prophe­zeiten!

( Fortsetzung folgt.)

Das Ende vom Haberfeld.

Von Hans Isarius.

ie oberbayerischen Volksgerichte, genannt das " Haberfeldtreiben", dürften mit ihren roman­tischen und unromantischen Eigenheiten be­reits zur Genüge auf feuilletonistischen Wegen bekannt geworden sein. In ein mehr oder minder geheimnißvolles Dunkel waren diese angeblich längst ausgestorbenen, in der That alljährlich wiederkehrenden Vehmgerichte allerdings gehüllt; allein nun hat auch die Deffent­lichkeit immer näher an das Geheimniß heran­geleuchtet und theils imponirend große, theils ab­stoßend kleinliche Züge in einer Einrichtung auf­gedeckt, die von unnahbarer Höhe herabgestiegen und gealtert war. Diese Beleuchtung geschah einerseits auf juristischem, andererseits auf schriftstellerischem Wege: jenes durch endlich, nach jahrelanger Vergeb= lichkeit endlich geglückte Verhaftung und Aburtheilung von Treibern, dieses durch eine Veröffentlichung, die vor Allem für unser Interesse die Hauptsache bringt, die verlesenen Rügeverse".

Nachträglich läßt sich jest erkennen, was vorher wohl nur die Nächststehenden gemerkt haben dürften: daß nämlich die Ausübung jener Sitte seit Längerem von ihrem altehrwürdigen Charakter eingebüßt. Bon dem wohlgefügten Habererbund" mit intimen Ueber­lieferungen und Regeln und mit einem oder mehreren Haberfeldmeistern scheint, nach den Eröffnungen in jenen Prozessen, kaum mehr viel übrig zu sein. Hatte seinerzeit ein solcher engerer Bund jene volts­thümliche Gerichtsbarkeit ausgeübt, so scheint später die Gesammtheit der ortsheimischen Bevölkerung daran betheiligt gewesen zu sein. Aus jüngerer Zeit stammt die Antwort eines Bauern auf die Frage, wer Alle betheiligt seien: Jeder, der nicht will, daß ihm getrieben wird." Das ist keine Vehme" mehr. Die strenge Gebundenheit von früher hatte einer Willkür, das patriarchalische Element, das in der ausschließlichen Betheiligung verheiratheter Männer lag, dem Uebermuth vor= wiegend von( ledigen) Burschen Platz gemacht.

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Diese strenge Gebundenheit von früher wird uns aber erst dann so recht erklärlich, wenn wir sehen, wie seinerzeit die Betheiligten nicht etwa einem Drang nach persönlicher Unterhaltung, sondern einer Gewissenspflicht nachzukommen überzeugt waren, und wie das bayerische Haberfeldtreiben doch nichts An­deres war, als ein besonderer Fall einer allgemeinen, weit und unter den mannigfachsten Formen verbrei­teten Sitte, nämlich der des Rügegerichts, von der wir einen anderen Sonderfall sogar in dem kleinen Strafgericht haben, das über die Kinder als, ein richtiges Kinder- Haberfeldtreiben" am Tage des heiligen Nikolaus ergeht( 6. Dezember). In diesent Sinn wird uns die ganze Erscheinung erklärlich