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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

und erklärt durch das hübsche Büchlein von Dr. Oskar Panizza  :" Die Haberfeldtreiben im bayerischen Gebirge. Eine sittengeschichtliche Studie. Verlin. S. Fischer Verlag. 1897"( 102 Seiten 8). In einer Illustration dazu sehen wir eine Schüßen­scheibe, auf der ein Haberfeldtreiben nach älterer Art abgebildet ist, mit daruntergeschriebenen Rügeversen. Das Buch selbst stellt seine geschichtliche Betrachtungs­weise der jetzt üblichen gegenüber, nicht als gleich­berechtigt, sondern als Erweis dafür, welcher Miß­griff jene andere Betrachtungsweise ist.

Mit dieser geschichtlichen Betrachtung führt es uns weit zurück, und zwar überall dahin, wo sich die Spott- und Rügelust des Menschen, zumal in schlicht einfachen Verhältnissen, zu besonderen Sitten entwickelt. Das Meiste davon gruppirt sich um den Abschluß der Ernte, und eine weite Menge von mythologischen Anknüpfungen macht für uns alle diese Sitten, diese Symbole, diese Rügeverse zu einer eigenen nationalen Welt, die freilich in fremden Kulturen ihre Seitenstücke hat, einschließlich des französischen   Charivari", dem das deutsche Crawall" ( ,, Grewöi" bei den Haberern) entspricht. Wotans Wilde Jagd" lebt in solchen dahinbrausenden Ge­pflogenheiten weiter, und Wotans Nachfolger im Legendenwesen, Karl der Große  , wird von den Haberern als ihr Auftraggeber angerufen.

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Andererseits hat das bayerische Haberfeldtreiben einen örtlich eng umgrenzten Boden zwischen Inn  und Isar  . Erst in späterer Zeit hatte eine kleine örtliche Ausdehnung stattgefunden; seit 1894 famen auch jenseits der Jsar solche Treiben vor, wobei freilich nicht leicht zu unterscheiden ist, ob es sich jeweils um ein, echtes" oder um ein nachgemachtes" Treiben handelt, gleichsam um, Putsche" gegenüber einem Aufstand oder Krieg. Wurde doch sogar in einer ganz anderen Gegend, an der bayerisch württembergischen Grenze, gegen Ende Februar 1896 ein Treiben nach allen Regeln" veranstaltet. Mit der unverfälschten Ueberlieferung hingegen haben wir es zu thun, wenn wir hören, wie man seinerzeit jener Sitte entgegengekommen ist. König Ludwig I.  hatte 1833 auf Allerhöchst unmitttelbaren Befehl verordnet, daß fünftighin eine Einschreitung gegen die alte Sitte des Haberfeldtreibens nur insofern stattzufinden habe, als solches im Interesse der öffent­lichen Ordnung absolut nöthig ist." Oder wenn wir von der unbedingten Strenge der Geheimhaltung lesen und überhaupt von allen den Opfern, Be­mühungen und Respektgefühlen, die dieser sittlichen Institution" entgegengebracht werden: Das Treiben erscheint so als keine etwa von den altbayerischen Burschen separat geübte, besonders grausam aus­gedachte oder regierungsfeindlich gemeinte Einrich­tung, sondern es steckt mitten in den altdeutschen Sitten und Gebräuchen drinn, aus denen es mit tausend Fasern herausgewachsen ist und von denen es sich in der Abgeschlossenheit der Berge in ähn­licher Weise erhalten hat, wie auf seinem Gebiet das" Oberammergauer Passionsspiel" aus einer Zeit, da jedes Dorf sein Passionsspiel hatte. Ver­läßliche Gewährsmänner stehen ebenfalls auf dem Standpunkt, daß erst das Einschreiten der bewaff­neten Macht den Landfriedensbruch herbeiführt, während das Haberfeldtreiben, au und für sich betrachtet, einfach ein Sittengericht ist und bleibt."" Und wie die germanische Religion von dem aufstrebenden Christenthum als Gößen- und Teufels- Dienst, so wird heute im Militärstaat das Haberfeldtreiben als , Verbrechen deklarirt," umsomehr, als es sich hier auch um einen Gegensatz zwischen römischem und deutschem Rechtsbewußtsein zu handeln scheint.

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Mit einer Menge von Protokollen", d. i. eben den verlesenen und gedruckt ausgestreuten Rügeverſen, schließt jenes Büchlein; hier zeigt sich auch, wie weit es den dabei betheiligten Bauern gelungen ist, ihre eigene Mundart und ihre örtlichen Verschiedenheiten in einer möglichst streng phonetischen" Schreibart wiederzugeben. Ohne zahlreiche Weglaffungen au­stößiger Stellen gings dabei allerdings nicht ab; selbst von einem eigenen, früher vollständig ver­öffentlichten Saz des Autors ist ein gefährliches Stück ausgefallen, so daß nur die Worte bleiben:

" Der Kaiser Karl von Untersberg schize fernerhin alle muthigen Männer in

Deutschland  ."

Das Buch war gerade recht gekommen, um dem Publikum Bescheid in einer Sache zu geben, die nun auf den Anklagebänken einen allmäligen Tod zu finden scheint. Alle behördlichen Bemühungen, einen Haberer zu erwischen" oder aus einem erwischten Haberer die gewünschten Aufschlüsse herauszubringen, waren bisher vergeblich gewesen, trotz aller Wag­halsigkeit der Haberer, die sich z. B. nicht scheuten, einmal in ihren Vermummungen das Dorf auf Fahr rädern zu durcheilen. Die Jahre 1896 und 1897 haben nun eine größere Reihe von Verhaftungen, Anklagen und Verurtheilungen gebracht. Ein Theil davon betrifft jedenfalls nur unechte Krawalle; ob der andere Theil wirklich mitten in den Kern der Sache hineingegriffen hat, wird nicht ganz leicht zu entscheiden sein; und zwar schon wegen der vielseitig behaupteten Entartung der Sache in den letzten Zeiten, dann aber auch wegen mancher nicht verläßlicher Zeitungsberichte, die es jetzt ebenso mit den Stärkeren halten, wie sie es seinerzeit mit anderen Stärkeren gethan.

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spruch allerdings vor Geschworenen ge ührt hatte. Diesmal geschah wieder eine Verurtheilung zu Gefängniß in ähnlicher Höhe wie das vorige Wial. Nicht viel anders ging Ende Jebruar 1897 die Ver­handlung über ein Treiben bei Steinhöring   aus, das gleichzeitig mit dem Sauerlacher   abgehalten war. Hier wurde von staatsanwaltlicher Seite u. a. gesagt: ,, Gerade dadurch, daß verschiedene Schriftsteller und Volksreduer ihrer Phantasie die Zügel schießen ließen und diesen Unfug verherrlichten, kam es, daß ihm die Haberer huldigten." Derselbe Vertheidiger, der schon bei den früheren Verhandlungen für eine Er­fenntniß des eigentlichen alten Gebrauchs eingetreten war, kennzeichnete das diesmalige Treiben als eines von den entarteten modernen". Die Verurtheilungen gingen bis zu ein Jahr neun Monat. Mehrere weitere Prozesse fanden noch bis in den Herbst 1897 hinein statt, zulezt der wegen des großen Treibens bei Miesbach   im Oktober 1893, bei dem ein Gen­darm schwer verletzt worden war.

uns stehen wird.

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Bu unserem Bilde.

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Ophelia. Wie eine wehmüthig- schmerzliche Erinnerung steigt sie vor unserem Geiste auf, diese zarte, selbst in der Nacht des Wahnsinns noch liebliche Gestalt des Shake­speareschen Hamlet.

Gleich einer schönen stillen Blume ist sie dem Sumpf­boden eines verkommenen Hofes entsprossen, um schon nach kurzem Blühen, ein unschuldtges Opfer der Ver­hältnisse, zu sterben, zu verwelfen.

Hamlet, der jugendliche Kronprinz, hatte für sie, die Tochter des Oberfämmerers, eine rasende Leidenschaft gefaßt, mit Liebesschwüren, Geschenken, Betheuerungen sie verfolgt, geängstigt, und dann auf einmal rauh, an­scheinend ohne Grund, sie von sich gestoßen und zur Zurückweisung noch Spott und Hohn gesellt.

Freilich, sie ahnte ja auch nicht, was in dem Inneren des Prinzen vor sich gegangen war; sie ahnte nicht, wie diesem sich auf einmal schrecklich das räthselhafte Dunkel enthüllt, das über des Vaters Tod, über der raschen neuen Vermählung der Mutter mit ihres Gatten Bruder schwebte.

Wahrscheinlich wird zunächst in jenen Ge enden ziemlich Ruhe sein. Allein wenn einst die Haberer am Tegernsee das nächste Treiben für dreißig Jahre später angekündigt hatten, dann die Zeit über dort Die Hauptverhandlung vor dent Landgericht sich ruhig verhielten, schließlich aber ihre Zusage München   11" fand Ende Oktober 1896 statt und genau eingehalten haben, so brauchen wir uns nicht galt einem größeren Treiben, das vor Jahresfrist zu wundern, wenn diese todtgesagte Erscheinung plötz­bei Sauerlach  , also schon nicht mehr im eigentlich wieder in aller alten Echtheit und Reinheit vor lichen ältesten Habererkreis abgehalten worden war. Angeklagt waren einschließlich des Bürgermeisters von Sauerlach   zweiundfünfzig Männer, darunter nur zehn Verheirathete, die Meisten waren vor= bestraft" und zwar zum Theil wegen eines früheren Treibens. Die einzelnen Züge, die bei der Ver­handlung zum Vorschein kamen, zeigen zunächst die Bemühung, die Sache in der" fommentmäßigen" Weise, zumal ohne irgend eine Schadenstiftung, zu erledigen, zeigen aber auch manches Forcirte beim Zustandekommen des Ganzen. Mehrere der Burschen konnten mit den Gewehren nicht umgehen und brachten erst dadurch Gefahr in die Sache. Und nicht blos radifale Stimmen wiesen dabei hin auf das über­lieferte Wesen des echten Haberfeldtreibens, bei dem keinerlei Anleitung" nöthig sei, das sich nach her­gebrachten Normen vollziehe, und bei dem jeder Theil­nehmer das thue, wozu er von vornherein ent­schlossen ist. Diesen bestimmten und ruhigen Gharakter machte das ganze dabei entrollte Bild gerade nicht. Der Staatsanwalt konnte darauf hinweisen, daß manche der Angeklagten sich als Opfer eines Miß­brauchs betrachteten und durch ihre Bestrafung zu seinem Abkommen beizutragen hofften. Und der eine von den Vertheidigern zählte das Haberfeld­treiben bereits zu den Todten. Die Schwurtreue sei gebrochen, und das Haberfeldtreiben sterbe an seiner Zwecklosigkeit, da heute das Unrecht anderswie an die Oeffentlichkeit zu bringen sei. Für einzelne da und dort vorgekommene Ausschreitungen dürfe aber keineswegs die jetzt überlebte Sitte   verantwort= lich gemacht werden. Schließlich wurden fast alle Angeklagten vom Gerichtshof nicht von einem Schwur­gerichtshof) wegen ,, Landfriedensbruch  " zu Gefängniß bis zu drei Jahren verurtheilt, das Reichsgericht verwarf die Revision und die Presse spielte zum Theil mit dem Gefühl des Aufathmens der öffent­lichen Meinung gegenüber den Verbrechern". Hin­gegen trat die demokratische Münchener freie Presse" für die Vertreter der Volksjustiz" lebhaft ein, was eine Verurtheilung ihres Redakteurs wegen groben Unfugs" zur Folge hatte.

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Ende Dezember 1896 kam ein, allerdings ziemlich unechtes, Treiben zur Verhandlung, das im Sep­tember 1895 bei Peiß- Aying( nicht weit von der Stätte des vorerwähnten) stattgefunden hatte. Im Allgemeinen ging die Sache diesmal wie früher. Denkwürdig sind daraus die von dem einen Ver­theidiger zitirten Worte des Hauptvertheidigers bei einer ähnlichen Anklage vor etwa zwanzig Jahren: Ich weiß nur Eines: Ich war Mitglied der Gesez­gebungskommission, die den§ 125 geschaffen hat, und es ist uns garnicht eingefallen, das bayerische Haberfeldtreiben unter diesen§ 125 zu subsumiren." Was denn auch damals zu einem sofortigen Frei­

Mit Grauen hatte er vernommen, daß ein Mörder­paar auf Dänemarks   Thron saß, und hinfort beschäftigte nur ein Gedanke sein Hirn, der nämlich, vor dem ganzen Hofe, dem ganzen Volke die königlichen Verbrecher zu entlarven. Der Abgrund menschlicher Verkommenheit aber, der sich vor Hamlet aufgethan, ließ ihn überall nur noch schmußigen Verrath, Niedertracht, Heuchelei erblicken, so daß auch die liebreizende Ophelia für ihn nur ein Bild der Lüge, der Verstellung wurde.

Sie aber, die von alledem nichts ahnte, der wie ein Sturm des Prinzen Leidenschaft das Gemüth aufgewühlt hatte, war mit einem Male aus allen ihren Himmeln gerissen. Und kaum hatte sie dieser Schlag getroffen, so folgte ihm auch schon der zweite, der Tod des Vaters, den Prinz Hamlet   an Stelle des vermeintlichen Königs hinter der Tapete erstochen hatte.

Seit dieses neue Schicksal über sie hereingebrochen, umnachtete sich ihr Geist; in stillem Wahnsinn wandelte sie einher, bald Blumen zum Kranze windend, bald in lieb­lich irren Reden sich ergehend, bis sie der Zufall zu dem Rand des Baches führte, der ihr zum Grabe werden sollte. Doch lassen wir den Dichter selber reden:

Es neigt ein Weidenbaum sich übern Bach, Und zeigt im klaren Strom sein graues Laub, Mit welchem sie phantastisch Kränze wand Von Hahnfuß, Nesseln, Maßlieb, Purpurblumen. Dort als sie aufklomm, um ihr Laubgewinde An den gesenkten Aesten aufzuhängen, Zerbrach ein falscher Zweig und niederfielen Die rankenden Trophäen und sie selbst Jus weinende Gewässer. Ihre Kleider Verbreiteten sich weit und trugen sie Sirenengleich ein Weilchen noch empor, Judeß sie Stellen alter Weisen sang, Als ob sie nicht die eigne Noth begriffe, Wie ein Geschöpf, geboren und begabt Für dieses Element. Doch lange währt es nicht, Bis ihre Kleider, die sich schwer getrunken, Das arme Kind von ihren Melodien Hinunterzogen in den schlamm'gen Tod.

Und diese letzten Augenblicke des armen Kindes sind es, die der Künstler unseres heutigen Bildes, D. Crentacoste, in wunderbar schöner Weise im Marmor festgehalten hat. Nachdruck des Juhalts verboten!

Berantwortl. Redakteur: Edgar Steiger  , Leipzig  . Verlag: Hamburger Buchdruckerei u. Verlagsanstalt Auer& Co., Hamburg.- Druck: Mar Bading, Berlin  .