12

Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

und Buchzeichen. In dem Buche blätterte sie eine Weile, bis sie endlich auf das gesuchte Schreiben fam. Doe is er!"

11

Der Bittnerbauer berührte den Brief wie alles Geschriebene mit besonderer Vorsicht, ja mit einer Art von Scheu. Dann schob er ihn dem Sohne hin: Lase a mal dos, Gustav!"

Der Briefbogen hatte großes Quartformat und trug rechts oben eine Firma:" C. G. Büttner, Materialwaarenhandlung en gros& en detail." Folgte die Ortsbezeichnung.

Gustav sah nach der Unterschrift. Sein eigener Name stand darunter: Gustav Büttner. Der Brief schreiber war demnach sein ihm gleichaltriger Vetter, Kompagnon im Geschäfte des alten Karl Leberecht Büttner. Gustav hatte Onkel und Vetter ein einziges Mal gesehen in seinem Leben, als sie vor Jahren dem Heimathdorfe einen flüchtigen Besuch von der Stadt aus abgestattet.

Dieser Karl Leberecht war ein um wenige Jahre jüngerer Bruder des Büttnerbauern. Er hatte Halbenau frühzeitig verlassen als ein großer Thunichtgut. Jahre lang war nichts von ihm verlautet. Dann tauchte er plöglich als verheiratheter Mann und Inhaber eines Grünwaarengeschäftes in einer mittel­großen Stadt der Provinz auf. Inzwischen hatte sich sein Geschäft zur Materialwaarenhandlung en gros& en detail" ausgewachsen.

Die beiden Familien, die eine in der Stadt, die andere auf dem Dorfe, hatten so gut wie gar feine Berührungspunkte mehr. Nur bei der Erb­Nur bei der Erb­

schaftsregulirung, vor nunmehr dreißig Jahren, war man einander auf kurze Frist wieder einmal näher getreten. In den letzten Jahrzehnten hatte man nur ganz gelegentlich etwas voneinander gesehen oder gehört.

G. Büttner jun. also schrieb im Namen seines Vaters, daß man die Hypothek, welche von der Erb­theilung her noch auf dem Büttnerschen Bauerngute in Halbenau stand, hiermit kündige und daß man den Eigenthümer besagten Bauerngutes ersuche, Zahlung zum Johanni- Termine zu leisten. Als Grund der Kündigung war Erweiterung des Geschäftes an= gegeben.

Der Brief war durchaus in geschäftlichem Stile gehalten und enthielt nichts, was darauf hindeutete, daß Schreiber und Empfänger in naher Bluts­verwandtschaft standen.

Vater und Mutter hielten sich hinter dem Sohne, während er las, und blickten ihm über die Schulter.

" Habt Ihr schon was derzu gethan, Vater?" meinte Gustav, als er fertig war mit Lesen.

"

Wie meenst De?" fragte der Alte und sah ihn verständnißlos an.

Ob Ihr schon derzu gethan habt, wegen an Gelde? Am ersten Juli müßt Ihr zahlen."

" Siehst De Moann!" rief die Bäuerin. Ich ho Dersch immer geseut, De mechtest federn und nach an Galde   sahn."

" Ich bin o schun, und ich ha mich befrogt im a Gald. Bei Kaschelernsten bi'ch gewast; der spricht, ar wullt mersch ack gahn, wenn'ch' n sechsdehalb Prozent versprechen thäte.

Das sieht dem Kujon ähnlich!" rief Gustav. Sein Onkel Kaschel war der Inhaber des Kretschams von Halbenau. Er war Wittwer, ehemals mit einer Schwester des Büttnerbauern verheirathet. Er galt in Halbenau, wo Baargeld ziemlich rar war, für den ersten Kapitalisten.

"

Da mechte aber bald Rath werden," sagte Gustav nachdenklich. Sonst werdet Ihr verklagt, Vater!"

"

"

Mei Heiland! Siehste's Moann!" rief die Bäuerin. Ich ho's schun immer geseut iber den Bauer: mir wern noch gepfändt, ho'ch ibern geseut, De werscht's derlaben, Traugott!"

Nu, dos gleb' ch do ne von Karl Leberechten!" meinte der Alte; aber sein unsicherer Blick zeigte, daß ihm nicht ganz geheuer zu Muthe sei.

Die werden wohl nich lange fackeln!" meinte Gustav.

,, Siehste, Traugott, siehste! Gustav meent och su!" rief die Bäuerin. Su is er aber nu, der Vater. Er bedenkt sich, und er bedenkt sich, und

er thut nischt derzu. Er werd's nuch suweit bringa, daß se' n' s Gut wagnahmen fumma."

Der Büttnerbauer warf seiner Ehehälfte einen finsteren Blick zu. Das Wort hatte ihn getroffen. " Halt de Fresse, Frau!" rief er ihr zu. verstiehst denn Du vun a Geschäften!"

" Was

Die Bäuerin schien mehr betrübt, als beleidigt, über diese Worte des Gatten. Sie zog sich schweigend in ihre Ecke zurück. Gustav überlegte eine Weile, welchen Rath er seinem Vater geben solle. Einen Augenblick dachte er daran, dem Vater abermals vorzuschlagen, daß er seinen Wald an die Herrschaft verkaufen möchte. Aber dann fiel ihm ein, wie dieser Vorschlag den Alten vorhin erbost hatte. Er kannte seinen Vater, den hatte noch niemals Jemand von seiner Ansicht abgebracht.

Ich weiß feenen andern Nath, Vater," sagte er schließlich. Ihr müßt in de Stadt. Hier weit und breit is doch keen Mensch mit Gelde, außer Kaschelernsten. In der Stadt, dächt'ch, müßte doch Geld zu bekommen sein."

" Das ho'ch och schun gedacht!" meinte der Büttnerbauer mit nachdenklicher Miene.

Es trat ein langes Schweigen ein. Man hörte nur das leichte Knarren der Stricke in den Hafen und das Knistern des Korbes, in welchem Therese den Säugling hin und her schaukelte.

Jetzt traten die beiden Mädchen ins Zimmer. Toni war im vollen Staate. Ihre üppigen Formen waren in ein Kleid von greller, blauer Farbe ge= zwängt, das vorn etwas zu kurz gerathen war und so die plumpen, schwarzen Schuhe sehen ließ. An ihrem Halse blizte eine Broche von buntem Glase. Ihr blondes Haar hatte sie start pomadisirt, so daß es streifenweise ganz braun aussah. Offenbar war sie sehr stolz über den Erfolg ihrer Toilettenkiinſte. Steif und gezwungen, als sei sie von Holz, bewegte sie sich, denn die Zugschuhe, der Halskragen und das Korsett waren ihr ungewohnte Dinge. Sie ging einher wie eine Puppe.

-

Gustav, der in der Stadt seinen Geschmack ge­bildet hatte, belächelte die Schwester. Heute Abend sei Tanz im Kretscham, berichtete Toni dem Bruder. Sie hoffte, daß er sie dahin begleiten würde, darum hatte sie sich auch so besonders herausgeputzt, um vor seinem verwöhnten Auge zu bestehen. Der alte Bauer, der allen Puz und unnüßen Tand nicht leiden mochte, brummite etwas von Pfingstuchse"! Aber die Bäuerin nahm die Tochter in Schutz. Am Sonntage wolle solch ein Mädel auch einmal einen Spaß haben, wenn sie sich Wochentags. abgerackert habe im Stalle, Hause und auf dem Felde.

Das Abendbrot wurde zeitiger anberaumt, damit die Kinder nichts von dem Vergnügen versäumen sollten.

Gustav begleitete die Schwester zum Kretscham. Unterwegs erzählte ihm Toni, daß Ottilie, die Tochter Kaschelernsts, des Kretschamwirthes, in den letzten Tagen wiederholt und zuletzt heute früh in der Kirche gefragt habe, ob Gustav nicht zum Tanze in den gefragt habe, ob Gustav nicht zum Tanze in den Kretscham kommen werde. Der Unteroffizier konnte sich eines Lachens nicht enthalten, sobald er nur die Kousine erwähnen hörte. Ottilie Kaschel war um einige Jahre älter als er, aber als die Tochter Kaschelernsts wohl die beste Partie von Halbenau. Gustav hatte sich in früheren Zeiten gelegentlich sein Späßchen mit ihr erlaubt; er wußte ganz gut, daß sie ihn gern mochte, aber der Gedanke an ihre Erscheinung machte ihn lachen. Sie hatten ein Pferd bei der Schwadron, einen alten Schimmel: die Harmonika", dürr, überbaut, mit Senfrücken; an den erinnerte ihn seine Kousine Ottilie.

Gustav ließ die Schwester allein in den Kret­scham treten. Er sagte, er werde nachkommen. Oben im Saale glänzten schon die Fenster, das Schmettern der Blechmusik, untermischt mit dem dumpfen Stampfen und Schleifen der Tänzer, drang auf die Straße hinaus.

Gustav lockte das nicht; ihn erwarteten heute Abend ganz andere Freuden.

Auf Seitenpfaden, zwischen Gärten und Häusern hin, schlich er sich durch die Nacht. Um nicht an­gesprochen zu werden, stieg er, als ihm ein Trupp junger Leute entgegenkam, über einen Zaun.

Bei Katschners Pauline brannte ein Lämpchen. Sie wartete auf ihn. Sie hatten nichts verabredet heute früh, und doch wußten Beide, was der Abend bringen würde.

Er klopfte vorsichtig an ihr Fenster. Da wurde auch schon der Vorhang zurückgeschoben. Eine weiße Gestalt erschien für einen Augenblick hinter den Scheiben. Ein fleines Schiebefensterchen öffnete sich. De Thiere is uff, Gustav! Mach keenen Lärm, de Mutter is derheme."

Der Unteroffizier zog sich die Stiefeln aus und reichte sie wortlos dem Mädchen zum Fenster hinein. Dann schlich er sich, mit den Bewegungen einer Kaße, durch die niedere Thür in das Häuschen. Gleich darauf verlöschte das Licht in Paulinens Zimmer. ( Fortsetzung folgt.)

Moderne Wunder.

Naturwissenschaftliche Plaudereien von Dr. B. Borchardt.

III.

Die elektrische Kraftübertragung.

n den Häusern, die heute gebaut werden und die, wie es in den Ankündigungen in den Wohnungszeitungen lautet, mit allem Kom­fort der Neuzeit ausgestattet sind, ist eine eigenthüim­liche und sehr praktische Beleuchtungsborrichtung anu­gebracht; kommt man spät in der Nacht nach Hause und öffnet die Hausthür, so flammt im Hausflur eine an der Decke angebrachte elektrische Glühlampe auf und leuchtet einige Minuten, so daß man in hellem Lichte die Treppe hinaufgehen kann. Auf jedem Treppen­absaz befindet sich weiter ein Knopf, auf den man nur einen kurzen Druck auszuüben braucht, um eine Lampe für die nächste Treppe in Thätigkeit zu setzen; auch sie erlischt von selbst nach einigen Minuten, wenn man ihrer nicht mehr bedarf. Auf diese Weise hat man bis in die höchsten Stockwerke hinauf eine außerordentlich bequeme Treppenbeleuchtung, die demjenigen, der ihre Wirkung zum ersten Male erblickt und genießt, fast wie ein Märchen aus " Tausend und eine Nacht" vorkommt. Unsere Alt­vordern mit ihren primitiven Lampen hätten nicht wenig gestaunt und sicher an Zauberei gedacht, wenn sie eine solche von selbst aufflammende und nach wenigen Minuten wieder verlöschende Lampe erblickt hätten; war doch vor zweihundert Jahren noch die nächtliche Beleuchtung von Berlin   z. B. durch ein Edift des großen Kurfürsten vom Jahre 1680 ge= ordnet, in welchem die Bewohner aufgefordert werden, eine Laterne, dadrinnen ein brennend Licht steckt, aus jedem dritten Haus herauszuhängen, also daß die Lampen von den liebden Nachbarn abwechselnd besorgt werden." Von dieser jammervollen Beleuch­tung, die zudem nur vom 1. September bis zum 30. April angesteckt wurde, bis zu den von selbst aufflammenden elektrischen Lampen unserer Tage welch ein ungeheurer Abstand, welch eine großartige technische Entwickelung!

Das wunderbare, selbstthätige Aufflammen ist erst durch die Anwendung des elektrischen Stromes zur Beleuchtung möglich geworden. Eine der am längsten bekannten Wirkungen des Stromes ist die, daß er seine Leitungsbahn erwärmt und dünne Drähte sogar bis zum Glühen erhitzt; aber erst, seitdem durch die neuere Entwickelung der Elektrotechnik elektrischer Strom stets zur Verfügung steht, kann man diese Wärmewirkung in einigermaßen erheb lichem Umfange zur Beleuchtung verwenden. Es ist dies erst möglich geworden, seitdem man den elektrischen Strom nicht mehr in galvanischen Elementen, sondern mittelst großer Maschinen durch Aufwendung von mechanischer Arbeit erzeugt. Es ist ja eines der bekanntesten Naturgeseze, daß man mechanische Arbeit nicht aus Nichts gewinnen kann, sondern daß jederzeit eine Betriebskraft in irgend einer Form Arbeit leisten muß, damit diese dann umgewandelt und als mechanische Arbeit verwendbar werde. Das großartigste Beispiel der Arbeitsumwand­lung bot vor der Anwendung der sogenannten elek­trischen Kraftübertragung die Dampfmaschine dar;