Die Aeue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
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was ihr ihre Kraft verleiht, ist die Verbrennung der Kohle im Feuerungsrauin. Jede Verbrennung ist eine innige Vereinigung des brennenden Körpers mit dem Sauerstoffgas, einem Hauptbestandtheil unserer Luft; wenn die Kohle verbrennt, so treten die kleinsten Kohletheilchen mit den kleinsten Theilchen des Sauer- stoffes zusammen und bilden einen neuen Körper, die Kohlensaure, ein unsichtbares Gas, das alsbald in die Atmosphäre entweicht. Es geht also eine chemische Umlagerung der kleinsten Theile, der so- genannten Atome, vor sich, die von einer starken Wärnieentwickelung begleitet ist; die chemischen Kräfte, die vorher in der Kohle und dem Sauerstoff schlummerten, treten bei der Vereinigung beider in Wirksamkeit und bringen die große Hitze hervor. Man kann sich die Sache ähnlich vorstellen, wie bei einem schweren Stein, der in irgend einer Höhe iiber dem Erdboden eine Gleichgewichtslage hat, etwa an einem Strick aufgehängt ist. So lange Alles in Ruhe ist, schlummern gleichsam die zwischen der Erde und dem Stein wirksamen Anziehungskräfte, sie leisten die Arbeit, deren sie fähig sind, nicht, wie auch Kohle und Sauerstoff gegeneinander sich gleichgültig verhalten. Sobald aber die Umstände günstig sind, wenn etwa der Faden reißt oder gelöst wird, treten die Kräfte in Wirksamkeit und treiben den Stein unwiderstehlich zur Erde; die Arbeit, die sie dabei leisten, geht nicht verloren, denn der Stein kommt nicht als todte Blasse am Boden an, sondern hat eine große Geschwindigkeit gewonnen, durch die er beim starken Anprall zurückgeworfen, der Schwere entgegen gehoben wird; wenn er schließlich liegen bleibt, so hat er seine Bewegung an seine kleinsten Theilchen und die der umgebenden Luft abgegeben, wo sie uns durch eine erhöhte Temperatur fühlbar wird. In ähnlicher Weise stürzen auch Kohle- und Sanerstofftheilchen aufeinander zu, vereinigen sich zu Kohlensäure, wobei sie in heftige Bewegung ge- rathen, die von uns als Wärme empfunden wird. Diese Wärme dient zur Verwandlung von Wasser in Dampf, und der sich ausdehnende Dampf treibt den Kolben der Maschine hin und her, wodurch mechanische Arbeit geleistet wird. In letztem Grunde sind es also die zwischen Kohle und Sauerstoff vorhandenen chemischen Kräfte und der infolge dieser Kräfte in ihnen steckende Ar- beitsvorrath(Energie), welcher in der Dampfmaschine nutzbar gemacht ivird. Ganz ähnlich verhält es sich bei den galvanischen Elementen, wo in der Zelle zwischen den Säuren und den Metallen chemische Umlagernngen zwischen den kleinsten Theilchen vor sich gehen, und dadurch eine Arbeit geleistet wird, die in der Form des elektrischen Stromes zu unserer Verwendung sich darbietet. Aber diese Erzeugung des Stromes, die z. B. in der Telegraphie gute Dienste geleistet hat und noch leistet, ist für Arbeits- Maschinen nicht zu gebrauchen, weil die Erzeugung starker Ströme zu umständlich und theuer wäre. An solche konnte erst gedacht werden, als man lernte durch Aufwenden mechanischer Arbeit den elektrischen Strom zu erzengen. Werden nämlich Stromleitungen (Drähte) in der Nähe eines starken Magneten be­wegt, so werden die Drähte dabei von elektrischen Strömen durchflössen; dauernd muß man dabei die Kräfte, die zwischen diesen induzirten Strömen und dem Magneten auftreten und die Bewegung hemmen, überwinden und gegen sie arbeiten. Denkt man sich also zwischen den Polen   eines großen Hufeisen- förmigen Magneten einen eisernen Ring in schnelle Notation versetzt, so werden in den Drahtspulen, mit denen der Ring umwickelt ist, elektrische Ströme entstehen: diese werden zu Knpferstreifen, die isolirt voneinander auf der Axe des Ringes befestigt sind, geführt, von wo sie durch metallische Schleifbürsten in die Nutz- oder Arbeitsleitung geführt werden. Diese magnet-elektrischen Maschinen riefen jedoch keinen besonders starken Aufschwung der Elektro- technik hervor, weil die Stahlmagnete in ihrer Wirkung beschränkt waren. Heute baut man sie nicht mehr, sondern wendet Dhnamomaschinen an; das sind Maschinen, in denen das sogenannte Dynamo- Prinzip, das Siemens 1867 begründete, zur An- Wendung kommt. Nimnit man nämlich statt der Stahlmagnete weiches Eisen, so wird man bei der
Drehung des Ringes auch elektrische Ströme erhalten, wenn auch sehr schwache, da ja weiches Eisen stets ein wenig magnetisch ist; leitet man diese Ströme, bevor sie in die Nutzleitung gehen, in vielen Draht- Windungen um das weiche Eisen, so wird dieses zu einem Magneten, denn jedes weiche Eisen erweist sich, so lange es von einem elektrischen Strom um- flössen wird, als ein starker Magnet. Jetzt rotirt der Ring also in der Nähe eines ziemlich starken Magneten; infolgedessen werden ziemlich starke Ströme in seinen Windungen induzirt, die nun wieder um das Eisen henmifließen und es noch stärker magnetisch machen. Man sieht leicht ein, daß infolgedessen wieder stärkere Ströme induzirt werden, die ihrerseits wiederum den Magnetismus verstärken u. s. f., so daß man auf diese Weise zu den stärksten Strömen ge- langt, die wir überhaupt im Stande sind, herzustellen. Große Dynamomaschinen, deren Ring oder Anker etwa niittelst Dampfmaschinen angetrieben wird, sind es, die in den elektrischen Zentralen der großen Städte den Strom für die Beleuchtung liefern. Doch ist die Lichterzengung nicht die einzige und hauptsächlichste Verwendung der Dynamomaschinen. Sie besitzen eine merkwürdige Eigenschaft, durch die sie für die allerverschiedensten Zwecke brauchbar werden. Bisher haben wir gesehen, daß man durch Auf- wenden von mechanischer Arbeit, indem man den Anker einer Dynamomaschine dreht, elektrischen Strom erzeugen, also mechanische Arbeit direkt in elektrische Energie verwandeln kann. Das Umgekehrte ist aber ebensogut möglich: Leitet man einen elektrischen Strom in die Drahtwindungen einer Dynamomaschine, so beginnt ihr Eisenanker sich zu drehe», die elektrische Energie ist also in mechanische Arbeit umgewandelt worden. Durch diese Umkehrbarkcit hat die Dynamo- Maschine als Elektromotor eine sehr große Bedeutung gewonnen; ein Elektromotor ist ja nichts Anderes, als eine Dynamomaschine, die nicht zur Strom- erzeugung benutzt wird, sondern ihren Strom von einer anderen Dynamomaschine oder einer anderen Stromquelle erhält, wodurch der Anker des Motors in Rotation versetzt wird. Wird die erste Dynamo- Maschine durch Aufwendung mechanischer Arbeit an- getrieben und der in ihr erzeugte Strom durch Drähte in einen oder mehrere Elektromotoren ge- leitet, so spricht man speziell von elektrischer Kraft- Übertragung. Freilich wird man die Frage auswerfen, wozu eine solche Kraftübertragung denn dienen soll? Die Arbeit, die ich zum Antrieb der ersten Maschine ans- wende, werde ich doch aus der zweiten niemals völlig wieder herausbekommen; die Leitungsdrähte, die den Strom von dem Dynamo zum Motor, von der Strom erzeugenden zu der Strom empfangenden Maschine führen, werden dabei stark erhitzt, und die zu dieser Erwärmung nutzlos verbrauchte Energie geht mir doch verloren. Da scheint es doch rationeller, die mechanische Arbeit direkt zu benutzen, als sie erst in elektrische Energie zu verwandeln, um durch Rück- Verwandlung derselben nur einen Theil wieder zu gewinnen. Aber das scheint nur so, in Wirklichkeit ist es garnicht der Fall; da der elektrische Strom durch einfache Kupfer- und Eiscndrähte in der bc- quemsten Weise überall hingeleitet werden kann, so bietet er ein vorzügliches Mittel zur Vertheilnng der Energie dar. Eine Dampfmaschine von hundert Pferdekräften erfordert durchaus nicht das hundert- fache Anlage- und Betriebskapital von hundert ein- pferdigen kleinen Dampfmaschinen. Es ist daher durchaus rationell, eine große Dampfmaschine zum Treiben eines Dynamo zu benutzen, und dessen Stroni dann in hundert kleine Motoren zu leiten; ein prak- tisches Beispiel dafür bilden die elektrischen Straßen- bahnen, auf die wir noch in einem besonderen Artikel eingehen werden. Auf diese Weise ist es möglich, ganz kleine Motoren, selbst bis zu'/>« Pferdekraft und darunter, rationell zu betreiben, ein Umstand, auf dem sich nach der Ansicht mancher wohlmeinenden Leute die Rettung des Handwerks aufbauen wird, das durch diese kleinen Motoren mit dem Groß­betriebe konkurrenzfähig werden soll, eine begreif- liche, aber darum nicht minder eitle Hoffnung. Das ergiebigste Feld hat die elektrische Kraft- Übertragung dadurch gefunden, daß es durch sie möglich
geworden ist, mechanische Arbeit, die für den Menschen vollkommen nutzlos in ungezählten Millionen von Pfeidekräften von der Natur geleistet wird, auf dem Umwege über den galvanischen Strom nutzbar zu machen, die Kräfte des Wassers. Täglich und stiindlich werden Milliarden Liter Wasser durch die Schwer- kraft von der Höhe der Gebirge zum tiefen Meere herabgeführt; durch die Wärme der Sonne verdunstet das Wasser der Ozeane und wird wieder in die Höhe gehoben, um sich in den Bergen niederzuschlagen und seinen Kreislauf von Neuem zu beginnen. In der Ebene angelangt, fließt das Wasser langsam dahin und kann daher keine große Arbeit leisten; wo aber das Gefälle ein starkes ist, erreicht es eine enorme Geschwindigkeit, und über Felswände stürzt es in brausendem Falle hinab. Von jeher erkannte man die gewaltige 5irastquelle, die die Natur uns in den schnell fließenden und herabstiirzenden Wassern ge- schaffen hat; aber nur in ganz verschwindendem Umfange konnte diese Kraftquelle benutzt werden, Wasserräder und Turbinen wurden kaum anders als zum Betriebe von Mühlen verwendet. Durch Riemen- oder Zahnradübmraguiig läßt sich die Be- wegung eines Rades oder einer Turbine nicht auf weite Strecken fortleiten, und so mußte eine erheb- liche Ausnutzung der Wasserkraft unterbleiben. Das änderte sich durch die Dynamomaschinen in den letzten fünfzehn Jahren ganz gewaltig. Läßt man einen Dynamo durch die Turbine antreiben, so kann man den erzeugten elektrischen Strom in Kupferdrähten viele Meilen weit fortführen; in erheblicher Ent- fernung von dem kraftliefernden Wasserfall wird der Strom dann entweder direkt, etwa zur Beleuchtung oder zur chemischen Arbeitsleistung, verwendbar, oder aber er geht in den Elektromotor, der ihn in mechanische Arbeit, in Drehung seines Ankers, zurück- verwandelt. Freilich, ganz so einfach, wie sich hier das Prinzip der Sache darstellt, ist die elektrische Kraftübertragung in der Praxis denn doch nicht. Zunächst ging durch die Erwärmung in den Leitungsdrähten ein so er- heblichcr Theil, bedeutend mehr als die Hälfte, der in den ersten Dynamo gesandten Energie verloren, und zwar bei verhältnißmäßig geringen Entfernungen, so daß man dieser Kraftübertragung vielfach keine große Zukunft zu prophezeien wagte. Die ersten Versuche wurden auf der Pariser Elektrizitätsansstcllung im Jahre 1381 von Marcel Deprez   ausgeführt, wobei es sich um die Uebertragung auf eine Entfernung von 1800 Metern handelte. Aber unermüdlich war gerade dieser Techniker in der Vervollkommnung der Methoden, und 1885 gelang es ihm bereits, vierzig Pferdekräfte 152 Kilometer weit mit einem Nutzeffekt von 50 Prozent zu übertragen. Ohne auf die Methoden selbst einzugehen, soll hier nur bemerkt werden, daß man bei einem elektrischen Strome seine Intensität und seine Spannung unterscheidet und daß es daraus ankommt, in der Leitungsbahn die letztere auf Kosten der ersteren zu erhöhen, an der Ver- brauchsstelle aber die schwachen Ströme von hoher Spannung wieder in stärkere Ströme von niedrigerer Spannung zu verwandeln. Das großartigste Experiment, durch das die Möglichkeit einer elekttischen Kraftübertragung in großem Maßstabe auf weite Entfernungen hin nach- gewiesen wurde, war die berühmte Kraftübertragung von Lauffen am Neckar   nach Frankfurt   a. M. im Jahre 1891. Es handelte sich hierbei um eine Ent- fernung von 175 Kilometern oder 23 Bieilen; die Turbine zu Lauffen   entnahm dem Neckar   197 Pferde- kräfte, von denen 146, also 74 Prozent, in Frank- surt zurückgewonnen wurden. Seitdem hat die Aus- nutzung der Wasserkräfte sehr erhebliche Fortschritte gemacht; in der wasserreichen Schweiz   entnehmen selbst viele kleine Orte den kleinen Strömen, an denen sie liegen, die Kraft zur Erzeugung ihres elektrischen Lichtes und zur Betreibung ihrer indu- striellen Anlagen. Das größte Werk ist die Wasser- kraftanlage der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft zu Rheinfelden am Rhein  , die im Frühling des nächsten Jahres in Betrieb treten wird; sie entnimmt dem Rhein   15000 Pferdekräfte. Doch ist auch dieses Werk noch verschwindend gegen die Riesenanlage am Niagara in Nordamerika  , wo 150 000 Pferdekräfte