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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
" Jawohl, Kontesse Ida! Wenn die Damen so gnädig sein wollen und eintreten... es sieht frei lich ein wenig unordentlich aus bei uns."
" Ist Pauline zu Haus?" fragte die ältere kritischen Moment hinweg. Sie sprach und fragte, Sie sprach und fragte, Komtesse. machte auf Dieses und Jenes aufmerksam, forderte die Damen zum Sizen auf. Sie erzählte aus jeziger und früherer Zeit, wußte ihre devote Gesinnung gegen die Herrschaft in das rechte Licht zu rücken. Mit ihrer Bewunderung für die Erscheinung der Komtessen hielt sie nicht zurück. Sie war eine Meisterin in der Dienstbotenschmeichelei. Durch gelegentlich eingeworfene Fragen verstand sie es übrigens auch, die jungen Damen zur Aussprache zu bringen, so daß sie bald allerhand für sie Wissenswerthes in Erfahrung gebracht hatte.
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,, Kennen wir schon, Bertha! Faule Ausreden!" rief die Jüngere. Sie behaupten immer, daß és unordentlich aussieht bei Ihnen; dabei ist es das reine Schmuckkästchen. Ich wünschte blos, bei uns wäre es immer so ordentlich- was Ida?"
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" Ach, Du großer Gott, Kontesse Wanda! Die gnädigen Damen müssen nur verzeihen, wenn man eben arm ist! Ordnung und Reinlichkeit, das fostet kein Geld, sage ich immer. Auf dem Schlosse, bei der gnädigen Herrschaft, da hatte ichs freilich besser, als jetzt. Das war ein ander Ding dazumal!"
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" Ja, sehen Sie, Bertha! Das kommt Alles nur vom Heirathen!" meinte Wanda, die unter ihresgleichen berüchtigt war für ihre kräftigen Bemerkungen, und die sich etwas zu Gute that darauf, daß fie Alles heraus sagte, was ihr gerade in den Sinn fam.
" Ja, ja! die gnädige Kontesse können schon Recht haben, mit dem Heirathen is es manchmal nich immer was Gescheits. Obgleich ich mich nicht beklagen kann. Mein Mann is eben todt, Gott hab ihn selig! Aber man hat viel Sorge davon und Aerger noch obendrein. Ne, ne! Wer gescheit is, gnädige Kontesse, da haben Se sehr Recht, der heirath' sich keenen Mann!"
Unter solchen Reden war man ins Haus getreten. Hier sprangen ein paar Kaninchen hinter einen Bretterverschlag. Wanda wollte eines der Thiere erhaschen, aber das Thierchen war flinker als sie. Frau Katschner, die Paulinens wegen jezt noch nicht das Zimmer betreten wollte, fand hierin eine günstige Gelegenheit, die jungen Damen noch länger im Hausflur zu halten.
Sie öffnete das Ställchen. In einer dunklen Ecke unter einer Heubucht erblickte man eine ganze Kaninchenhecke. Wanda rief:" Pfui Deibel, wie stinkt' s hier!" lief aber nichtsdestoweniger in den Verschlag hinein und zog einzelne Thiere an den Löffeln heraus. Frau Katschner mußte ihr sagen, welches Männchen und welches Weibchen seien.
Als das Interesse hierfür erschöpft schien, hielt es Frau Katschner für angezeigt, die Damen in das Wohnzimmer zu führen. Pauline kam jetzt zum Vorschein aus ihrer Stammer, mit gesenkten Augen, über und über erröthend. Ihre Befangenheit war womöglich noch größer, als zuvor.
Pauline war in früheren Zeiten ein gelegentlicher Gast auf dem Schlosse gewesen, als Spielgefährte für Komtesse Ida, mit der sie ungefähr in gleichem Alter stand. Damals war man vertraut gewesen miteinander, nach Weise von Kindern, bei denen sich der Standesunterschied nicht so stark bemerkbar macht. Frau Katschner hatte der Tochter zwar immer die größte Devotion gegen die herrschaftlichen Kinder eingeschärft, aber beim Spiele war die künstliche Schranke der Etikette oft genug überschritten worden. Inzwischen hatten die beiden Komtessen eine Pension für freiadelige junge Mädchen besucht, aus der sie vor einem Jahre als fertige junge Damen entlassen worden waren. Sie hatten ihren ersten Winter in der Berliner Gesellschaft hinter sich. Seit Jahren hatten sich also die ehemaligen Spielgefährten nicht mehr gesehen.
Auch Ida erröthete bis unter das blonde Haar, als sie Pauline jezt die Hand reichte. Einen Augenblick hatte sie erwogen, ob sie das Mädchen umarmen solle. Aber dann fürchtete sie, es könne ge macht aussehen und wie Herablassung wirken, und so ließ sie es lieber bei einem Händedruck bewenden. Wanda hingegen stellte sich vor Pauline hin und musterte sie von oben bis unten. Diese Pauline!" " Diese Pauline!" rief sie. Was das für ein Weib geworden ist. Wie eine Frau sieht sie aus, wie die reine Frau! Garnichts vom Mädel mehr!"
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Paulinens Hals , Wangen nnd Stirn färbten sich purpurn. Die Komtesse ahnte nicht, welchen Sinn Jene ihrer Bemerkung unterlegen mußte. Frau Katschners Vermittlertalent half über diesen
Pauline saß stumm dabei und rührte sich kaum. Auf dem Mädchen schien irgend etwas zu lasten.
" Famos ist es hier!" rief eben Wanda. Ueberhaupt, die sogenannten armen Leute haben es doch garnicht schlecht!" Da erhob sich in der Kammer neben ein jämmerliches Quieden. Pauline wurde sehr unruhig und selbst Frau Katschner warf einen besorgten Blick nach jener Thür.
" Was haben Sie denn da drinne? Junge Junge Kazen?" fragte Wanda. Sie schien große Lust zu verspüren, dem Grunde des Lärmes sofort nachzuforschen.
,, Ach, das ist ja das Kind!" rief Frau Katschner. ,, Gnädige Konteſsen müssen entschuldigen!"
" Was! Habt Ihr hier kleine Kinder?" Pauline saß wie mit Blut übergossen, die Augen in den Schooß gerichtet.
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Wir wissen eigentlich selbst nicht recht, wie wir zu dem Kinde kommen," sagte Frau Katschner." Da habe ich eine Schwester, von der is der Mann ge= storben, und da is eine Tochter, die hat geheirathet, und sehen Sie, der is der Mann davongelaufen. So ein Lump! nicht wahr? Na, ich hab's ja vorher gesagt! Aber, wer nicht hören wollte Also, von der is das Kind. Das arme Ding haben wir derweilen bei uns aufgenommen, weil die sich einen Dienst sucht. Das is der ihr Kind, ja!"
Pauline sah ihre Mutter erschrocken an, ob der Lüge. Das Mädchen war auf einmal ganz bleich geworden. Gut, daß Wanda das Gespräch sofort an sich riß und über durchgebrannte Männer und fleine Kinder mit Kennermiene zu sprechen begann. Pauline schlich derweilen aus dem Zimmer. Gleich darauf hörte man sie in der Kammer das schreiende Kind beruhigen.
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Na, und sehen Se!" fuhr die Wittwe voll Eifer fort, was meine Pauline is, die hat Sie das Kind doch nu so lieb gewonnen, als wäre' s ihr eigenes. Wie eine zweite Mutter, mechte man sprechen, is das Mädel zu dem Kinde."
Darf man das Kleine einmal sehen?" fragte Ida. Frau Katschner lief ins Nebenzimmer und sprach dort halblaut ein paar Worte mit ihrer Tochter. Bald darauf kamen beide Frauen ins Zimmer zurück. Pauline trug den Jungen auf dem Arme.
Das Kind saß da, einen Finger im Munde, nur mit dem Hemdchen bekleidet, das Aermchen um den Nacken der Mutter gelegt, und blickte die fremden den Nacken der Mutter gelegt, und blickte die fremden Gesichter fragend und neugierig an. Es war ein dicker gesunder Junge, mit schönen Farben und kernigem Fleisch. Wer Gustav Büttner kannte, mußte dessen Augen wiedererkennen; im Uebrigen sah das Kind Paulinen unverkennbar ähnlich.
Die Komtessen verhielten sich sehr verschiedenartig dem Kleinen gegenüber. Wanda war äußerst wortreich, lobte und kritisirte und gab ihrem Mißfallen Ausdruck, daß der Junge keine geraden Beine habe. Das sei ein sicheres Zeichen für„ Englische Krankheit", erklärte sie kategorisch. Frau Katschner hatte zwar noch nie in ihrem Leben von diesem Leiden gehört, der Komtesse zu Gefallen aber that sie, als halte sie das für sehr wahrscheinlich und erkundigte sich, was man dagegen anwenden müsse. Wanda war offenbar nicht ganz vorbereitet auf diese Frage, nach einigem Ueberlegen entschied sie:" Moor= bäder sind das Beste!"
Ida betrachtete inzwischen das Kind aufmerksam mit nachdenklichen Augen. Sie lächelte es an, er= griff eines seiner Händchen und versuchte auf diese Weise, Freundschaft mit dem Kleinen zu schließen. Während sich Wanda und Frau Katschner weiter über die Englische Krankheit unterhielten, erkundigte
sie sich nach dem Leben und Treiben des Kindes. Pauline thaute dabei ganz auf. Jezt, wo sie von dem Wichtigsten sprechen konnte, was es für sie auf der Welt gab, fand sie ihre gewöhnliche Lebhaftigkeit und Offenheit wieder. Das Eis war gebrochen. Nicht mehr die Komtesse stand vor ihr, sondern eine Frau wie sie, der sie ihr Herz rückhaltlos ausschütten durfte. Bald wußte Ida Alles über das Kind, seine Angewohnheiten und Liebhabereien. Der fleine Gustav wurde aufgefordert, die paar Worte, welche er angeblich sprechen konnte, aufzusagen; wohl aus Aengstlichkeit vor den Fremden versagte er jedoch völlig mit seinen Sprechkiinsten.
Nach einiger Zeit wurde Wanda ungeduldig, sie zog die Schwester an der Hand; man müsse nun fort. Sie hätten ja noch ein paar andere Armenbesuche" im Dorfe zu machen.
Ida bat Pauline beim Abschiednehmen, sie bald einmal auf dem Schlosse zu besuchen. Dem Kleinen füßte sie die Händchen mit einem innigen Ausdruck in ihren stillen Zügen, wie er finderliebenden Frauen eigen ist.
Der Pony hatte sich inzwischen das Gras des Katschnerschen Gartens schmecken lassen. Wanda Tegte selbst mit Hand an beim Anschirren. Die Komtessen nahmen im Wägelchen Plaz. Wanda ergriff Peitsche und Zügel, der Groom saß hinten auf, und fort ging's den schmalen Weg zur Dorfstraße hinab.
Pauline brachte das Kind in die Kammer zurück, dann schürzte sie ihr Kleid wieder auf und machte sich schweigend ans Scheuern. Frau Katschner nahm die Arbeit nicht wieder auf, sie beschäftigte sich vielmehr mit dem Zurechtmachen der Vesper. Von Zeit zu Zeit warf sie einen Blick nach der Tochter, forschend, ob die nicht endlich was sagen würde. Pauline bürstete und rieb, als ob ihre Seligkeit davon abhinge, daß die Diele rein würde.
Es schwebte etwas ungelöstes, Schwüles, ein Vorwurf, zwischen Mutter und Tochter.
Willst De ne vaspern, Pauline?" fragte die Mutter endlich. Ich ha' der dohie wos zurechte gemacht."
,, Laßt act, Mutter! Ich ho' teenen Hunger ne!" sagte das Mädchen und vermied es noch immer, die Mutter anzusehen.
Frau Katschner, die am Tische saß, hatte sich ihr Brot mit Quark gestrichen, von Zeit zu Zeit führte sie mit dem Messer ein Stück nach dem Munde. Pauline war inzwischen aufgestanden, sie stand jetzt am Ofen, den Zuber vor sich auf der Ofenbank.
, Was meenst De wohl, Pauline," begann Frau Katschner von Neuem das Gespräch:" wenn mer's, und mir hätten's den Kontessen derzahlt von Deinen Kleenen, daß der von Dir is, wos meenst De wohl, wos die fir a Gesichte derzut gemacht haben mechten haa?"
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" Ich weeß nich, Mutter!" sagte Pauline nur. Sie wandte der Mutter den Rücken zu und rang mit Aufbietung aller Kraft den Hader aus.
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Mit suwas darf man der Art garne kimma. Das vertragen se ne. Do is glei alle. Das kenn' ich. Die Gräfin, su ne hibsche Frau, wie das war, aber wenn a Madel, und se that sich vergassen... ne! Da flog se glei naus. Do gab's nischt uf'n Schlosse. Suwos darf man Denen garnich merken lassen."
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De Kontesse Jda is immer su gutt gewastgegen mich..." meinte Pauline mit stockender Nu hon Stimme. Das Weinen war ihr nahe. Sie er suwas vurgeradt, Mutter! Ich ho' mich su schamen missen. Su ane Liege! Ne, ich muß mich su sihre schamen, muß ich mich! Grade der Ida, die su gutt is!- Ne, Mutter, das war ne recht vun Sie!"
Pauline ließ ihren Thränen freien Lauf. Sie hatte sich auf die Ofenbank gesetzt, die Ellbogen auf die Kniee gestützt und verbarg ihr Gesicht in den Händen.
Frau Katschner war ärgerlich geworden. Sie sei verrückt, warf sie der Tochter vor, sie hätt's den Komtessen gleich auf die Nase binden sollen, das mit dem Jungen? Das sei das richtige Mittel, um sich bei solchen Damen beliebt zu machen!