Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Komtesse Ida mit ihrer Zimperlichkeit sähe gerade darnach aus, als ob sie dem Jungen dann noch was schenken würde. Und wenn Pauline nächster Tage aufs Schloß gehe, dann solle sie sich nur ja in Acht nehmen mit ihren Reden, daß sie sich nicht etwa verplappere.

Pauline hörte kaum mehr auf die Vermahnungen, die ihr die Mutter mit keifender Stimme ertheilte. Schließlich wurde es dem Mädchen zuviel. Sie lief in ihre Kammer, schloß hinter sich zu, nahm den Jungen aus dem Korbe und herzte und füßte ihn ab, unter Thränen.

VII.

Vor dem Kretscham in Halbenau hielt ein Ein­spänner. Die Kleidung des Kutschers   ließ darauf schließen, daß das Fuhrwerk aus der Stadt komme. Ein rothbärtiger Mann im grauen Ueberzieher und farrirten Hosen stieg aus und befahl auszuspannen. Dann begab sich der Fremde in den Gasthof.

In der Schenke befand sich nur Ottilie, die Tochter des Gastwirths. Harrassowiß betrachtete das Mädchen mit jenem spürenden Blick, den er für alle Frauen hatte, mochten sie hübsch sein oder häßlich. Ist der Herr Papa zu Hause?" fragte er. Denn Sie sind doch das Fräulein Tochter. Ich bin Samuel Harrassowitz aus der Stadt, Ihr Herr Vater kennt mich."

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Ottilie zog einen schiefen Mund, was sie immer that, wenn sie verlegen war, und meinte, sie werde nach dem Vater schicken. Sie begab sich in das nebenan gelegene Schnapsgewölbe, wo ihr Bruder Richard mit Umfüllen von Likören beschäftigt war, und sagte ihm, wer da sei. Ach, Sam!" meinte Richard. Wer ist denn das?" fragte Ottilie nen­gierig. Sam is Sam!" erklärte Richard. Geh, sag mirs doch!" Thu'n doch selber fragen, dumme Gans!" meinte der liebenswürdige Bruder, streckte dem Mädchen die Zunge heraus und ging, den Vater zu rufen.

Ottilie fehrte ins Gastzimmer zurück. Sie war nun doppelt neugierig geworden, wer der fremde Herr sei. Das Mädchen hatte nicht viel Besseres vor auf der Welt, als sich um Anderer Angelegen heiten zu kümmern. Sie war meist unbeschäftigt und hatte Zeit, allerhand Gedanken nachzuhängen, von denen die meisten thöricht waren.

Ottilie war groß und mager, mit unverhältniß­mäßig langem Oberkörper, flacher Brust und heraus stehenden Hüftknochen. Weibliche Fülle und Run­dung war ihr versagt. Aber aus ihrer Art, ver­legen zu lächeln, den Kopf bei Seite zu legen und vielsagend dreinzublicken, sprach Gefallsucht, die, ihrem reizlosen Körper zum Troße, die Blicke auf sich zu lenken trachtete. Sie hatte wenig vom Bütt­nerschen Blute in sich. Mit ihrer unreinen Haut­farbe, der birnenförmigen Kopfform und dem fliehen­den Kinn war sie eine echte Kaschel.

Ottilie machte sich hinter dent Schenktisch zu schaffen. Vielleicht würde der Fremde sie doch noch einmal anreden.

Harrassowitz   that ihr auch wirklich den Gefallen. " Fräulein, wollen Sie sich nicht ein bischen zu mir sezen; ich bin hier so alleine."

Linkisch, mit ihrem scheuen Lächeln, kam Ottilie hinter dem Schenktische vor. Ich bin so frei!" Damit setzte sie sich an den Tisch.

Sam ließ seine Blicke in unverfrorener Weise auf ihrer Gestalt herunikreuzen, während sie mit scheinbar niedergeschlagenen Augen, ihn dabei von der Seite anschielend, dasaß. Darf ich mir wohl erlauben," sagte er, ihr vertraulich zulächelnd:" Ihre Hand ist noch nicht vergeben?"

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Aber ich bitte sehr, mein Herr!" rief sie, von ihm wegrückend, mit einer Miene, der man deutlich absehen konnte, daß ihr die Frage im Grunde genommen garnicht unangenehm war.

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Das ist mir eigentlich erstaunlich", meinte er.

Ein solches Fräulein: ledig! Die Tochter des Herrn Ernst Kaschel! Da wüßte ich manchen jungen Herrn..."

Zu Ottiliens großem Leidwesen trat hier der Vater ein, und die Unterhaltung wurde an der inter­essantesten Stelle unterbrochen.

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Guten Tag, Herr Harrassowiß!"

, Guten Tag, mein lieber Herr Kaschel!"

Die beiden Männer lachten sich an, wie Zwei, die einander genau kennen, und schüttelten sich kräftig die Hände.

, Recht lange nicht mehr bei uns gewesen, Herr Harrassowiz."

Der Händler blickte dem Gastwirth in die schlauen Augen und meinte, er wolle sich hier draußen nur mal ein bischen nach den Ernteaussichten" umsehen. Kaschelernst lachte über diese Bemerkung, als sei das der beste Wiz, den er seit Langem gehört habe.

Der Wirth schickte Ottilie nach Gläsern, er selbst holte eine Flasche herbei. Den Getreidefiimmel müsse Harrassowiz mal kosten, das sei was Extra­feines. Er schenkte ein.

Man sprach über die Feldfrüchte, über Wetter und Viehseuche. Aber das waren Alles nur Plän­feleien. Die Beiden kannten und würdigten sich. Kaschelernst wußte ganz genau, daß der Händler nicht um Schnickschnacks willen nach Halbenau ge­kommen sei. Einstweilen gefiel es aber Beiden, sich mit solchen Versteckenspielen zu unterhalten.

Sam begann endlich ernsthaft zu sprechen, was er dadurch andeutete, daß er näher an den Gast­wirth heranrückte und die Stimme senkte. Kaschel­ernst schickte die Tochter, die sich hinter den Schenk­tisch zurückgezogen hatte, hinaus; nun konnte ein vernünftiges Wort" unter Männern gesprochen werden.

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Ihr Schwager, Herr Kaschel?" rief der Händler mit gut geheucheltem Erstaunen. Das ist mir ja hochinteressant zu hören! Ich habe dem Manne nämlich Geld verschafft. Das ist mir sehr lieb, daß Sie mit ihm verwandt sind; sehr lieb ist mir das! Nun ist mir der Bauer noch einmal so viel werth, denn Sie werden Ihren Schwager doch nicht sißen lassen in der Patsche

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was?" Kaschelernst machte ein ganz dummes Gesicht. Es war so dumm, daß man die Pfiffigkeit, die sich dahinter verbarg, leicht merkte. Der Händler lachte hell heraus und der Wirth stimmte ein. Sie hatten einander wieder mal erkannt, die beiden Biedermänner.

Na, ich will mirs mal ansehen, das Gut Ihres Herrn Schwagers," sagte Harrassowiß, ließ sich den Weg beschreiben und schritt dann die Dorfstraße hinab. ( Fortsetzung folgt.)

1848-1898.

Achtzehnhundert und vierzig und acht, Als im Lenze das Eis get. acht, Tage des Februar, Tage des Märzen, Waren es nicht Proletarierherzen, Die voll Hoffnung zuerst erwacht Achtzehnhundert und vierzig und acht? Herwegh. enn ein Baum fallen soll, muß die Art an die Wurzeln gefahren sein mit scharfem Hieb; wenn ein Bau stürzen soll, muß das Fundament rissig und bröckelig geworden sein. Die Jahre der Reaktion, welche auf die napoleo­

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Der Händler erkundigte sich nach den Verhältnischen Freiheitskriege" folgten, durch die des Volkes nissen der verschiedensten Personen: Bauern, Guts­besizer, Handwerker. Kaschelernst framte seine Kennt­nisse aus mit der Miene eines schadenfrohen Menschen. Man konnte ihm den Hochgenuß ansehen, mit dem ihn Unglück, Fehltritte und Dummheit seiner Mit­menschen erfüllten.

Wenn er von einem Bauern erzählte, der vor dem Bankerott stand, lächelte er. Er lächelte auch, als er berichtete, daß ein Anderer Feuer an seine Scheune gelegt habe. Und ausschlitten wollte er sich geradezu vor Lachen, als er dem Händler hinter­bringen konnte, ein Stellenbefizer habe sich neulich aufgehängt, weil ihm die Gläubiger die Kuh aus dem Stalle weggepfändet hatten.

Kaschelernst schien alle Leute in der Runde zu kennen und über die Verhältnisse von Allen Bescheid zu wissen. Harrassowiz lauschte mit größtem Inter­esse, ja mit einer Andacht, als verkünde Jener ein Evangelium, wenn er erklärte: der Bauer Soundso werde sich nicht länger, als höchstens noch zwei Jahre werde sich nicht länger, als höchstens noch zwei Jahre halten, oder Der und Der sei durchaus kreditfähig, da er einer sicheren Erbschaft entgegensehe.

Man hatte bereits mehrere Glas von dem Kümmel vertilgt, welcher dem Händler zu schmecken schien.

Endlich schien Harrassowiß genug Weisheit ein­gesogen zu haben, er erhob sich. Er habe noch einen fleinen Gang ins Dorf vor, erklärte er.

So, so!" meinte Kaschelernst. Hier in Halbenau is doch jetzt nischt zu machen für Sie." Ach doch!

gut ansehen."

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Ich will mir mal' n Bauern­

Raschelernst spißte die Ohren. Aber bei Leibe wollte er sich keine Neugier anmerken lassen. Welches denne?" fragte er scheinbar nebenhin.

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Sam that, als habe er die Frage überhört. Es soll ein schönes Gut sein," meinte er. Felder, Wiesen, Alles prima! Auch die Gebäude im Stande. Natürlich sind tüchtige Schulden darauf. Die Bauern sind ja alle verschuldet. Ich will mir's mal be­sehen," damit wollte er gehen.

Daß Sie sich nur nicht verlaufen in Halbenau, Harrassowizz!" sagte Raschel, ihm folgend. Hier giebts viele Güter, große und Kleene. Zu wem wollen Se denne?"

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Auf das Büttnersche!"

Raschelernst zuckte mit keiner Wimper, als er den Namen seines Schwagers hörte. Harrassowiz firirte ihn scharf., Kennen Sie das Gut? Ich interessire mich dafür."

Der Wirth zuckte die Achseln und nahm eine geheimnißvolle Miene an. Er dürfe nichts sagen, meinte er, der Besizer sei sein Schwager.

Kraft die Staaten der deutschen Fürsten   gerettet hatte aus Noth und Tod, sie waren emsig dazu benutzt worden, die Wurzeln der Volkskraft, die Fundamente des Gesellschaftsbaues zu zerstören. Die Gewalthaber ließen sich wohl gern den ungefügen Riesen Volt gefallen, wenn er für sie frohnte, ihnen die Kastanien aus dem Feuer holte! Aber unheimlich ward ihnen der funkelnde Blick seines Auges, der schwellende Muskel seines Armes, die Wucht seiner Fäuste bei dem Gedanken, der blöde Sklave könne einmal all diese Hülfsmittel in seinem ureigensten Interesse verwenden und seine Sklavenketten brechen. Sie machten es mit dem deutschen   Volke, wie König Nidung der altnordischen Sage mit Wieland, dem funstreichen Schmied, dem die Flechsen an den Füßen

zerschnitten wurden im Auftrage des Neid- Königs, dem er wehrliche Waffen und herrliche Geschmeide schmieden, aber als gelähmtes Haus- und Nußthier in Sklaverei frohnden mußte, nicht frank und frei hingehen konnte, wohin er wollte, wirken, was er

wollte.

Das ist das Bild des Proletars im Sklaven­dienſte der Macht und des Besitzes!

Aber hiite Dich, König Nidung! Die Fabel geht weiter, wie das wilde Lied vom gewaltigen Schmied Wieland   fiindet!

Schreckliche Nache hat er genommen an seinem Beiniger, und mit seiner Kunst ein gewaltiges Flügel­paar sich bereitet und in die Lüfte sich geschwungen in Regionen, wo König Nidungs Macht ein Ende hat!

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Das alte Lied vom Undank, der der Welt Lohn ist, flingt und singt, und summt und brummt heuer in Flur und Feld, in Stadt und Land, in Wald und Gebirg. Nicht nur aber von schwarzem Undank singt das Lied, es singt auch von mörderischem Verrath, von blutiger Untreue, wie der grause Bolks­sang von Siegfrieds meuchlerischer Ermordung:

Er rampf sich bitterliche, als ihm die Not gebot. Er sprach da jämerliche: Mein mordlicher Tod Mag euch wohl gereuen hernach diesen Tagen, Glaubt mir bei meiner Treue: daß ihr euch selber habt erschlagen.

Die Theilnehmer und Nußnießer von Hagens und Gunthers Hochverrath an dem Lichthelden Sieg­fried schicken sich freilich schlecht zu Weihepriestern und Lobsängern bei einem Feste zum ehrenden Ge­dächtniß seiner herrlichen Thaten und unendlich großen Verdienste!

Wie kann das Bürgerthum von 1898, voll Beulen des Servilismus, gequält von Gewissens­