Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

die Are der Räder übertragen, die somit ebenfalls in Umdrehung versetzt werden. Bei der Strom­erzeugung und Stromzuführung sind nun verschiedene Methoden in Gebrauch, so daß man verschiedene Systeme elektrischer Bahnen unterscheidet.

Das Gebräuchlichste ist, daß der Strom in einer großen Zentralstation erzeugt und durch eine be= sondere Leitung den einzelnen Wagen zugeführt wird. Hierbei wäre es natürlich am rationellsten, als Be­triebskraft das strömende Wasser zu benutzen, falls es in genügender Menge vorhanden ist; dies ist z. B. für die nordamerikanische Stadt Buffalo der Fall, die etwa dreißig Kilometer von den berühmten Niagara­fällen entfernt liegt. Von den dort befindlichen Elektrizitätswerken erhält die Stadt den Strom zu ihrer Beleuchtung sowie auch den zum Betrieb ihrer Straßenbahnen. Wo das nicht der Fall ist, wie in den meisten Städten Deutschlands  , werden die Dynamos   in der Zentralstation durch große Dampf­maschinen angetrieben; so besitzt die Budapester Zen­tralstation elf Dampfmaschinen von etwa viertausend Pferdekräften; die beiden größten haben allein je acht­hundert Pferdekräfte. Drei weitere große Dampf­maschinen von je siebenhundertfünfzig Pferdekräften sind für den Betrieb der unterirdischen elektrischen Bahn noch hinzugekommen.

Die Art, in welcher der in der Dynamomaschine erzeugte Strom den einzelnen Wagen zugeführt wird, ist sehr verschieden. Die erste einem größeren Publi­fum vorgeführte elektrische Bahn war die von Siemens und Halske   auf Veranlassung von Werner Siemens  gebaute kleine Lokomotive, die 1879 auf der Ber­ liner   Gewerbeausstellung ausgestellt und in Betrieb gesetzt wurde, wobei sie mehrere kleine mit Personen besezte Wagen zog. Diese Lokomotive, die später auch in Düsseldorf  , Frankfurt   a. M., Wien  , Bres­ lau  , sowie in Paris   ausgestellt wurde, erhielt ihren Strom mittelst einer zwischen den Fahrschienen lie­genden Kupferröhre, die mit der Dynamomaschine der Zentralstation in Verbindung stand. In ihr bewegte sich ein Schlitten, von dem ein Draht durch einen Schliz an der Oberseite der Röhre zu dem am Untergestell des Wagens befindlichen Motor führte; nachdem er diesen durchlaufen, kehrte er durch die Fahrschienen zur Zentralstation zurück. Zwei Jahre später wurde die erste elektrische Bahn dem öffent­lichen Verkehre übergeben; sie führte vom Anhalter Bahnhof   in Groß- Lichterfelde   bei Berlin   bis zur dortigen Hauptkadettenanstalt; bei ihr führte die eine Fahrschiene den Strom dem Motor zu, die andere leitete ihn wieder zur Zentralstation zurück, ein System, das keine Nachahmung gefunden hat und bei der späteren Erweiterung dieser Bahn nicht wieder angewendet wurde. Einerseits verursacht die noth­wendige Isolirung der beiden Schienen erhebliche Kosten, andererseits ist dieses System auch für Menschen und Thiere, die den Bahndamm über­schreiten, nicht ungefährlich, da bei einer zufälligen Berührung beider Schienen der volle Strom durch den Körper gehen würde. Achtzehnhundertzweiund­achtzig stellte Siemens Versuche zwischen Westend   und dem Spandauer Bock bei Berlin   an; hier befand sich auf Säulen neben den Geleisen ein Draht, von welchem der Strom mittelst eines achträdrigen Kontaktwagens zum Motor geleitet wurde, während die Fahrschienen zur Rückleitung dienten. In den nächsten Jahren wurden noch einige weitere elektrische Bahnen aus geführt, so die Praterbahn in Wien  , die Straßen­bahn in Mödling   bei Wien   und die Bahn zwischen Sachsenhausen   und Offenbach   bei Frankfurt   a. M. Dann aber trat eine mehrjährige Pause ein, so daß es fast schien, als sollten die elektrischen Bahnen bereinzelt bleiben und zu keiner allgemeinen Bedeu tung gelangen. Indessen entwickelten sie sich in dieser Zeit in Amerika   zu einer bedeutenden Höhe; hier wurde die erste elektrische Bahn 1883 auf der Aus­stellung in Chicago   gezeigt, 1884 wurde der Bau der ersten Strecke zwischen Windsor und Baltimore  in Angriff genommen und 1885 dem Verkehr über­geben. Wie rasch dann die Entwickelung erfolgte, mögen einige Zahlen illustriren: 1887 bestanden bereits 21 Gesellschaften, die 137 Kilometer Geleis­länge und 172 Wagen besaßen; in zehn Jahren stieg die Zahl der Gesellschaften auf 698, die elektrisch

betriebene Geleislänge auf 21 750 Kilometer und die Wagenzahl auf 37097. In Europa  , wo 1891 eine elektrische Bahn in Halle eröffnet wurde, ging die Entwickelung in den letzten Jahren auch in rascherem Tempo vor sich; doch halten die analogen Zahlen mit den amerikanischen   keinen Vergleich aus.

Weitaus die meisten elektrischen Bahnen erhalten ihren Strom durch oberirdische Zuleitung von einer Zentralstation aus. Von dieser führt ein meisten­theils von schmiedeeisernen Säulen oder Masten ge­tragener Draht über den Geleisen entlang; an ihm schleift ein metallener Bügel oder läuft eine Draht­rolle, auf die der Strom übergeht, der dann mittelst einer Drahtstange zum Motor des Wagens geführt wird, von wo er durch die Fahrschienen zur Zentrale zurückkehrt. Auf einigen Strecken ist auch die unter­irdische Stromzuführung angewendet; hierbei wird unter der Erde ein Kanal aus Beton gemauert, der die Leitungsschiene aufnimmt. An ihr gleitet ein Schlitten, von dem der Strom durch eine Stahl­stange zum Motor des Wagens geführt wird. Der Wagen selbst läuft auf zwei Schienen, von denen die eine die gewöhnliche Rillenschiene ist, während die andere eine Doppelschiene ist, deren beide Theile einen Schlitz von einigen Zentimetern zwischen sich haben. Durch diesen Schlitz   geht die Stahlstange zu der Leitschiene in dem ebenfalls geschlitten Kanal; Die Doppelschiene ruht auf gußeisernen Böcken, die den Betonkanal umschließen und ihm als Stüßen dienen. Ein besonderer Vorzug dieser unterirdischen Stromzuführung besteht darin, daß man ohne erheb­liche Kosten eine zweite, zur Rückleitung dienende Schiene in den Kanal hineinbringen kann; wird so die Rückleitung durch die Erde vermieden, so fallen alle mit derselben verbundenen Unzuträglichkeiten, 3. B. Störungen in unterirdisch verlegten Telephon­und Telegraphenleitungen fort. Auch kann man eine etwa nothwendig werdende Ausbesserung der Schienen ohne Störung des Betriebes vornehmen, indem man zeitweilig die Rückleitung des Stromes durch die Erde erfolgen läßt und nur eine der beiden Leitungen im Kanal zur Stromzuführung benut.

Ein noch seltener angewendetes System ist das der Akkumulatoren. Ein Affumulator oder Sammler besteht aus zwei Metallplatten, meist Blei und Blei­oryd, die in eine Säure tauchen; durch solche Zellen oder Elemente läßt man in der Kraftstation einen Strom gehen, wodurch in der Säure ein chemischer Prozeß hervorgerufen wird, durch den die Metall­platten mit verschiedenen Gasschichten überzogen werden. werden. Verbindet man sie dann unter sich, so geben sie den vorher hineingeschickten Strom zurück, und zwar hält er so lange an, bis durch den jeßt in umgekehrter Richtung verlaufenden chemischen Prozeß die Metallplatten von den Gasschichten wieder befreit sind; die beiden Vorgänge nennt man das Laden und Entladen der Akkumulatoren. Befindet sich eine in der Kraftstation geladene Sammler­batterie auf dem Wagen, so kann der von ihr ge­lieferte Strom den Elektromotor natürlich in Be­wegung setzen. Hierbei hat man den großen Vor­theil, daß alle Wagen von einander und von der Kraftstation vollständig unabhängig werden; doch ist die Behandlung der Affumulatoren vorläufig noch immer derartig umständlich, daß sie sich bisher erst auf wenigen Strecken eingebürgert haben. Dagegen hat ein in Hannover   angewendetes gemischtes System, wobei abwechselnd oberirdische Stromzuführung und Akkumulatoren benutzt werden, große Aussicht auf weitere Verbreitung. In den Außenbezirken fahren die Wagen mit oberirdischer Stromleitung; derselbe Strom, der den Motor des Wagens in Bewegung seßt, ladet aber gleichzeitig die Akkumulatorenbatterie, und die Ladung, die diese erhält, reicht dann aus, um den Wagen in der inneren Stadt zu treiben, bis er wieder in die Vorstadtbezirke zurückkehrt, wo die Batterie während der Fahrt von Neuem geladen wird.

Die Vorzüge, die der elektrische Betrieb vor anderen Betriebsweisen voraus hat, sind mannig facher Art. Vor Allem ist er bedeutend billiger, als der Pferdebahnbetrieb: sowie eine Steigung stärker wird, als 1 Meter für 40 Meter Länge, sind Vorspannthiere erforderlich; dabei sind aber Steigungen von 1 Meter für 25 Meter Länge in

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unseren Großstädten gar keine Seltenheit. Der Elektromotor dagegen nimmt selbst Steigungen von 1 Meter für 10 Meter Länge außerordentlich leicht; man braucht nur genügende Widerstände aus der Bahn des Stromes auszuschalten, um hinreichend starke Intensität zu erhalten. Ueberhaupt ist die außerordentlich einfache und bequeme Regulirbarkeit der Stromstärke ein Vorzug, den der Elektromotor vor jeder anderen Betriebsart voraus hat. starkem Schneefall im Winter stockt, wenn nicht der ganze, so doch der halbe Pferdebahnbetrieb; die­jenigen Wagen, die überhaupt fahren, kommen trotz des Vorspannes nur mühsam und langsam vorwärts, auf vielen Strecken fällt die Hälfte aller Wagen aus und an eine Einhaltung des fahrplanmäßigen Be­triebes ist überhaupt nicht zu denken. Also gerade an solchen Tagen, an denen man die Pferdebahnen in erhöhtem Maße in Anspruch zu nehmen wünscht, versagen sie vollständig, und auch an normalen Tagen sind sie völlig außer Stande, in den Stunden des größten Verkehrs in den Großstädten den Verkehr zu bewältigen. Dazu kommt ihre ungeheure Lang= samkeit; 10 bis höchstens 12 Kilometer legen sie in einer Stunde zurück, während die elektrischen Bahnen mit Leichtigkeit auf 20 und 30 Kilometer gebracht werden können. Freilich liegt hier ein wunder Punkt vor: Die elektrischen Wagen können wohl außerordentlich reich fahren; geht es aber an, sie in einer verkehrsreichen Straße so schnell dahin­sausen zu lassen? Sicherlich muß man auch auf den übrigen Straßenverkehr Rücksicht nehmen und die Geschwindigkeit mäßigen; sollen aber wir, deren Zeitalter doch im Zeichen des Verkehrs steht, des= halb gezwungen sein, unsere kostbare Zeit im Bahn­wagen zu versäumen, anstatt sie nüßlich anzuwenden! Wir können daraus nur den Schluß ziehen, daß für den großstädtischen Schnell- und Massenverkehr der schwerfällige Pferdebahnbetrieb durchaus veraltet ist und dem elektrischen je eher, desto lieber Plaz machen muß; dieser darf aber nicht im Straßen­planum vor sich gehen, wo er seine Vorzüge nicht entfalten kann, sondern muß einen eigenen Weg oberhalb oder unterhalb der Straße angewiesen bekommen.

Natürlich war es die verkehrsreichste Stadt der Welt, der Mittelpunkt des Welthandels, die Niesen­stadt London  , wo sich diese Nothwendigkeit am ersten und fühlbarsten bemerklich machte. Da Pferdebahn und Omnibus den Riesenverkehr nicht bewältigen konnten, so schritt man schon in den siebziger Jahren zum Bau von unterirdischen Eisenbahnen; aber trot des gewaltigen Verkehrs, der auf ihnen herrscht, rentiren sie sich nicht, weil der Bau 9,2 Millionen Mark für jedes Kilometer verschlang. Daher ist man dort in neuerer Zeit zu elektrischen Untergrund­bahnen übergegangen, von denen London   zur Zeit drei besitzt; 13-20 Meter unter der Straße fahren die Wagen in Tunneln, deren lichter Durchmesser 3,2-3,7 Meter beträgt. An den Stationen be­finden sich Aufzüge, durch die die Personen auf die Straße herauf und ebenso zur Bahn in die Tiefe hinab befördert werden. Trotz der erheblichen Kosten, die eine solche Anlage verursacht, kostete die Fertig= stellung jedes Kilometers bei zweien der drei Bahnen 4,1, bei der dritten 6,3 Millionen Mark, also er­heblich weniger, als die für Dampfbetrieb ein­gerichteten. Billiger noch sind elektrische Hochbahnen, die allerdings einen Theil der Straße fortnehmen; Liverpool besitzt seit 1893 eine solche, deren Bau nur 1,2 Millionen Mark für jeden Kilometer er­forderte. Vergleicht man das mit den Kosten einer hochgeführten Eisenbahn, z. B. der Berliner Stadt­bahn, die 5,1 Millionen Mark pro Kilometer kostete, so springt der Unterschied in die Augen. Dazu kommt noch der Umstand, daß beim elektrischen Be­trieb aller lästige Rauch in den Straßen fortfällt, was auch bei den Untergrundbahnen diesem Betrieb gegenüber der Dampflokomotive einen unschäßbaren Vorzug gewährt.

Den genannten Bahnen gesellt sich noch eine weitere zu, die ebenfalls unterhalb des Straßen­pflasters fährt, die schon erwähnte elektrische Unter­pflasterbahn in Budapest  . Hier ist dicht unter der Straße von der Schiene bis zur Straßensohle

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