Die Tene Welt

Nr. 8

Bllustrirte Unterhaltungsbeilage.

Im Spiel des Lebens.

Huf und nieder

Schwankt die Waage

Deiner Tage,

Wie sich füllen

Ihre Schalen,

Diese hoch und jene tief.

Laß sie sinken,

Laß sie steigen,

Diese hoch und jene tief...

Du nur zwischen beiden stehe Unbeirrt in deinem Ziel, Stark und fest, als Halt und Träger, Als gerechter Gleicher und Wäger,

Gerichtsrath Johnmann.

A

Novelle von G. Macasy.

( Schluß.)

m Tage nach diesem ersten verunglückten Ver­suche, sich aus dem Fenster zu stürzen, ging der Nath in Begleitung Joachims im Garten der Irrenanstalt spazieren. Er schien die Ereignisse von vorher ganz vergessen zu haben und war fried­licher und guter Laune.

"

,, Vergiß die Aften nicht!" sagte er zu Joachim. ,, Nein, Herr Rath!"

Eine Weile schwieg er und ging nachdenklich vor sich hin. Dann sagte er: Und die Deklination! Man sagt: die Kröte, der Kröte-. Besonders der Singular ist wichtig. Das vertreibt die Angst. Man kann aber auch andere Worte gebrauchen der Hals, das Messer- eine Menge. Auch im Plural kann man sie gebrauchen. Aber das erfordert viel Nachdenken. Am besten eignet sich Ströte. Kröte ist ein gutes Wort."

Inzwischen sette oben der Schlosser ein neues Gitter ein.

Als der Nath in sein Zimmer zurückgekehrt war, untersuchte er in einem Augenblicke, wo er unbewacht war, das Gitter.

" Seltsam!" dachte er. Ich habe es durch gefeilt, ganz durchgefeilt. Die Stäbe unten und zwei Querstäbe. Und jetzt ist es wieder ganz."

Er stand lange und überlegte. Er rüttelte an den Stäben, aber sie gaben nicht nach.

Bwei Lieder. Lieder.

Von Cäsar Flaischlen .

Still und ruhig, über ihrer Gaben jede Stunde wechselnd: Leisem Auf- und Niederspiel!

*

Einem Kinde.

Hei nicht traurig, Sei nicht traurig

Es ist heute nur So trübe,

Es ist heute nur So schwer!

-

Morgen blitzt die Sonne wieder, Leuchten Rosen weiß und roth, Und das Lerchenlied der Hoffnung

-

Jubelt in den hellen Morgen, Jubelt in den blauen Himmel, Siegreich über Leid und Noth!...

Quillt und schwillt mit jungen Kräften, Quillt und schwillt mit junger Lust Lebenwarm dir in die Brust,

Weckt und wappnet deine Seele Glaubenfroh zu neuer Wehr!..

Sei nicht zag drum,

Sei nicht traurig

Es ist heute nur So trübe,

Es ist heute nur So schwer!

Dann dachte er: Nein. Ich habe es nicht durchgefeilt. Ich wollte es erst durchfeilen. Die Feile, der Feile, der Feile ich wollte es durch= feilen, aber ich fand die Feile Akkusativ nicht. Akkusativ nicht. Aber ich werde mir jetzt die Feile holen." Er trat zur Thür, die verschlossen war. Eben tam Joachim herein.

"

" 1

-

Was suchen Sie, Herr Nath?"

Nichts. Ich deklinire."

Verlegen drehte sich der Rath um und murmelte: Die Spinne, der Spinne."

Seit jenem Tage aber machte er feinen Versuch mehr, das Gitter zu durchfeilen.

*

*

Der Sommer verging. Der Rath war ganz ruhig und friedlich ge­worden wie ein Stind.

Stillvergniigt saß er tagaus, tagein am Fenster und schaute über die Mauer hinüber in den Garten, dessen Laub sich immer röther und fahler färbte. Und er freute sich, wenn er die Vögel singen hörte. Er lauschte auf jeden Ton und fand Melodien heraus aus imaginären Musikwerken. Oder er ging umher und deklinirte leise vor sich hin. Er suchte sich ein und deklinirte leise vor sich hin. Er suchte sich ein Wort und deflinirte es. Wenn er ein Geräusch an den Dielen hörte, deklinirte er: die Maus, der Maus. Und er fand, daß es ein gutes Wort sei. Wenn ihm Joachim beim Anziehen half, deklinirte er seine ganzen Kleider, und bei jedem Stück fand er, daß es ein gutes Wort sei.

1898

Eines Tages sagte Doktor Grau, der oft ins Haus fam, zur Räthin:" Nun ist alle Gefahr vorüber. Er wird schwachsinnig bleiben und ganz zum Kinde werden. Aber er wird immer gut und harmlos sein. brauche ihn jetzt garnicht mehr zu bewachen." Und er rieth ihr, den Rath aus der Anstalt zu nehmen und ihm den Wärter zu behalten.

Man

Aber die Näthin wollte nichts davon wissen. Sie dachte: Ich lasse mich nicht betrügen. Er verstellt sich. Er merkt, daß er dort seinen Plan nicht ausführen kann. Er verstellt sich nur, um endlich zum Ziele zu gelangen." Und sie blieb dabei, daß er in der Anstalt bleiben solle.

Ein anderes Mal sagte Doktor Grau: Haben Sie keine Sorge mehr! Er läßt sich lenken wie ein Kind. Er kennt keinen Widerspruch. Wenn Sie ihm sagen, er soll essen, so wird er essen. Er wird die schlechtesten Speisen gut finden. Wenn Sie ihm befehlen, er soll zu Bette gehen, so wird er sich ohne Murren niederlegen. Wo Sie ihn hinsetzen, wird er sizen bleiben. Am besten ist es, ihn ganz sich selbst zu überlassen, er fühlt sich wohl und glücklich."

Endlich überredete der Doktor sie, daß sie den Nath wenigstens einmal besuche. Sie that es wider­willig. Aber sie ging doch mit dem Doktor.

Als sie eintraten, fanden sie den Nath, auf dem Boden sizzend, damit beschäftigt, einen Knäuel Wolle aufzuwickeln. Er beachtete sie kaum und war ganz in seine Arbeit vertieft. Als ihn der Doktor auf seine Frau aufmerksam machte, sah er sie an und nickte ihr freundlich zu.-