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Die Neue Welt. Illustrirte Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Strebens, fortgesettes Scheitern aller Eristenz bedingungen, getäuschte Freundschaft, betrogene Liebe, unheilbares Siechthum an Leib und Seele...
Das legt sich wie Mehlthau lähmend auf den Organismus, das bringt die Dede, das ertödtet die Energie. Und dann kommt die Verzweiflung an Allem, an sich selbst; dann kommt die Resignation, die Gleichgültigkeit. Man empfindet das Dasein als furchtbare Last und hat doch nicht den Muth, ihni durch reſolutes Zusammenraffen aller Kräfte eine bessere Wendung zu geben, oder aber durch frei willigen Tod ein plötzliches Ende zu machen
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In diese trostlose Dede springen dann am Ende die Panther der Begierden, die lauernden Dämonen des Lasters, der Leidenschaften da ist kein Halt da ist kein Halt mehr. Da frommt kein Gewissensmahner, kein Vorjaz, kein Wille zur Selbstbefreiung. Man versumpft, man versinkt im schwellenden Brodem des thierischen Lebens und die Gefängnißzelle, wenns gut geht, das Armenasyl oder gar die Irrenstation winft als letzte Etappe der Erlösung.
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überall bekannt wie' n Pudel. Sekt und Rothspon überall bekannt wie' n Pudel. Sett und Nothspon floß in Strömen. Weiber, Pferde, Kommerse, Diners foſteten immenses Geld. Na, war ja der einzige Junge und sein Alter hatt' es reichlich. Schließlich that der ihm noch den Gefallen, ins Grab zu beißen. Kolossale Erbschaft! Nun fing erst recht das Leben an. Erbgüter wurden peu à peu verfilbert. Berlin oder München heute, Monte Carlo oder Ostende morgen. Hazardspiele, Weiber, Pferdesport. Und dann hatte der Kerl fabelhafte Passionen. Ließ sich nie von deutschen Schneidern seine Anzüge bauen. Kanaillen" das! Aber Pariser Mode, ja das wäre ganz was Erquisites, Vornehmes! Fuhr immer extra nach Paris , sich neue Kleider anmessen zu lassen. Dito Anprobe in Paris . Na, Pariser Pflaster kostet schwer Geld. Und dann in Deutsch land zahlreiche Freunde, die auf des Barons Unkosten lebten, sybaritische Schlemmerfeste, mit WeiberDekoration natürlich, Vier- lang- fahren anders
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that ers nicht. Na und eines Tags war die ganze Herrlichkeit zum Teufel unser Baron saß auf Der„ Baron " war keiner von diesen Unglück dem Pflaster.... lichen, Beklagenswerthen.
Und als er nun, aufgefordert von jenen fröhlichen Zechfumpanen aus der Studentenschaft, Plaz nehmen durfte am Tische, war er plößlich ein Anderer. Mit peinlichster Grandezza verneigte er sich, faltete seinen schmierigen Filz zusammen, um ihn zwischen die spizen Kniee zu klemmen, strich mit den langen, feinen Fingern den Schnauzbart zurecht, zupfte den Rockfragen ordentlich in die Höhe und griff zum dargereichten Bierkruge.
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Mit Erlaubniß, meine Herren, Prost- ex..." Als er den Leeren abgesezt hatte, blickte er fiegsbewußt kollegial nach allen Seiten... Jeder Zoll Baron"! Und dann stimmte er mit frächzender Kehle das Goethesche„ Ergo bibamus" an.
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Alle lachten nnbändig.
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Unser Baron" zwickerte und kniff mit dem rechten Auge, so als trüge er darüber ein Fensterglas, recte monocle, wie ehemals und verzog die Mundwinkel zu einem sehr distinguirten baronlichen Lächeln.
Ja, meine lieben Coleurbrüder... Neues Lachen und„ Oho".
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„ Pardon, meine Herren! Aber man fühlt sich doch
nun einmal unter dem Plebs misera contribuens
nicht heimisch. Man kann, Sie wissen das sehr wohl zu würdigen, seinen Stammbaum nicht verleugnen. Geburtsadel- Kanaille bleibt doch Kanaille, meine Herren! Präsentirt mir irgend so'n lumpiger Plebejer ein Gläschen oder' ne Zigarre, nun da bin ich gerade fein Unmensch und akzeptire. Aber mit welch' kannibalischem Widerwillen! Mit welch' pyra= midaler Verachtung! Man hat nun einmal blaues Blut in den Adern, meine Herren! Und das Geschlecht Derer von Röckniz", das mir unser Baron" warf sich dabei mit der gespreizten Rechten stolz in die Brust anzugehören die Ehre hat, war niemals meiner unwiirdig.
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Bravo ! Bravissimo! Der„ Baron " hat Recht!" scholl es von allen Seiten. Und mancher der fidelen Couleurbrüder hielt sich sein feistes Bierbäuchlein vor Vergnügen, als der Herr Baron" etwas indignirt aufstand und sich empfehlen wollte.
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" Hollah, Barönchen, noch ein Schächtelchen Wachszündhölzer!"
Der Angerufene griff instinktiv in seine Stocktaschen und überreichte die Gewünschten nach verschiedenen Seiten gegen gnädigste Empfangnahme gegen gnädigste Empfangnahme von einem Silberzwanziger natürlich, worauf er stolz hinausschritt....
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„ Scheint ein närrischer Kauz zu sein, dieser Baron," ließ sich jetzt ein junges Füchslein vernehmen.
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,, Total verbummeltes Genie!" schnarrte mit sonorer Baßstimme ein bemoostes Haupt. Uebrigens, den kenn' ich schon manch' Semester. Und seine Lebensgeschichte fenn ich auch. Hat mehr wie sechzehn Semester Universitäten gebummelt. Kolleg natürlich immer geschwänzt. Fabelhaftes Rindvich, das. Aber
Aber nicht lange, hatt' Euch der Kerl den Einfall,' nem armen Teufel ein Loos der preußischen Klassenlotterie abzukaufen. Und, denkt Euch, gewinnt er den Haupttreffer! Daß nun der Tanz von vorne anging, ist selbstverständlich. Und das Geld rasch an den Mann zu bringen, dazu besaß der Mensch eine pyramidale Virtuosität bald saß er wieder auf....
Es mag nun unglaublich erscheinen, aber der Lotterieteufel warf ihm zum zweiten Male einen Haupttreffer in den Schooß....
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Nun war der Mann verloren. Dies Glück machte ihn blind und taub gegen alle Vernunft. Er vermaß sich darauf, wie der Graf in Uhlands„ Glück von Edenhall" da kam's nicht mehr wieder. Von Allen, die mit ihni gepraßt hatten, verlassen, sank er von Stufe zu Stufe und für den adeligen Namen Derer von Röckniz" giebt kein Versazamt einen rothen Heller! Canis a non canendo* Prost!"
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Seit Jahren ist der„ Ziindholzbaron" eine lächerliche Figur unter der Studentenschaft. Man uzt und äfft ihn, man treibt allerhand Muthwillen und Schabernack mit ihm.
Vollends in der Karnevalszeit! Da muß er den Bajazzo machen.
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Ach, das wär ja so lustig wenns nicht doch gar so traurig wäre!
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Aber unser Baron" empfindet nicht mehr die Tragik, welche mit ihm Komödie treibt. Ja, er
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bildet sich noch was darauf ein: er ist stolz auf das Epitheton Züindholzbaron", welches ihm einst ein bekneipter Bruder Studio in pamphletistischer Absicht an den Rockschooß geheftet und das nun an seinem Namen hängen blieb... Er mußte doch irgend einen Erwerb treiben der lieben Polizei wegen. Also handelte er mit Zündhölzchen. Nicht, daß er dabei eine jämmerliche Gristenz fände. Aber dies traurige Scheingewerbe hielt ihm doch alle polizeiliche Belästigung vom Nacken. Und dann hatte es ihn doch in studentische Kreise geführt, wo er nun seit Gedenken als Pilz auf ihren Bier- und Speisenresten wucherte, und wo er heimisch geworden war
- aus Tradition und studentischem Uebermuthe...
Was liegt auch dem an voller Tafel prunkenden Leben daran, wenn sich ein Auswürfling an den Tropfen und Schaumblasen erlabe, die es vom gährenden Kelche achtlos übermüthig versprigt!
Was fragt überhaupt das Leben nach Leben? Was fragt der blühende Weizen nach dem Unkraut, das an ihm herumschmarozt?
Was kümmert es Mutter Natur, wenn eins ihrer Individuen zur sachlichen Nummer, die nicht mehr zählt, heruntersinkt?
Und die Erde ist barmherzig: sie liebt den Edlen, den Höhenmenschen, wie den Unhold und Ueber
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* Hund wird„ ,, canis" genannt, weil er nicht singt( non canit).
zähligen mit gleicher Liebe. Ach, und sie zahlt mit gleichem Maße: Was uns vom Lebent übrig bleibt nach dem Tode, das bettet sie sorglich in ihrem weichen, fühlen Mutterschooße, das giebt sie einst als Staub- und Aschenhäufchen zurück, welches vielleicht als schillerndes Sonnenstäubchen vor dem lachenden Auge unserer Enkel auf und niederschwebt und um deren Freudenbecher als stummer Mahner kreist....
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Aus dem Papierkorb der Zeit.
Zu unseren Bildern.„ Hol' über!" tönt es laut und vernehmlich von den Lippen der jungen, kräftigen Bauerndirne, die gewiß schon eine geraume Zeit nach dem braun gebrannten Burschen im breiten Stechkahn ausgeschaut und gerufen hat.
Aber jetzt hat er sie auch verstanden, und das frohe Schwenken der Müze scheint zu sagen, daß er sie doppelt so schnell und sicher zum anderen Ufer bringen wird. Freilich, ob die Ueberfahrt für sie darum auch so billig werden wird, wie für jeden rbeliebigen Dritten?
Ihren Nickel wird er ihr zwar gewiß gerne schenken, aber aber es giebt auch noch anderen Fährenzoll, den solch ein junger Schifferknecht erheben könnte und der ihm viel werthvoller dünkt, als der schnöde Mammon. Wird sie ihm den alsdann verweigern, jetzt, da Alles ringsumher nach neuem Licht und Leben drängt, da der Frühling wieder über die Berge gestiegen ist und auch die Menschenbrust aufs Neue ein unbestimmtes Sehnen nach Sonnenglanz und Glück und Liebe schwellt?
Ach! und wie bald, wie bald ist Jugendkraft und Jugendzeit entschwunden; wie schnell hat alles neue Lenzestreiben im Sommer sich ausgereift und ausgeblüht, und, ehe wir's vermuthen, rauscht, wie auf unserem anderen Bilde, aus den entlaubten Zweigen uns der Herbst entgegen.
Sei er uns darum eine Mahnung, nicht den hübschen Kehrreim des bekannten altväterischen Volksliedes zu vergessen, der da lautet:
Freut Euch des Lebens,
Weil noch das Lämpchen glüht, Pflücket die Rose,
Eh' fie verblüht.
Schnikel.
n.
Im Stadtrath zu Glasgow sprach sich das älteste Mitglied gegen Gründung von Volksbibliotheken aus. Er meinte, er habe nur einen Menschen in seinem ganzen Leben kennen gelernt, dem eine solche Bibliothek genügt habe. Dieser habe dort einzig Das gelernt, wie man Schnaps destilliren könne, ohne Steuer zu zahlen.
Alles Gute wird nur im Kampfe errungen, und nur das erkämpfte Gute ist ein Gut.
Ein Mensch, der viele Schulden machte, sagte, es gäbe vielerlei Liebhabereien: der Eine sammle Münzen, der Andere Schmetterlinge u. s. f., er lege sich eine Sammlung von Kontos( Rechnungen) an.
Ich möchte was darum geben, genau zu ivissen, für wen eigentlich die Thaten gethan worden sind, von denen man öffentlich sagt, sie wären für das Vaterland gethan worden.
Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen, es muß anders werden, wenn es gut werden soll.
Das Sprachrohr und der Mund.
Man würde dich gewiß nicht auf fünfhundert Schritte hören, sagte das Sprachrohr zum Munde, wenn ich nicht den Schall zusammenhielte. Und dich würde man nirgends hören, versezte der Mund, wenn ich nicht spräche..
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Wiedergeburt.
Wo immer Verwesung ein Saatkorn düngt, Die Welt sich wieder neu verjüngt. Gefährliches Spiel.
Jene, die des Fortschritts spotten, Gleichen den Motten.
Sie glauben zu spielen mit dem Licht, Daß die Flamme mit ihnen spielt, ahnen sie nicht. Einst und jetzt.
Seit man die Frommen im Lande schätzt, Ist Mancher zum Beten erbötig; Einst hat der Glaube Berge versezt Jetzt hat er's nicht mehr nöthig!
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R. Z.