Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

in der Erzählung Wahrheit und Dichtung fiihn zu sammengewürfelt, aber trotzdem hörte man gern zu. So erging es auch mir, alte Erinnerungen aus der Jugendzeit wurden in mir geweckt, Lederstrumpf " und Der legte der Mohikaner" mit ihrem aben­teuerlichen Gefolge tauchten wieder in meiner Phan­tasie auf, und ich begrüßte sie mit Freuden, die Gefährten meiner Kindheit.

Doch die Nacht brach an, schon einmal hatte uns der Schiffscerberus unwillig gemustert, sein Blick sagte mir: nun ist es Zeit zu Bett zu gehen. Mit Entsetzen dachte ich an meine Lagerstätte, um wie viel gräßlicher mußte der Aufenthalt in dieser Be­hausung sein, nachdem die Seefrankheit bereits ihren Ginzug gehalten hatte. Ich theilte meinem neuen Freunde meine schauerlichen Bedenken mit. Er wußte Rath, er wollte mich der Gnade des Küchenchefs empfehlen, in der Küche durfte auch er seine langen Glieder während der Nacht behaglich von sich strecken. Nach einer furzen Rücksprache mit dem Küchen gewaltigen wurde auch mir dieses Privilegium ein­geräumt, ein paar alte Pferdedecken wußte der Cowboy auch aufzutreiben, so daß ich mich einiger maßen vor der fühlen Seeluft schiißen konnte. Von den Strapazen der vorigen Nacht erschlafft, verfiel ich bald, trop des harten Lagers, ich mußte mich direkt auf dem Fußboden betten in einen tiefen Schlaf.

III.

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Der dritte Tag. Kontraste.

Um vier Uhr wurden wir geweckt. Es war die große Reinigungsstunde des Schiffes. Das gesammte Oberdeck, sowie die darauf befindlichen Näumlichkeiten werden förmlich unter Wasser geseßt, so daß unseres Bleibens in der Küche nicht länger war. An allen Gliedern zerschlagen, erhob ich mich schlaftrunken von meinem harten Lager, während mein Cowboy- Freund, der Situation besser gewachsen als ich, bereits tüchtig bei der Reinigung des Schiffes mit Hand anlegte. Ueberhaupt machte er sich überall, wo es etwas zu thun gab, niißlich und empfahl auch mir diesen Trick wärmstens, denn erstlich einmal vertreibt man sich so am besten die Langeweile und verpflichtet dadurch die Mannschaft zu mancherlei Gegendienst. Diese Taktik leuchtete mir ein und bald folgte ich dem Beispiel meines welterfahrenen Freundes; ich spiilte und fegte das Deck ab mit einer Würde und einem Verständniß, als wäre ich in diesem Metier auf gewachsen. Allmälig wurde es an Deck wieder rege, die Zwischendecker machten ihre Frühpromenade, dann ertönte das Signal zum Morgenkaffee, das einen freudigen Widerhall in meiner Magengegend fand. Mein Proviant an Wurst und Käse war nämlich bis auf ein Minimum zusammengeschmolzen, da die frische Seeluft und die Entbehrungen des ersten Tages meinen Appetit in beängstigender Weise angeregt hatten. Nun war ich vor die bittere Nothwendig feit gestellt, an dem Mahl der Zwischendecker mich zu betheiligen, und da schien es mir von höchster Wichtigkeit, mit jenen unappetitlichen Attitüden meiner Reisegefährten, wie ich sie vom ersten Tage her noch in lebendiger Erinnerung hatte, aufzuräumen und die Verwaltung der Tafel nach neuen Prinzipien zu regeln. Ich unterbreitete somit den Kerls" den Vorschlag, das Reinigen der Freßeimer", wie man diese Behälter schlechtweg naunte, sowie das Abholen der Speisen der Reihe nach zu übernehmen; die Ver­theilung wollte ich selbst im Zwischendeck vornehmen. Mein Vorschlag fand allgemeine Zustimmung, so daß schon der Morgenkaffee nach dem neuen Vertheilungs­modus vor sich ging. Um meiner Autorität als Stubenältester eine größere Geltung zu verschaffen, bestieg ich stets den Tisch, von welchem erhöhten Standpunkt aus ich die Vertheilung der Speisen vornahm. Mit dem Essen selbst mußte man natürlich vorlieb nehmen, wie es gerade geboten wurde doch Hunger ist der beste Stoch, er überwindet selbst die komplizirtesten Geschmacksvorstellungen; ob es ein Nehriicken ist, der bekanntlich mit Wein oder Seft heruntergespiilt wird, oder ein Gericht Erbsen, zu deren Verdauung man ein Glas Wasser ein nimmt fiir ihn giebt es feinen Artenunterschied der Speisen; er beriicksichtigt lediglich die Quantität.

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Von diesem Gesichtspunkt aus haben sich wahr­Von diesem Gesichtspunkt aus haben sich wahr scheinlich auch die Verwalter aller Massenabfütterungs­anstalten leiten lassen; daher wird man jene raffinirten anstalten leiten lassen; daher wird man jene raffinirten Genußmittel einer überfeinerten Stultur nie auf den Genußmittel einer überfeinerten Kultur nie auf den Tischen der Zuchthäuser, Kasernen und des Zwischendecks antreffen. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Hätte man im Zwischendeck keine Ahnung von höheren Hätte man im Zwischendeck keine Ahnung von höheren kulinarischen Genissen gehabt, man würde mit einem Dankgebet im Herzen den nach derselben gleichförmigen Dankgebet im Herzen den nach derselben gleichförmigen Methode angefertigten Brei verzehren nach dem Bei­spiel unserer Schlowaken", von denen Mancher vielleicht noch heute mit Entzücken an die Freß eimer" des P. Galland" zurückdenkt.

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Aber die Unzufriedenheit! Ein kleiner äußerer Zufall, eine unscheinbare Bemerkung schleudert sie in die Massen. In unserem Fall war eine Speise­karte, die von der Kajiite herübergeweht kam, der Erreger der Unzufriedenheit. Ich hatte sie auf­gefangen, dort stand zu lesen: Mofturtle Cotelette mit Spargel Rehrücken Geflügel Kompot Kaffee mit Gebäck.

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Eis

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Man vergleiche damit das Wochenrepertoir unserer Küche: Montag: Rinderknochen mit Reis und Kar­toffeln Dienstag: Dasselbe mit Speck - wäh rend der übrigen Wochentage: Erbsen, Bohnen und andere Hülsenfrüchte in ähnlicher Zusammenstellung Sonntags gab es sogenannten Plumpudding, ein Gemengsel von Pflaumen in aufgeweichten Semmeln und Brot, dazu Fleisch und Speck im Ganzen ein komprimirtes Menu der Woche.

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Ich reichte den Unzufriedenheitsbazillus mit einer gewissen diabolischen Freude weiter. Der Effekt blieb nicht aus. Man schimpfte, drohte ballend die Fäuste, Andere belustigten sich über ihre eigene Lage mit tragikomischen Geberden, aber wohl Allen wurde mehr oder weniger deutlich die Erbärmlichkeit ihrer Stellung als Menschen zweiten Ranges klar. Wer die sozialen Gegensäge studiren will, der begebe sich an Bord eines Auswandererschiffes. Nirgends plaßen die Gegensätze unvermittelter aufeinander als hier, fein lebergangsstadium, kein die äußerliche Misère wohlthätig verdeckender Firniß der Weltstadtkultur trübt den Blick; hier ist Alles Wirklichkeit, nackte, unverhüllte Wirklichkeit. Im Zwischendeck das Glend in seiner primitivsten Form, in der Kajüte die Ent­faltung des raffinirtesten Lurus.

Auch ich zählte einſt zu den beati possidentes, meine erste größere Reise konnte ich in der Kajüte zurücklegen. Welch ein Kontrast zwischen meiner einstigen Lebenshaltung und der jetzigen. Diesen Komfort nimmt man dort als etwas ganz Selbst­verständliches hin, ein Menu von sechs Gängen ist einfach ein unumgängliches Lebensbedürfniß, dem sich einfach ein unumgängliches Lebensbedürfniß, dem sich ein Mittagsschläfchen oder eine Partie Whist oder ein Mittagsschläfchen oder eine Partie Whist oder Stat im Spielsaal anschließt. Dann das Souper , dessen Verdauung eine musikalische Abendunterhaltung im Salon erheischt oder eine kleine Mondschein promenade an Deck, wo man Süßholz raspelt oder auf galante Abenteuer sinnt.

Nicht wahr, meine Gnädige, man hat es doch heutzutage kolossal weit gebracht, die Verpflegung siiperb, Bedienung schneidig man vermißt eigent lich an Bord nichts mehr von den Wohlthaten unserer Kultur."

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Aber diese entsetzliche Seekrankheit," stöhnt die junge Frau, die auf einem Triumphstuhl hingegossen liegt, das kleine Füßchen ein flein wenig, wie un­beabsichtigt, vorgestreckt.

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Ein Druck auf einen elektrischen, Knopf und herbei stürzen mehrere Domestiken: Sie befehlen?" ' n Glas Sherry für die gnädige Frau alte Marke, verstehen Sie! dazu' n paar Kaviar­brötchen," schnarrt der junge Fant. Das wird Ihnen helfen, meine Guädigste!"

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Während ich diese Szene rekapitulirte, fällt mein Blick auf eine Familiengruppe. Es scheinen Böhmen zu sein; der Mann platt auf den Boden gestreckt, durch seine Finger gleiten mehrere schmutzige Kupfer­münzen wohl die ganze Baarschaft, die ihm aus dem Erlös seiner paar Habseligkeiten in der Heimath übrig geblieben ist. Die Reise hat Alles aufgezehrt, nichts weiter als seine Arbeitskraft konnte er in der nenen Welt zu Markte tragen. Neben ihm kauert sein Weib, eine in diesen Bevölkerungsschichten typische

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Erscheinung: jugendlich matte Züge, ein träges Auge, aus dem zuweilen ein unheimliches Feuer aufflackert, starrend vor Schnuz, an ihrer welken Brust hält sie einen in Lumpen gehüllten Säugling.

Diese Kontraste schnürten mir die Kehle zu, ich mußte mich abwenden. Mir entgegen kommt der mußte mich abwenden. Schiffsarzt, ein Deutscher, in Begleitung eines Herrn aus der Kajüte, der, wie es öfter geschieht, der Wissenschaft halber" das Zwischendeck in Augen­schein nimmt.

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Man sollte doch nicht verkommen dies Volk lebt ein skandalöser Anblick."

glauben, wie gräßlich ' s ist doch eigentlich

" Fangen Sie mal was an mit diesen Leuten," war die gleichgültige Antwort des Arztes.

Dann stiegen die Herren die Treppe hinab. ,, Höchst praktisch eingerichtet,' s ist wirklich wahr, man thut doch alles Menschenmögliche fürs Volt aber dieser Gestank! Wenn das nur' n bischen Sinn für Reinlichkeit hätte."

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Die Reihe neuer Eindrücke, die fortwährend auf mich eindrängten, dazu die mangelhafte Ernährung hatten mich allmälig in einen Zustand apathischer Ruhe versetzt, so daß ich selbst nicht mehr die Spann­fraft besaß, den Erzählungen meines Cowboyfreundes mit dem pflichtschuldigen Interesse zu lauschen. Dieser besaß nämlich die Eigenthiimlichkeit, sobald er nur meiner habhaft werden konnte, mich mit Schwänken aus seinem vielbewegten Leben zu überschütten. Selbst nachdem wir unser Lager in der Küche aufgesucht hatten, murmelte er in Abfäßen sein gewöhnliches Repertoir, das in New- York einsetzte und in Merifo endete, mit der Ausdauer eines perpetuum mobile herunter. Mitunter wurde er auch von der Er­innerung derart hingerissen, daß er sich blitzschnell erhob, um mir irgend eine Episode mit entsprechender Geſtifulation anschaulich demonstriren zu können. Dann begann er:" Nun kommt aber was, das ich Dir nicht im Liegen erzählen kann." Und auf war er wie der Bliß. Dann stürmte das lange Gebein im Sturmschritt durch den Raum. Siehst Du, nun pass' mal auf so etwa, die Flinte im Arm( in Ermangelung eines Gewehrs griff er zu dem ersten besten Besen) ich im An­schlag, dann gings los! Ja, alter Junge, das hättest Du sehen müssen!" hättest Du sehen müssen!" Dann lachte er wild auf und legte sich beruhigt nieder, als wäre ihm ein Stein vom Herzen gefallen. Um welches welt­historische Ereigniß sich seine Erzählung drehte, kann ich nicht verrathen, da der Erzähler sich selbst nicht recht klar darüber war und meistens Alles bunt durcheinander würfelte. Eine Büffeljagd fand oft ihren Abschluß in einem Indianermassacre und eine reguläre Feldschlacht gegen die Rebellen" löste sich in eine luftige Pirsch auf.

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Die Münchhausiaden meines Cowboys waren mein allabendliches Wiegenlied, das mich in die ewigen Jagdgriinde der Mohikaner hinüberträumen ließ.

( Fortsetzung folgt.)

Max Klinger und seine farbige Plastik.

Von H. Merian. ( 3u unserem Bilde.)

& ist nun über ein Jahrzehnt verflossen, seit in der Kunstwelt die schon oft angeregte Frage wieder auftauchte und lebhaft diskutirt wurde: Sollen wir unsere Statuen bemalen? Wir sind gewohnt, daß unsere Bildhauer ihre Kunstwerke farblos, oder besser gesagt: einfarbig behandeln. Die Denkmäler auf unseren öffentlichen Plägen, die Statuten, die unsere Monumentalbauten schmücken oder in unseren Kunstsammlungen und Museen stehen, sind insofern sie überhaupt aus echtem Material gebildet sind aus hellem Marmor gemeißelt oder aus dunkelfarbiger Bronze gegossen. Der Künstler sieht dabei von der natürlichen Farbe des dargestellten Gegenstandes ganz ab und giebt in seinem Werke

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