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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Malerei und der fleißigen Arbeit mit der Nadir­nadel nun auch der Plastik zugewandt. Die ein farbige Plastik aber erschien ihm zu todt, so schuf er denn die beiden schon genannten Bildwerke, die " Salome" und die Kassandra  ", welche letztere wir zum Schluß an der Hand unserer Abbildung etwas genauer betrachten wollen, nicht mehr einfach weiß, sondern farbig.

Wenn Klinger als moderner Künstler farbige Statuen schaffen wollte, so konnte er dabei nicht mehr so naiv vorgehen, wie die Meister des Mittel­alters oder der Frührenaissance, die eine Statue oder Büste aus indifferentem Material schufen und sie alsdann mit grellen Farben so natürlich wie möglich bemalten; er mußte, wenn er nicht gemalte Puppen, sondern lebensvolle Kunstwerke schaffen wollte, vor Allem die oben angedeutete störende Wirkung der Farbe vermeiden. Dies erreichte er dadurch, daß er die Farbe nicht auf die fertige Statue auftrug, sondern wie es schon Phidias   in seinen Goldelfenbein- Statuen gethan hatte, die Farbe durch das Material, aus dem er sein Werk schuf, andeutete. Er setzte seine Statuen aus verschiedenfarbigem Marmor zusammen, und wandte Bemalung nur da an, wo es umumgänglich nothwendig war, und auch hier nur in diskretester Weise. Am stärksten tritt die Bemalung am Haupt­haar und an den Augenbrauen hervor; die Fleisch theile dagegen sind nur leicht getönt, die Augen aus Bernstein   eingesetzt, Ketten, Spangen und Schmuck in geschmackvoller Weise aus Bronze aufgelegt. Wir haben also in der ,, Salome" und der Kassandra  " feine bemalten Statuen" im alten Sinne vor uns, keine Werke, bei denen eine Kunstgattung auf die andere hinaufgepfropft ist, sondern polychrome Plastik, d. h. Schöpfungen, bei denen Farbe und Körperlich feit sich gegenseitig durchdringen und stüßen, bei denen Malerei und Plastik Eins geworden sind.

Beide Statuen sind von verblüffender Lebendig­feit. Die Salome" wirkt auf den ersten Anblick fesselnder, pikanter, die Kassandra  " wirkt herber, aber nachhaltiger, größer. Die Salome" ist viel­leicht frischer empfunden, die Kassandra  " zeigt reiferes Können.

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Wie trozig und stolz steht sie da, die Priesterin, die dem ungläubigen Volke Trojas Untergang pro­phezeite. Ihr verächtlicher und doch schmerzlich be­wegter Blick bannt den Zuschauer sofort. Es zuckt wie ein zorniges Aufbäumen durch die Gestalt. Die rechte Hand, zur Faust geballt, ruht auf dem etwas vorgeschobenen rechten Schenkel, während die Linke sich gleichsam beschwichtigend darüber legt, als wolle sie den rechten Arm hindern, mit der geballten Faust empor zu fahren. Durch diese Armhaltung wird die rechte Schulter etwas herabgezogen, und die dadurch und durch die heraufgezogene linke Schulter bedingte schräge Haltung des Kopfes mit dem nach links ge­wandten schönen Antlig, erhält etwas ungemein Ver­ächtliches. Ein über die rechte Schulter geworfenes und auf der linken Schulter durch Kette und Spange festgehaltenes Purpurgewand hüllt die Gestalt ein und läßt nur den linken Arm, die linke Brust und den rechten Unterarm frei.

Die Dauer und Haltbarkeit der Farbenwirkung ist durch das echte Material garantirt, das mit großem Geschick ausgewählt wurde. Die Fleischtheile sind aus parischem Marmor, das Gewand aus rothem Alabaster gebildet, der seiner Sprödigkeit und Nissig­feit wegen mit einer Wachsschicht versehen und leicht getönt werden mußte. Das wirfelförmige Posta­ment, auf welchem die Figur ruht, besteht aus grauem, von dunkleren Bändern durchzogenem Marmor, der aus den Pyrenäen   stammt. Zwischen der Figur selbst und der aus gleichem Material wie der Sockel gebildeten Drehscheibe fiigt sich eine unregelmäßig fünfeckige Basis aus röthlichem nassauischen Marmor ein. Die Kette, die das Gewand hält, ist aus Bronze.

Ein noch größeres, gewaltigeres polychrom- plasti­sches Werk hat Klinger im farbigen Gipsmodell fertig gestellt, eine fizende Beethovenstatue, die aus den kostbarsten Materialien hergestellt werden soll und die noch mehr als die bisher geschaffenen Werke die gewaltige Gestaltungskraft Klingers darthun wird. Klinger steht heute im vierzigsten Lebensjahre,

mitten im reichsten Schaffen. Viele und gewaltige Pläne bewegen seinen Geist. Als Meister der Nadirnadel, des Pinsels und des Meißels pirft er unter uns, wie einer jener großen Künstler der Renaissance, die ebenfalls auf allen Gebieten der Kunst gleich Großes leisteten. Und wenn ein jezt Lebender den Namen eines Michelangelo   unserer Tage" verdient, so ist es kein Nachahmer des Alten, sondern kein Anderer als Mar Klinger, der an der Pforte einer neuen Zeit steht und uns schauen der Pforte einer neuen Zeit steht und uns schauen lehrt mit neuen Augen, wie Michelangelo   die Ne­naissance schauen lehrte.

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Der Büttnerbauer.

Noman von Wilhelm von Polenz  .

( Fortsetzung.)

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X.

in paar Tage darauf erschien derselbe Herr Schmeiß, welcher den alten Bauern im Com­ptoir von Harrassowiz abgefertigt hatte, in Halbenau. Er kam mit Lohngeschirr. Neben ihm auf dem Rücksitz saß eine junge Dame. Während er sich in das Büttnersche Gehöft begab, schwänzelte die auffällig gekleidete Person im Dorfe umher, zum Gaudium der Dorfjugend und der Frauenwelt von Halbenau, die so hohe Absätze, eine solche Taille und derartig die so hohe Absätze, eine solche Taille und derartig weite Buffärmel noch nicht gesehen hatten.

Edmund Schmeiß, ein mittelgroßer junger Mann mit flottem Schnurrbärtchen und Lockenfrisur, riimpfte die Nase über den Misthaufen, den er im Büttner= schen Hofe vorfand. ,, Echte Bauernwirthschaft!" sagte er zu sich selbst mit verächtlichster Miene. Sein tadellos gearbeiteter Anzug von hechtgrauer Farbe, sein ganzes Auftreten waren prima", um seinen eigenen Lieblingsausdruck zu gebrauchen. Kenner hätten vielleicht finden können, daß nicht einmal die äußere Etiquette der Waare besonders fein sei. Seine Manieren waren irgendwoher, wahrscheinlich vom Offiziers- oder jüngeren Beamtenstande erborgt und nicht immer glücklich kopirt.

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Die Lebensstellung des jungen Schmeiß genauer zu umschreiben, ipar nicht leicht. Harrassowizz be­zeichnete ihn, wenn er von ihm sprach, als einen: mir ergebenen jungen Mann". Aber auch für Ifidor Schönberger arbeitete" er, ohne daß man genau feststellen konnte, worin seine Arbeit" eigent­lich bestand. Man pflegte ihn bei Häuser- und Güteranfäufen als Strohmann zu verwenden, bei Zwangsversteigerungen trat er als Bieter auf. Wenn ein Kleinkaufmann oder Handwerker in momentaner Verlegenheit" war, erschien er als Helfer in der Noth. Er war jederzeit bereit, Wechsel zu diskon­tiren und Geldsuchenden Darlehen von Dritten zu verschaffen, vorausgesetzt, daß der Darlehnsuchende etwas ,, opferte", womit er seine Provision meinte, die niemals gering bemessen war. Er reiste fiir allerhand Häuser, deren Firma nicht eingetragen war, und trat als Generalbevollmächtigter von Konsortien auf, die nicht genannt werden durften, weil sie sich noch im Entwickelungsstadium" befanden. Er hatte jederzeit mindestens ein halbes Dußend feiner Ge­schäfte" an der Hand; furz, er war Alles in Allem ein äußerst brauchbarer, praktischer," smarter" junger Mann, in vielen Sätteln gerecht, mit den Gesezen und der Gerichtspraris vertraut. Mit Vorliebe legte er sich den Titel Kommissionär" bei.

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Edmund Schmeiß also trat um die Mittags­stunde in die Büttnersche Wohnstube. Er fand die Familie bei Tisch. Er meinte im Eintrefen, man möge um seinetwillen keine Umstände machen. Er selbst machte allerdings auch keine, das mußte man sagen! Ohne Umschweife auf sein Ziel losgehend, fragte er den alten Bauern, in Gegenwart der Seinen, ob er gewillt sei, das heute fällig gewordene Afzept zu decken.

Sie waren Alle aufgestanden. Erstaunt und bestiirzt blickten sie auf den fremden Eindringling, der sich so unbefangen geberdete. Der alte Mann brauchte einige Zeit, ehe er die Antwort fand: er habe in dieser Sache doch nur mit Herrn Harrasso­wiß zu thun.

Ach was, Harrassowig!" rief Edmund Schmeiß. Ich bin jest Derjenige welcher! An mich haben Sie zu zahlen. Bitte sich überzeugen zu wollen! Hier das Indossement!"

Der junge Mann hielt dem Barern das Papier hin und hieß ihn die Rückseite beachten.

Der Bauer sah, daß dort was geschrieben stand, ein Name, wie es schien. Aber was sollte ihm das! Wie kam dieser junge Mensch, der ihm nie­mals einen Pfennig gegeben hatte, auf einmal dazu, sein Gläubiger zu sein?

Er schüttelte den Kopf und erklärte, nur an Harrassowitz   zu schulden.

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Edmund Schmeiß wurde ungeduldig. Herr Gott  ! fapiren Sie denn nicht?" rief er. Sie haben afzeptirt. Hier ist Ihre Unterschrift, nicht wahr?" Der Bauer bejahte, nicht ohne sich seine Inter­schrift noch einmal sorgfältig betrachtet zu haben. " Bekennen Sie, Valuta richtig empfangen zu haben? Ich meine, ob Sie zugeben, das Geld, vierhundert Mark, seinerzeit von Harrassowitz   per Kassa bekommen zu haben?"

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Ju, ju!' s Geld ha'ch richt'g erhalen vun Herrn Harrassowitz, dohie an diesem salbgen Tische. Dit weeßt's duch noch, Frau?" Die Bäuerin nickte. " Ju, ju, lieber Herr!"

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Nun sehen Sie also! Harrassowiz hat Ihr Akzept diskontirt. Afzept diskontirt. Man nennt das ein Dreimonats­akzept. akzept. Dann hat Harrassowiz remittirt an mich. Folglich bin ich jetzt der Inhaber des Wechsels. Die Sache ist so klar wie etwas! Sie müßten denn behaupten wollen, daß ich auf ungesetzliche Weise in den Besitz des Akzepts gekommen wäre. Wollen Sie das behaupten?"

Der Bauer stand da mit äußerst verdußter Miene. Er verstand fein Wort von der ganzen Sache. Da aber der Andere so sicher auftrat und so beleidigt dreinblickte, ließ er schließlich ein zauderndes, Nein!" hören.

" Darum möchte ich allerdings gebeten haben!" sagte Edmund Schmeiß, machte große Augen und runzelte die Stirn. Hiermit präsentire ich Ihnen also den Wechsel. Heute ist Verfalltag. Ich frage Sie, ob Sie annehmen?"

Der Bauer blickte noch unverständiger drein, als zuvor. Auf den Gesichtern der Seinen malten sich sehr verschiedenartige Gefühle; aber Schreck und Furcht herrschten vor, diesem Fremden gegenüber, der durch jenes Stick Papier   Gewalt über den Vater und über sie Alle erhalten zu haben schien.

" Ob Sie mir auszahlen wollen, Herr Büttner! Ich dächte, die Sache wäre doch nicht so schwer zu verstehen!"

Der alte Mann bat sich den Wechsel noch einmal aus. Er drehte ihn um und um in den zitternden Händen und blickte rathlos drein, die Buchstaben verschwammen ihm vor den Augen. Er mußte sich setzen.

Die Bäuerin trieb jezt die Kinder aus der Stube, sie sollten den Vater nicht in seiner Schwäche sehen. Nun trat sie zu ihrem Gatten. ,, Bis ac ruh'g, Alter! bis ack ruh'g!" redete sie ihrem Eheherrn zu.

" Jo, Du mei Heiland!" rief der Bauer in heller Verzweiflung, mit hoher, weinerlich flingender Stimme. Wos sull ich denne? Wos wullen Se denne von mir, dohie!"

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" Zahlung! Weiter garnichts! Zahlen Sie mir aus, Herr Büttner, dann ist Alles in Ordnung," erklang die trockene Antwort.

,, Und' s Gald! Wu sull ich denn's Gald har nahmen? Ich ho's do ne!"

Edmund Schmeiß zuckte die Achseln. Den neuesten Berliner   Gassenhauer vor sich hin pfeifend und mit dem Fuß den Takt dazu tretend, sah er sich im Zimmer um.

Die beiden Alten beriethen sich inzwischen halb­lant. Ginen Nest Geld hatte der Bauer noch im Kasten liegen. Es stammte von dem Korn, das er num doch vor ein paar Tagen verkauft. Da er aber die Michaeliszinsen und Abgaben davon bezahlt hatte, war nicht viel übrig geblieben. Es langte in feinem Falle zur Deckung des Wechsels.

Kalter Schweiß stand dem alten Manne auf der Stirn. Starren Blickes, mit bebendem Unterkiefer,