Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
auf dem Stuhle zusammengebrochen hockend, bot er einen fläglichen Anblick.
Die Bäuerin redete ihm zu. No, Alter, no! ha ac Karrasche! Dar Herr werd schun, und ar werd a Brinkel Geduld han."
Dann wandte sie sich an den jungen Mann. Mit schmeichlerisch unterthänigen Blicken und Mienen, streichelte sie ihm ehrfurchtsvoll die Hand:„ Newohr, lieber Herr, Se wern meenen Mann a Brinkel Zeit lan. Mir versprachen och und mir wern uns Mihe gahn, mir wern Alles abzahlen mit dar Zeet."
Edmund Schmeiß erwiderte in fühlem Tone: Das fenne er schon. Darauf fönne er sich nicht einlassen. Er habe den Wechsel als einen„ feinen" gekauft. Harrassowiß habe ihm gesagt, Herr Büttner sei ein solider Mann. Er habe sicher darauf gerechnet, heute sein Geld zu erhalten; habe sich mit anderen Geschäften schon darauf eingerichtet. Er müsse daher Deckung verlangen. Falls er sie nicht erlange, sehe er sich genöthigt, den Rechtsweg zu beschreiten.
" 1
Bauer bejahte nach einigem Ueberlegen. Mit Zinsen und Kosten, Sie verstehen: Provision und Depot zinsen für Harrassowitz und mich, Alles in Allem dreihundertundsechzig Mark. So viel sind Sie mir also nach Zahlung der hundertundzwanzig Mark noch schuldig. Dreihundertundsechzig. Bitte sich die Zahl zu merken! Nunmehr geben Sie mir ein neues Afzept über die eben genannte Summe- verstanden? Den alten Wechsel vernichte ich dann vor ihren Augen. So, das ist ein flares Geschäft."
Er entnahm seinem Taschenbuche ein Formular. ,, Uebrigens," sagte er, sich scheinbar unterbrechend, ,, dreihundertundsechzig Marf, das ist gar keine Summe. Mir fällt da gerade etwas ein. Künstlichen Dünger fönnen Sie ja in der Landwirthschaft immer gebrauchen. Auch Kraftfutter könnte ich Ihnen preiswerth besorgen; bei der schlechten Heuernte in diesem Jahre werden Sie das ja sowieso nöthig haben. Ich kann Ihnen gerade noch etwas Erdnußkuchen abgeben. abgeben. Schreiben wir sechshundert Mark, also! Für die restirenden zweihundertundzwanzig Mark, Se wern uns doch ne verklag'n wulln?" rief nicht wahr- liefere ich Ihnen künstlichen Dünger die Bäuerin entsetzt aus. und Kraftfutter. Dann ist die Affaire glatt nicht wahr?"
Das sei sein gutes Recht, erwiderte der junge Mann. Herr Gutt, in Deinem Himmel droben!" rief die Frau. Sie griff sich an den Mund mit zitternden Fingern, jammerte, leise vor sich hin weinend:„ Moan, Moan, was full denne anu aus uns warn!" Der Bauer stöhnte.
Eine namenlose Angst hatte sich der beiden alten Leute bemächtigt. Ihre Begriffe vom Recht waren äußerst verwirrte. Hinter jeder Klage drohte ihnen gleich das Gefängniß. Dem Richter wie dem Advokaten stand man gleichmäßig schutzlos gegenüber. Sie sahen bereits im Geiste den Gerichtsvollzieher ihre lezte Kuh aus dem Stalle führen. Wenn Jener es zur Klage trieb, dann war Alles verloren.
Der wackere Büttnerbauer, der in zwei Feldzügen manche Probe von Beherztheit abgelegt hatte, zitterte wie Espenlaub. Aller Wiß schien den sonst besonnenen Mann verlassen zu haben. Mit angstvergrößerten Augen, haltlos, jeder Würde vergessend, hing er, der Sechziger, an den Mienen und Blicken dieses jungen Menschen, in dessen Wohlgefallen er sein Geschick beschlossen glaubte.
Edmund Schmeiß zog eine umfangreiche goldene Zylinderuhr, deren Deckel er aufspringen ließ.„ Ich muß fort!" rief er ,,, draußen wartet eine Dame auf mich. Adieu, Herrschaften!"
Er wollte zur Thir. Die Bäuerin lief ihm nach, hielt ihn, beschwor ihn, flehte, er möge bleiben. " Aber, bitte, dann etwas plöglich! Wenn Sie noch was wollen. Zeit ist Geld."
Das Ehepaar berieth von Neuem. Der alte Mann erschien wie schwachsinnig. Er sagte zu Allem, was ihm die Frau vorschlug, ein klägliches„ Ich weeß nischt, ich weeß nischt!"
„ Ich
" Ich will Ihnen mal was vorschlagen!" meinte der junge Schmeiß, damit wir mit dieser Sache endlich zu einem Resultate kommen; denn es fängt nachgerade an, mich zu ennuyiren!- Geben Sie mir, was Sie an baarem Gelde im Hause haben. Für den Rest schreiben Sie mir ein neues Afzept, verstehen Sie? Der Wechsel mag laufen bis Ultimo Dezember. Dafür nehme ich natürlich Zinsen. Zehn Prozent ist mein Saß bei Dreimonatsakzepten und drei Prozent Provision. Das ist noch sehr toulant, in Anbetracht dessen, daß Ihre Bonität zweifelhaft iſt.-Also einverstanden?"
Der Bauer hatte nichts begriffen; nur so viel glaubte er zu verstehen, daß er von der Gefahr einer Klage befreit werden sollte. Er eilte nach seinem geheimen Kasten, schloß auf und zählte mit zitternden Händen auf den Tisch, was er an Geld dort vorgefunden hatte. Es tam um eine Kleinigkeit mehr Edmund als hundertundzwanzig Mark zusammen. Schmeiß zählte die Reihen blanker Thaler noch einmal durch. Den Rest von fleinerer Münze schob er dem Bauern hin. Nickel nehme ich nicht!" Dann nahm er einen goldenen Bleistift zur Hand, der an seiner Uhrfette befestigt war, und begann, Zahlen niederzuschreiben. Also hundertundzwanzig Mark per Stassa erhalten. Bleiben zweihundertundachtzig. Mark in Schuld. Nicht wahr, Herr Bittner?" Der
-
-
-
Der Bauer sah den jungen Menschen mit leeren Augen an.
,, Verstehen Sie nicht, Herr Büttner? Die Sache ist nämlich furchtbar einfach." Er rechnete dem Alten das Ganze noch einmal vor.„ Einverstanden?"
Der Bauer bedachte sich eine Weile, dann meinte er kleinlaut, von künstlichem Dünger habe er in seinem Leben nie etwas wissen mögen und Kraftfutter könne er auch nicht brauchen, da er sich mit Hülfe des Grummets durch den Winter zu schlagen hoffe. Er bäte, ihn mit solchen fremden Sachen zu verschonen. bäte, ihn mit solchen fremden Sachen zu verschonen.
Schön!" sagte Edmund Schmeiß. Wie Sie wollen, Herr Bittner!" Er erhob sich und knöpfte seinen Rock zu.„ Ich glaubte, Ihnen sehr weit entgegen gekommen zu sein. Aber, wenn Sie frei lich nicht wollen.
"
"
Von Neuem schritt er zum Ausgang, wieder holte ihn die Bäuerin ein, und erreichte mit ihren Bitten, daß er blieb. Moan, Pauer, bis ack verninftg!" redete sie dem Gatten zu.„ Wenn der Herr und ar fimmt Der su entgegen. Nimm ack Verstand an und greif zu, was er Der gahn werd."
Der Büttnerbauer saß mit gesenktem Haupte da, feine Widerrede kam mehr von seinen Lippen. Die Bäuerin eilte geschäftig, das Tintenfaß herbeizuholen. ,, Werd Sie och die Feder racht sein," fragte sie in einschmeichelndem Tone den jungen Mann, um seine Gunst und Huld mit dem Lächeln ihres alten, zahnlosen Mundes buhlend.„ Se missen entschuld'gen, bei uns werd ne ofte wos geschrieb'n."
Edmund Schmeiß füllte eines der Formulare aus. Sowie der Büttnerbauer seinen Namen darauf geschrieben hatte, zerriß er das alte Akzept und reichte dem Bauern die Stücke; das sei nunmehr erledigt.
Dann ging er. In der Thür noch rief er: „ Die Waaren erhalten Sie in der nächsten Zeit in Natura geliefert, Herr Büttner. Natürlich prima! Natürlich prima!
Empfehle mich."
Draußen auf der Dorfstraße erwartete ihn seine Freundin mit Sehnsucht. Freundin mit Sehnsucht. Sie hatte inzwischen die Sehenswürdigkeiten von Halbenau in Augenschein genommen: Kirche, Pfarre, Schule, das Armenhaus, das Sprizenhaus. Weiter gab es nichts zu sehen hier draußen. hier draußen. Die Gemeindepfiiße war schmuzig von den Gänsen, die dort Tag ein Tag aus ihr Wesen trieben, die Häuſer meist klein und ärmlich, die meisten nur mit Stroh gedeckt. Und die Kinder, welche dort im Straßenstaube spielten, ungefämmt und ungewaschen, mit laufenden Nasen, waren nach Ansicht der Dame höchst ekelhaft zu nennen.
Ein paar Frauen kamen, vom Felde herein. Breithacken auf den Schultern, Henkelförbe darüber. Junge Burschen folgten. Schon von Weitem faßte man die fremdartige Erscheinung auf der Dorfgasse ins Auge. Die Mädchen steckten tuschelnd die Köpfe zusammen, die Burschen lachten und stießen Jene an.
Die Städterin war entrüstet über die dörfisch Zudringlichkeit und ließ den Schleier herab.
Nun kam der Trupp heran. Die jungen Männer blickten der Fremden ins Gesicht, die Mädchen gingen
79
mit unterdrücktem Kichern vorbei.„ Saht ack! Die hat a Mickenneße!" rief Jemand. Darauf allgemeines Gelächter.
Als Edmund Schmeiß die Freundin einhofte, fand er sie außer sich vor Empörung über die Nohheit des Dorfpacks.
XI.
"
Gustav Bittner hatte zum letzten Male Dienst gethan. Ein schwermüthiges Gefühl überfiel den jungen Mann, als er seine Kastanie", die braune Stute, die er als Remonte zugeritten hatte, in ihren Stand zurückführte. Er wies den Stalldienst zurück, der dem Unteroffizier das Pferd abnehmen wollte, sattelte und zäumte die Stute selbst ab und legte ihr die Stalldecke mit besonderer Sorgfalt auf. Während er das Pferd versorgte, suchte das Thier an seinen Rocktaschen schnuppernd nach dem Zucker, den er ihr jeden Morgen aus der Kantine mitzubringen pflegte. Sie stieß, ihn ordentlich an mit dem Maule, als wolle sie ihn mahnen, daß er ihr die fälligen drei Stückchen Zucker endlich herausgeben solle. Heute war es eine ganze Düte voll. Er verfütterte den Zucker langsam, Stück für Stück. Die Braune schniefte vor Wonne in langgezogenen, tiefen Tönen, blähte die Nüstern und trat vor Vergnügen und gieriger Wonne von einem Beine auf das andere, während er daneben stand und ihr den Hals klopfte, mannhaft gegen die Thränen ankämpfend.
-
Der Abschied von dem Pferde war das Schwerste. Auch von einzelnen Kameraden trennte sich Gustav ungern. Aber, im Großen und Ganzen das merkte der junge Mann zu seinem eigenen Befremden beim Abschiednehmen waren die Bande doch sehr lockere und leichte gewesen, die ihn an die Truppe und das Soldatenleben geknüpft hatten.
-
Der Herr Rittmeister war auf Urlaub. Das that dem Unteroffizier von Herzen leid. Vor diesem Manne, der für ihn das Ideal eines Vorgesetzten gewesen war, für den er willig sein Leben gelassen hätte, würde Gustav gern noch einmal stramm gestanden haben. Der würde auch sicher zu Herzen gehendere Worte beim Abschied gefunden haben, als der Premierlieutenant, welcher erst vor Kurzem zur Eskadron gekommen und ohne jene vertrautere Beziehung war, wie sie bei längerem gemeinsamen Dienen sich wohl auch zwischen Vorgesezten und Untergebenen entwickelt.
Seine Ertrauniform hatte Gustav an einen neugebackenen Unteroffizier verkauft; er behielt nichts zurück als die Müße, ein paar Knöpfe und einen Fauſtriemen zur Erinnerung an die Dienstzeit.
Mit dem Reservistenstocke", wie es im Liede heißt, trat er die Heimathreise an". Die Nacht durch lag er auf den verschiedenen kleinen Bahnstrecken, die er benutzen mußte, um von der Provinzialhauptstadt in diesen entlegenen Winkel zu gelangen. Dann wanderte er ein Stück zu Fuß und traf am Morgen in Halbenau ein.
Das Dorf trat ihm allmälig aus den Herbstnebeln entgegen, welche die Flur umfangen hielten: Dach um Dach, Zaun um Zaun, Baum um Baum. Er fannte sie alle. Ein wunderliches, ihm selbst unbekanntes, wehmüthiges Behagen überkam den jungen Menschen. Fünf Jahre hatte er in der Kaserne gelebt, hatte ein Heim nicht mehr gekannt. Freilich, mit der Stadt ließ sich das hier ja nicht vergleichen; aber diese Strohdächer, diese Lehmwände, die bretterverschlagenen Giebel hatten doch etwas in sich, das keine Pracht städtischer Häuſerfronten zu ersetzen vermochte: es war die Heimath!
Nun bog er in den Weg ein, der nach dem väterlichen Gute führte. Schon von Weitem blickten ihn die Dachfenster des Wohnhauses wie große, schwermüthige Augen an. Aus der Küchenesse wirbelte gelblicher Rauch in den grauen Herbsthimmel hinaus. Die Mutter tochte also bereits das Mittagbrot, womöglich sein Lieblingsgericht ihm zu Ehren. Hier kannte er nun jedes Steinchen, jedes Aestchen, jeden Niß und Fleck im Mauerwerf. Eine geringfiigige Reparatur, die der Vater am Dachfirsten hatte vornehmen lassen, fiel ihm sofort als eine Veränderung auf. Je näher er kam, desto mehr beschleunigte er seine Schritte, bis er schließlich fast im Trabe in das Gehöft einlief.