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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
erst mit einem Preßgesetz eintreten, obgleich rings um Preußen bereits Preßfreiheit herrschte. Der König hatte erklärt, er lasse sich nicht drängen, was er gebe, gebe er freiwillig. Starfe Truppenposten auf dem Schloßplay, an allen Straßenecken und Brücken, besonders nach dem Thiergarten zu aufgestellt, erregten das Volk noch mehr; selbst der Polizeipräsident von Minutoli hielt das für überflüssig, ja für einen Fehler.
Die Aufregung wuchs immer mehr, aber Arbeiter selbst bestiegen Stühle und riefen:„ Wir wollen Freiheit, vollständige Freiheit, ohne Erzesse!"
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Die Aufforderung eines Kommissars und eines bewaffneten Gendarmen an das Volk, nach Hause zu gehen, hatte die Vertreibung derselben bis zur Wache am Brandenburger Thor zur Folge. Militärische Hülfe, Leibgarde, Dragoner, Kirassiere, Ulanen, Fußsoldaten rückten an. Sie begnügten sich nicht damit, das Volf zu vertreiben, sie hieben scharf ein. Um Mitternacht trat Ruhe ein.
Auch der 14. März verlief ruhig.
Die Einberufung des Landtages auf den 25. April war das Ergebniß eines am 13. März gehaltenen Ministerrathes; Versammlungen wurden neuerdings wieder verboten, daneben in dem föniglichen Patent ,, die Wiedergewinnung der alten Größe Deutsch lands " und" freie Institutionen" in Aussicht gestellt. Besonders mißfiel die Vertröstung auf einen in Dres den abzuhaltenden Kongreß der Fürsten ; das Wort Kongreß hatte keinen guten Klang mehr; man dachte dabei sofort an Karlsbad und Wien .
Am 15. März. Abends kam es wieder zu Zusammenstößen zwischen Militärpatrouillen und Volk. Die Aufstellung und Bewegung von Truppenmassen steigerten gegen sieben Uhr die Aufregung ganz gewaltig, besonders in der Nähe des Schlosses, wo das wehrlose Volk zu seinem Schutz in den benachbarten Straßen kleine Anfänge von Barrikaden machte. Verwundungen durch das Militär, Hezjagden auf einzelne Leute, Niederhauen Mehrerer
lich gewesen wäre. Man trug das Gerücht um, die Artillerie sei zur Mitwirkung befohlen gewesen.
Um sechs Uhr war der Staatsrath zusammen berufen worden: die amtliche Kunde der Wiener Vorgänge war eingetroffen.
Am 17. März wurde die Zensuraufhebung verkündigt, am 18. fündigte der König sein Eintreten filr Verwandlung Deutschlands aus einem Staatenbund in einen Bundesstaat mit Freizügigkeit und Aufhebung aller Zoll- und sonstigen Gewerbebetriebsschranken, Maß-, Münz- und Gewichtseinheit usw. an. Die Einberufung des Landtages ward auf den 2. April vorgerückt.
Zunächst folgte allgemein eine hoffnungsfrohe Aufregung. Am 18. März Morgens zog das Volk aus einer Versammlung zu den Stadtverordneten, diese beriefen eine allgemeine Bürgerversammlung auf den Schloßplaß für zwei Uhr Nachmittags. Preßfreiheit und Reformen wurden als bewilligt verkündet und erregten einen allgemeinen Freudenrausch, vor dem der König garnicht zu Wort kommen konnte, der auf dem Schloßbalkon erschien. Der mißliebige Minister Bodelschwingh forderte das Volk auf, heimzugehen, er, dessen Entlassung gewünscht und in Aussicht gestellt war.
Möglicherweise gaben gleiche Aufforderungen von Offizieren den Anlaß, daß der Ruf laut wurde: „ Zurück mit dem Militär!"
Da plöglich fielen wie weiland zu Paris aus dem Schloßhof, wie man sagt, zwei Schüsse nach der Breitenstraße zu. Verrath! Waffen!" rief das Volk, und die alte langverhaltene Erbitterief das Volk, und die alte langverhaltene Erbitterung beim Militär wie beim Volf von den Vorgängen der letzten Tage her brach vulfanartig plöglich und der letzten Tage her brach vulkanartig plötzlich und withend aus.
Es ist schwer, Momente zu beschreiben, in denen sich in beschleunigter Eile ein Stück Weltgeschichte abspielt!
" Der Kampf war schwerer als in Paris , dort hatte das Volk von Anfang an Waffen; dort wurde nicht vom Militär mit Kanonen und Kartätschen aufs Bolt geschossen." Die Zahl der Opfer schäßte man auf mehr als das Doppelte der in der letzten Pariser Revolution Gefallenen.
Im Schlosse scheint man die volle Wahrheit nicht gekannt zu haben, sonst könnte das Schreiben des Königs:" An meine lieben Berliner " in der Nacht vom 18. auf den 19. März nicht von„ vermeintlich vergossenem Blute" reden, das die Aufrührer rächen wollten.
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Es ist vergebliches Beginnen, den Sieg des Volkes in Abrede zu stellen. Ebenso wenig ist in Abrede zu stellen, daß die Soldaten bei Weitem grausamer und rücksichtsloser auftraten, als die Volkskämpfer.
an.
Es war am Abend des 18. März, als in der Hiße des Barrikadenkampfes Bürger und Arbeiter auch in der Oranienstraße die Deffnung der Häuser und die Beleuchtung der Treppen forderten, um von da aus sich gegen die anrückenden Truppen ver theidigen zu können. Eine Anzahl Arbeiter erzwingt die Oeffnung des Hauses Nr. 67, stürmt die Treppe hinauf und fordert die Oeffnung des durch einen dünnen Glasverschlag verschlossenen ersten Stockes. Kein Klingelschild giebt den Namen des Bewohners Sie flingeln einige Male, es wird nicht geöffnet, sie stoßen die Thür ein. Da erscheint ein alter Herr mit weißem Haar und freundlichem Wesen. Er ist erstaunt über den großen Besuch. Als er erfährt, was man will, drückte er sein Bedauern aus, daß man die friedliche Wohnung eines nur den Wissenschaften lebenden alten Mannes vielleicht zum: Schauplatz friegerischer Auftritte machen wiirde. Wer sind Sie denn?" fragt ein Mann aus der Mitte des Haufens. Bescheiden antwortete der alte Herr:„ Ich heiße Humboldt." Wie," rief er, sind Sie der berühmte Mann Alexander von Hum Mein Name ist Alerander von Humboldt,"
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boldt?" Zimmer
mann meldet von sechs reizten das Volk, mit Steinwürfen zu antworten. Ein friedlicher Handschuhmacher, v. Haake, hatte eben seinen Laden schließen wollen, war von einer Patrouille überfallen und mit Säbeln niedergehauen worden.
Von Mißhandlungen, Verwundungen, Zerstörungen von Thüren, Fenstern und Läden durch das Militär am 15. März erzählte man sich, und die Erbitterung im Volte wuchs mächtig an. Eine versprochene Untersuchung der Vorgänge vom vorigen Tage beruhigte nicht, man glaubte nur sicher zu werden durch Zurückziehung des Militärs. Eine weitere Steigerung der gespannten Stimmung brachte die Kunde vom Sturze Metternichs und den Erfolgen der Wiener Volksbewegung.
Schon war in der Nähe des Schlosses längst Fußvolt, Reiterei und viel Geschüß aufgestellt, als das Volk eine Wache am köllnischen Nathhause in der Breiten Straße vertrieb. Um sieben Uhr marschirte Infanterie aus dem Schlosse: das Volk warf sich von dem gesäuberten Platz in die nächsten Straßen, flache und scharfe Hiebe fielen, auch von Schußwaffen wurde Gebrauch gemacht, während nur ein Theil des Volkes, Arbeiter mit ihrem Handwerkszeug bewaffnet waren.
Die erste Salve kam aus dem Schlosse, die zweite fiel in der Spreegasse. Selbst ein eben dienstfreier Offizier in Uniform wurde so verwundet, daß er zusammenstürzte.
Immer lauter wurde der Ruf nach Waffen.
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Am 16. März wurde der Antrag auf Bildung einer allgemeinen Bürgerwehr in der Stadtverordnetensizung mit 61 gegen 31 Stimmen abgelehnt. Nun traute der vierte Stand dem Bürger nicht mehr, der auf den Schußz" des Militärs verwies und Männer mit Stäben und weißen Binden, mit der Aufschrift„ Schutzwache", für genügend hielt, die der Berliner Volkswizz„ Leichenbitter" benannte, und die vielfach selbst vor dem Militär flüchten mußten. So die vor dem Palast des Prinzen Erschienenen, die sich in die Neue Wache flüchteten.
Da wird die Trommel gerührt und der Angriff auf die dichtgedrängte Volksmasse erfolgt so schnell, daß ein Sichzurückziehen und Zerstreuen kaum mög
Dragoner hieben ein, am Rande des Plazes bei der Stechbahn entwickelten sich Reibereien, aus den Schloßportalen fiel eine Salve auf das fliehende Volk.
Der Kampf begann. Barrikaden erhoben sich, in mancher Straße zehn und mehr, im Ganzen etwa in mancher Straße zehn und mehr, im Ganzen etwa vierhundert; man rief und suchte nach Waffen. Die Artillerie ließ ihre Geschüße spielen. Bei der Borsigschen Fabrik vor dem Thor nahmen die Arbeiter und Studenten ein paar bespannte Militärgeschütze, aus denen man auf sie geschossen hatte, als man sie abzuspannen trachtete. Angst und Wuth steigerten sich von Sekunde zu Sekunde. Männer, Weiber und Knaben von zwölf und vierzehn Jahren kämpften mit Feuereifer, wie Wilhelm Zimmermann in seinem Buche„ Die deutsche Revolution"( 2. Aufl. 1881) erzählt.
Unter den Leichen, die der Tag aufflärte, fand man Mädchen in Männerkleidung mit Kugelwunden, die Waffen in der Hand, auf dem Kampfplatz liegen, wie 1813 und 1815 in dem Kriege, den sie Befreiungskrieg nannten.„ Das Schlachtfeld in der Nacht vom 18. auf den 19. März war ein wahreres Freiheitsschlachtfeld als das von Waterloo und würdiger der weiblichen Todesweihe." Vierzehn würdiger der weiblichen Todesweihe." Vierzehn weibliche Opfer tödtete die Kugel oder das Bajonnet in dieser Nacht.
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Man beklagt, daß damals um den König nur starre Absolutisten gewesen seien, daß besonders Humboldt und General von Radowiz nicht an seiner Seite waren. Am wenigsten schenkte man dem Prinzen von Preußen Vertrauen, den man für den schlimmsten Berather seines Bruders hielt. Abordnungen, die um Einstellung des Kampfes und Zurückziehung des Militärs baten, wurden im Schlosse abgewiesen. Das geht nicht," antwortete der Prinz von Preußen.„ Ich bin ein mächtiger Herr, meine Truppen werden über die Nuheſtörer siegen," antwortete der König. Man sagt, selbst Offiziere hätten einen Friedensschluß geru gesehen, denn auch das Militär hatte stark gelitten; das Volk schlug sich vortrefflich, militärisch gesprochen." S " Die allgemeine militärische Dienstpflicht in Preußen hatte militärische Kenntnisse unter allen Ständen verbreitet"( Zimmermann). Und die meisten Kämpfer waren Beschwerden gewohnte Arbeiter.
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sagt der Greis. Augenblicklich entblößen Alle ihr Haupt, beklagen, daß kein Klingelschild den Besitzer der Wohnung genannt habe, weil dann Niemand ihn belästigt hätte, und indem sie sich entfernen, machen sie den unten im Hause wohnenden Leuten Vorwürfe, daß man sie nicht benachrichtigt habe, wer da oben wohne.
Eine Ehrenbürgerwache stellten die Volkskämpfer vor das Haus Oranienstraße Nr. 67 und die dorthin Befehligten rechneten es sich zur Ehre an, sie sprachen mit Stolz davon.
Solche Züge stellte das Volk auf als Gegenstücke zu dem, was sich das Militär und voran adelige Offiziere zu Schulden kommen ließen gegen wehrlose Frauen und Kinder in den genommenen Häusern Berlins , gegen Greise auf den Gefangenentransporten nach Spandau .
Spuren sind nachweisbar, daß das siegreiche Volk hätte weiter gehen können, als es ging. Gegen den Palast des Prinzen von Preußen war der Hauptandrang gewesen, ihn hatte man zerstören wollen. Doch ein Arbeiter, ein Maurergeselle, wies auf die hart daranstoßende Staatsbibliothek und die Gefährdung derselben und ihres unerseßlichen Schazes hin. Da löschte man die Brandfackeln; ein Maler stieg auf eine Leiter und schrieb an Wand und Thüren:„ Eigenthum der Nation!"
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Bürgergut!"„ Schont das Eigenthum!" war an allen Läden der Königstraße zu lesen und an Eigenthumsfrevlern wurde sofort auf der Straße Volfsjustiz geübt.„ Es gab teinen Pöbel," schreibt Zimmermann.
Einem Hoflieferanten, der drei Polen denunzirt und sie den Soldaten überliefert hatte, als hätten sie durch Geldvertheilung das Volk gehezt, wurden seine Vorräthe und Möbel auf der Straße verbrannt. Dasselbe widerfuhr einem Gendarmeriemajor a. D., der zwanzig Waffen suchende junge Leute in sein Haus gelockt und den herbeigerufenen Soldaten ausgeliefert hatte.
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