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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Noch einmal dasselbe Klopfen an der Lehmwand! Sie war schon am Fenster und schob den Schieber bei Seite. Richtig! Da draußen stand eine dunkle Gestalt. Gustav?" Ja!"" Ich fumme!" Schnell ein Tuch über die bloßen Arme geworfen! Etwas an die Füße zu ziehen, nahm sie sich nicht erst die Zeit. Dann die Kammerthiir nach dem Hausgang geöffnet! so leise wie möglich die hintere Hausthür aufgeriegelt und aufgeklingt!
Im Rahmen des Thürstocks erschien jetzt seine Gestalt. Sie griff nach Gustavs Hand, leitete ihn, damit er in der Dunkelheit nicht zu Falle komme. Erst als sie ihn drinnen hatte bei sich in der Kammer, den Geliebten, warf sie sich ihm um den Hals, wie sie war, nicht achtend der Kälte und Nässe, die er aus der Nacht mit herein brachte.
XII.
Die von Edmund Schmeiß versprochenen Dinge und Kraftfuttermittel trafen in einem großen Brettwagen auf dem Büttnerschen Gehöfte ein. Der Fuhrmann übergab einen Lieferschein, der am Kopfe die Firma„ Samuel Harrassowiz" trug. Der Büttner bauer begriff nicht, was das heißen solle. Er hatte doch mit Edmund Schmeiß gehandelt und nicht mit Harrassowiß. Der Kutscher, den der Bauer darüber ausfragen wollte, wußte auch keinen Bescheid zu geben. Er sei von der Firma S. Harrassowiz beauftragt, seine Fracht hier abzuladen. Es waren Säcke mit Chilisalpeter und Knochenmehl, und ein Haufen Erdnußkuchen. Der Fuhrmann ließ sich die Empfangnahme vom Bauern quittiren und übergab dann einen Brief. Darin bekannte Samuel Harrassowig, Bezahlung für gelieferte Diinge- und Kraftfuttermittel durch ein von Herrn Edmund Schmeiß an seine Ordre remittirtes Accept des Bauernguts besizers Traugott Büttner in Halbenau empfangen zu haben.
Der Büttnerbauer stand rathlos vor dem Papiere. Was bedeutete nun das wieder! Wie viel schuldete er nun eigentlich und für was? Und wessen Schuldner war er?
Der künstliche Dinger wurde vom Wagen genommen und in einer Ecke des Schuppens untergebracht. Der alte Bauer empfand nichts als Verachtung diesen Säcken gegenüber mit ihrem salzartigen Inhalte. Was sollte dieses Zeug seinen Feldern nügen! Das war ja nur neumodischer Unsinn. Wie konnten einige Handvoll solchen Pulvers ein Fuder Mist ersetzen, wie neuerdings gelehrte Leute aus der Stadt behaupteten. Mit Ingrimm betrachtete er sich diese Säcke, in denen sein gutes Geld steckte.
Gustav dachte anders darüber, als der Vater. Er war während seiner Dienstzeit in vorgeschrittenere Wirthschaften gekommen, als die väterliche war, und hatte die Vorzüge der künstlichen Düngung mit eigenen Augen wahrgenommen. Er wußte auch, zu welcher Jahreszeit und auf welchem Boden man die verschiedenen Düngerarten anzuwenden hatte. Der Vater überließ es ihm, mit dem„ Zeugs" anzufangen, was er wollte. Ueber dreißig Jahre hatte er gewirthschaftet ohne dergleichen. Er war zu alt, um darin noch umzulernen.
Auch in anderer Beziehung machte sich Gustavs Einfluß geltend. Die Kartoffelernte hatte inzwischen ihren Anfang genommen. Der Büttnerbauer wollte, wie in den Jahren bisher, das Ausmachen der ,, Apern" mit den Seinigen bezwingen. Gustav redete ihm zu, er solle Tagelöhner aus dem Dorfe annehmen, wie die anderen Bauern es thaten. Aber der Alte sträubte sich dagegen, er scheute die Ausgabe; außerdem, behauptete er, würden ihm Kartoffeln gestohlen. Die Ernte zog sich dadurch endlos in die Länge, denn außer dem Alten, der die Furchen anfuhr, standen nur acht Hände für das Lesen der Früchte zur Verfügung. Dabei konnte man Toni, die nicht mehr allzu weit von der Entbindung stand, kaum mehr als volle Arbeitskraft rechnen. Der alte Bauer zanfte und wetterte, daß es nicht vorwärts rücke. Nächstens werde es frieren und die Hälfte der Kartoffeln stecke noch im Acker. Dabei war doch sein eigener furzsichtiger Geiz und Starrsinn der Hauptgrund der Verzögerung.
Da tam Gustav auf einen Gedanken; er schlug vor, Kinder von armen Leuten, Häuslern, Einliegern, Handwerkern, die selbst kein Land hatten, zum Kartoffellesen anzunehmen und sie mit einem bestimmten Maß von Kartoffeln zu bezahlen.
Der Gedanke leuchtete dem Alten ein. Auf diese Weise brauchte fein baar Geld ausgegeben zu werden, mit dem er in letzter Zeit farger umging, denn je zuvor. Die paar" Apern", welche die Kinder mit fortnahmen, fehlten kaum am Ertrage, und am Stehlen wurden die Kinder auch verhindert, denn Stehlen wurden die Kinder auch verhindert, denn sie hatten genug zu schleppen an dem ihnen zu getheilten. Gustavs Plan kam zur Ausführung. Eine ganze Rotte von Kindern armer Leute wurde angenommen und in wenigen Tagen war die Ernte beendigt.
Der Büttnerbauer fonnte mit dem Ertrage zu frieden sein. Die Kartoffel war in diesem Jahre gut gediehen. Die Nässe im frühen Sommer hatte das Wachsthum des Kräutichs befördert und die Wärme und Trockenheit des späteren Sommers war der Entwickelung der Knollen zu Gute gekommen. Die Früchte waren zahlreich, groß und gesund. Ein wahrer Segen für die Armen, deren Hauptnahrung wahrer Segen für die Armen, deren Hauptnahrung für den Winter gesichert war. Der Keller unter der Büttnerschen Scheune reichte in diesem Jahre nicht annähernd, um die Hackfrüchte sämmtlich auf zunehmen. Gustav gab daher seinem Vater den Rath, nur Kraut und Rüben in den Keller zu nehmen, und an Kartoffeln so viel, wie man für Haus- und Viehstand im Winter voraussichtlich brauchen würde, das Uebrige aber auf freiem Felde einzumiethen. Der Bauer folgte auch darin dem Rathe des Sohnes. Der plößliche Preissturz, den die Kartoffel gleich darauf erlitt welcher mit der allgemein gut ausgefallenen Ernte zusammenhing konnte ihn belehren, daß er recht daran gethan habe. Für das Frühjahr durfte man mit Wahrscheinlichkeit auf ein Anziehen des Preises rechnen.
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Die Herbstbestellung verlief unter günstiger Witterung. Zeitig bedeckten sich die Felder mit dem zarten Grün des aufgehenden Winterkorns. Ein milder Spätherbst gestattete es, bis tief in den November hinein zu pflügen. Als die ersten Flocken niedergingen, konnte der Landmann dem mit Ruhe zusehen; es war Zeit für den Schnee. Die Ernte Die Ernte war geborgen, der Acker vorbereitet für die Früh jahrsbestellung, und die Winterung gut aufgegangen.
Mit dem Büttnerbauer war eine Wandlung vor fich gegangen in der letzten Zeit. Er war milder geworden und friedfertiger gegen die Seinen. Die wilde Hast hatte aufgehört, mit der er während des Sommers die Arbeiten betrieben hatte. Er ließ Frau und Kindern größere Freiheit, die Weiber durften im Hauswesen wieder schalten. Bis auf das Vieh herab erstreckte sich seine freundliche Stimmung. Die Pferde erhielten wieder das ihnen gebührende Maß Hafer und dankten ihrem Herrn bald dafür durch besseres Aussehen. Sich selbst gönnte der Bauer jetzt auch wieder Schlaf und Nahrung. Die guten Folgen davon bekam zunächst die Bäuerin zu spüren; er erschreckte sie Nachts nicht mehr durch Selbstgespräche und unheimliches Umgehen. In der Kirche war er bald wieder der Aufmerkſamſten einer, und der Pastor bekam ein freundlicheres Gesicht zu sehen, als den Sommer über.
Das waren die segensreichen Folgen von Gustavs Rückkehr ins Vaterhaus. Seit er seinen zweiten Sohn wieder bei sich hatte, schien der Büttnerbauer wie ungetauscht. Dabei ließ er es den Jungen garnicht mal merken, wie große Stücke er auf ihn hielt und was sein Nath und seine Hülfe in der Wirthschaft ihm bedeuteten. Ueber den Kopf wollte er sich den jungen Menschen auch nicht wachsen lassen. Die natürliche Eifersucht des Alters, das sich von der Jugend überflügelt sieht, spielte dem Vater mit. Außerdem war Gustav nicht der Aelteste. Karl blieb auch in den geheimsten Gedanken und Plänen des alten Mannes der Anerbe des Hofes. An dem in seiner Gegend und seiner Familie eingebürgerten Gebrauche, dem ältesten Sohne das Gut zu überlassen, hätte er nie und nimmer rütteln mögen. Karl sollte der zukünftige Büttnerbauer sein und
bleiben, wenn ihn auch Gustav jezt häufig wie einen Knecht anstellte und behandelte.
Gustav hatte auch die Ordnung der Geldverhält= nisse in die Hand genommen. Davon verstand er nur so viel, wie der gesunde Menschenverstand Ginem lehrt. Denn Erfahrung in dieser Art Dingen zu sammeln, hatte er bei der Truppe faum' Gelegenheit gehabt.
Schuldentilgungsplan.
Er that, vom richtigen Naturtrieb geleitet, das Vernünftigste, was bei der Lage seines Vaters ge= than werden konnte, er zählte zunächst einmal die sämmtlichen Schulden zusammen und stellte ihnen gegenüber die Einnahmen auf, die man als sicher erwarten durfte. Dann entwarf er eine Art von Schuldentilgungsplan. Die Weihnachtszinsen hoffte er mit Hülfe des noch unverkauften Hafers zu decken, für den Ostertermin sollten die Kartoffeln bleiben. Wenn Hafer und Kartoffeln nur einigermaßen Preis" bekamen, hoffte er auf Ueberschüsse. Freilich, so viel wie nöthig war, um den Wechsel bei Samuel Harrassowitz zu decken, würde auf keinen Fall übrig bleiben. Da mußten eben noch andere Quellen aufgethan werden. Vielleicht ließ sich in diesem Winter etwas mehr aus dem Walde nehmen, als sonst. Dann mußten allerdings die letzten Bäume, die dort noch standen, dran glauben. Auch daran dachte er, die zwei Schweine, welche die Bäuerin gewöhnlich um Weihnachten herum schlachtete, die Speck und Schinken für das ganze Jahr hergeben mußten, zu verkaufen, statt sie ins Haus zu schlachten. Sowie die Schweine nicht mehr im Stalle wären, würde ja auch Milch übrig sein, und dann konnte mehr gebuttert werden. Das Stroh, welches von der Kornernte her reichlich vorhanden war, mußte auch in Rechnung gezogen werden. So gab es schließlich eine ganze Anzahl Dinge, die, wenn richtig verwerthet, Einnahmen abwerfen konnten.
Bei dieser Aufstellung war allerdings nicht in Rechnung gezogen die gekündigte und in naher Zeit fällige Hypothek von Gustavs Onkel, Kaschelernst. Woher das Geld zur Deckung dieser Forderung be= schafft werden sollte, wußte Gustav ebenso wenig, wie der alte Bauer selbst. Als der junge Mann zum Haferverkauf nach der Stadt gefahren war, hatte er sich dort unter der Hand erkundigt, ob und unter welchen Bedingungen die Hypothek unterzubringen sei. Dabei hatte er sich überzeugen müssen, daß solide Geschäftsleute mit Hypotheken an so gefährdeter Stelle nichts zu thun haben wollten. Von einer Seite zwar wurde ihm das Geld geboten, aber unter so übertriebenen Zinsbedingungen, daß er Halsabscheiderei witterte und von dem Geschäfte absah.
Gustav gab sich jedoch dieser Forderung wegen nicht allzu schweren Besorgnissen hin. Er konnte sich nicht denken, daß sein Onkel Ernst machen würde mit dem Ausklagen. Nicht etwa, daß er Kaschelernst eine solche Härle gegen den eigenen Schwager nicht zugetraut hätte; er fannte den Kretschamwirth nur zu gut. Nein, er glaubte, daß der es nicht wagen wiirde, den Bauern zum Aeußersten zu treiben. Er mußte doch am besten wissen, daß bei dem Schwager nichts zu holen war. Slagte er, so kam es zum Zusammenbruch, und Kaschelernst verlor dann seine Hypothek, für die er bisher die Zinsen stets richtig erhalten hatte. Daß der Kretschamwirth daran denken könne, auf Erwerb des Bauerngutes selbst zu speku liren, nahm Gustav nicht an. Weder Kaschelernſt noch der Sohn waren Landwirthe, und sein schlauer Onkel würde sich wohl hüten, zu dem, was er schon hatte, sich noch die Last eines größeren Besizes aufzubirden.
Er nahm daher die Kündigung der Kachelschen Hypothek, die dem alten Bauern so schweres Aergerniß bereitet hatte, garnicht ernst. Das war wohl nur ein Schreckschuß oder ein schlechter Wiz, den sich der schadenfrohe Kretschamwirth zu seinem besonderen Ergößen gemacht hatte.( Fortsetzung folgt.)