Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
geht man doch nich rüber!" Diese vertrauliche Diese vertrauliche Meinungsäußerung frappirte mich einigermaßen und ich war schon im Begriff, mit einer derben Entgegnung zu antworten, aber zugleich amüsirte mich dieses liebevolle Eingehen auf meine persönlichen Verhältnisse und die Komik der Situation derart, daß ich mich mit der Gegenfrage begnügte:„ Was treibt denn Sie dazu, den Berliner Staub von den Füßen zu schütteln?" Das war Wasser auf seine Mühle, mit der Geschwäßigkeit des ungebildeten Berliners erzählte er mir mit einem langen Umschweif, indem er wohl bis auf seine Jugendzeit zurückgriff und jede Aeußerung mit einer ungemein fomischen furzen Handbewegung begleitete, seine ganze Lebensund Leidensgeschichte. Er hatte nämlich„ Schie bungen" gemacht um einen Freund zu retten, fügte er zu seiner Selbstentschuldigung hinzuund da hätten sie ihn zu einem halben Jahre ,, ver= knackt" und" det konnte er nich als ehrlicher Berliner über sich ergehen lassen". Da wäre denn der ganze Strempel verkauft, und nu gings riiber.- Hieran anknüpfend, muß ich bemerken, daß die Anschauung, ein jeder Auswanderer müsse etwas auf dem„ Kerbholz" haben, unter unseren Landsleuten auf beiden Hemisphären weit verbreitet ist. Amerifa wird im Allgemeinen als das große Korrektionshaus betrachtet, man schickt jeden ungerathenen Strick zur Besserung" hinüber. Infolgedessen lastet auf jedem Auswanderer ein gewisses Odium, wie es sich schon in der bekannten Redensart, die den Umständen entsprechend eine Warnung oder auch einen Vorwurf enthält, kund giebt:„ Der ist auch schon mal in Amerika gewesen!"
Bevor wir den Boden der neuen Welt betreten sollten, war uns noch eine Operation zugedacht, die von vielen Auswanderern, namentlich den Herrschaften des fernen Ostens, vielleicht noch mehr gefürchtet wurde, als ein Sturm: die Impfung. Die Sanitätstommission der Vereinigten Staaten fordert nämlich, daß jeder Einwanderer aus dem Zwischendeck vor seiner Landung geimpft werden muß. Die leßten Tage dieser Woche waren für die Massenimpfung festgesetzt. Wie eine Hammelheerde, in einzelne Trupps gruppirt, mußten wir der Reihe nach, ohne Unterschied des Alters und Geschlechts, antreten. Diese liebliche Prozedur verursachte eine Menge höchst ergötzlicher Szenen. Die meisten der Ostelbier, Juden und Schlowaken", die sich natürlich keine Vorstellung von der Bedeutung der Impfung machen fonnten, betrachteten mit geheimem Grauen den Arzt, der mit geschäftlichem Eifer seines Amtes waltete; die stärksten Kerle zitterten oft am ganzen Körper, wenn die Impfung an ihnen vorgenommen wurde. Zur Ehre des weiblichen Geschlechts muß ich anerkennen, daß seine Angehörigen, ob alt oder jung, eine viel größere Standhaftigkeit zeigten, als unsere „ Schlowaken". Am renitentesten benahmen sich aber die polnischen Juden, die vielleicht nicht zum Ge ringsten durch bornirte, religiöse Vorstellungen zum Widerstand gegen diese Prozedur, die an Gläubigen wie Ungläubigen ohne Unterschied vorgenommen wurde, aufgereizt wurden. Bei Manchen äußerte sich die Furcht in der albernsten Weise. Sie warfen sich wie eigensinnige Kinder auf den Boden und strampelten mit den Füßen, so daß sie nur mit Gewalt, indem zwei handfeste Matrosen sie ergriffen und festhielten, zur Impfung gezwungen werden konnten. Als an mich die Reihe kam, bemerkte ich zu meinem nicht geringen Erstaunen, daß der Arzt das Messer in eine wasserhelle Flüssigkeit tauchte. Ich konnte nicht umhin, meiner Verwunderung über die wunderbar flare Lymphe Ausdruck zu geben, worauf der Arzt mir einen verständnißvollen Blick zuwarf. Später erzählte er mir, daß ihm die Lymphe ausgegangen wäre, und da auf alle Fälle geimpft werden muß, so nahm er als Ersatz eine leichte Karbollösung, da es doch nur auf die Erfüllung der Form anfäme. Bald darauf wurde jedem Klienten ein Testat ,, mit Erfolg geimpft" ausgehändigt. Dieser Schein mußte im Hafen von New- York der Sanitätsfommission vorgezeigt werden. Damit fand die Komödie, die Manchem eine schier unglaubliche Angst eingeflößt hatte, ihren Abschluß.
Es war wieder ein Montag, ein wunderbar
klarer Frühlingstag. Das Meer war spiegelglatt, kein Windzug kräuselte die intensiv blau schillernde Oberfläche, der Horizont ging fast unmerklich in die Wassermassen über. Unser Schiff glitt fast geräuschlos über die glatte Fläche dahin, die Bewegung war kaum wahrzunehmen, da keine vergleichenden Objekte vorhanden waren. Man hatte die Enipfindung, als wäre der Dampfer auf einen Punkt gebannt, eingeschlossen von einem klaren, undurchdringlichen Element. Und dazu sandte die Frühlingssonne ihre belebenden, warmen Strahlen, die auf dem Wasser in langgezogenen, silberhellen Streifen sich weithin reflektirten. Der Zwischendecker bemächtigte sich eine behagliche Ruhe, Niemand dachte mehr an die Schrecken der Ozeanfahrt; die Meeresstille verbreitet eine Stimmung, die nicht zum Denken und Arbeiten anregt, es umfängt uns das Gefühl des süßen Nichtsthuns, träumerisch blickt man in das weite Himmel gewölbe; weder die Erinnerung an die alte, noch die Erwartung einer neuen Welt nimmt in Augenblicken, wo die Natur in ihrer gewaltigen Größe sich offenbart, den Auswanderer gefangen.
Da - plötzlich ging eine Bewegung durch die Massen. Vom Bug erscholl der freudige Ruf: „ Land!" Das Wort wirkte elektrisirend, Alles drängte sich auf die rechte Seite des Dampfers, um zu sehen. Und richtig, am Horizont zeigte sich ein grauer Streifen, mit dem Fernrohr erkannte man sogar schon einige Gegenstände, einen Leuchtturm, Fischerhitten und Baumgruppen. Es war also kein Zweifel mehr, wir befanden uns in unmittelbarer Nähe der amerikanischen Küste, das Land unserer Wünsche lag vor uns, die furchtbare Zeit im Zwischendeck hatte ihr Ende erreicht. Zwischendecks- und Kajütenpassagiere gaben sich einer ungezügelten Freude Kajütenpassagiere gaben sich einer ungezügelten Freude hin, dies Ereigniß schien alle Schranken weggeräumt zu haben, beide Gruppen waren sich heute zum ersten Male näher getreten und tauschten freundliche Worte miteinander aus. Dann wurde auch unsere Aufmerksamkeit auf die zahlreichen, plößlich auftauchenden Fahrzeuge gerichtet. Am Vormittag begegneten wir einem erstklassigen Dampfer des Norddeutschen Lloyd in einer Entfernung von einigen hundert Metern, von beiden Seiten wurden die Flaggen zur Begrüßung gehißt und stolz dampfte das mächtige Fahrzeug an uns vorüber, während unser guter ,, P. Calland" sich durch dies Beispiel keineswegs zu einem schnelleren Tempo anstacheln ließ. Rings umher aber kreuzten fleine Segelschiffe, Dampfer und Lootsenboote; es war dies für uns, die wir seit zwei Wochen keine Stunde von der Außenwelt erhalten hatten, ein fesselndes Schauspiel, worüber unsere Obliegenheiten an Bord ganz in den Hintergrund traten, selbst die Disziplin hatte angesichts des nahen Zieles sich gelockert, Keiner empfand mehr eine besondere Neigung, die Eimer zu reinigen, die eine besondere Neigung, die Eimer zu reinigen, die meisten verzichteten überhaupt auf das Mittagsmahl in der Voraussicht, sich heute noch in New- York gütlich thun zu können. Unser Mittagsmahl bestand übrigens heute zur Feier des Ankunftstages aus zwei Gängen, nämlich außer dem obligaten Suppenknochen mit Reis und Kartoffeln gab es noch den an Bord hochgeschäßten Plumpudding, ein Gemengsel von altem, aufgeweichtem Gebäck der verschiedensten Art und gedörrten Pflaumen. Jedenfalls hatte sich die Küchenverwaltung an das schöne Sprichwort: Ende gut, Alles gut" erinnert und daher diese außerordentliche Generosität beobachtet. Ob man aber im Allgemeinen den Fleischtöpfen des aber im Allgemeinen den Fleischtöpfen des„ P. Calland" ein gutes Andenken bewahrt hat, dafür möchte ich mich nicht verbiirgen.
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Am Nachmittag erhielten wir einen Lootsen an Bord, der nunmehr die Führung des Dampfers übernahm. Diese kühnen Seefahrer kreuzen oft Tage lang auf dem offenen Ozean in einem einfachen Segelboot, das von drei bis vier Leuten bemannt ist. Diese werden bis auf Einen, der den Rücktransport des Bootes übernimmt, auf den verschiedenen transatlantischen Dampfern abgegeben. Vom Hafen von New- York nimmt, sobald Alle dort wieder versammelt sind, die nächste Expedition wieder ihren Anfang. Durch unseren Lootsen erhielten wir die erste Kunde aus der Welt; eine Anzahl amerikanischer Zeitungen unterrichtete uns über alle Geschehnisse, die sich in
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zwischen vollzogen hatten. Während noch immer die Russen- und Franzosenverbrüderungen, sowie die orientalischen Herensabbathe den unfehlbaren Diplomaten der alten Welt arge Kopfschmerzen bereiteten, hatte man in der neuen Welt mit großem Pomp die Columbische Weltausstellung in Chicago eröffnet, uns Deutsche beschäftigte aber am meisten die Auflösung des Reichstages, man ereiferte sich sogar über die Ansichten der Opposition und kannegießerte wie in einer deutschen Spießbürgerkneipe, während das Gestade der neuen Welt immer deutlicher sichtbar wurde.
Vor uns lag Long Island , auf der anderen Seite stieg aus den Fluthen die mächtige Küste Staten Islands empor; am Strande sah man reizende Villenkolonien und Badepläße, eingeschlossen von schönen Laubwaldungen, liegen, ganz im Hintergrunde, von den vorgeschobenen Inseln noch verdeckt, sich aber durch den Dunstkreis der Weltstadt verrathend, lag New- York . Plötzlich ſtoppte der Dampfer, um den Sanitätsbeamten, der uns in einem kleinen Motorboot entgegen fuhr, an Bord zu nehmen. Die Musterung des Gesundheitszustandes erledigte der Wackere mit einer allgemein ver= blüffenden Schnelligkeit, er beschränkte sich lediglich darauf, die Zwischendecker mit ihrem amtlich beglaubigten Impfschein an sich vorüber defiliren zu lassen. Dann komplimentirte ihn der Kapitän in seine Kajüte, wo man auf die Gesundheit des P. Calland" eine Flasche Wein leerte. Während der Herr Sanitätskommissar sich noch dieser aufregenden Beschäftigung hingab, wurden in sein Motorboot mehrere holländische Käse und einige Kisten Zigarren versenkt. Welche alte„ Gerechtsame" die Holländer zu dieser sinnigen Naturalabgabe ans Mutterland und die Kolonien verpflichtet, kann ich nicht verrathen. Nach der amtlichen Bestätigung unseres guten Geſundheitszustandes stand unserer Weiterreise nichts mehr im Wege.
Am Spätnachmittag passirten wir die„ Narrows", die Meerenge zwischen Long Island und Staten Island , die Eingangsfahrt in die wunderbare Hafenbay von New- York . Der Vorhang war gefallen. Vor uns lag die neue Welt. Die kolossale Freiheitsstatue entbot uns ihren Gruß. Freiheit erleuchtet die Welt!" Das sind die Flammenworte, mit denen sie den Einwanderer empfängt. In der einen Hand hält sie die Gesetzestafeln der Vereinigten Staaten , in der anderen schwingt sie die Fackel, einen Strahlenfranz um ihr Haupt gewunden, so steht sie da mitten im Weltgetriebe in einſamer, unnahbarer Majestät. Ein merkwürdiges Gefühl beschleicht den Auswanderer, der sie plößlich vor sich stehen sieht. Sie winkt ihm ermuthigend zu; unter ihrem Schutz haben schon Tausende und Abertausende, die religiöser oder politischer Fanatismus aus dem Vaterlande vertrieben hat, eine bleibende Heimstätte gefunden. und dort am äußersten Ende empfängt uns die Riesenstadt, das Herz der neuen Welt, New- York . Ihr gegenüber liegt die Schwesterstadt Brooklyn . Schon wurde die mächtige Hängebrücke, die beide Städte verbindet, sichtbar, durch das Fernrohr konnte man deutlich das kolossale Bauwerk sehen, in schwindelhafter Höhe bewegten sich Eisenbahnzüge hiniiber und herüber, während tief unten zwischen den Riesenpfeilern die größten Dampfer und Segelschiffe passirten.
In der Hafenbay herrschte ein reges Getriebe, Fahrzeuge aller Art, Fracht- und Personendampfer, Dampffähren und Segelschiffe fuhren an uns vorüber, dazwischen tummelten sich Fischer- und Sportboote. Von dem großen Auswandererdampfer, der in langsamem Tempo über die Hafenbucht steuerte, nahm man wenig Notiz, es war eine zu alltägliche Erscheinung. Allmälig setzte die Abenddämmerung ein. Es war ein herrlicher Sonnenuntergang. Die ganze Szenerie erschien mir in ein Purpurbad getaucht, der Himmel war intensiv rothgoldig gefärbt. Plöglich flammten auf beiden Seiten Tausende von elektrischen Lichtern auf, im Hafen wurden die Leuchtfeuer und Signallaternen angezündet und von ihrer einsamen Höhe warf die Freiheitsstatue einen mächtigen Feuerstrahl über das Wasser. In diese Lichtfülle drängten sich die prächtig erleuchteten Dampffähren, die mit ihren langen Fenſterreihen wie wandelnde Häuser erschienen.