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Im Café.

Von K. P. Mohr.

Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

ellner, einen Schnitt Dunkel und' n paar Journale!"

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Bitt' schön sofort," erklingt's zur Antwort, prompt, mechanisch, wie aus einem lebenden Automaten.

Ich setze mich nnd zünde mir eine Zigarrette an. Aus dem Nebensaal ertönt Musik.... Ab und zu verirren sich einige flüchtige Töne zu mir.

Ich bekomme meine Journale, rasch durchfliege ich die Inhaltsangaben und blättere dann umher.. Kritiken und Essays über Kunst, russische, standi navische und französische. Die übliche Tripelallianz... Dann Niezsche... Sie haben ihn ans Kreuz ge­schlagen bei lebendigem Leib, dann nehmen sie ihm seinen Mantel, das herrliche, farbenprächtige Gewand, und nun würfelt das Knechtsvolk um ihn....

Und von der deutschen Poesie lese ich, die wieder in einen Dornröschenschlummer zu sinken droht. Und wie ich lese, klingt es von schluchzenden Geigen und von wirren, dunklen Klagen, und es fleht und bittet und droht...

Und plöglich fluthets mir so heiß den Rücken herauf in den Hinterkopf, und es glüht und hämmert - ich kann nicht weiter lesen.

Ich springe auf und gehe in den Musiksaal. Es sind Ungarn , braune Gesichter mit schwarzen Schnurrbärten und schwarzen, glatten Haaren. Einige auch mit furzem Backenbart, wie deutsche herrschaft liche Kutscher. Sie spielen irgend ein Lied aus der Heimath.

Und die Töne quellen empor und suchen und fliehen einander, und immer neue tauchen auf, sie fließen zusammen und werden immer freier und größer, glühender und lockender, und endlich brausen sie einher in wellendem, glänzendem Strom. Und Alles taucht unter in diesen Strom und wird Musik. Jede, Neigung und Bewegung der Körper Musik- Rythmus Taumel Rausch.­

Dazu strahlendes Licht aus hundert Rosenkelchen, ein Licht, wie aus brennendem Glas, blendend, un­zählige Male gebrochen in tausend Prismen und wieder aufgefangen in den meterbreiten wandbedecken­den Spiegeln, neue Lichtmeere in feenhafter Ferne zeigend. Und das Licht wird Musik und die Luft scheint zu schwingen von weißen und gelben Tönen, immer blendender, feiner und weißer.

Dann verwirren sich die Töne, sie scheinen zu stocken, sie werden dunkel und der glänzende Kas­fadenstrom von Lichtmusik stürzt in sich zusammen. Es klingt wie Gelächter durch den Saal. Man hat ein Märchen geträumt....

Ich size an einem weißen Marmortischchen. An den Nebentischen ist gedeckt, schneeig weiße Gedecke. Weingläser stehen auf diesen Tischchen. Es ist noch nicht sehr voll.

Am nächsten Nebentisch sizt ein junger blonder Mensch mit frischen, glatten Farben im Gesicht.- Smoking Seidenaufschläge... weites Brusthemd, wie ein weißes Schild... Brillantenknöpfe darin... Zuweilen blickt er, die Augen halb zukneifend, un­verschämt umher. Neben ihm eine schwarzhaarige Jüdin... groß... Mittelalter... die Augen wie schwarzer Lack... gewaltige Brillanten in den Ohren und an den Fingern und mit noch gewaltigerem Busen... Wie ein steiles Gebirge steigt er plöß­lich an, nur ein Esel scheint auf ihn heraufklettern zu können. Auch die Kunst ist echt. Kunst der Hut und die Brillanten, Halbkunst der Busen.

Schusch nennt sie ihn. Er ist eifrig galant, spricht dann und wann und streicht sich seinen kleinen Schmirrbart. Plößlich geht ein älterer Herr an dem Paare vorbei... Rothes Gesicht, vollständige Glaze, goldene Brille mit sehr scharfen Gläsern. Er sieht sie au, zwinfert mit den Augen vertraulich- frech.

Schusch" wird unruhig. Das freche Obenhin ist aus seinem Antlig verschwunden. Er ist ver­legen, genirt...

,, Kennst Du den?" fragt er halblaut.

Sie bestreitet es, dabei nennt sie ihn ,, Herzlieb".

Dann zahlt er. Er hilft ihr in den Pelz. Sie verlassen den Saal.

Und mir zuckt es in der Faust, wie Alles sich fiir Gold verkauft. Alles Waare. Alles feil...

Da beginnt die Musik wieder. Sie ist ja auch gekauft, grellt es plößlich in mir. Gold ist's, uni das diese Töne kreischen. Gold ist's, um das sie wimmern und jubeln. Gold ist's, um das ihre Ge­fühle tummeln in Seligkeit und um das sie ihres Herzens Heiligstes verrathen, um satte Bäuche in Wollust zu erschauern. Und wenn du dir einen der Menschen ansiehst, dann schrickt er auf und stockt und zittert und vermag seine Glieder nicht von der Stelle zu rühren. Sie sind hier Alle vergiftet, langsam ganz langsam....

...

Das Gift fist in ihren Kleidern, in ihren Haaren und dringt in ihre Poren, langsam, von Tag zu Tag, und frißt sich immer tiefer in alle Gewebe, bis sie ganz von dem Gift durchdrungen.

Dann fließt ihnen der Speichel aus dem Munde, blöder und blöder werden die Augen, die Glieder zucken und zittern, das Kind im Mutterleibe wird vergiftet. Doch kein Gesetz straft diesen Mord, kein Kläger ist dafür und kein Gericht.

Und wie ich in die Spiegel blicke, da starrt es mir entgegen von bleichen, müden Gesichtern. Ich mir entgegen von bleichen, müden Gesichtern. Ich sehe einen langen, niedrigen Saal. Frauen und Männer sind darin beschäftigt. Warme, stickige Luft durchzieht den Raum und einen Bleigeschmack spiirt die Zunge, wenn man den Mund zum Athmen öffnet. Sie ſizen aber und reiben und wischen an großen Glasplatten in dumpfem Schweigen. Kleine Silberkugeln laufen hierhin und dorthin und sammeln sich in kleinen Häufchen. Von überall kommen sie her, von den Tischen fallen sie herunter und von der Decke träufeln sie herab.

Alles glänzt von Silber, der Boden, die Tische und die Treppen. Ueberall schmeckt man es, sieht und fühlt man es.

Und ein Grauen packt mich, ein Entseßen schnürt mir die Kehle zusammen. Vergebens möchte ich schreien: Verkauft um Geld! Ich will klagen, ich, ich bin ein Kluger. Hier ist das Gericht, hier sind die Angeklagten, Alle, die in diese Spiegel geschaut. Und richten sollen jene bleichen Gestalten.... Da tönt es wieder wie ein Gelächter durch den Saal, ein schrilles, grelles Lachen....

Das Bild ist fort.

Vor mir aber steht ein Kellner und fragt: Noch' n Bier gefällig?"

Aus dem Papierkorb der Zeit.

Zu unserem Bilde. Ueber das Schaffen und die Bedeutung des berühmten schweizerischen Malers Arnold Böcklin sind unsere Leser durch einen Aufsatz unseres Mitarbeiters Detlev Roberty( Nr. 51, 1897) näher unter­richtet. Die heutige Nummer bringt eine Holzschnitt­reproduktion eines der schönsten und stimmungsvollsten Gemälde des Meisters, seiner Pietà, deren Original sich in der Berliner Nationalgalerie befindet. Der dar­gestellte Vorgang ist vollkommen verständlich und bedarf eigentlich feiner weiteren Erklärung. Ueber den auf der Grabplatte liegenden Leichnam Chrifti hat sich Maria in verzweifeltem Mutterschmerze hingeworfen, während sich aus den Himmelswolfen ein Engel mit tröstender Ge­berde auf die Trauernde herabbeugt. Wenn wir das Bild aber seinem inneren Wesen nach verstehen wollen, so ist es vielleicht nüßlich, wenn wir zuerst die Unter­schrift, den Titel, den der Maler seinem Werke gegeben hat, näher ins Auge fassen.

Das italienische Wort pietà wird wie das lateinische pietas, von welchem es herstammt, gewöhnlich durch die deutschen Worte Frömmigkeit"," Mitleid" oder Barm­herzigkeit" wiedergegeben. Diese Uebersetzung giebt aber den eigentlichen Sinn des Wortes nicht ganz richtig, nicht eraft genug wieder. Ursprünglich bezeichnete das Wort pietas bei den alten Römern alle jene Gefühle, die den Lebenden mit den Todten verbinden und die aus diesen Gefühlen hervorgehenden Handlungen. Da aus den ver­ehrten todten Vorfahren allmälig die Götter entstanden, und aus der Todtenverehrung der Gottesdienst, so war ein pietätvoll" die Todten verehrender Mann ein frommer Mann. So verschmolzen die Begriffe allmälig ineinander. Wenn wir das italienische Wort pietà dem

Werantwortl. Redakteur: Edgar Steiger , Leipzig .

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Sinne nach annähernd richtig wiedergeben wollten, so müßten wir dasselbe Wort in deutscher Umgestaltung brauchen und Pietät sagen.

In der bildenden Kunst hat nun das italienische Wort pietà noch eine ganz besondere Bedeutung er­halten. Wenn man von einer Pietà spricht, so meint man damit ausschließlich das Bild oder die Statue einer ſizenden Madonna, die den Leichnam des vom Kreuze abgenommenen Christus im Schooße hält und den todten Sohn beweint. Das berühmteste dieser Bildnisse ist die Marmorgruppe der Pietà von Michel Angelo in der Peterskirche zu Rom . Erst die neueren Künstler sind von der ursprünglichen Formel( daß die fizzende Maria den Leichnam im Schooße hält) abgewichen. So hat zum Bei­spiel der Dresdener Bildhauer Rietschel in der Friedens­kirche zu Potsdam eine Marmorgruppe der Pietà ge= schaffen, wo die Maria neben dem vor ihr auf der Erde ausgestreckten Leichnam kniet. Die Gruppe ist wahr­scheinlicher als die alte Form; aber der innige Zusammen­hang zwischen Mutter und Sohn ist gelöst, und des­wegen macht das Ganze einen weniger einheitlichen und auch weniger rührenden Eindruck auf den Beschauer; der Vorgang erscheint etwas zu steif, ich möchte fast sagen: zu offiziell.

Auch Böcklin weicht in seiner Pietà von der alt= hergebrachten Formel ab; aber gerade dadurch schafft er ein Bild von ganz ungewöhnlicher Stimmungsgewalt. Auf der kalten, weißen Marmorplatte liegt starr und bleich der Leichnam des Erlösers ausgestreckt. Die Mutter aber hat sich in rasendem Schmerz über den todten Körper des Sohnes geworfen und umklammert ihn mit beiden Händen, wie in höchster Verzweiflung. Ein dunkles Gewand umhüllt die Madonna ganz, sogar den Kopf und das Antlig, denn der Maler wollte und konnte den höchsten Schmerz dem Beschauer nicht enthüllen. Nur die beiden Hände sind sichtbar. Der weite, dunkle Mantel der Madonna bedeckt aber zugleich auch die ganze Körper­mitte des Leichnams, von der Brust bis über die Kniee, so daß die beiden Gestalten aufs Innigste miteinander ver­bunden sind und gleichsam in eine zusammenschmelzen. Zu­dem bildet das dunkle Gewand aber auch einen prächtigen, echt malerischen Farbengegensatz zu dem bleichen Körper und dem weißen Stein, um dessen Basis liebende Hände in rührend naiver, regelmäßiger Anordnung Rosen, die Blumen der Liebe, gelegt haben, deren leuchtende Farbe wiederum sehr wirkungsvoll mit dem Stein und dem Gewand kontrastirt. Den ganzen Vorgang aber hat der Maler in eine unendlich weite, öde und baumlose Ebene verlegt, über der ein früber Himmel mit tiefhängenden Wolken lastet, und die in ihrer melancholischen Eintönig­feit einen unsagbar traurigen Eindruck macht und die Stimmung hoffnungslosen Schmerzes hervorruft.( Leider ist es dem Holzschneider auf unserer Reproduktion nicht gelungen, den Horizont, wie auf dem Original, in weite, fast unabsehbare Ferne zu rücken, so daß der Eindruck unendlicher Dede und Verlassenheit theilweise verloren. geht.) Und ganz allein liegt die Grabplatte mit dem Heiland und der Madonna auf der weiten Ebene, als ob nichts anderes auf der Welt wäre, als ob die ganze Erde nur ein einziger Ausdruck des Schmerzes wäre.

Aber in der überlebenden, trauernden Liebe ist der Tod überwunden, seine Macht ist gebrochen. Darum öffnet der Maler über seiner Schmerzensgruppe den düsteren Himmel und aus einer hell leuchtenden Gloriole streckt ein schöner, jugendlicher Engel mit sanften Zügen seine Hand ſegnend und tröstend über die verzweifelnde Mutter, während links und rechts von ihm zwei reizende Gruppen kleiner Engelskinder( sogenannte" Butten", wie man sie in der Kunstsprache nennt) mit findlich mit­fühlender Trauer auf die Szene hinabsehen. Hinter und über den düsteren Wolken wohnt der göttliche Trost.

Das rein Menschliche dieses Vorganges ist vom Maler mit so einfacher, stiller Größe wiedergegeben, daß das Bild auf jeden Beschauer, welches auch seine religiösen An­sichten sein mögen, einen tiefen Eindruck machen muß. Es ist wohl ein von tiefem, religiösem Empfinden durch­drungenes Werk, aber fein Andachts- oder Heiligenbild im Sinne der Kirche oder irgend welcher Konfession. Der religiöse Vorgang ist so wiedergegeben, wie ihn der Künstler, nicht wie ihn der Priester empfindet. Das religiöse Motiv ist in rein malerische Stimmung umgesetzt. Und diese Stimmung erzielt Böcklin durch den harmonischen Fluß der Linien, an dem wir uns auch auf unserer Reproduktion erfreuen können, und durch den unendlichen Zauber seiner Farben, von dem uns aller­dings der Holzschnitt keinen oder nur in der Abstufung von Licht und Schatten einen ganz schwachen Begriff zu geben vermag.

Schnikel.

Es kommt nicht darauf an, ob die Sonne in eines Monarchen Staaten nicht untergeht, wie sich Spanien ehedem rühmte, sondern was sie während ihres Laufes in diesen Staaten zu sehen bekommt.

Nachdruck des Juhalts verboten!

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