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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
seines Wissens kein Gebrechen.„ Nu, mir wußten och nischt dervon, sulange. Aber der Herr Oberstabsarzt meente, er hätte Krampfadern am linfen Beene. Ju ju! Krampfadern thaten se's heeßen. Newohr, Nichard? Und da wurd'' r zuricke gestellt. Nu, ich ha' natirlich nischt ne dadergegen, und der Junge erscht recht ne. Newohr, Nichard?" Der alte Raschel schüttelte sich vor Lachen. Er schien es füir einen besonders genialen Streich seines Sohnes an= zusehen, daß er infolge seiner Krampfadern militärnutiichtig war. Gustav hätte gern offen heraus gesagt, was ihm auf der Zunge lag, daß dem Bengel die militärische Zucht gewiß recht gut gethan haben würde, aber er unterdrückte die Bemerkung. Er hütete sich, in diesem Augenblicke etwas zu äußern, was den Onkel hätte verdrießen können. Er war ja als Bittsteller hierhergekommen.
Er begann nunmehr mit seinem Anliegen herauszurücken. Sobald der Onkel merkte, daß von Geschäften gesprochen werden solle, schickte er Ottilien aus dem Zimmer. Zu Gustav's Verdrusse blieb aber Richard anwesend. Gustav saß an der breiten Seite des Tisches, die beiden Kaschels ihm gegenüber. In den Angesichtern von Vater und Sohn, deren Aehnlichkeit hier, wo sie so dicht beieinander saßen, in unangenehmster Weise sich aufdrängte, lauerte die nämliche, unter blöder Miene verborgene, dreiste Schlauheit.
Sie ließen den Vetter reden. Lächelnd, hin und wieder mit den Augen zwinkernd, hörten sie sich seinen Bericht mit an. Gustav sprach mit Offenheit. Die mißliche Lage seines Vaters war ja doch nicht mehr zu verbergen. Er erflärte, daß, bestinde der Dufel auf seiner Forderung, der Bankerott des Bauern sicher wäre. Dann bat er den Onkel, sich noch zu gedulden. Die Zinsen seiner Forderung sollten piinftlich gezahlt werden, dafür wolle er sich persönlich verbürgen. Mit der Zeit würde man auch an ein Abzahlen des Kapitals gehen. Wenn der Onkel es aber zum Aeußersten treibe, dann sei das Gut verloren und damit auch seine Forderung.
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Gustav hatte sich das, was er sagen wollte, vorher wohl überlegt. Aber, wie das so geht, er sagte schließlich ganz andere Dinge und brauchte ganz andere Wendungen, als er beabsichtigt. Die Nuhe der Beiden, die ihn nicht mit einem Wort unterbrachen, warf ihm seinen ganzen Entwurf über den Haufen. Er hatte sich vorgenommen, mit Be= geisterung zu sprechen, hatte den Onfel mit warmen Worten an das Familieninteresse mahnen wollen. Sollte denn dieses Gut, das so lange im Besige der Familie gewesen, unter dem Hammer weggehen? Sollte der Bauer, als alter Mann, von Haus und Hof getrieben werden und mit seinem grauen Haar auf das Almosen der Gemeinde angewiesen sein? Das könne doch der Onkel nie und nimmer verantworten! Das werde er doch nicht mit ansehen wollen! Das sei man doch der Familie schuldig, solche Schmach zu verhindern. Er habe ja doch eine Tochter aus dem Büttner'schen Gute zur Frau gehabt; um des Andenkens der Verstorbenen willen möge er doch seine Hülfe nicht versagen! So etwa hatte der junge Mann zu seinem Verwandten sprechen wollen.
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Aber er fühlte es, diesen Rattengesichtern gegen über, mit ihrer lauernden Bosheit, war jede Begeisterung weggeworfen. Durch jedes wärmere Wort mußte er sich lächerlich machen. Er merkte, wie er immer unsicherer wurde und wie der Widerwillen gegen das, was er sagte, ihm zum Halse stieg. Was hatten denn diese Beiden da in Einem fort zu nicken, zu winken und mit den Augen zu zwinkern? Einer genau, wie der Andere, als bestände eine geheime Verbindung zwischen Vater und Sohn, als verständen sie ihre Gedanken, ohne einander anzusehen.
Sie belustigten sich wohl gar über ihn? Alles, was er hier vorbrachte, diente am Ende nur ihrer anmaßenden Schadenfreude zur willkommenen Nahrung!
Ziemlich unvermittelt fragte Gustav auf einmal, was der Onkel eigentlich bezwecke mit seiner Küngung? Ob er es zur Subhastation des Bauern gutes treiben wolle, um das Gut dann selbst zu erstehen?
Kaschelernst wich dieser Frage aus, sich nach seiner Art hinter ein Lachen versteckend. Aber der Nesse ließ nicht locker diesmal. Weshalb er das Geld gekündigt und den Zahlungsbefehl veranlaßt habe, gekündigt und den Zahlungsbefehl veranlaßt habe, wolle er wissen. Das miisse seinen ganz besonderen Grund haben, denn der Onkel wisse recht gut, daß der Bauer im gegenwärtigen Augenblick nicht im Stande sei, ihn zu befriedigen.
Der Onkel fragte dagegen: ob das nicht sein gutes Recht sei? Kaschelernst war jetzt selbst aus seinem gewohnten Gleichmuth gekommen. Gustav sah ihn zum ersten Male aus der Rolle des harmlosen Biedermannes fallen.
Man war inzwischen auf beiden Seiten auf gestanden. Der Tisch befand sich noch immer zwischen Gustav und den Kaschels.
Gustav wiederholte noch einmal seine Frage, ob der Onkel den Zahlungsantrag zurückziehen wolle. „ Ich war an Teifel thun!" rief Kaschelernst prozig. Der Sohn ficherte dazu.
Gustav fühlte, daß er seine Wuth nicht länger bändigen fönne. Er mußte irgend etwas thun, sich bändigen könne. Er mußte irgend etwas thun, sich Luft zu verschaffen: die Beiden beleidigen, die Kränfung vergelten.
Er preßte die Stuhllehne vor sich zwischen seinen Fäusten. Jetzt hatte es feinen Sinn mehr, Diesen hier seinen Haß zu verbergen. Mit bleichen Wangen und der keuchenden Stimme des aufsteigenden Zornes sagte er:' s is schon gut so! Ich hätt' mer's eegentlich denken können. Nu weeß ich's aber, wie's steht! Ihr steckt mit dem Harrassowitz unter eener Decke. Na, Ihr seid eene schöne Sorte Verwandte. Decke. Na, Ihr seid eene schöne Sorte Verwandte. Ich komme über Eure Schwelle nich mehr, davor seid'r sicher! Pfui Luder über solches Pack. Schamt Eich!" Damit ging er, auf seinem Wege durch das Zimmer an verschiedene Stühle und Tischfanten anrennend.
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Der Kretschamwirth lief dem Neffen nach. Von der Thiir aus rief er hinter ihm drein: Warte mal! Wart ack, Kleener! Ich ha' noch a Wörtel mit D'r. Wenn d'r und' r denkt, Ihr kennt mich lapp'g machen, da seit'r an Falschen gerathen. Dei Bater is immer a Uchse gewast, ar hat keenen größern in seinen eegnen Stalle stichn. Sicke dumme Karlen, die brauchen gar fee Pauerngutt. Ob sei Gutt ungern Hammer fimmt, ob's d' Ihr alle zusammde betteln gihn mißt, das is mir ganz egal! Verrect Ihr meintswegen! Mit Eich ha'ch kee Mitleed- i ne!"
Gustav war schon außer Hörweite und vernahm die weiteren Schinipfreden nicht, die ihm der Onkel noch auf die Gasse nachrief.
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Gustav wollte, da er bei dem Kretschamwirth nichts ausgerichtet hatte, seinen Onfel Karl Leberecht Büttner aufsuchen und dessen Hilfe anrufen. Freilich war dazu eine Eisenbahnfahrt von mehreren Stunden nöthig. Aber er meinte, diese Ausgabe nicht scheuen zu dürfen, denn es blieb thatsächlich nicht scheuen zu dürfen, denn es blieb thatsächlich die letzte Hoffnung. Der Onkel war wohlhabend; pielleicht konnte man ihn dazu bringen, etwas für seinen leiblichen Bruder zu thun.
Ehe Gustav die Garnison verlassen, hatte er sich noch einen Anzug von dunkelblauem Stoff anfertigen lassen. Pauline fand, daß ihm die neuen Kleider ausgezeichnet stünden. Auch einen ziemlich neuen Hut besaß er, und ein Paar Stiefeln, die noch nirgends geflickt waren. Er wollte bei den Verwandten in der Stadt nicht den Eindruck eines Bettlers machen. Sie sollten sehen, daß sie sich der in der Heimath zurückgebliebenen Familienglieder nicht zu schämen brauchten.
So trat er die Fahrt an. Angemeldet hatte er sich nicht bei den Verwandten, damit sie ihm nicht abschreiben konnten. Denn Gustav war dessen wohlbewußt, daß man ihm und den Seinen nicht allzu günstig gesinnt sei von jener Seite. Das hatte allzu günstig gesinnt sei von jener Seite. Das hatte sich ja auch in der plößlichen Kündigung der Hypothet, im Frühjahre, ausgesprochen.
Der alte Bauer hegte nicht die geringste Hoffnung, daß die Reise seines Sohnes irgend welchen Erfolg haben könne. Er hielt nicht viel von Karl Leberecht. Der Bruder war ihm im Alter am
nächsten gewesen von den Geschwistern. Sie hatten sich als Jungens stets in den Haaren gelegen. Karl Leberecht war lebhaft gewesen und geweckt, zu allerhand Streichen aufgelegt, ein„ Sauſewind und Würgebund", wie ihn der Bauer noch jetzt zu bezeichnen pflegte, wenn er von dem jüngeren Bruder sprach. Gustav ließ sich jedoch durch das Abreden des Baters nicht irre machen. Karl Leberecht mochte in der Jugend gewesen sein, wie er wollte, er hatte es jedenfalls zu etwas gebracht im Leben. Und er war und blieb auf alle Fälle der Bruder des Vaters. Vielleicht schlummerte der Familiensinn doch noch in ihm, und es bedurfte nur der richtigen Ansprache, um ihn zu wecken.
Aus dem Briefe, welchen damals der Better- der, wie er, den Namen Gustav trug- geschrieben hatte, ersah er, daß das Materialwaarengeschäft von Karl Leberecht Büttner und Sohn am Marktplage gelegen war. Dorthin richtete Gustav also seine Schritte. Nach einigem Suchen fand er die Firma, die in goldenen Lettern auf schwarzem Untergrunde weithin leuchtend prangte.
Es war ein eigenes Gefühl für den jungen Menschen, seinen eigenen Namen auf dem prächtigen Schilde zu lesen. Gustav ging nicht sofort in den Laden hinein, eine geraume Weile betrachtete er sich) erst das Geschäft von außen mit ehrfurchtsvoller Scheu. Das war ja viel größer und glänzender, als er sich's vorgestellt hatte.
Das Büttner'sche Geschäft bestand aus einem geräumigen Eckladen, der mit zwei Schaufenstern nach dem Markte hinaus blickte und außerdem noch mehrere fleinere Fenster nach einer Seitengasse hatte. Eine reiche Auswahl von Verkaufsartikeln lag da ausgestellt: Kaffee und Thee in Glasbüchsen, Seifen, Bisquits in Kästen, Lichte in Packeten, Südfrüchte, Tabat, Viktualien aller Art, Spezereien, Drogen. In dem einen der vorderen Schaufenster saß ein Chinese, der mit dem Kopfe wackelte. Auf einem Plakate, welches Karawanenthee anpries, war ein Kameel abgebildet, von einem Araber geführt, auf dem Rücken einen mächtigen Berg von Kästen und Ballen tragend.
Gustav stand da, staunend. Obgleich er als Soldat mehrere Jahre in einer größeren Stadt kasernirt gewesen, war doch das Landkind lebendig in ihm geblieben. Alles Fremde, besonders wenu es unverständlich war, imponirte ihm gewaltig. Diese Schaufenster mit den vielen fremdartigen Dingen bestärkten ihn in der Vermuthung, daß der Onkel doch sehr reich sein müsse. Und wenn man bedachte: der Mann stammte aus Halbenau! Hatte das Vieh gehütet und Mist aufgeladen, wie jeder andere Bauernjunge. Dann war er davongelaufen, weil er's daheim nicht mehr ausgehalten; wohl hauptsächlich, weil sein Vater, der alte Leberecht, ihn nicht aufkommen lassen wollte neben dem älteren Bruder und Erben des Hofes, So war er denn in die Fremde gegangen, hatte alles Mögliche erlebt und erfahren, hatte die verschiedensten Lebensstellungen innegehabt. Markthelfer war er unter Anderem gewesen. Als solcher hatte er in ein Grünwaarengeschäft geheirathet und den Grund zu seinem Vermögen gelegt.
Ja, in der Stadt da konnte man es noch zu etwas bringen! In Gustav stieg ein bitteres Gefühl auf, als er sich hier umsah und das Leben und Treiben ringsum betrachtete: den Marktverkehr, die Häuserreihen, die glänzenden Läden. Wenn man damit die Dede der dörfischen Heimath verglich! Er fühlte sich etwas herabgestimmt in seinem Selbstbewußtsein und seiner Zuversicht, troß des neuen Anzugs. Die Verwandten würden ihn doch am Ende nicht als voll ansehen. Nachdem er eine Weile vor dem Laden auf und ab gegangen, entschloß er sich schließlich doch, hineinzugehen.
Eine ganze Anzahl junger Leute war dort thätig. Der eine von ihnen, ein langer Schmächtiger mit einer Brille, fragte den Eintretenden, was zu Diensten stiinde. Gustav nannte seinen Namen und sagte, daß er mit dem Onkel zu sprechen wünsche. Der junge Herr sah sich den Fremden daraufhin genauer mit forschenden Blicken durch seine Brillengläser an. Der Vater sei leider nicht im Laden, erklärte er.