Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Also das war der Vetter! Gustav maß den Mann, der seinen Namen trug, mit neugierigen Blicken. Ein ziemlich großer, hagerer Mensch von gebückter Haltung stand vor ihm. Dem Mann sah man es nicht an, daß sein Vater auf dem Lande geboren, daß alle seine Vatersvorfahren durch Jahr­hunderte hinter dem Pfluge hergeschritten waren. Und doch war in dieser Schulmeistererscheinung eine gewisse Aehnlichkeit mit den Verwandten nicht zu verkennen. Die Kopfform, die großen Hände und Füße, der Haarwuchs erinnerten an die Büttners von Halbenau.

Zwischen den beiden Vettern gab es eine Ver­legenheitspause. Sie waren durch das Gefühl be drückt, in naher Blutsverbindung zu stehen und ein­ander doch unendlich fremd zu sein. Man maß sich mit spähenden, mißtrauischen Blicken und wußte ein­ander nichts zu sagen. Gustav, der Bauerssohn, verachtete im Geheimen diesen diirren Bläßling, der Tag ein, Tag aus hinter dem Ladentisch stehen und die Kunden bedienen mußte. Aber seine Verachtung war dabei nicht ganz frei von einem gewissen Neid, den das Landkind der Ueberlegenheit des Städters gegenüber selten verwindet. Und Gustav, der Mit­inhaber der Firma Karl Leberecht Bittner und Sohn", belächelte seinen Vetter vom Dorfe, mit den unbeholfenen Manieren.

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Ein paar Leute vom Markt kamen herein, die bedient sein wollten. Nachdem die Kunden abgefertigt waren, schlug der Kaufmann seinem Vetter vor, in die Wohnung des Vaters zu gehen; der Alte" werde wohl zu Hause sein. Er gab ihm einen Lehrling mit, damit er den Weg finde. Unter Füh­rung eines halbwichsigen Bürschchens gelangte Gustav so zur Wohnung der Verwandten.

Mit dem Onkel fand sich Gustav schneller zurecht, als mit dem Better. Der Mann war wirklich sein Blutsverwandter. Der große, derbknochige Alte mit bartlosem gerötheten Gesicht und buschigem grauen Haar sah dem Büttnerbauer nicht unähnlich. Wäre nicht das gestickte Käppchen auf dem Kopfe, die Saffianpantoffeln und die Kleider von städtischem Schnitt gewesen, hätte man Karl Leberecht Büttner wohl für einen Halbenauer ansprechen können. In seinem Augenblinzeln und dem verschmißten Lächeln kam die Bauernpfiffigkeit zum Ausdruck. Auch in seiner Aussprache waren noch heimathliche Anklänge zu finden. Mit derber Herzlichkeit empfing er den Sohn seines Bruders.

Der Neffe wurde zum Niedersißen aufgefordert, bekam ein Glas Wein vorgesetzt und mußte erzählen, zunächst über die Familie, sodann von anderen Leuten aus Halbenau, auf die sich der alte Mann noch besann. Freilich über Viele, nach denen der Onfel fragte, vermochte Gustav keine Auskunft zu geben; sie waren gestorben, weggezogen, verschollen.

Die Theilnahme, welche der Alte an den Tag legte für diese Dinge, stärkte Gustav's Zuversicht. Der Onkel hatte noch nicht allen Sinn für die Heimath verloren; soviel stand fest! Als der alte Mann sich nach der Lage des Gutes und der Wirth­schaft erkundigte, benußte Gustav die Gelegenheit, ihm die Noth zu eröffnen, in welcher sich sein Vater befand.

Karl Leberecht Büttner war sichtlich überrascht. Er schittelte wiederholt den Kopf. Na, sowas! Na, sowas! Na, solche Sachen!" war seine Nede. Daß es mit seinem Bruder nicht glänzend stehe, hatte er sich ja gedacht, aber daß es so schlimm sei!. Er seufzte; sein Gesicht nahm einen friben Ausdruck an.

Durch diese Anzeichen ermuthigt, rückte Gustav mit seinem Ansinnen heraus: der Onkel solle die eingeklagten siebzehnhundert Mark an Raschelernst auszahlen und dafür dessen Hypothek übernehmen.

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Karl Leberecht runzelte die Stirn, 30g die Augen­brauen in die Höhe und blickte starr vor sich hin, die Backen aufblasend genau wie es der Büttner­bauer machte, wenn ihm etwas überraschend fam-, dann rückte er sich auf seinem Siße zurecht, meinte, die Sache sei bös, ließ sich Gustav's Plan aber doch noch einmal auseinanderseßen.

Gustav sprach mit Lebhaftigkeit und Wärme. Er redete Alles, was er auf dem Herzen hatte, herunter. Dem Onfel gegenüber wurde es ihm leicht, da stofte

ihm nicht das Wort auf der Zunge, wie neulich vor den Kaschels. Er bestürmte den alten Mann, er stellte ihm die Sache im günstigsten Lichte dar, und wunderte sich beim Sprechen selbst über die eindring­lichen Worte, die er fand.

Der Alte fragte sich hinter dem Ohre, sprach von den schlechten Zeiten und meinte, er habe alles Geld im Geschäfte stecken; aber er lehnte nicht völlig ab. Seine Einwendungen wurden immer schwächer. Halb und halb schien er der Sache gewonnen.

Gustav frohlockte in seinem Inneren; nun glaubte er gewonnenes Spiel zu haben. Er beschloß, die Gunst der Lage auszunuzen, und bat den Onkel, auch die Zinsen und Kosten mit zu belegen.

Der Alte sagte nicht Ja und nicht Nein. Die Sache schien ihm Unruhe zu bereiten. Er lief im Zimmer umher, fraute sich den Kopf, rieb die großen Bauernfäuste gegeneinander, fiel beim Sprechen un­willkürlich in den Dialekt seiner Jugend zurück; der deutlichste Beweis, daß er innerlich erregt war. Ne ne! Su schnell geiht das ne! Ihr denkt wohl uf'n Dorfe, wir hier in der Stadt, wir hätten's Geld wie Hei. Wenn's Eich schlacht gieht, mit uns stieht's erscht recht schlacht mit'n Geschäften. Wenn de Pauern, und se kommen nich in de Stadt zum Einkaufen, das merken mir gar sehre im Handel. Geld is gar feens da. Und nu gar ich! Wenn ich auch gerne mechte, und ich wollte Traugotten helfen, kann ich denn, wie ich mechte? Unser Ge­schäft! Nu ja, die Firma Büttner und Sohn Nu ja, die Firma Büttner und Sohn fann sich sehen lassen."

Hier machte er in seinem Rundgange Halt und fragte den Neffen, ob er sich den Laden angesehen habe. Gustav bejahte und gab seiner Bewunderung unverhohlenen Ausdruck. Dem Alten that das sichtlich wohl, er schmunzelte über das ganze Gesicht. Und da sollt'st De erscht mal unser Lager sahn!" rief " Hernachen, da wird'st De Maul und Nase ufreißen. Na, Gustav mag Dr's mal zeigen,' s Lager. Sowas giebt's in Halbenau freilich nich!"

er.

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( Fortsetzung folgt.)

Hoffmann von Fallersleben  .

Von Georg Hoffmann.

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ohannes Scherr, der Literarhistoriker, faßt das Wesen der Freiheitsdichtung aus den vierziger Jahren in folgende Worte zusammen: Die politische Poesie der vierziger Jahre hat in Platen politische Poesie der vierziger Jahre hat in Platen ihren Initiator( Anreger) zu erkennen, jene, den Ton der patriotischen Romantik in's modern Nevolutionäre umstimmende politische Poesie, welche am popu lärsten durch den unerschöpflichen Liedersänger Hoff­ mann von Fallersleben   gehandhabt wurde."

Es traf Mancherlei zusammen, um aus der Fülle der Freiheitsfänger jener Tage Hoffmann zum popu­lärsten zu machen: Künstlerisches wie rein Persön liches, das an dem Namen Hoffmann haftet, der, als Einzelerscheinung gefaßt, ganz gewiß origineller war, als seine Dichtung.

Hundert Jahre sind vergangen, seit Hoffmann zu Fallersleben, einem kleinen Ort an der braunschweigisch­hannöverschen Grenze geboren wurde( 2. April 1798). Vieles, was seine Zeitgenossen an seiner Gestalt an­geregt haben mochte, ist für ein junges, gänzlich geregt haben mochte, ist für ein junges, gänzlich anders geartetes Geschlecht nur mehr historisch zu begreifen. Die volle Romantik in der Erscheinung Hoffmann's, die bei ihm dreifach wiederkehrt, in seinen gelehrten Neigungen, in seinen Liedern und in seinem unsteten Wanderdasein selber, kann heute nicht mehr so unmittelbar wirken wie ehedem. Die gedanken­tiefere Lyrif Platen's, der feurigere politische Schwung tiefere Lyrif Platen's, der feurigere politische Schwung Herwergh's, bas stolze, wuchtige Pathos Freiligrath's, Herwergh's, das stolze, wuchtige Pathos Freiligrath's, und die glänzend geistvollen Sarkasmen Heine's, sie und die glänzend geistvollen Sarkasmen Heine's, sie sind uns insgesammt heute kulturgeschichtlich, sowie künstlerisch werthvoller, als die liebenswürdig sorg­lose Manier des fahrenden Poeten und Gelehrten Hoffmann von Fallersleben  . Gegen die starken, schöpferischen Elemente aus der politisch- romantischen Zeit gehalten, verblaßt die Volksthiimlichkeit von ehedem. In seinem gelehrten Fach, wie in seiner Stunft hat der feinfiihlige Sammelgeist Hoffmann's Kunst hat der feinfühlige Sammelgeist Hoffmann's

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mehr Recht behalten, als seine eigentlich schöpferische Weise.

In seiner umfassenden Geschichte der modernen Malerei erwähnt Richard Muther   auch die Wand­lung, die sich im äußeren Gehaben unserer Künstler­schaft vollzogen hat. In unseren real- politischen Tagen suchen die Genies, die Künstler, sich nicht mehr wie eine eigene Brüderschaft von der übrigen Welt abzusondern. Die lange Mähne ist dem Scheer­messer zum Opfer gefallen, und die Sammetjacke trägt höchstens noch ein eitler Photograph. Unsere Zeit hat auch hier demokratisirt.

Noch als echter romantischer Künstler fühlte sich Hoffmann von Fallersleben  . Diese seine Romantif gab sich meist frei von geckenhaftem Spiel, und so mochte seine besondere persönliche Art schon inmmitten einer Studentenschaft auffallen, die nach der napoleo­nischen Zeit sich gewiß in freien Burschenmanieren bis zum Ueberschwang gefiel. Im Jahre 1819 lebte Hoffmann als Student in Bonn  ; dort schloß er sich an den jungen Heine, an den nachmaligen Franzosen­fresser und Literarhistoriker Wolfgang Menzel   und andere junge Literaten an. In diesem Kreise selbst fiel die Sonderlingserscheinung des jungen Hoffmann auf. Er galt den Jünglingen wie das Urbild eines deutschen fahrenden Sängers und Necken; er fam ihnen vor, wie ein mittelalterlicher Troubadour; er führte den besonderen Beinamen der Poet".

Und das Persönliche in Hoffmann drang durch, trotzdem der junge Mann in Bonn   alle Mühsal des proletarischen Studenten durchzukosten hatte und sich durch Unterrichtgeben und ähnliche Beschäftigung crhalten mußte. Aber er blieb guter Dinge, aben­teuerfroh wie der Fiedler in der romantischen Er zählung von Eichendorff  , dem nichts gehört und die ganze Welt zugleich.

Ein Jahr vorher hatte entscheidend auf ihn einer der beiden, grimmigen Brüder", Jakob Grimm   zu Kassel  , eingewirkt.

Zwei Nichtungen nahmen damals Einfluß auf Hoffmann's Seele. Noch wußte er nicht, ob er sich dem Studium der Antike, ob der heimischen Literatur zuwenden solle. Groß war noch die Wirk­samkeit des Kunstästhetikers Winckelmann; die friti­schen Forschungen Lessing's, Goethe's italienische Fahrten, sie waren insgesammt ein vorherrschender Kulturfaktor in der deutschen Bildungsgeschichte. So wollte denn auch der junge Hoffmann aufangs sich dem Studium der klassisch- antiken Kunst widmen, nachdem er die Schulen in Helmstedt   und Braun­ schweig   besucht hatte. Zu diesem Behuf ging er nach Kassel  , um die Sammlungen und das Museum dieser Residenzstadt kennen zu lernen. Hier war es, wo Jakob Grimm  , der große Germanist, eine innere Umwälzung bei Hoffmann vorbereitete und ihn auf unsere heimischen, alten Sprachdenkmäler verwics:

Der Funke zündete. Das Studium der klassischen Antike ward aufgegeben, und der Weg, auf dem Hoff­mann's romantische Neigungen sich entfalten konnten, gefunden.

Als Niederdeutscher   wandte er sich zunächst dem verwandten Sprachelement zu. Er warf sich mit jungem, zähen Arbeitseifer auf altniederländische Literatur, und frühzeitig offenbarte sich nicht eine umfassende, wissenschaftlich kombinatorische Gestal­wissenschaftlich- kombinatorische tungsgabe, aber ein ausgezeichneter Spür- und Sammelsinn. So wurde er denn in den Nieder­landen rasch bekannt, und von der Universität zu Leyden   erhielt er den Doktortitel.

Der modernen sprachwissenschaftlichen Entwicke lung tonnte Hoffmann teine entscheidende Nichtung geben. Einmal gestattete sein Wanderdasein nicht, daß er seine Kraft konzentrirte; sodann konnten ihm die modernen kritischen Methoden der Sprachwissen­schaft unmöglich vertraut sein, wie einent natur­wissenschaftlich vorgebildeten Manne der Gegenwart. Aber sein eminent künstlerischer Sinn wußte zu wägen und zu sichten, und so fügte er fleißig und mit sicherem Blick für das volksthiimlich Gewordene, für das Naive in den Sprachdenkmälern und be­sonders im Volkslied Baustein auf Baustein 31­sammen, und das ist am Ende auch nicht wenig.

Als Sammler und Kenner des Volksliedes hat er denn auch eine erste Stellung behauptet, wenn vieleicht