Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Wahrhaft'gen Jott, Frau Untermann, Ihnen sieht man Ihre fufzig Jahre noch nich an, weeß Jott!" ,, Aber setzen Sie sich doch, Frau Apperten." ,, Und wat hier alles uf de Tafel steht," fuhr die Alte fort, sich niederlassend. De janzen Schüsseln voll von Wurscht und Schinken det is jewiß alleene vor zwee Thaler Fleesch!"

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Na Jott sei Dank, wir haben's ja dazu." " Ja, Jott sei Dankick jönne't Ihnen. Ick bin ja nu schon' n olles Muttakin, det nich mehr richtig weiter fann. Nee, nee- wenn ich mir det io recht bedenke, wo ick doch kaum zehn Jahre älter bin wie Sie, und Sie sind wie' n feine Frau, die beinahe noch mal heirathen könnte ja wahr= haft'gen Jott!"

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,, Ach," machte die Andere geschmeichelt. ,, Ja, ja! Und früher, wissen Se noch, wo wir Beede noch zusammen in de Fabrike jearbeetet haben als junge Mächens ach je, wie lange is det woll schon her wat is in die Zeit nich schon Allens passirt!"

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In die janze Zeit wat?" sagte die Andere, nun auch gesprächiger werdend, wat hat mein Otto mir da nich schon alles vor Freude jemacht! Ja- ja s jeht's janz jut!"

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" Det sieht man ooch, Frau Untermann. Ihr Otto hat ja ville Jlück jehabt. Wer so' nen Sohn bat ja! Er is woll nu bald an de Dreißig, Ihr Otto?"

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,, Uff nächsten November wird er neunundzwanzig," erklärte die Mutter, und er is jetzt schon Ober­expedient in de Fabrik. Von de Pieke an hat er jedient, und als Loofjunge is er eingetreten und nu hat er schon hundert Thaler Jehalt monatlich."

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Jott hundert Thaler," rief die Alte, erstaunt die Hände über dem Kopf zusammenschlagend.

Jana, wir leben ja ooch danach. Und wir wollen voch anderen Leuten zeigen, det wir wat sind und det wir wat haben. Man muß sich eben ' n Bisken zeigen, sehn Se mal; man muß jut leben, Frau Apperten- wenn man's eben kann,"

fügte sie mit Betonung hinzu.

Ja

"

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ja."

Und wir jehn ooch in' n Zirkus und uff' n Ball wo's det schwerste Jeld kosten thut, da jehn wir hindet schehnirt uns allens nich!"

Ja."

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Man kommt doch da voch mit feine Leute in Berührung," bemerkte sie würdevoll und mit Nachdruck.

,, Ich bin in mein janzes Leben in keenen Zirkus nich gewesen," erklärte die Alte.

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Ja sehn Se. Und in de Jemäldeausstellung jehn wa voch man muß sich doch for de Kunst intereffiren."

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Ja," meinte die Greisin nachdenklich

,, wenn's Kleenjeld nich alle wird dabei."

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Charakter und ruinirt die Moral det sacht der- denken Se mal!"

Herrjeh!"

Nich wahr?"

Da ertönte abermals ein lautes Schellen. Ein wohlbeleibter Fleischermeister in eleganter dunkler Kleidung trat mit seiner Gattin ein. Beide sahen sehr wohlhabend aus.

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' n Abend,' n Abend, scholl es hin und her. Achda is ja ooch Frau Apperten," fuhr das männliche Eremplar fort, ich hatte Ihnen ja jarnich erkannt, Frau Apperten, es is schon so duster hier

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"

Frau Untermann hatte inzwischen mit der Dame eine Unterhaltung über die beiderseitigen Toiletten gepflogen, und sie gewann die Ueberzeugung, daß sie noch mehr aufgedonnert sei, als die Andere. Bei jenen letzten Worten jedoch fuhr sie wie der Bliz herum.

" Ja,' t is zu dufter hier, Herr Becker," sagte sie geziert, und dann ging sie eilfertig zur Thiir und rief dem Mädchen zu:" Minna, steck doch mal de Lampen an."

Na wie jeht's Ihnen denn, Mutter Apperten?" erkundigte sich inzwischen Frau Becker." Is denn Is Ihr Oller immer noch frank?"

Ach jaja," erwiderte die Greisin seufzend, ,, und det kost' ne Masse Jeld, ville Jeld."

" Ja, Jeld tost' so' ne Sache immer," stimmte die Fleischersfrau bei, ick weeß weeßick weeß. Wat hat det nich jekost', wie mein Karl krank war im hat det nich jekost', wie mein Karl frank war im vorichten Jahr!"

Ja, ja!"

" Naer is denn natürlich ooch nach Nizza  jejangen als Rekonnvalzente!"

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Wie heeßt die Stadt, Frau Beckern?" fragte die Alte, die in ihrem Leben niemals etwas von Nizza   gehört hatte.

,, Nizza  ," erklärte sie selbstbewußt. Dudet war doch ooch Nizza  , wo Du's vorichte Jahr warst, Starle?" wendete sie sich mit auffallender Bewegung an ihren Gatten.

Woll, Juste!"

" Ja," fuhr sie dann fort, er hätte ja ooch wo anders hinjehen können, wo's billiger is. Aber mein Mann sacht: Nee! Nizza   is det Theuerste und det Theuerste muß det Beste sind! Also jeh ick nach Nizza  . Na ja und wo wir det können warum denn nicht?"

"

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Mein Otto is ooch vorichten Sommer in Häringsdorf gewesen," erklärte nun Frau Untermann.

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Nach Häringsdorf jehn wir alle Jahre," lautete der Gegentrumpf.

"

spielt

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Ach nun bei uns so leichte nicht," entgegnete Jene. Sie warf mit sichtlicher Genugthuung einen Blick auf die vollbesetzte Tafel." Se sehn ja, satt zu essen ham wa ja noch."

" Ja

laut bei.

"

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ja," stimmte die alte Frau flein­  

"

Denn det soll Keener von uns sagen können, det er sich bei Untermanns nich satt jejessen hat," fuhr sie eifrig fort. Hier jiebt's Fleesch   und Brot und ooch zu triufen, soviel wie Jeder haben will!" Die alte Frau saß jetzt ganz verschüchtert da, und auch die Dame des Hauses schwieg einen Augen blick still im Vollgefühle ihres Triumphes.

Kommit denn Ihr Otto immer spät aus de Fabrite?" fragte die Alte dann, um überhaupt etwas zu sagen.

"

Um Achte kommt er immer," erläuterte die Andere. Aber wo wir heute unseren Empfangs­abend haben, da wird er woll früher kommen. Dann fährt er eben mal mit der Droschke zahause erster Klasse natürlich, er kann sich's ja leisten." Wieder trat eine Pause ein.

aber

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Jaja," machte die Alte gedehnt. Na

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aber heirathen thut er woll nich?"

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Nee! Vons Heirathen will er nichts wissen. Wissen Se, wat der sacht? Heirathen verdirbt den

Und im Harz   waren wa ooch schon."

Wir haben sogar uff'n Brocken Leierkasten ge­wat, Karle?"

"

Woll, Juste!"

Frau Untermann sann einen Augenblick nach. " Dieses Mal ziehn wir blos uff Sommer­wohnung nach Friedenau  ."

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Wir lassen uns' ne Villa in Lichterfelde   bauen." das konnte ihr Frau Untermann schwieg Otto nicht! Die Greisin saß inzwischen mit offenem Munde da sie waren zeitlebens niemals im Harz oder in Häringsdorf gewesen; in Friedenau   hatten sie einmal Kaffee getrunken, und Lichterfelde   kannte sie nur vom Hörensagen.

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"

Wohin werden Sie denn uff Sommerwohnung ziehen, Frau Apperten?" fragte die Fleischersfrau jezt taktvoll.

Jene sah sie nur mit gutmüthigem Lächeln an und schüttelte den Kopf.

Schadet nischt, Muttakin," erwiderte der Ehe gatte, den der wehmüthige Gesichtsausdruck der Alten gerührt hatte.

"

Das Hausmädchen brachte inzwischen Licht. Drei Lampen und' ne Ampel," rief die Alte so viel Licht brauchen wa erstaunt ,,, ach nee doch jarnich!"

" I Wirthin.

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einrichten lassen, mit' n Kronleuchter und elektrisches Licht."

Der dicke Ehegemahl hatte inzwischen ganz un­befangen zu soupiren begonnen. Er brauchte doch nicht zu warten weshalb? Er durfte sich das doch erlauben. Auch die Gattin schickte sich an, seinem Beispiele zu folgen: Bitte Bitte bitte, Frau Beckern, langen Se doch zu," rief die Gastgeberin, ,, es langt ja doch! Natürlich wir können doch nachher noch eenmal essen, wenn die Anderen kommen."

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Alle griffen jetzt zu. Frau Appert   nahm be­scheiden ein Stückchen Brot, bestrich es mit Butter und legte zwei dünne Scheibchen Wurst darauf.

" Aber, Frau Appert  , ick bitte Ihnen," fuhr die Wirthin auf. Wie können Se mir doch so' ne Schande machen? Nee! Legen Se mal hin die Stulle, legen Se mal hin, Frau Apperten."

Und als die alte Frau ihr den Willen that, griff sie mit der silbernen Gabel in die große Schüssel und packte jener eine unheimlich große Portion Schinken auf das Brot.

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,, So wird bei uns jejessen, Frau Apperten," sagte sie dann mit einem triumphirenden Blick auf das mit vollen Backen kauende Fleischer- Paar. Dann neigte sie sich ganz nahe zu der Alten hinüber und flüsterte ihr in das Ohr: Die müssen ooch mächtig ausjehungert sind!"

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Die Greisin nickte aus Gefälligkeit mit dem

Kopfe.

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Da erschien Otto Untermann eine ganz eigen­artige Figur. Auf einem kurzen Nacken saß ein plumper, dicker Kopf; das Gesicht, von einem fuchs­rothen, struppigen Bart umrahmt, sah überaus blöde aus, denn er schielte stark mit einem Auge. Die Beine waren in Form eines" O" nach außen ge= bogen, so daß beim Laufen der rundliche Oberkörper immer hin und her schwankte, wie ein Schiffchen, das der Wind bewegt.

Sein Auftreten war ungeschlacht, aber aus seinen Worten sprach bisweilen eine natürliche Gutmüthigkeit.

Er begrüßte die Anwesenden durch Handschlag und nahm dann ohne Weiteres an der Tafel Play. Jezt füllte er sein Glas und stieß mit den Anderen an.

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,, Kommt denn der Herr Buchhalter heute zu uns?" erkundigte sich dann die Mutter.

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Nee der hat Magenkatarrh, der kann nich essen, darum kommt er nich!" erklärte Otto, ein paar Delsardinen verschlingend.

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Na," - bemerkte die alte Frau bescheiden, ,, man kommt doch ooch nich blos zum Essen, man will sich doch' n bißken unterhalten und amüsiren." " Quatsch," entgegnete der Fleischer mit Be­

stimmtheit, Essen   is de Hauptsache."

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Woll is' t det," stimmte Otto bei.

Und Unterhalten und so, det is blos wat for Leute, die nich satt zu essen haben."

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Ach nee," erwiderte die Ehehälfte, Unter­haltung muß ooch find, Karle. Man hat doch ooch ' n bißken Bildung wech die muß man zeigen." ,, Da ha'm Se recht, Frau Beckern," pflichtete die Hausfrau bei. ,, Dafor geh ick manchmal ooch jerne in's Theater."

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Ick will Euch mal wat sagen," sprach Karl jezt großspurig, noch krampfhaft an einem großen Bissen würgend. Die Bildung und' s Theater und alles so' ne Sachen, det is janz gut for Leute, die det nöthig haben- aber for unsereenen nich! Wer Jeld hat, der braucht keene Bildung. Jeld is Bildung! Det is de höchste Bildung von der Welt. Wer Jeld hat, is' n heller Korp, wer Jeld hat, is' n jescheiter Kerl, wer Jeld hat, der is mein Freund aber, wer teens hat, der kann mir jestohlen bleiben, und wenn er mehr Bildung hat, als wie in hundert Bücher steht!"

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" Det stimmt, Karle," äußerte sich Otto. ,, Und wat so immer jeredet wird von de froßen Jeister und von de Helden von's Esprit, det is je­borener Mumpis, seht Ihr woll. De ganzen Jeister von de janzen Welt und Schiller   und Joethe und die sind mir keene Hammel­natürlich," erklärte die liebenswürdige wie se alle heeßen feule werth. Die Jeister mit det froße Porte­monnaie ja, seht Ihr woll Da ist doch wat Neelles dran.

" Ja, denken Se doch mal, Frau Untermann," prahlte jetzt die Rivalin, wir haben uns' n Salong

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die liebe ick!

Aber die janze