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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Händler, daß er bei seinen Geschäftspraktiken nie von überflüssigen Gewissensstrupeln geplagt wird, speziell das Pleitemachen versteht er vortrefflich, und es giebt nur wenige der reicheren Chinesen auf Java und Sumatra  , die nicht wenigstens schon einmal Bankerott gemacht haben. Da der Chinese meist höchst unordentlich seine Bücher in chinesischer Sprache führt, kommt bei einer gerichtlichen Unter­suchung nicht viel heraus, und selbst, wenn er einige Wochen oder Monate eingesteckt wird, macht ihm das keinen großen Kummer; sobald er frei ist, fängt er mit dem Gelde, das er erschwindelt hat, von Neuem an und ist bald wieder obenauf.

Mit seinem Reichthum steigen auch die Ansprüche des Chinesen. Wohlhabende Händler sparen sich nichts vom Munde ab. Besonders sind sie Liebhaber von Geflügel und Schweinefleisch, während sie Nind­fleisch verschmähen. Der reichliche Genuß von fettem Schweinefleisch verleiht, in Verbindung mit den vielen Süßigkeiten, die sie vertilgen, in vorgerückterem Alter ihren Bäuchlein meist eine stattliche Rundung. Nächst gutem Essen kommt ihnen das schönere Geschlecht. Außer seinem rechtmäßigen malaiischen   oder indo­europäischen Ehegespons hält der wohlhabende Chinese sich fast immer eine Anzahl Konkubinen.

In den größeren Städten der niederländischen Besitzungen sind die Chinesen auf bestimnite Stadt­theile angewiesen, die oft ein ganz chinesisches Aus­sehen haben. Die bunt bemalten Häuser stehen nicht in einer Linie, bald springen sie gegen die Nebenhäuser um einige Fuß vor, bald wieder treten sie zurück; dazu wechseln sie in allen Formen und Größen. Beinahe jedes der Häuser hat einen großen Vorraum, der bei den Ladengeschäften nach der Straße zu ganz offen ist und des Nachts durch Bretter ge­schlossen wird. Gegenüber der Thür steht im Vor­raum der Opfertisch mit den brennenden Kerzen oder Opferhölzern. Die Thüren und Fenster sind an der Straßenseite mit bunten Schildern und Sprüchen bedeckt. Alles starrt von Schmuß, und aus den. dumpfigen Wohnungen dringen in lieblichem Gemisch, da die Handwerker dort zugleich ihr Gewerbe betreiben, die wundersamsten Gerüche hervor. Eine widerliche Atmosphäre echt chinesisch!

Rechnerische Spielereien.

Von B. Erdmann.

as geistvolle Schachspiel, das kombinations­reiche Spiel der 64 Felder, auf welchen jede der beiden Parteien durch die Stellung ihrer Figuren den gegnerischen König einzuschließen, ihn matt zu setzen sucht, soll nach einer alten indischen Erzählung den Schah( König), für den es von dem weisen Brahmanen Sissa erfunden wurde, so außer ordentlich erfreut und entzückt haben, daß der. Schah den Sissa aufforderte, sich ein beliebiges Geschenkt von ihm auszubitten. Die weisen Inder, die in der edlen Rechenkunst alle übrigen Völker weit über ragten von ihnen stammt 3. B. unser Ziffern­ſyſtem

liebten es, ihre Kunst auch in Scherzen zu zeigen; Sissa verlangte daher von dem Schah eine Belohnung, die auf den ersten Blick nur einen ganz geringen Werth zu haben schien; bei näherem Zusehen stellte es sich freilich anders heraus. Er forderte für das erste der 64 Felder des Spieles ein Weizenforn, für das zweite 2 Weizenförner, für das dritte 4, fiir das vierte Feld 8 Weizenkörner usw. für jedes folgende Feld die doppelte Anzahl Körner, als für das vorhergehende. Der König war an= fangs böse, daß Sissa sich eine so geringe Belohnung ausgebeten; als er sie ihm aber geben lassen wollte, merkte er bald, daß das die Kräfte und das Ver­mögen seines Reiches weit übersteige.

Wie sollte das wohl möglich sein! wird viel­leicht Mancher erstaunt ausrufen. Und doch kann eine ganz geringe Ueberlegung zeigen, daß es sich thatsächlich so verhält. Geht man in der angegebenen Weise weiter, so hat man zunächst die folgenden Zahlen zu bilden: 1, 2, 4, 8, 16, 32, 64, 128, 256, 512, 1024. Bei der elften Zahl hat man bereits mehr, als das Tausendfache des Anfangs.

Nimmt man nun nur 1000 statt 1024, wodurch man offenbar zu wenig erhält, so hat man jedes Mal eine Vertausendfachung, wenn man um 11 weiter gekommen ist. Da das Schachbrett 64 Felder ent­hält, so würde man fünfmal um 11 weiter gehen können, bis zum 55. Felde, und hätte fünfmal eine Vertausendfachung; fiir das 55. Feld mußte Sissa also bereits eine Anzahl von Weizenkörnern erhalten, die durch fünfmalige Vertausendfachung der 1 ent= stand, also durch eine 1 mit 5 mal 3 oder 15 Nullen ausgedrückt ist, eine Zahl, die als 1000 Billionen zu lesen wäre. Da vom 55. bis zum 64. Felde noch 9 Felder sind, so wäre für das 64. Feld die Zahl noch neunmal zu verdoppeln, also nach obiger Zahlenreihe das 256 fache davon zu rechnen; für das letzte Feld verlangte Sissa also 256 Tausend Billionen Weizenförner. Die Summe aller Weizen förner beträgt bei dieser Rechnung das Doppelte der letzten Zahl, also 512 Tausend Billionen. 512 ist etivas mehr als die Hälfte von 1000, mithin die gesammte Zahl etwas mehr als die Hälfte von einer 1 mit 18 Nullen, eine Zahl, die man als eine Trillion bezeichnet; Sissa verlangte also nach dieser Berechnung als Belohnung eine halbe Trillion Weizen­förner, eine Zahl, die aus einer 5 mit 17 daran gehängten Nullen besteht. Wenn man übrigens be­denkt, daß wir bei der 11. Zahl bereits 1000 statt 1024 gesagt haben, so werden mir jetzt meine Leser wohl auf's Wort glauben, das wir dadurch das wohl auf's Wort glauben, das wir dadurch das Resultat 360 mal zu klein bekommen haben, und daß die wirkliche. Forderung des Sissa nicht eine halbe, sondern 180 Trillionen Weizenkörner betrug.

Doch wollen wir bei der halben Trillion bleiben und zusehen, wie man dieselbe herbeischaffen könnte.

Die Weizenernte der gesammten Erde betrug in dem guten Jahre 1892 etwa 50 Milliarden Kilo­gramm. Nehmen wir an, daß 100 Störner erst ein Gramm wiegen, eine Zahl, die sicherlich zu hoch ge­griffen ist, so wiirde jedes Kilogramm 100000, 50 Kilogramm also 50 mal so viel, d. i. 5000000 Ein Milliarde oder 5 Millionen Körner ergeben. besteht aus einer 1 mit 9 Nullen; um die Geſamunt­zahl Körner der Erde zu erhalten, müßten an obige Zahl also noch 9 Nullen treten; es wäre dann eine 5 mit 15 Nullen. Die von Sissa   geforderte halbe Trillion bestand aber aus einer 5 mit 17 Nullen, ist also 100 mal so groß als die gesammte Menge Weizen, die im Jahre 1892 geerntet wurde. Wirde man die gesammte Ernte an Roggen, Gerste, Hafer, Mais noch hinzufügen, und sie gleich der Weizen­ernte ansetzen, obwohl sie erheblich geringer ist, so würden immerhin 50 gute Erntejahre dazu gehören, um Sissa   zu befriedigen. Bedenkt man übrigens, daß in unserer Rechnung seine Forderung 360 mal zu klein erscheint, so erkennt man, daß er die Getreide­produktion von 50 mal 360 oder fast 20 000 Jahren verlangte, also mehr Getreide, als in historischen Zeiten auf der Erde überhaupt produzirt worden ist. Der gute König mußte sich bald überzeugen, daß es nicht in seiner Macht stand, diese Forderung, die er anfangs für so bescheiden gehalten, zu erfüllen.

Noch eine andere rechnerische Scherzfrage wird oft in den Rechenbüchern, dort allerdings in genauerer Weise, behandelt. Wenn man sich die Frage vorlegt, zu welcher Summe ein Pfennig angewachsen wäre, den man zur Zeit von Christi Geburt   zinstragend angelegt hätte, vorausgesetzt, daß man die Zinsen immer wieder zum Kapital geschlagen, also ebenfalls zinstragend angelegt hätte, so kommt man auch zu einer ungeahnten Zahl.

Hat man ein Kapital zu 4 Prozent ausgeliehen, so bringt es jedes Jahr den 25. Theil seines Be­trages an Zinsen, und hat demnach in 25 Jahren seine eigene Größe an Zinsen abgeworfen. Werden die Zinsen Jähr für Jahr zinstragend angelegt oder zum Kapital geschlagen, wie man gewöhnlich sagt, so geht die Verdoppelung natürlich noch schneller, und zwar zeigt eine genaue Rechnung, auf die ich hier nicht eingehen kann, daß die Verdoppelung des Kapitals bereits in 18 Jahren erreicht ist. Bis zum Jahre 1800 wäre die Verdoppelung also 100 mal eingetreten. Nun hatten wir vorher schon gesehen, daß jede 11. Verdoppelung etiva gleich einer Ver tausendfachung ist; dieselbe wäre also bis zum Jahre

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1800 im Ganzen neunmal eingetreten, und dann wäre noch eine Verdoppelung dazu gekommen. Jeder Vertausendfachung entsprechen 3 Nullen; somit hätte der Pfennig den doppelten Werth von einer 1 mit 9 mal 3 oder 27 Nullen, in Worten wäre er gleich 2000 Quadrillionen Pfennigen oder gleich 200 Quadrillionen Mark geworden.

Eine so ungeheuere Summe übersteigt jedes Maß und jeden Begriff. Wäre die gesammte Erdkugel aus lauterem, gediegenem Golde, so würde ihr Werth dennoch nicht diesen Betrag erreichen, sondern nur etwa 162 Quadrillionen Mark, also noch nicht den 12. Theil davon betragen. Zwölf Erdkugeln aus gediegenem Golde wären demnach nothwendig, um die Summe darzustellen, die eir zu Christi Geburt  auf Zinseszins angelegter Pfennig schon vor 100 Jahren erreicht hätte, und heute hätte sich diese Summe noch verdreifacht.

Ach! warum sind meine Ureltern vor vielen 100 Jahren nicht so schlau gewesen, für mich einen Pfennig zinstragend anzulegen. Wie reich könnte ich heute sein! Mit diesem scherzhaften Ausruf wird vielleicht mancher Leser seine Vorfahren anklagen. Doch giebt die durchgeführte Rechnung nicht nur zu solchen scherzhaften Rückblicken Anlaß, sondern sie hat auch eine sehr ernste Seite und kann zu mancher ernsthaften Betrachtung für die Zukunft anregen. Wenn wir heute um uns blicken, so finden wir eine ungeheuere Menge großer Reichthümer in wenigen Händen angehäuft, so daß es völlig undenkbar und auch thatsächlich unmöglich ist, daß die in die Hundert­tausende und in die Millionen gehenden Einkommen, die diese Kapitalien ihren Besizern gewähren, auf­gezehrt werden; im Gegentheil werden sie zum Kapital geschlagen und müssen nun ihrerseits den Besitzern ein noch größeres Einkommen gewähren, als die­selben vorher schon hatten. Nur ein fleiner Theil dieser neu aufgehäuften Kapitalien tritt in der Form von Arbeit schaffenden Unternehmungen in die Er­scheinung, der bei weitem größte wird in zinstragenden Papieren, z. B. Staatsschuldscheinen, Hypotheken oder anderen Pfandbriefen auf den Grund und Boden angelegt. Das geht nun schon eine geraume Weile so und wird von Jahr zu Jahr schlimmer; die Schulden des Deutschen Reiches betragen bereits 2 Milliarden Mark, die des preußischen Staates 6 Milliarden, und ähnlich steht es in den anderen deutschen Vaterländern, wie übrigens in der ganzen zivilisirten Welt. Die glücklichen Besizer dieser Milliarden Schuldtitel, denen die Zinsen dafür von den Steuererträgen des arbeitenden Volfes alljährlich bezahlt werden, können dieselben, wie gesagt, garnicht aufzehren und müssen sie zum Kapital schlagen. Dadurch wächst in dem nächsten Jahre die auf­zubringende Zinssumme noch weiter, und so geht diese Schraube ohne Ende fort. Wir haben hier einen Zustand vor uns, in welchem die Wirkung des Zinseszins, die furchtbare Wirkung der immer­währenden Verdoppelung klar in die Erscheinung tritt. Die nothwendige Folge ist eine Auspowerung der arbeitenden Massen, die die immer wachsenden Zinsen, die ja doch nicht vom Himmel fallen, durch ihre Arbeit aufbringen müssen.

Aber darin liegt auch wieder ein Trost. Unsere Nechnungen zeigten uns, daß es in Wirklichkeit ganz unmöglich ist, die Wirkung des Zinseszins zu er­tragen. Ginge sie ungestört weiter, so müßte bald ein Zustand eintreten, wo die ganze Menschheit au­gestrengt von früh bis spät arbeiten miißte, um nur den Zins für einige Wenige heranzuschaffen. Daß das nicht das Schicksal der Menschheit sein wird, wissen wir ganz genau; um das zu erkennen, brauchen wir keine national- ökonomischen Kenntnisse zu haben und keine tiefen Einblicke in das komplizirte wirth­schaftliche Leben zu thun. So verhelfen uns die rechnerischen Spielereien, mit denen wir uns nur zur Unterhaltung und zum Zeitvertreib beschäftigt haben, zu einer leichten Erkenntniß von der Unhalt­barkeit der gegenwärtigen Zinswirkungen, und be­fräftigen uns in der festen und sicheren Zuversicht auf eine glücklichere Zukunft.

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* So nennt man ein Kapital, dessen Zinsen wieder zinstragend angelegt werden.