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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
mann Schroff gesprochen hatte. Vor der Thir sah er das Gefährt des Händlers stehen und erfuhr vom Kutscher, wer im Hause sei. Sofort schoß ihm das Blut in den Kopf. Erregt trat er in's Zimmer; er hatte den Feind noch nie von Angesicht zu Angesicht gesehen.
Seine leberraschung war groß, als er den Händler erblickte. Den Burschen hatte er sich ganz anders vorgestellt. Unwillkürlich wollte er etwas von der teuflischen Bosheit, die er dem Menschen zutraute, auch in seiner Erscheinung wiederfinden. Dort, dieser fleine fette Mann, kahlköpfig, mit rothem Kotelettenbart, das sollte der berüchtigte Samuel Harrassowiß sein, von dem man erzählte, daß er viele Menschen zu Grunde gerichtet habe!
Gustav fühlte auf einmal das Bedürfniß, dem Manne seine ganze Verachtung zu zeigen. Der sollte sich um feinen Preis einbilden, daß er sich vor ihm fürchte. Er wußte selbst nicht, woher ihm der Ueberumuth fam. Als ob der Fremde garnicht im Zimmer sei, feuerte er seinen Hut in die Ecke und rief:" Wo ist der Vater?"
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Harrassowiz betrachtete sich den jungen Menschen. Das ist also Nummero zwei, der gewesene Unteroffizier. Gratulire, Mama Büttnern, Sie haben einer gesunden Rasse das Leben geschenkt. Solche Leute können wir brauchen."
Stock sinken. Seine Wuth hatte sich schnell gelegt, sowie er den Feind in seiner ganzen Erbärmlichkeit gesehen. Der Anblick dieses Männchens, wie es mit erhobenen Händen, kläglich schreiend, sich ein paar mal um sich selbst gedreht hatte, war zu drollig gewesen. Gustav brach noch nachträglich in ein unbändiges Gelächter aus. Er mußte sich die Seiten halten vor Lachen. Und ansteckend wie die Lustig feit nun einmal wirkt, lachten die Mädchen schließ= lich auch mit.
Die Bäuerin humpelte hinaus, um des Händlers womöglich noch habhaft zu werden, und ihn um Verzeihung für die Unthat des Sohnes zu bitten. Aber es war zu spät; der Wagen fuhr bereits in schneller Gangart aus dem Hofe.
XV.
Saschelernt war in die Stadt gefahren. Der Hauptzweck seiner Fahrt war, Besorgungen und Bestellungen für die Gastwirthschaft zu machen. Da er bei dieser Gelegenheit hauptsächlich mit Bierbrauern, Zigarren, Wein- und Likörhändlern zu thum hatte, die bei Geschäftsabschlüssen gern etwas springen lassen, befand er sich bereits am frühen Nachmittage in stark angeheiterter Stimmung. Kaschel ernst pflegte sich jedoch nie bis zu voller Besinnungslosigkeit zu betrinken. Auch heute schwankte er zwar bedenklich auf seinen kurzen Beinen, und sein Rattengesicht hatte eine bläuliche Färbung angenommen, aber im Uebrigen hatte er seine fünf Sinne völlig he?" beisammen, und vor Allem war seine Durchtriebenheit nicht im Geringsten geschwächt durch die selige Stimmung.
Die Bäuerin war auf ihren Sohn zugeschritten und machte ihm verstohlene Zeichen, daß er den Gast begrüßen solle. Als Gustav das nicht zu verstehen schien, sagte sie ihm halblaut, wer er sei. , Wie alt sind Sie denn junger Mann fragte Sam.
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Gustav hielt es nicht der Mühe für werth, zu antworten. Jetzt erkannte die Mutter, daß mit Gustav nicht Alles in Ordnung sei. Sie glaubte, er sei angetrunken. Außerdem wußte sie, daß Gustav dem Händler nicht grin sei. Sie fürchtete das Schlimmste. In der Wuth war er unberechenbar, gerade wie der Vater.
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Sie trat daher zu dem Händler und antwortete statt des Sohnes:" Siebenundzwanzig is er, Herr Harrassowiß ju ju, siebenundzwanzig. A strammer Kerle, nicht wahr, Herr Harrassowiz?" Dazu lachte sie gänzlich sinnlos aus Angst. Und su a gutter Sohn wie der is, Herr Harrassowiß!" fuhr sie fort. Abwechselnd lächelte sie den Händler an, um ihn bei guter Laune zu erhalten, und warf dann wieder dent Sohne flehende Blicke zu, daß er nichts Unbesonnenes unternehmen möge.
Gustav hatte inzwischen an den Speisen auf dem Tische, dem kriechenden Wesen der Mutter und den verängstigten Mienen der Schwestern erkannt, wie tief sich die Seinen vor dem Fremden gedemüthigt hatten. Eine dumpfe Wuth erfaßte ihn plößlich gegen dieses fette Gesicht. Wie der Bursche dasaß, proẞig und sicher, sich die guten Sachen seiner Mutter schmecken ließ! Den wirde er mal auf den Trab bringen. Auf Unterhandlungen wollte er sich garnicht erst einlassen; denn mit der Zunge war einem so Giner ja natürlich über. Hier konnte nur, ungebrannte Asche" helfen.
,, Ich höre, Sie sind auf dem Rittergute ge= wesen," sagte Harrassowiz, sich im Kauen nicht unterbrechend.„ Um sich nach einer Kutscherstelle beim Grafen umzuthun war denn da was?"
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,, Gustav! Herr Harrassowiß fragt Dich, ob's De... Was suchst De denne, Junge?"
„ Ich suche meinen Stock, Mutter!" sagte Gustav mit bedeutungsvollem Blicke nach dem Fremden hinüber. Wo habe ich denn meinen Stock gleich... Ach, hier is' r!"
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Sam war während des Leßten rege geworden. Er hatte ein schnelles Begriffsvermögen. Gustav's Mienen- und Gebärdenspiel war auch äußerst sprechend in diesem Augenblicke. Der Händler sprang auf die Füße, riß seinen Pelz vom Ofen und suchte die Thür zu gewinnen, so schnell wie möglich. Die Mutter war dem Sohne in den Arm gefallen, der holte aus, konnte aber nicht zuschlagen, weil er sonst unfehlbar die alte Frau getroffen hätte.
So gelang es Sam, unversehrt in's Freie zu gelangen. Die Frauen standen jest um Gustav und beschworen ihn, Vermunst anzunehmen. Er ließ den
In solcher Laune machte er sich auf, seinem Geschäftsfreunde Sam einen Besuch abzustatten.
Herr Kaschel aus Halbenau war ein gern gesehener Gast in der Getreidehandlung von Samuel Harrassowiz. Wenn er angemeldet wurde, ließ ihn Sam stets ohne Weiteres in das kleine Hinterzimmer führen. Der Kretschamwirth pflegte meist wichtige Nachrichten vom Lande zu bringen.
Auch hier wieder bekam Kaschelernst sein Gläschen vorgesetzt. Man sprach von Diesem und Jenem. Der Kretschamwirth hatte schon mancherlei Interessantes ausgeframt. In seiner Steung als Wirth eines vielbesuchten Gasthauses erfuhr er Vielerlei, was Anderen verborgen blieb. Heute hatte er sich etwas Besonderes bis zuletzt aufgespart. Eine Nach richt, die, wie er mit verschmiẞtem Augenzwinkern sagte, sie Beide angehe: der Saländer Graf wolle dem Büttnerbauer auf die Beine helfen.
Der Händler schnellte von seinem Sige empor. „ Das wäre doch ein starkes Stick!"
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„ Es is genau su, wie ich's sage!" meinte Raschelernst. Der Graf will mich auszahlen. Bittnertrangott soll drinne bleiben im Gute. Sit is es!"
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Harrassowiß stieß eine Verwünschung aus. Dann fragte er, ob Raschel das genau wisse; es beruhe vielleicht auf einem falschen Gerüchte. Der Gast wirth erklärte dagegen, der Graf lasse mit ihm unterhandeln, wegen Uebernahme seiner Hypothet. Mir kann's ja schließlich recht sein," meinte Raschelernst mit pfiffiger Miene. Mir kann's schon ganz recht Mir kann's schon ganz recht sein, wenn der Graf mich auszahlt; auf die Weise komme ich doch zu Gelde."
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Sie wären auch ohnedem zu Ihrem Gelde gekommen, wenn wir das Geschäft zusammen ge= macht hätten!" rief der Händler wüthend. „ Und was Schönes zu verdienen hätte ich Ihnen außer dem gegeben. Kaschel! den gegeben. Kaschel! Das wissen Sie ganz gut! Das hier ist vollständig gegen die Verabredung. Nun kommt der Bauer wieder auf die Füße. Verfluchte Gauner, die Aristokraten. Ueberall müssen sie sich einmischen. Wie kommt der Graf dazu, sich um dergleichen zu bekümmern! Verdirbt ehrlichen Leuten die Preise!"
Harrassowitz war in diesem Augenblicke ehrlich entrüstet. Er empfand die Hülfe, die der Graf leisten wollte, als ein persönliches Unrecht, als unerlaubtes Eingreifen eines Unbefugten in seine Domäne.
Kaschelernst lächelte ſtillvergnügt und rieb sich die Hände. Er freute sich an Sam's Aerger. Dann trant er sein Glas aus und meinte:„ Ja, da wird's
am Ende diesmal doch nischt werden." Damit erhob er sich zum Gehen.
Sam blieb in ärgerlichster Stimmung zurück. Der Gedanke, daß ihm das Büttner'sche Bauerngut entgehen sollte, war äußerst schmerzlich. Er hatte im Geiste bereits über dieses Gut verfügt, als sei es sein Eigenthum. Unter Anderem waren Unterhandlungen angeknüpft wegen einer Dampfziegelei, welche er auf dem neuen Besitz auzulegen gedachte. Ferner hatte er sich überlegt, welche Stücke er abtrennen und veräußern und welche er behalten wolle. Das Hauptgeschäft aber hatte er mit dem Walde vor. Den sollte ihm die Herrschaft für theneres Geld abnehmen. Alle diese bereits eingefädelten Pläne drohten nun in Nichts zu zerfallen durch das, was er soeben von Kaschelernst erfahren hatte. Denn wenn der Graf wirklich für die Schulden des Bauern eintrat, dann wurde es nichts mit der Subhastation, auf die es der Händler in erster Linie abgesehen hatte. Er hatte schon eine Menge Arbeit in diese Sache gesteckt, und nun sollte alles das auf einmal verloren sein. Das war sehr ärgerlich!
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Aber Sam pflegte sich niemals lange zu ärgern. Aerger kostete Zeit und Zeit ist Geld." Er schäßte das Geld viel zu hoch, um es auf etwas verlorenes zu sezen. Lieber strengte er seinen Verstand an, überlegte, ob sich hier nicht doch noch etwas machen lasse, und bald hatte er das Nichtige gefunden.
Wozu war denn Edmund Schmeiß da! Von der Gewandtheit und dem Schneid dieses jungen Mannes hatte er mehr als eine Probe erhalten. Edmund Schmeiß war auch hierfür der richtige Mann.
Der Plan des Händlers war folgender: Der Besitzer der Herrschaft Saland war Rittmeister und stand in Berlin . Sam kannte den jungen Grafen zwar nicht persönlich, aber er wußte, daß er ein vornehmer Herr sei, der sich nicht sonderlich viel um die Gutsangelegenheiten kümmerte. Im Sommer und Herbst lebte der Graf ein paar Wochen mit seiner jungen Frau auf der Herrschaft, die übrige Zeit hielten ihn Dienst und Geselligkeit in der Reichs hauptstadt fest. Mit den Einzelheiten der Landwirthschaft seines großen Besizes konnte der junge Herr sich wohl kaum befassen; dazu waren die Beamten da. Ihm war jedenfalls die Rente die Hauptsache, und er war schon zufrieden, wenn er nur möglichst wenig Arbeit und Sorgen durch den Besiz hatte. Es war ferner anzunehmen, daß der Graf über die Verhältnisse bei den kleinen Leuten und Bauern, mit denen er grenzte, nur sehr unvollkommen unterrichtet sei. Was er etwa darüber wußte, wurde ihm jedenfalls durch seine Leute zugetragen. Ueberhaupt sah er alle Verhältnisse wahrscheinlich durch die Augen der Angestellten. Was fonnte er eigentlich für ein Interesse an dem Bittnerbauer haben? Dem Grafen irgend welche Theilnahme an der Erhaltung eines fräftigen Bauern standes zuzutrauen, so naiv war Samuel Harrassowiß nicht. Er kannte die Kavaliere! Wahrschemlich spekulirte der Graf auf den Wald des Bauerngutes, der Jagd wegen. Jedenfalls war hier irgend ein ganz realer, egoistischer Zweck im Hintergrunde, welcher diesen großen Herrn veranlaßte, dem Bauern anscheinend hilfreich unter die Arme zu greifen.
Wie nun den Grafen daran verhindern? Die Sache war äußerst brenzlich und mußte mit größter Vorsicht angefaßt werden.
Solche Aristokraten waren hochfahrend, stark von sich eingenommen, und liebten nicht, daß man sich ihnen aufdränge. Auf der anderen Seite waren sie leichtlebig und rasch in ihren Entschließungen; ließen sich leicht bereden und fortreißen. Vor Allem aber kam es ihnen bei jedem Geschäfte darauf an, daß es sich in netter, gefälliger Form darbot, daß die Etikette gewahrt wurde.
Sam besaß soviel Selbsterkenntniß, um sich zu sagen, daß, wenn er selbst nach Berlin führe, um mit dem Grafen zu verhandeln, dabei schwerlich etwas herauskommen werde. Er hielt sich zvar durchaus nicht für unfein, aber er wußte, daß Leute, wie der Graf, besonders wenn sie Offiziere sind, einen schwierigen Geschmack haben; kurz und gut, es schien ihm besser, seine Person im Hintergrunde zu hal'en.