Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

jie gesagt; Anders meinte daher, es wäre am Stliigsten, zu bleiben, wo er war, bis sie das Haus verließ, damit die Alten nicht Unrath witterten.

Das Warten fam ihm schwer an. Seit es dunkel zu werden begann, hatte er das Haus nicht aus den Angen gelassen. Wo blieb sie mur? Ob sie ihm etwa doch entwischt war?

Ja, sie erholte sich wieder. Ach Gott, ja. Aber ich muß so viel an den armen Anders denken. Was soll aus ihm nur werden, wenn ich todt bin? Er will ja hinaus!" Ihr Gesicht zeigte den Aus­druck der Angst, ihre graubraunen fnochigen Hände zitterten.

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hatte. Wenn seine Vorräthe aufgezehrt waren, ging er nicht zum nächsten Höfer, sondern womöglich zu einem Kaufmanne in der Nachbargemeinde, wo er keine Bekannten zu treffen hoffte, denen es einfallen könnte, über ihn ihre Gloffen zu machen. Den größten Theil der nothwendigen Gegenstände kaufte er jedoch nicht dort, sondern in der fleinen Stadt, wo er sein Wild, seine Fische und seine oft fein und in seiner Art flug; aber er ist ja ausgeschnittenen Handfertigkeitserzeugnisse verkaufte. solch ein Sonderling geworden..."

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Du brauchst seinetwegen sicher nicht ängstlich Er warf die Büchse über die Schulter und ging zu sein, er ist ja ein braver Bursche." über die Wiese hin auf das Haus zu.

Zu spät. Sie war fort.

Er machte sich über seine Schmalzbrotknollen her; aber an diesem Abend wollten sie nicht recht hinuntergleiten. Maren fragte ihn, wie es mit dem Jungvieh stände, und ob der Schmied sein Lamm zum Schlachten heimgeholt hätte; aber sie bekam nur kurze Antworten.

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,, Kaum sizest Du da und maulst so? Du bist doch nicht frank?"

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,, Nein. Aber ich habe die Geschichte satt. Ich halte es nicht länger aus," stieß er heiser hervor. Die Nunzeln in dem Gesicht der Alten zogen sich zusammen.

Ja, Du kannst ja reisen, Anders, aber ich glaube, Du wirst es bereuen, soweit ich Dich und die Welt kenne. Glaubst Du denn, Du bist im Stande, Dir draußen unter Fremden den Weg zu bahnen?"

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Warum sollte ich das nicht können? Hier fann. ich ja nicht vorwärts fommen. Begreifst Du denn nicht Großmutter, daß die Leute mich verachten weil ich hier herumlungere wie ein" Seine Stimme bebte.

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Nimm Dir Ingeborg's Neckerei nicht so zu Herzen, kümmere Dich doch nicht darum. Ich rathe Dir zu Deinem Besten, Anders!"

Das weiß ich wohl. Ich kann Dich ja auch nicht verlassen. O, es ist, um darüber ver­

rückt zu werden!"

Er sprang auf und lief im Zimmer umher, setzte sich aber bald wieder und stüßte die Hand gegen seine heiße, feuchte Stirn.

Komm' doch zur Vernunft, Junge!"

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Wenn ich immer hier bleiben soll, werde ich unglücklich!" brach es in unterdrücktem Schluchzen aus ihm hervor.

Maren legte ihre Arme um seine Schulter.

Aber, Anders! Ach, Herr Gott , kannst Du denn nicht warten, bis ich in der Erde liege? Bleibe daheim, liebster Anders!"

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Ja ja!" stöhnte er, die Stirne gegen den Tisch gepreßt.

Stark bewegt schlich Maren in die Küche hinaus. Sie begriff jezt, daß er unter dem beschränkten Leben daheim mehr litt, als sie gedacht hatte. Aber war es trotzdem nicht ihre Pflicht, ihn zurück zu halten? Würde es ihm draußen in der Welt, die er nicht kannte, nicht schlecht ergehen? Und würden ihre legten Lebenstage nicht falt und traurig werden, wenn Anders fort war? Er konnte ja als ein Bettler heimkehren, zum Spott für Alle, zur Last für die Gemeinde!

Als Anders am nächsten Morgen sich an den Frühstückstisch sezte, sah er vergrämt und verwacht aus und rührte kaum das Essen an.

Na, Kopf hoch und keine schiefen Beine!" sagte Maren munter. Aber es half nichts. Erst in einigen Tagen gewann er seinen Gleichmuth wieder.

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Einige Monate darauf starb der alte Jäger", und noch in demselben Jahre, um Michaelis herum, lag auch seine getreue Ehehälfte im Sterben. Anders saß häufig an ihrem Bette und las laut aus dem Gebetbuch vor. Seine trockene, tiefe Stimme paẞte gut zu der Dämmerung und der dumpfen Luft im Zimmer.

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Meine Zeit ist bald um," sagte Maren zu einer Frau, die zu ihr hinausgekommen war, um nach ihr zu sehen. Das meinte auch Tischlers Anne, als sie gestern hier war. unseres Nachbars heulte so, dies Wahrzeichen gilt wohl mir."

" Ja

Als Anders am nächsten Tage an ihrem Bette stand, fragte die Sterbende ihn: Nun bleibst Du wohl daheim, Anders?"

Er blickte zu Boden.

Ja, Du sollst mir nichts geloben. Ich wollte nur sagen, daß Du es hier ebenso gut hast, wie Du hoffen kannst, es anderwärts zu bekommen. Wenn Du nur Deine Pflicht thust, wirst Du gerade so geachtet werden, wie die meisten anderen Burschen und Männer hier in der Gemeinde. Vergiß das nicht. Kümmere Dich niemals darum, daß die Lente Dich Großmuttersöhnchen nennen, das hört schon auf."

Sie hätte gern noch mehr gesprochen, aber ihre Stimme versagte. Sie röchelte in schwerer Athem­noth und tastete nach einem Krug Wasser.

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Am nächsten Tage schlich Anders auf Socken in das Studierzimmer des Pfarrers hinein mit der Nachricht von ihrem Tode.

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Es wird nun recht einsam für Dich werden, mein Sohn," sagte der Geistliche, als der Bursche seine Meldung erstattet hatte.

Anders senkte den Kopf und erwiderte: Ja- das wohl."

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Bleibst Du auch in Zukunft auf Fladstrand? Na ja, das thust Du doch wohl?"

Ich weiß nicht recht-"

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Dort draußen kannst Du ja wie ein kleiner König leben!"

Als Anders an einem Winterabend in seiner Stube saß und schuizte, besuchte ihn der Zunft­meister von Kjaeldstrup. Als der Gast den Zweck seines Besuches erledigt hatte, sagte er: Ja, ich muß nun nach Hause, ich bin müde, denn ich bin heute viel unterwegs gewesen. Ich war auf einer Auktion und in der Stadt nach dem Doktor für die Näherin."

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Ingeborg! Ist sie frank?"

Ach ja, schon lange. Es steht schlecht mit der Armen. Eltern hat sie keine; und ihr Liebster hat ihr den Rücken gekehrt, so daß das Bischen, was sie sich erspart hatte, wohl draufgegangen sein wird." Es ist doch wohl keine Gefahr für sie?" fragte Anders, der Mühe hatte, seine Unruhe zu verbergen. Na ja, es hat schon sehr traurig mit ihr aus­gesehen; aber in den letzten Tagen ist es etwas besser gegangen. Aber der Doktor sollte ja geholt werden, lautete die Bestimmung. Es wäre sehr bedauerlich, wenn Ingeborg sterben sollte, denn sie war eine äußerst tiichtige Näherin. Vielleicht ein Bischen verwegen, aber doch nicht, was man lieder­lich nennt."

Als der Zunftmeister gegangen war, versank Anders in Grübeleien, und ihm wurde immer heißer im Kopf. In starker Gemiithserregung ging er auf dent holprigen Steinboden auf und ab. Wie, wenn er zu Ingeborg hinging? Nun würde sie gewiß sie, recht froh über seinen Besuch sein. Froh-

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Er klopfte Anders freundlich auf die Schulter, die sich immer lustig über ihn gemacht hatte! Was und dieser ging fort.

Auf dem Heimwege wiederholte er bei sich im Stillen, was der Geistliche zu ihm gesagt hatte. Fort? Ja, er wollte fort, aber jezt noch nicht.

Wenige Tage nach dem Begräbniß ging Anders nach Sjaeldstrup, um mit den Leuten in der Stadt den Hirtenvertrag zu erneuern; sie sollten im Laufe des Nachmittags sich in der Mühle versammeln, um den Zunftmeister neu zu wählen.

Unterwegs traf er die Näherin Ingeborg.

" Oho, bist Du aber heute fein herausgeputzt, Anders? Bist Du aus, um Dir eine Haushälterin zu miethen?" sagte sie mit ihrer gewöhnlichen Schelmerei.

,, Ne, es sei denn, daß ich Dich bekommen könnte!" Mich! Nein, ich finde es hier in der Stadt doch zu amüsant, um mich dort draußen zu begraben. Komm' Du auch lieber zur Stadt, Anders, wir werden Dich schon aufmuntern!"

Sie lachte und trippelte davon wie eine Bachstelze. Anders hatte die dumpfe Empfindung, daß sie sich aus ihm nichts machte. Aber dennoch blieb in ihm ein Hoffnungsrest zurück.

*

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Wenn der Winter um war, wollte er fort, das war lange sein Vorsatz gewesen. Aber der Frühling, der Sommer und der nächste Winter ließen Anders an demselben Orte zurück, wo sie ihn gefunden hatten. Er konnte wegen des Gedankens an Ingeborg- sich nicht mit einem Schnitt von dem trennen, was ihn an die Scholle band, obwohl er nur hier und da einen Schimmer von dem flotten Mädel sah. da einen Schimmer von dem flotten Mädel sah. Es war wohl das Beste, zu warten, dachte er, zu warten und zu sehen, was sie wollte.

Und so blieb Anders. Und es vergingen mehrere Jahre, ohne eine Veränderung in seinem stillen Hirtenleben mit sich zu bringen.

er sich einbildete! Aber wenn sie nun starb?

Er kleidete sich schnell um und ging nach der Stadt. Der Wind trieb ihn vor sich her, während der fallende Schnee ihn in einen weichen Mantel hüllte.

Ingeborg saß allein in ihrer kleinen, zügigen Miethsstube, als Anders bei ihr eintrat. Sie hatte einen Shawl umgenommen und ein Kissen hinter dem Rücken. Er vermochte sie kaum wieder zu erkennen.

Mit verwirrtem Erstaunen sah sie den Ein­tretenden an.

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Wie geht es Dir?" fragte er gedämpft, als sie einander begrüßt hatten.

Na, jezt geht's ein wenig besser. Erst heute habe ich Erlaubniß bekommen, ein wenig aufzustehen."

Das Gespräch verstummte. Ingeborg sah, daß er etwas sagen wollte, etwas von Wichtigkeit, dachte sie, das Schweigen wurde ihr darum immer pein­licher; bald wurde sie glühend roth und bald wieder bleich wie eine Todte.

,, Du hast schlechtes Wetter gehabt auf Deinem Herwege," sagte sie endlich.

Ja. Aber ich hörte ja, Du wärest frank, und da meinte ich, ich wollte einmal nach Dir sehen." Das war nett von Dir. Ich bin auch sehr verlassen. Die Leute werden es bald überdrüssig, einen franken Menschen zu sehen."

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" Ich habe übrigens gedacht," erklang es schiich­tern, ob Du nicht etwas Hülfe brauchen könntest, um mit dem Doktor und dem Apotheker abrechnen zu können... denn dann könnte ich Dir ja so gut helfen."

Sie sah ihn überrascht an.

Dan- te. Aber so viel Giite darf ich von Dir nicht annehmen, Anders Dir nicht annehmen, Anders ich, die Dich so oft geneckt hat. Ich habe freilich niemals geglaubt, daß Du Dir aus mir etwas machtest."

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Doch aber ich habe es Dir früher nicht Es gab wohl auch sagen können," murmelte er. Und der Hund Jemand, aus dem Du Dir mehr machtest!"

" Dessen mußt Du noch nicht so sicher sein," tröstete die Besucherin, wir sahen's ja im vorigen Jahr bei der Müllersfrau."

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Aber jedes Mal, wenn er den Sohn des Lootsen, einen flotten und stolzen Kerl, hinaus segeln sah, war es, als wenn er erwachte. Die Reiselust lohte in seinen Augen auf und sein Blut erglühte: nun mußt Du fort von hier er kam aber nicht fort. Anders machte sich nichts daraus, mit anderen Menschen Verkehr zu haben, nicht einmal mit dem Lootsen, zu dem er das Zutrauen schließlich verloren

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Eiler? Ach nein!" sagte sie bitter. 3u ihm habe ich niemals rechtes Vertrauen gehabt. Nein, erst wenn Einem etwas zustößt, fann man erkennen, wer es mit Einem gut meint."