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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Anders erhob sich, um zu gehen. Während er ihr gute Nacht sagte, ließ er ein Beutelchen mit Silbergeld in ihren Schooß niedergleiten, worauf er sogleich zur Thür hinauswankte.

Ingeborg sah in froher Verwunderung von deni Beutelchen zur Thür. War er wirklich fort? Sein Name schwebte ihr auf den Lippen, aber sie wagte nicht, ihn zurückzurufen, aus Furcht, die Neugier der Nachbarit zu erregen.

Das unerwartete Glück rief in ihrem abgemager­ten Körper ein Zittern hervor. Sie sah aber so erfrischt aus wie ein junger Baum nach einem Gewitterregen.

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Anders hoffte, daß Ingeborg zu Johanni zu ihm wiirde hinaus ziehen können. Zu der Zeit sollte das Haus in Stand sein, weshalb er einige Hocken Langstroh zur Ausbesserung des Daches kaufte, Thiiren und Fenster mit rother Farbe strich und in der Wohnstube neue Dielen legte. Die größte Mühe machte er sich mit einem Giebelfämmerchen, das zu Ingeborg's Ankunft geputzt dastehen sollte.

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Sie saß in ihrer engen, halbdunkeln Kammer und spähte ungeduldig durch die Scheiben. Da und dort auf dem Wiesenteppich von Fladstrand schim­

merten Kuhblumen und die blutrothen Weiden­röschenblüthen, Schafe und Jungvieh weideten dort draußen, und Anders stampfte in bloßen Armen mit dem Strohhut im Nacken umher und quälte sich mit Allerlei ab. Nein, sie fonnte es nicht länger aushalten, den ganzen Tag in dem miiffigen Loch aushalten, den ganzen Tag in dem müffigen Loch eingesperrt zu ſizen!

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Als er eines Abends ihr Zimmer betrat, lag sie im Bett, die Decke bis zum Kopf hinauf gezogen: ein starker Fieberfrost, hervorgerufen durch zu langes Sigen im Garten, schüttelte ihren Störper.

Niedergeschlagen legte er eine Handvoll Blüthen auf das Bett.

Waldmeister!" rief sie und hob den Kopf empor, ,, o, ich habe mich so darnach gesehnt!"

Tag für Tag ging es mit Ingeborg's Gesund­heit abwärts. Nur wenn Anders mit ihr von der Zukunft sprach-er hoffte, sie würde sich schon er­holen rötheten sich ihre Wangen und zeigte sich ein Schimmer von Lebensfreude in ihren dunklen Augen.

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Eine Nacht brannte Licht in ihrer Kammer, bis es tagte. Als Anders um diese Zeit fortging, be merkte die Nachbarin, daß er so wunderlich zur Thiir hinaustrat, als wenn er die Herrschaft über seine Füße verloren hätte.

Feuilleton.

In dieser Nacht war Ingeborg gestorben..

Es ging wieder dem Frühjahr entgegen. Wäh­rend sich die Seeschwalben und silberglänzende Möven mit schnellen Schwingenschlägen in anmuthsvollem Schwunge draußen über den einsamen Wiesen von Fladstrand tummelten, wuchs Anders' alte Sehnsucht wieder empor. Aber er vermochte sich nicht los zu reißen: Ingeborg's Grab, das Heim, das Jungvieh und die Schafe das waren starke Bande, die ihn fesselten.

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Der tägliche Kampf erschlaffte seine Geisteskraft und machte ihn schwerfälliger und schwerfälliger. Er war geistig holzig geworden, wie gewisse Pflanzen es thun, wenn sie nicht benutzt werden, so lange sie jung und frisch sind.

In vielen Beziehungen war er nun wie ein Kind. Oft stand er Stunden lang vor einem seiner ge= hörnten Freunde und erzählte mit schwärmerischem Glanz in den Augen seine nie erlebten Reiseabenteuer.

Die kleine Kammer, die er mit so viel Sorgfalt für Ingeborg ausgeputzt hatte, war nun sein Heilig­thum; dort hielt er sich in seiner freien Zeit auf, und er vergaß niemals, frische Blumen in das Glas auf ihrem Nähtisch zu setzen, und auf dem Fenster­brett war bald kein Plaz mehr für seltene Muscheln.

Buruf.*

Heft auf der Erde eh' mit beiden Füßen und lah' dich nicht verwirren von der Sehnsucht, die dich hinüberlocken will in ihrer Dämmerung ewig leere Weife.. fest auf der Erde seh', die dich geboren: sie allein ist deine Heimath, aus ihr allein quillf Kraft und Wille dir und That, und was du bist, bisk du aus ihr!

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Was willst du in den blauen Fernen drüben, in die dein Traum fich Paradiese baut und goldener Seligkeiten schimmernde Paläffe?!... wenn du den dunklen Weg dazu erfüllt, wie du vermeinst, du stündest doch nur vor der gleichen Antwort wieder, der du geglaubt entfliehen zu können!

D'rum bleib' und seh' und wohne dich zurecht auf deiner Erde und in ihre Grenzen, du haft in langem, hartem Kampf sie dir erworben... und fräume nicht das Beste, was du ihr verdankt, hinaus

in's Teere...

Hier auf der feffen Erde ist dein Plak, Und hier sei auch dein Sieg! Cäsar Flaischlen .

* Aus: und Co.

,, Von Alltag und Sonne". Berlin , F. Fontane

Floßfahrt. Alt, uralt ist das alpine Flößergewerbe. Von der umgebenden, stolzen Natur ist es bedingt; und der Betrieb der Flößerei, wie das Zu- Thal- Fördern des gefällten Holzes ist im Wesen dasselbe geblieben, wie es vor vielen Jahrzehnten war. Ebenso hat sich in seiner Einförmigkeit und zugleich in seiner Ursprünglichkeit das Leben der Holzarbeiter auf den Höhen und das Leben der Flößer in den Flußthälern erhalten. Im eigentlichen Hochgebirge haben es die Holzknechte hart, und ihr ziemlich farger Verdienst ist häufig ein Wagniß. Etwas mehr Gemüthlichkeit schon kommt in die Thalfahrten, von denen eine auf dem Gemälde von Knabl dargestellt ist.

Gar so gemüthlich ist die Sache freilich nicht, wie sie mancher Ausflügler von München sich einbildet oder mit erlebt hat. Man hat im lieben Tölz gesessen, in dem großen Ort für Bierbrauerei und Floßfahrt. Oben im Garten des Bürgerbräus oder auf dem Bauckfeller, zwei köstlichen Erdenfleckchen, wurde man von der Laune er­faßt, zu Thal zu fahren. Auf Stunden weit liegt das Isarthal offen da. Warum nicht niedersteigen und statt auf dem faden Ding, der Eisenbahn, nach München zu rutschen, lieber eine Floßfahrt mitmachen. Leicht in acht Stunden isf's vorüber, friedlich und gut ist der Wasser­gang. Verdurften braucht man nicht. Ein Fäßchen ist bald aufgelegt. Seinen dichten Lodenmantel hat man auch bei sich. Der Bergwind nämlich, wenn er gegen Abend aufspringt, ist ein bissiger Gesell und bringt gern das Frösteln mit, auch nach warmen Sommertagen.

Da kann's denn freilich ziemlich fidel hergehen. Im Allgemeinen aber haben es die Bergflöße in sich, wie man zu sagen pflegt. Es heißt Obacht geben. Rascht nimmt der Flußlauf bei lebhaftem Gefäll eine scharfe Biegung.

Oft heißt es, muskelstark sich anstemmen und vor allen Dingen ein umsichtig helles Auge bewahren. Eine größere Selbstständigkeit und regeres Leben hat so die Flößerei in den Voralpen, als sie etwa die langen Fahrten der " Flissaken" haben, die alljährlich von Polen hinab in die deutsche Tiefebene kommen. Gern wird mitunter mensch­liche Fracht" mitgenommen, wie auf unserem Bilde die Dirne im Sonntagsstaat und der schmauchende Alte. Mit der Volkstracht allerdings wird's nun bald vorbei sein. Der demokratisch- nivellirende Zug unserer Zeit räumt rasch damit auf. Das wird der Verein zur Erhaltung der Volkstrachten im bayerischen Oberland nicht ändern. Wenn man erst durch Vereine erhalten will, ist's gewöhn­lich schon vorbei; und auf den Hunderten und Aberhun­derten von Bildern aus dem alpinen Leben werden dieser malerischen Wirkung wegen bald mehr Gestalten in Volks­trachten zu sehen sein, als sie in Wirklichkeit noch zu finden sind.

Von der wirthschaftlichen Bedeutung der Flößerei fann man sich übrigens einen Begriff machen, wenn man er= fährt, daß allein von den beiden Hauptorten der Isar­Flößerei, von Tölz und Lenggries her, jährlich etwa für 1 Millionen Mark Holz nach München verflößt wird. f.

Denn

Ueber Formenschönheit" sagt A. Endell, ein Münchener Maler, der auch auf dekorativem Gebiete thätig ist, in der Dekorativen Kunst" Folgendes:" Wollen wir formale Schönheit verstehen und genießen, so müssen wir lernen, isolirt zu sehen. Auf die Einzelheiten müssen wir unseren Blick lenken, auf die Form einer Baumwurzel, auf den Ansatz eines Blattes am Stengel , auf die Struktur einer Baumrinde, auf die Linien, die der trübe Schaum an den Ufern eines Sees bildet. Wir dürfen auch nicht achtlos über die Formen dahingleiten, sondern müssen sie genau mit den Augen verfolgen, jede Biegung, jede Krümmung, jede Erweiterung, jede Zusammenziehung, kurz jede Aenderung der Form miterleben. genau sehen wir nur einen Punkt in unserem Sehfeld, und wirksam kann für unser Gefühl nur werden, was wir deutlich gesehen. Sehen wir aber in dieser Weise, so ersteht vor uns eine neue, nie gekannte Welt von ungeheurem Reichthum. Tausend Stimmungen werden in uns wach, immer neue Gefühle mit neuen Nuancen und ungeahnten Uebergängen. Die Natur scheint zu leben, und wir begreifen jetzt, daß es wirklich trauernde Bäume und boshaft heimtückische Aeste, keusche Gräser und furchtbare, grauſenerregende Blumen giebt. Freilich nicht Alles übt solchen Eindruck aus, es fehlt nicht am Langweiligen, Unbedeutenden und Unwirksamen, aber das wachsame Auge wird überall, in jeder Gegend, Formen von wunderbarem, die ganze Seele erschütterndem Reize gewahren."

Ein sonderbarer Heiliger muß der alt- egyptische König Amasis ( 569-526 v. Chr.) gewesen sein, dessen Charakterbild uns Herodot überliefert hat. Amafis stammte aus der Stadt Siuf, die zur Mark Sais ge= hörte. Er war aus der Klasse der Krieger hervorgegangen, doch zählten seine Eltern keineswegs zu den Vornehmen. Man erzählt, sagt Herodot , daß Amasis , auch als er noch in geringem Stande für sich lebte, Trunk und Scherz geliebt und gar fein arbeitsamer Mann gewesen. Und wenn das Nothdürftige ausging zum Trinken und zum lustigen Leben, so ging er umher und stahl. Und wenn die Leute sagten, er hätte ihnen das Ihrige entwendet, und er leugnete, so führten sie ihn zu einer Weissagung,

wo ein Jeglicher die seinige hatte, und oft ward er ver­urtheilt von den Weissagungen, oft aber auch freigesprochen. Allmälig aber fam er empor. Unter dem König Apries zogen die Egypter gegen die griechische Pflanzſtadt Styrene , erlitten aber eine furchtbare Niederlage. Sofort brach im Heere ein Aufstand aus. Man beschuldigte den König, er habe die einheimischen Krieger mit Absicht in den offenbaren Tod geschickt, damit er, gestützt auf die fremden griechischen Söldner, um so unbeschränkter und sicherer herrschen könne. Apries sandte den Amasis in's Feldlager, um die Meuterer zu beruhigen. Aber diese riefen den Vermittler zum Könige aus und Amasis griff zu. Apries Söldnerheer wurde geschlagen, der König gefangen und erwürgt. Amasis ward König. Aber zu Anfang, erzählt Herodot , verachteten die Egypter den Amasis und machten garnicht viel aus ihm, weil er zuvor ein gewöhnlicher Bürger gewesen. Da griff Amasis zu einer Lift. Unter vielen anderen tausend Gütern hatte er auch ein goldenes Fußbecken, in dem er selbst und alle seine Gäste sich die Füße wuschen. Dieses zer­schlug er und machte ein Gößenbild daraus und stellte es auf in der verkehrsreichsten Gegend der Stadt. Und die Egypter gingen zu dem Bilde und eriviesen ihm große Verehrung. Und als Amasis das erfuhr, was die Leute der Stadt thaten, rief er die Egypter zusammen und offenbarte es ihnen und sagte, das Bild wäre gemacht aus dem Fußbecken, in welches zuvor die Egypter ge­spieen und sich die Füße gewaschen, und nun bezeigten sie ihm große Verehrung. Und er sprach: Wie mit dem Fußbecken, so wäre es auch mit ihm gegangen; denn wenn er auch zuvor ein gemeiner Mann gewesen, so wäre er doch gegenwärtig ihr König, und sie müßten ihm Ehre und Achtung erweisen. Auf diese Art gewann er der Egypter Freundschaft so, daß sie ihm willig dienten." Ueber Amasis Lebensweise berichtet der grie­chische Geschichtsschreiber: Aber mit seinen Geschäften hatte er folgende Einrichtung: Des Morgens bis zur Zeit, da der Markt voll wird, machte er seine Geschäfte ab mit allem Eifer, dann aber trank er und spottete seiner Gäste und trieb unanständigen Scherz und Wiz." Amasis trieb übrigens bald dieselbe Politik wie sein Vorgänger. Trotzdem er von der Nationalpartei auf den Thron gehoben worden, rekrutirte er seine Garden nur aus griechischen Söldnern. Er verlieh griechischen Händlern große Privilegien, trat mit den Städterepubliken Griechenlands in Verbindung, spendete Weihgeschenke nach Hellas. Zum Neubau des Tempels zu Delphi gab er über tausend Pfund Alaun.

Wie alle Emporkömmlinge, umgab sich Amasis mit großer Pracht und Herrlichkeit. Auch der Bauwuth war er verfallen. Aber auch hier zeigte sich bei ihm ein sonderbarer Charakterzug. Er erinnerte sich seiner Jugend, als er noch in's Stehlen ging". Herodot erzählt: Und nachdem er König geworden, that er wie folgt: Die Götter, die ihn von der Auflage des Diebstahls frei­gesprochen, für deren Tempel trug er gar keine Sorge und gab auch nichts dazu, sie im Stande zu erhalten, und ging auch nicht hin zu opfern; denn sie verdienten nichts, da ihre Weissagungen lügenhaft wären. Die ihn aber verurtheilt hatten, daß er gestohlen, für die trug er große Sorge, da sie wahrhaftige Götter wären und wahr­haftige Weiffagungen hätten."

Nachdruck des Juhalts verboten!

Verantwortlicher Redakteur: Oscar Kühl in Charlottenburg. - Verlag: Hamburger Buchdruckerei und Verlagsanstalt Auer& Co. in Hamburg . Druck: Mar Bading in Berlin .