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Dicgcue Welt
Nr. 17
Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Ein Märtyrer.
Jetzt sollt Ihr hören ein rauhes Lied, Von Frieden und Erbarmen leer! Der Winternachtsturm schreit im Ried Und peitscht das Schilf wie Heu umher; Vor seinem Schnauben erstarrt das Moor, Zerknicken die Binsen, zerbricht das Rohr.
Ein Häuschen umheult er am Haiderand Und schüttelt die Pfosten der rissigen Wand Und reißt an den Haspen und Sparren, Daß sie kreischen vor Frost und knarren Und drinnen am Ofen die Kinder erschauern Und dichter zum Schooße der Mutter kauern.
Die streckt, von Hengsten dumpf gerührt, Zum Vater, der finster mit hastiger Faust Flugschriften zu Stößen und Ballen schnürt, Die bittenden zitternden Hände:
„ Ach Mann, geh nicht durch's Moor! mir graust." Doch Er, aus dem Ballen ein Blatt gezaust, Liest ihr die Worte am Ende:
Mensch preßte den Menschen in Schmach und Acht, Weil Jeder nur immer sich selber bedacht. So habt Ihr Euch selber zu Knechten gemacht. Drum schaart Euch, Ihr Schwachen, zusammen! Stützt Rücken an Rücken, zum rettenden Heer, So schwellen die Wellen zum donnernden Meer, Die Fünfchen zu sausenden Flammen!
Die Backen zucken ihm, und er spricht:
Drum bettle nicht! drum quäl' mich nicht!
Ich hab's den Genossen geschworen.
Der Wahlruf muß heut noch hinüber in's Dorf, Sonst geht der Sieg uns verloren.
,, Geh nicht, geh nicht! was schiert der Sieg
Dein Weib und die jammernden Kleinen!
Geh nicht, geh nicht! Die zweite Nacht
Erst steht das Eis; o Gott, es kracht, Es bricht! o sieh mich weinen!
Es schreit zum Himmel! Dein Leben ist mein!" Da braust er auf vor Zorn und Pein: Schrei' lieber zu Teufel und Hölle! Und hebt mit grimmiger Wucht die Last Und fragt, schon tritt er die Schwelle:
Hat's etwa Dein Herrgott zu Dank Dir gemacht, Daß ich tagtäglich in den Schacht Meine Knochen für'n Hungerlohn trage! Und sollte mein Leben nicht Eine Nacht Für Glück und Gerechtigkeit wagen?!
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Leb wohl! In's Schloß die Klinke knallt. Die Windsbraut stöhnt und ächzt im Schlot. Um fahlen Horizonte droht
Des Mondes Stirne blank und kalt. Der Bergmann glüht; er trieft von Schweiß. Der Mond legt über's dunkle Eis Eine bleiche Straße.
1898
Der Bergmann glüht, der Bergmann feucht. Doch bald: dann hat er das Ufer erreicht, Schon schimmern- da knistert's, da biegt es sich sacht. Ein Hülfegestammel. Da knirscht es und kracht Und schollert's; ein Aufschrei verbrodelt im Moor. Schrill winselt's im Schilf, hohl röchelt's im Rohr. Hui! zischt es und pfeift's in den Binsen.
O rauher, o rauher, mein rauhes Lied! Kein Wittwengewimmer! kein Waisengestöhn! Nach Opfern schreit der Sturm im Ried. Doch bald: dann kommt der Frühlingsföhn, Dann schießt in Halme die junge Saat, Der Tag der Huferstehung naht!
Dann schmilzt im Sturm das morsche Eis,
Dann wühlt er die Opfer empor vom Grund,
Die Helden alle, die Niemand weiß; Und jedes Todten vermoderter Mund Wird klaffend nach Rache blecken Und tausend Lebendige wecken!