Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Schmeiß beobachtete, während er mit der Miene des moralisch entrüsteten Biedermannes sprach, die Ziige des Grafen mit einer Aufmerksamkeit, der nichts entging. Wenn dem Herrn das hier glatt einging, dann konnte er noch eine ganze Portion mehr vertragen. Der Herr Graf ließ seine Augen mit dem Ausdrucke höchster Ueberraschung auf dem Sprecher ruhen, er hatte den Mund halb offen, und sah in diesem Augenblicke nicht besonders geistreich aus. ,, Kennen Sie denn diesen diesen Büttner so genau?" fragte er nach einigem Besinnen.
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Wir haben genügende Erfahrung mit dem Manne, ich kann sagen, mit der ganzen Familie gemacht, um erklären zu dürfen, wir kennen die Sippschaft gründlich."
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Von
ruiniren,„ aufsaugen," wie es da heißt. Bauernlegen" wird gesprochen. Aber daß die Bauern meistens selbst an ihrem Untergange schuld sind, das sagt Niemand. Die Leute treiben's darnach! Der Bauernstand geht an sich selbst zu Grunde, Herr Graf, nicht durch den Großgrundbesiz. Hier an dem alten Büttnerbauern haben wir einen schlagenden Beleg dafür!"
Edmund Schmeiß hatte die legten Säße mit einer gewissen Feierlichkeit in Ton und Geberde ge= sprochen, als decke er seine innerste Gesinnung auf. Bei dem Grafen waren solche Worte nicht verloren. Auch an ihn waren Klagen und Forderungen, welche die Neuzeit gegen den Großgrundbesitz erhebt, herangeklungen und hatten ihn verdrossen. Diese Ver
Mein Güterdirektor lobt mir die Leute in theidigung der Magnaten klang ihm angenehm in seinem Briefe."
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Das Urtheil des Herrn Hauptmann Schroff scheint mir nun, ich will nichts gesagt haben, weil der Herr Graf etwas auf den Herrn zu halten scheinen. Aber, nachdem er über meinen Freund Harrassowizz derartig geurtheilt hat, kann mir sein Urtheil nichts mehr gelten! Der Herr Graf werden das verstehen!"
" Der alte Bauer soll durch Familienunglück in Bedrängniß gerathen sein, glaube ich."
Durch schlechte Wirthschaft und weiter nichts, Herr Graf! Der alte Mann ist ein liederlicher Wirth und leider auch ein Trinker. Die Söhne sind noch schlimmer, und bei den Töchtern jagt ein uneheliches Kind das andere. Wollen sich der Herr Graf nur erkundigen, dann werden Sie schon erfahren, daß ich nicht übertreibe. Ich bin selbst in dem Hause gewesen, ich kenne die Leute. Auf diese Weise ist die Wirthschaft natürlich immer tiefer heruntergekommen. Jetzt fizt der Mann in Schulden bis über die Ohren. Harrassowitz ist er Geld schuldig, auch ich habe an ihn verloren. Wir sind mit dem Manne gründlich betrogen worden, weil wir ihn für reell hielten. Wir werden unser Geld einbüßen. Und so geht es verschiedenen ehrlichen Geschäfts leuten. Auch mit seiner eigenen Familie hat er sich überworfen. Der eigene Schwager hat ihn ausgeflagt. Der Herr Graf wollen nur mal nachfragen laffen. Die ganze Sache ist oberfaul!"
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Der Graf schüttelte den Kopf.„ Wenn das so iſt dann läge die Sache ja in der That etwas anders. Aber, warum ist mir denn das so dargestellt worden?"
,, Die bekannte Großmuth des Herrn Grafen soll ausgenutzt werden. Man denkt vielleicht: der Herr Man denkt vielleicht: der Herr Graf ist weit weg, in Berlin , und auf ein paar Tausend Mark kommt's ihm nicht an. Man rechnet mit der Menschenfreundlichkeit des Herrn Grafen. Aber, hier wäre Generosität, so schön sie auch sonst ist, nicht am Plaze. Gesezt den Fall, der Herr Graf reißen den Mann jezt heraus- übrigens ist das mit ein paar Tausend Mark keineswegs gethan; ich weiß, daß der alte Bittner namhafte Posten schuldet, bei Leuten, die sich noch garnicht gemeldet haben- also, wenn der Herr Graf jetzt auch bezahlen, werden immer noch Forderungen nach kommen. Das ist wie ein Sieb, wo das Wasser, das man hereingießt, durchläuft. Und wenn der Bauer jetzt auch noch so viel verspricht, in Jahresfrist ist doch wieder Alles beim Alten. Dann ist neuer Bankerott da. Der Herr Graf werden nichts als Aerger und Verdruß gehabt haben und Ihr Geld einbüßen."
Das ist doch wirklich traurig!" sagte der Graf, und dem Tone, in welchem er das sagte, war abzuhören, daß es ihm von Herzen kam.
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" Ja, es ist tieftraurig!" echote Schmeiß.
Solchen Menschen ist dann allerdings nicht zu helfen."
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Ganz sicher ist solchen Leuten nicht zu helfen, Herr Graf," sagte Edmund Schmeiß mit wichtiger Miene und ernsten Blicken.„ Ganz sicher nicht! Da wird so viel geschrieben in den Blättern über die traurige Lage des Bauernstandes. Besonders die Blätter einer freieren Richtung, die demokratischen Organe, sind da immer schnell bereit, dem Großgrundbesitz die Schuld in die Schuhe zu schieben. Die Magnaten werden angeklagt, die Bauern zu
den Ohren.
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Was diese demokratischen Blätter sagen, ist alles Gewäsch!" erklärte er." Was verstehen denn diese Leute von der Bauernfrage! Die mögen nur erst mal auf's Land hinausgehen und sehen, wie's erst mal auf's Land hinausgehen und sehen, wie's dort zugeht, ehe sie ihre rothen Artikel schreiben. Ja wirklich, solche Leute, Redakteure und überhaupt Zeitungsschreiber, die müßten alle' mal zur Strafe ein paar Wochen das Feld bestellen was? Die Art Leute hinter dem Pfluge oder beim Düngerladen, wie denken Sie sich das?"
Der Graf geruhte zu lachen über seine eigene heitere Bemerkung, und Edmund Schmeiß verfehlte nicht, mitzulachen; auch fand er den Gedanken hochnicht, mitzulachen; auch fand er den Gedanken hoch komisch. Die Unterhaltung hatte entschieden einen komisch. Die Unterhaltung hatte entschieden einen wärmeren Ton angenommen, und der Graf war nicht mehr so unnahbar und von oben herab, wie zu Anfang.
" Nicht wahr? Da kann Einem doch Niemand einen Vorwurf daraus machen, wenn man solch einen Mann seinem wohlverdienten Schicksal überläßt?" fragte der Graf schließlich.
" Im Gegentheil, Herr Graf!" rief der Kommissionär.„ Ich meine, es wäre unverantwortlich, wenn man hier einen Finger zur Hülfe rühren wollte. Diesen Leuten ist eben nicht zu helfen, und kein vernünftiger Mensch wird wagen, dies von dem Herrn Grafen zu verlangen."
Schmeiß hatte nun keine große Mühe weiter, den Grafen zu überreden. Leute von geringem Urtheil und großer Gutmüthigkeit, wie der Graf, sind leicht zur Härte zu verführen. Der Graf ärgerte sich bereits, daß seine Güte wieder' mal hatte mißbraucht werden sollen, und er gedachte seinem Güterdirektor diesen Versuch nicht zu vergessen.
Der Kommissionär ging von ihm mit dem Bewußtsein, seine Aufgabe in glänzender Weise gelöst zu haben. Und außerdem kam noch die angenehme Genugthung befriedigter Gitelkeit hinzu. Der Graf hatte ihn schließlich garnicht mehr schlecht behandelt. Sogar eine Zigarre war ihm vor dem Weggehen angeboten worden.
Mit gehobenem Selbstgefühl verließ Edmund Schmeiß das Haus, und mit dem prickelnden Gedanken, daß diese Aristokraten zwar äußerlich recht vornehm, im Grunde aber doch fürchterlich dumm seien.
XVI.
Eines Tages, als Gustav die Dorfgasse hinab= ging, begegnete ihm Hauptmann Schroff zu Pferde.
,, Gut, daß ich Sie treffe, Büttner!" sagte der Hauptmann." Ich wollte eben zu Ihnen. Ich habe Nachrichten in unserer Sache. Leider keine guten! Kommen Sie ein paar Schritte mit mir. Die Stute steht nicht gerne."
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„ Ich habe sofort noch einmal an den Grafen geschrieben, weil mir die Sache am Herzen lag. Er hat mir äußerst kurz geantwortet und mich bedeutet, daß wenn er„ Nein" sage, das nicht" Ja" heiße. Dadurch ist die Sache für mich natürlich erledigt. Ich habe mich zu fügen. Traurig ist das allerdings, tieftraurig!"
Der Hauptmann blickte mit düsterem Gesicht in die Ferne, seine Miene war voll Gram.„ Der Teufel verblendet den großen Herren die Augen!" sagte er, mehr für sich, und biß die Zähne aufeinander.
Die Stute begann unter ihm nervös hin und her zu tänzeln; er hatte sie in Gedanken zu festgehalten. Er ließ, als er den Grund erkannte, ganz mechanisch die Kandarenziigel locker und zog die Trense etwas au.„ Hoo, hoo!" rief er, dem Pferde zuredend, und klopfte es am Widerrist.„ Ja, da ist nun nichts weiter zu machen, mein guter Büttner!" sagte er nach längerem Schweigen. Ich wenigstens fann nichts mehr thun, mir sind die Hände gebunden. Nahe geht mir die Sache, das kann ich wohl sagen! Auf dem Laufenden können Sie mich immerhin erhalten, verstehen Sie, Büttner. befohlen!"
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Damit gab er der Stute einen unmerklichen Schenkeldruck. Die kriimmte den Hals, schob das Hintertheil unter und trug den Reiter in gleichmäßig wiegenden Galoppsprüngen die Dorfstraße hinab.
Gustav blickte ihm mit Wehmuth nach. Er war so sehr Kavallerist geblieben, daß er selbst in diesem Augenblicke, wo ganz andere Sorgen und Kümmernisse ihm näher lagen, doch noch Naum fand für das Gefühl des Neides dem Manne gegenüber, der ein solches Pferd reiten durfte. Er verfolgte den Reiter mit seinen Blicken, bis er ihm hinter den Häusern verschwunden war. Dann wandte er sich seufzend, um nach Hause zu gehen und dem Vater die schlechten Nachrichten zu überbringen.
Der junge Mann fühlte sich sehr niedergedrückt. Die Aussicht, die ihm Hauptmann Schroff eröffnet, war so wunderbar gewesen, daß er wirklich geglaubt hatte, es werde nun Alles gut werden. Er hatte seine Pläne für die Zukunft ganz auf das Gelingen dieses Planes gestellt, und nun war in elfter Stunde Alles gescheitert!
Auf den alten Bauern machte die Nachricht keinen tieferen Eindruck. Er hatte ja nicht an eine Wendung zum Besseren geglaubt.
Der alte Mann hatte sich wieder ganz in sich selbst zurückgezogen. Niemand, selbst Gustav nicht, wußte, ob er überhaupt noch etwas hoffe. Scheinbar ließ er die Dinge gehen, wie sie gehen wollten. Selbst die Nachricht vom Gericht, daß Termin zur Zwangsversteigerung angesezt sei, schien ihn nicht merklich zu erregen.
In der Wirthschaft ging Alles seinen gewohnten Gang weiter. Hier merkte man garnicht, welches Verhängniß drohend über dem Gute hing. Die Friihjahrsbestellung wurde wie alljährlich vorbereitet. Starl fuhr Dünger auf den Kartoffelacker und Jauche auf die Wiesen. Die Frage, wer die Friichte ernten Man that seine Arbeit werde, stellte man nicht. und schwieg. Die Maschine schnurrte weiter, weil fie einmal im Gange war. Wenn nun plößlich eine fremde Hand eingriff und sie zum Stillstand brachte, was dann?
Der alte Bauer schien mit einem gewissen Troß dieser Frage aus dem Wege zu gehen. Reden ließ er auch nicht mit sich darüber. Gustav bekam zu hören, daß er ein„ griiner Junge" sei, als er einmal davon zu sprechen anfing, was eigentlich nach
Gustav schritt neben dem Reiter her, welcher der Subhastation werden solle. weiter berichtete:
Der Graf will nicht! Rundweg abgelehnt meinen Vorschlag, nachdem er erst Lust gezeigt und ich in Folge dessen unserem Rechtsanwalt schon Auftrag gegeben hatte, mit dem Kretschamwirth zu verhandeln.
Nun ist auf einmal Kontreordre gekommen von Berlin , sogar auf telegraphischem Wege. Was da vorgegangen sein mag, soll der Teufel wissen! Auf lumpige zweitausend Mark kommt's dem Grafen doch sonst nicht an! Können Sie sich denken, was passirt sein kann, Büttner?"
Und dabei lag die Nothwendigkeit, daran zu denken, so nahe. Wer konnte denn wissen, wer der Ersteher des Gutes sein und was er mit Haus und Hof anfangen werde. Sie mußten gewärtig sein, ihr Heim auf dem Flecke zu verlassen; dann würden sie obdachlos auf der Straße liegen, wohl gar der Armenfürsorge anheimfallen.
Gustav gerieth auch in Anderem mit dem Alten in Widerspruch. Der Büttnerbauer steckte noch immer Geld in das Gut, obgleich es bereits an allen Ecken und Enden zu mangeln begann. Der junge Mann war Gustav vermochte auch keine Erklärung zu geben. der Ansicht, daß jezt keine Verbesserungen mehr vor