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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

genommen werden dürften, da es doch feststand, daß der Besitz nicht mehr der Familie erhalten werden fönne. Aber der Bauer schien es sich in den Kopf gesetzt zu haben, der verlorenen Sache noch möglichst viel nachzuwerfen. Er schaffte einen neuen Pflug an, besserte an den Wegen, stopfte Löcher im Fach­werk des Scheunengiebels und sprach sogar davon, den Kuhstall umdecken zu lassen. Darüber fam es zwischen Vater und Sohn zu einem heftigen Auftritt.

Die Folge war, daß der junge Mann sich mehr denn je von zu Hause wegsehnte. Jeder Tag vermehrte seine Einsicht, daß hier Alles unhaltbar geworden sei. Wozu sein Geschick noch länger an das seines Vaters fuiipfen, der zu alt zu sein schien, um noch Vernunft anzunehmen. Im Elternhause wurde es immer öder und trauriger. Der alte Bauer lebte ein Leben völlig fiir sich. Wie ein böser Hund fuhr er aus seiner Hütte, bereit, Jeden zu beißen, der ihn in seiner Verdrossenheit störte. Die Bäuerin weinte viel und hatte an ihrem Leiden zu tragen. Therese zankte mit Karl. Toni sah in schwüler Gleichgültigkeit ihrer Entbindung entgegen. Bei Ernestine begannen sich unter dem Einflusse all des Widrigen, dessen das junge Ding Zeuge geworden, Eigensucht und Vorwiz iu nicht gewöhnlichem Grade zu entwickeln.

Gustav hielt sich infolgedessen dem Elternhause, das ihm die Hölle auf Erden zu werden drohte, so viel wie möglich fern. Um so mehr war er bei Pauline Katschner zu finden. Sie und der Junge mußten ihm jetzt Eltern und Geschwister ersetzen.

Der Termin der Hochzeit riickte näher und näher, und Gustav hatte noch immer feine Stellung ge= funden. Er dachte manchmal daran, ob es nicht das Beste sei, auszuwandern. Man sah es ja: die Verwandten alle, die von Halbenau weggegangen waren, hatten es zu Vermögen nnd Ansehen ge­bracht. Im Dorfe konnte man nie und nimmer zu etwas kommen. Die Heimath war ihm vergällt und verekelt durch so viel traurige Erlebnisse. Also nur fort! Den Staub von Halbenau von den Füßen geschüttelt und anderwärts sein Glück ver­sucht! Aber das war leichter gedacht als ausgeführt. Zunächst einmal: wo sollte er hingehen? In die Stadt! Wer stand ihm dafür, daß er dort Arbeit fand. Und dann, mit Weib und Kind wanderte es sich nicht so leicht, als wenn Einer nur den Nanzen zu schniiren und den Stab in die Hand zu nehmen brauchte. Und schließlich war Gustav auch ein zu guter Sohn, um, trotz seines augenblicklichen Zer würfnisses mit dem Vater, seine alten Eltern leichten Herzens im Stiche zu lassen. Die kränkelnde Mutter, den alten Mann, der bei seinen Jahren vom Groß­bauern zum obdachlosen Bettler herabsteigen sollte! Es war ein Jammer! Und Gustav erschien es oft wie Feigheit, daß er gerade jetzt die Seinen ver­lassen wollte.

In dieser Zeit thaten sich plötzlich für den jungen Mann ganz neue Aussichten auf.( Fortsetzung folgt.)

Heiniz* und von Neden. Ihre Namen sind heute noch im Industriebezirk oft genannt, eine Heiniz grube, eine Redenhütte und ein Redendenkmal auf dem Redensberge bei Königshütte u. A. verewigen sie. Beide waren tüchtige Kenner der ausländischen, namentlich der englischen Montanindustrie, und das gab ihnen ihr lebergewicht über ihre Vorgänger. Neden hat auch dem preußischen Fiskus seinen Antheil am oberschlesischen Berg- und Hiittenwesen gesichert.

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Vier Gründungen von einer für die damaligen Verhältnisse sehr großen Bedeutung waren es, die die neue Periode einleiteten: die Gründung des Eisen­werkes Malapane in den siebziger Jahren, die der Hütte Friedrich" bei Tarnowiz( 1784), die der Grube König" zwischen Beuthen und Kattowiz ( 1790)( da, wo heute Königshütte liegt) und die der Königshüitte" in unmittelbarer Nähe der Königs­grube( 1798). Alle vier Werke waren fiskalisch, zwei von ihnen eins ist eingegangen sind es noch: die Friedrichshütte und die Königsgrube. Die Gründung der Königsgrube und Hütte bezeichnen übrigens die Verlegung des Schwerpunktes von dem Norden nach dem Süden, von der Tarnowizer nach der Beuthener Gegend.

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Beim ersten der Funde, auf die hin die Friedrichs­hütte errichtet wurde, war Neden anwesend; ein Pastor Pohl gab zu dieser Geburtsstunde des modernen oberschlesischen Kapitalismus die geistliche Weihe, oberschlesischen Kapitalismus die geistliche Weihe, indem er eine Bergpredigt hielt. Noch heute begehen die Berglente Oberschlesiens am Gedenktage jenes Fundes, am 16. Juli, feierlich mit gemeinsamem Kirchgang, aber auch mit gemeinsamem Bier- und besonders Schnapstrinken ihr Bergfest. Die Be­gründer der neuen Aera wußten also, wie ihr Ver­halten zeigt, die Bedeutung der Funde für die Zu­funft ihres Landes wohl zu schäzen. Sie haben aber schwerlich daran gedacht, daß sich die ober­schlesische Industrie jemals zu ihrer heutigen Größe auswachsen würde.

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Die wichtigsten Ereignisse, die die Fortschritte der Industrie in der letzten Zeit des vorigen Jahr­hunderts kennzeichnen, waren die Aufstellung von " Feuermaschinen" und die Anblasung neuer großer Hochöfen. 1787 wurde die erste Feuermaschine nach Oberschlesien gebracht. Das Wunderwerk stammte aus England, wurde von Stettin bis Oppeln auf einem Oderkahne, von da unter entsetzlichen Schwie rigkeiten nach Friedrichshütte gebracht, wo sie nicht ganz unbeschädigt" ankam. Ihre Anschaffung war durch die Ansammlung von großen Wassermassen in den Schächten nothwendig geworden, zu deren Fort­schaffung die Noßkiinste" nicht mehr genügt hatten. Sie wog 699/3 Zentner und kostete 6976 Thaler 22 Sgr.; die Frachtkosten betrugen 1471 Thaler 11 Sgr., die Kosten für Maschinengebäude und Montage 6938 Thaler 2 Sgr. Nach kurzer Zeit mußte eine zweite Maschine gekauft werden. In­zwischen war aber schon im Malapaner Werke eine eigene gebaut worden; verschiedene Theile wurden allerdings dazu gekauft. Erst 1804 wurde eine Maschine ganz in Schlesien gebaut. In alten Schächten fann man noch heute diese Reliquien aus der Kind­

Aus der Geschichte eines Industriebezirks. heit der oberschlesischen Induſtrie sehen. Zu dieſen

( Schluß.)

Von A. Winter.

nmittelbar nach den schlesischen Kriegen sah es um den gesammten oberschlesischen Bergbau sehr traurig aus. Aber bald sollte eine neue Aera der Montanindustrie beginnen, die von der vor­herigen grundverschieden war. Die beiden letzten Jahr­zehnte des vorigen Jahrhunderts waren für Schlesien die Zeit, in der sich die gesammte Industrie in ihren Keimen entwickelte; Oberschlesien zeigte das in der deutlichsten Weise. Eine totale Aenderung der Ver­hältnisse trat ein: der Schwerpunkt der Industrie wurde, wenn auch die Tarnowißer Gegend noch wichtig blieb, etwas nach Süden, in die Beuthener Gegend, verlegt, und vor Allem beanspruchte von jezt ab die Kohlenindustrie unter den übrigen Berg­bauten eine ganz andere Stellung als früher.

Zwei Männer waren es, die, soweit auf die Thätigkeit Einzelner etwas ankommt, viel zur Hebung Oberschlesiens beigetragen haben: die Freiherrn von

Reliquien gehört auch das vergilbte Blatt aus dem Fremdenbuch der Friedrichshütte, auf das Goethe nach der Befahrung eines Schachtes mit Neden sein Epigramm auf die Tarnowizer Knappschaft schrieb ( 4. September 1790):

Fern von gebildeten Menschen, am Ende des Reiches, wer hilft Euch Schäße finden und sie glücklich zu bringen an's Licht? Nur Verstand und Redlichkeit helfen; es helfen die beiden Schlüssel zu jeglichem Schazz, welchen die Erde verwahrt.

Etwas zu idealistisch waren diese Verse sicher schon zur Zeit ihrer Entstehung. Troß ,, Verstand und Redlichkeit" sind die oberschlesischen Knappen immer ärmere Teufel geworden; Geld war und ist der Schlüssel zu den Schäzen der Erde.

Die Heizung der Maschinen mit Kohle war der wichtigste Impuls für die regelmäßige und geordnete Kohlengewinnung. Kurze Zeit nach der Begründung

politique" verfaßt, Basel 1785; er war der Lehrer des * Heinitz hat u. A. auch einen Essay d'économie Freiherrn von Stein.

der Königsgrube wurde die ,, Königin Louise "-Grube bei Zabrze eröffnet, die heute mit ihrer 8-9000 Manu starken Belegschaft die größte Kohlengrube Ober­ schlesiens ist.

Gerade in diesem Jahre feiert die Königshütte das hundertjährige Jubiläum ihres ersten Hochofens; die jährliche Produktion dieses Ofens betrug zirka 40 000 Zentner Roheisen, so viel also, wie heute ein Ofen in zwei Monaten liefert. Der zweite Hoch­ofen wurde 1802, der britte 1809 und der vierte 1819 angeblasen. Die Königshütte war das be­deutendste Eisenwerk Oberschlesiens und sollte es auch bleiben.

Die Raumverhältnisse dieses Blattes verbieten es uns, die fernere Entwickelung der oberschlesischen Montanindustrie weiter genau zu verfolgen, so inter­essant auch eine schrittweise Darlegung ihrer Fort­schritte wäre. Wir machen einen Sprung bis in die unmittelbare Gegenwart hinein, um so recht deutlich zu zeigen, was aus den geschilderten An­fängen nach etwa hundert Jahren geworden ist.

Um noch einen Maßstab für die frühere Aus­dehnung der Industrie zu gewinnen, bemerken wir, daß der alte Kreis Beuthen 1817, als schon eine Anzahl Werke in gutem Gange waren, nur rund 25 000, und daß Beuthen , die einzige Stadt des Kreises, die diesen Namen verdiente, 2000 Einwohner hatte. Ein Viertelhunderttausend Menschen, von denen überdies die große Mehrheit Ackerbau treibt, läßt auf große und umfangreiche Industriebetriebe nicht schließen.

Gleich hier wollen wir des unmittelbaren Ver­gleiches wegen einige Bevölkerungszahlen aus der Gegenwart anführen. Das alte Beuthener Land hat jezt rund 500 000 Einwohner, zwanzig Mal so viel als vor 80 Jahren; im ganzen Industrie­bezirk aber, zu dem wir besonders noch Gleiwiz rechnen müssen, und der auch sonst über die Grenzen des Beuthener Landes hinaus gegriffen hat, wohnen zirka 800 000 Menschen.

Die Industrie hat sich als eine fräftige Städte­erbauerin erwiesen. Zwar heißen noch sehr viele große Ortschaften mit 5, 10, 15 und mehr Tausend Einwohnern Dörfer; im Grunde genommen sind es Städte, und die offizielle Statistik faßt sie auch zum Theil als solche auf. Die sogenannten Städte aber sind in einer Weise angewachsen, wie man es nie ahnen konnte. Das damals so kleine Beuthen hat jezt zwischen 40 und 50 Tausend und Kattowiz zwischen 30 und 40 Tausend Menschen. Das groß­artigste Beispiel einer Industriestadt ist aber unzweifel­haft Königshütte .

Die Stadt Königshütte ist erst 29 Jahre alt und ist schon jetzt die größte Stadt Oberschlesiens , wie bereits oben erwähnt wurde. Bei ihrer Griin­dung hatte sie zirka 14 000 Einwohner, jetzt besitzt sie über 50 000, und das, ohne daß seit 1869 umliegende Ortschaften eingemeindet worden wären. Das Anwachsen der Einwohnerzahlen ist ein peinlich genauer Maßstab für die Entwickelung der Industrie. Im ersten Jahrzehnt verdoppelte sich die Bevölkerung. Der Verkauf der bis 1870 fiskalischen Königshitte an den Grafen Hugo Henckel von Donnersmarck , die Verwandlung des Werkes in eine Aftiengesell­schaft eine ,, blutige" Gründung! und das ausgezeichnete Geschäft in den ersten Jahren dieses Jahrzehnts erklären das. In den nächsten zehn Jahren wächst die Einwohnerzahl nur auf 32000; der Geschäftsgang war ruhig, zeitweise schlecht. In den nächsten neun Jahren dagegen ging es desto rapider vorwärts; Königshütte allein hat jetzt noch einmal so viel Einwohner, als vor 80 Jahren die sechs Kreise des Industriebezirkes zusammen hatten. Die glänzenden Geschäftsresultate namentlich der letzten Jahre, die außerordentlich günstigen Wirkungen des russischen Handelsvertrages u. A. spiegeln sich in den Einwohnerzahlen wieder.

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Mit einem furzen Ueberblick über die oberschlesischen Industriewerke und ihre Ergebnisse wollen wir schließen.

Oberschlesien besitzt 54 Kohlenbergwerke mit einer Gesammtbelegschaft von 56 000 Arbeitern und Arbeiterinnen; die gesammte Kohlenförderung beläuft sich auf 20 Millionen Tonnen im Werthe von über 100 Millionen Mark.