Die reue Wel

Nr. 20

( Fortsetzung.)

Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

nzwischen waren aus den zwei bis drei Tagen, die Häschke hatte auf dem Bauerngute bleiben wollen, um seine Sachen in Stand zu sezen und seine Füße auszuheilen, volle vierzehn Tage ge­worden. Der Wanderbursche hatte es ausgezeichnet verstanden, sich bei den Bauersleuten wohlgelitten zu machen. Selbst die Gunst des alten Bauern hatte er sich zu erobern gewußt, indem er sich unent­behrlich machte." Wozu bin ich denn Flammer von Religion?" fagte er, womit er meinte, daß er sich auf Schmiedearbeit verstehe, und er müsse doch ab= arbeiten, daß er hier treife wohne."

Und so machte er sich über die Ackergeräthschaften, die Pflüge, Eggen und die Handwerkszeuge, sah nach den Schrauben, schweißte, hämmerte, nietete und schärfte. Kurz, er brachte Alles in Schuß für die nahe Frühjahrsbestellung.

Die Herzen der Frauen gewann Häschke durch seine gute Laune und seine schnodderigen Wiße. Im Büttner'schen Hause war die Fröhlichkeit lange Zeit ein unbekannter Gast gewesen. Jetzt wurde sogar ge­sungen allerdings nur, wenn der Bauer außer Hörweite war. Es stellte sich heraus, daß Häschte sangeskundig war, und Ernestine hatte eine hübsche Stimme. Da sangen sie manchmal zweistimmig, allerhand neue und lustige Lieder, die der Wanders­mann von der Walze mitgebracht hatte. Am schönsten aber war es, wenn er von seinen Reise- Erlebnissen erzählte. Vielleicht nahm er es mit der Wahrheit nicht immer genau. Er wußte von wunderlichen Er wußte von wunderlichen Fahrten, Glücksfällen und Abenteuern zu berichten. Jedenfalls verstand er spannend zu erzählen und seine Lügen geschickt auszuschmücken. Die Frauen glaubten ihm auf's Wort; mit offenem Munde und leuchtenden Augen hörte ihm Ernestine zu, wenn er von den Wundern der Fremde berichtete. Häschke­farl hatte wohl schwerlich etwas vom Mohren von Venedig" vernommen. Aber auch er wußte, belehrt durch die Schlauheit des Instinktes, daß man durch Grwecken ihrer Theilnahme an Gefahren und außer ordentlichen Erlebnissen das Wohlgefallen der Frau am sichersten erregt.

Erstaunlich schnell hatte Häschte es auch ver­standen, sich aus einem zerlumpten in einen schmucken und leidlich anständig aussehenden Menschen zu ver­wandeln. Viel trug zu dieser Mauserung bei, daß er sich seinen struppigen Vagabundenbart hatte ab­nehmen lassen. Faden, Nadel und Scheere borgte er sich, und für ihn fand sich auch unter den Vor­räthen der Frauen dieses und jenes Stück Zeug. Karl Bittner mußte eine Staude" hergeben, wie Häschte das dem Leibe zunächst gelegene Kleidungs­stick benannte, der Schuster mußte ihm die Trittchen" neu besetzen; den Wallmusch", die Kreuzspanne"

Der Büttnerbauer. W

Roman von Wilhelm von Polenz .

und die Weitchen" flickte er sich selbst mit den Tuch­resten, welche er von den Frauen erhalten hatte. Der Erfolg war, daß er mit einer etwas scheckigen, aber nach seiner eigenen Auffassung duften Kluft" umherging.

Als der Büttnerbauer zum ersten Male mit der Egge auf's Feld hinausfuhr, ging Häschte mit. An einzelnen Stellen war der Frost noch im Boden und erschwerte die Arbeit. Der zugereiste Handwerks­bursche wußte sich auch hier nüzlich zu machen.

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Nehmt mich als Knecht an, Vater Büttner!" meinte Häschte in dem vertrauten Tone, dessen er sich seinem Wirth gegenüber zu bedienen pflegte. Und der alte Bauer sagte nicht ,, Nein!"

Gustav kam in dieser Zeit nicht mehr auf den väterlichen Hof. Er ging dem Alten aus dem Wege. Neuerdings brauchten Vater und Sohn nur drei Worte zu wechseln, und der Streit war fertig. Gustav meinte, das könne er sich ersparen; ändern würde er ja zu Haus doch nichts mehr an dem Gange der Dinge.

Er hatte ganz genug mit seinen eigenen Ange­legenheiten zu schaffen. Die Trauung war nunmehr festgesezt, auf den nächsten Sonntag. Das Paar selbst wollte von jeder Feierlichkeit, mit Ausnahme der kirchlichen, absehen. Aber Paulinens Mutter blieb darauf bestehen, daß man den Hochzeitsgästen etwas vorseßen müsse. Frau Katschner verstand von ihrer Dienstzeit in der herrschaftlichen Küche her Einiges vom feineren Braten und Kochen. Sie wollte sich die Gelegenheit, ihre Künste einmal im hellsten Lichte zu zeige.t, nicht entgehen lassen. Nach der Trauung in der Kirche sollte es also einen Schmaus bei ihr im Hause geben.

Am Morgen, nachdem Gustav in Wörmsbach gewesen war, kam Ernestine zu ihm. Sie wolle gewesen war, fam Ernestine zu ihm. Sie wolle mit nach Sachsen auf Rübenarbeit gehen, erklärte sie dem Bruder ohne viele Umschweife.

Gustav lachte die fleine Schwester aus, sie sei wohl närrisch geworden, meinte er; der Vater werde sie jetzt gerade fortlassen, wo er alle Hände nöthig brauche.

Das Mädchen erklärte dagegen mit einer Rede­fertigkeit, die man ihrer Jugend schwerlich zugetraut hätte: Die Eltern hätten kein Recht, sie zurück zu halten, wenn sie gehen wolle. Hier halte sie es nicht mehr aus! Sie wolle sich selbst etwas ver­Sich nur immer für Andere abzuquälen, dienen. ohne je einen Pfennig Verdienst zu besehen, habe fie satt. Sie sei nun erwachsen und wolle sich nicht länger als Schulkind behandeln lassen. Sturz, sie werde mit den Anderen fort auf Sommerarbeit gehen. werde mit den Anderen fort auf Sommerarbeit gehen.

Gustav sah sich das kleine schmächtige Persönchen mit Staunen an. Man hatte sich in der Büttner'schen

1898

Familie daran gewöhnt, Ernestine immer noch als ein halbes Kind anzusehen, weil sie eben das Nest­häkchen war. Aber heute merkte er, daß sie den Kinderschuhen in der That entwachsen sei.

Er hielt es troßdem für seine Pflicht, ihr ab­zureden. Sie könne doch garnicht wissen, wie es da draußen sei und was ihrer dort warte, sagte er. Aber da lachte das Mädchen den großen Bruder einfach aus. Das dürfe er doch zu allerlegt sagen, meinte sie mit altflug- schnippischer Miene. Er habe sich ja selber dem Agenten verpflichtet, und er wolle ihm ja sogar Arbeiter verschaffen.

Der Bruder faßte das Mädchen am Arme. Woher sie das habe, wollte er wissen. Einige Freundinnen von ihr waren am Abend zuvor in Wörmsbach gewesen, die hatten die Nachricht mit­gebracht: Büttnergustav habe sich dem Agenten Zitt­wig verpflichtet und wolle mit Arbeitern nach Sachsen gehen.

Gustav war im höchsten Grade aufgebracht. Er schimpfte auf den Agenten und verschwor sich, die gauze Sache sei dummes Gerede. Ernestine schrie er an, sie solle sich auf der Stelle packen, er werde den Teufel thun! Ueberhaupt wolle er mit der ganzen Geschichte nichts zu schaffen haben.

Ernestine schien gerade keine allzu große Angst vor dem Zorne des Bruders zu haben. Sie war von zu Hause her gegen das Wüthen der Männer abgebrüht. Sie ließ ihn austoben. Dann meinte sie mit ruhiger Miene, sie wisse auch noch im Dorfe eine Anzahl anderer Mädchen, die gern mitgehen würden, besonders wenn sie wüßten, daß sie unter Der Bruder erwiderte Gustav's Aufsicht kämen.

ihr, es falle ihm garnicht ein, mit einer Heerde Gänse in's Land zu ziehen, da möchten sie sich einen Anderen dazu aussuchen.

Aber die kleine Ernestine ließ sich nicht so leicht werfen. Ein Plan, der sich einmal in diesem Köpfchen festgesezt hatte, wurde auch zu Ende geführt. Der Bruder möge ihr nur den Kontrakt geben, den er von dem Agenten bekommen habe, das Uebrige solle er ihre Sache sein lassen. Sie werde schon für die Unterschriften sorgen.

Gustav hatte sich die Sache in der vorigen Nacht hin und her überlegt. Pauline hörte sein Seufzen und unruhiges Wälzen neben sich. Der Agent hatte ihm mit seinem Vorschlage einen wahren Feuerbrand in die Seele geworfen. Vielleicht war hier eine Gelegenheit, sein Glück zu machen! Und auf der anderen Seite: war nicht die Verantwortung eine allzu große? Würde er sich der Aufgabe gewachsen zeigen? zeigen? Das waren Fragen, die er allein nur entscheiden durfte; er konnte Pauline keine Erklärung geben.