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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Stumpfe eines vom Sturme gebrochenen Baumes, der viel Nahrungsstoffe enthielt, feimte ein junger Baum, dessen Wurzeln schließlich den Stumpf um­flammerten und sich in den Erdboden senkten. Später zerfiel der alte Stammrest völlig, ein Hohlraum bildete sich, und der junge Baum blieb auf Stelzen stehend zurück. Das Wurzelgewölbe war oft so hoch, daß ein Erwachsener bequem hindurchgehen konnte. Vielfach fanden sich auch an den Berghängen umgestürzte Riesenstämme, deren Wurzelgeflechte, mit jungen Bäumen bewachsen, tischartig emporragten. An anderen Stellen standen junge Fichten in schnur­geraden Reihen auf den gestürzten Stämmen ihrer Vorfahren, die alten Baumriesen mit ihren Wurzeln umklammernd.

Im Böhmerwalde bedecken echte Urwälder noch große Gebiete, im Ganzen heute noch etwa 30000 Morgen. Am Großartigsten ist dort der wilde, nahezu undurchdringliche Wald auf dem Kubany in 4300 Fuß Seehöhe, in einer Ausdehnung von 7200 Morgen, hinsichtlich dessen der Besizer, der Fürst Schwarzenberg  , bestimmt hat, daß er für ewige Zeiten in seinem urwüchsigen Zustande ver= bleiben solle, um auch noch späteren Geschlechtern ein natürliches Bild Altgermaniens zu erhalten.

Eine höchst anziehende Schilderung eines anderen deutschen   Urwaldes lieferte Wessely in dem nur Wenigen zugänglichen Werke:" Die österreichischen Alpenländer und ihre Forste".

Dieser Urwald, der in Niederösterreich   an den Quellen der Mürz liegt, führt sonderbarer Weise den Namen Neuwald und umfaßte 1851 ungefähr noch 2000 österreichische Joch. Leider ist dieser gewaltige Rest der Vorzeit heute ebenfalls bis auf geringe Ueberbleibsel der holzgierigen Menschheit zum Opfer gefallen.

Höchst merkwürdig war der große und geschüßte Kessel dieser unabsehbaren Waldwüste. Die Fichten, die Tannen und selbst die Lärchen dieses Kessels erreichten eine Länge von 200 und eine untere Stärke von 8 Fuß, sowie einen Massengehalt von 1000-2000 Fuß, die Buchen bis 150 Fuß Höhe und eine Stammstärke von 5-6 Fuß. Die Majestät dieses gewaltigen Hochwaldes war aber eine schau­rige, denn inmitten der Stämme voll höchster Lebens­kraft standen allenthalben die abgestorbenen Zeugen früherer Jahrhunderte umher, die geisterbleichen, entrindeten Stämme mit gebrochenen Aesten und Wipfeln, das Holz durchlöchert von den Insekten suchenden Spechten. Tausende von kolossalen Schäften, die der Sturm gebrochen und nach allen Richtungen übereinander geworfen, bedeckten kreuz und quer den Boden, meistens ein undurchdringliches Verhau bil­dend. Hier jugendfrische Gebilde, daneben die Ueber reste früherer Generationen, dicht mit meterdickem Moosfilz überzogen, in allen Stadien der Verwesung. Nur ein schmaler Pfad führte mitten durch die Wildniß, alles Uebrige war undurchdringliches Chaos. Etwa in der Mitte des Waldes trafen Wessely und seine Begleiter auf einen eben gestürzten Fichten­stamm. Der sechs Fuß starke Schaft lag gleich einem Walle quer über den Steig, hinübersehen konnte man nicht; schließlich mußte man in's Dickicht eindringen und den Riesen umgehen, was die größten Schwierigkeiten bereitete. Genau wie in Schlesien  zeigten sich auch hier lange Reihen junger Stämme, die in den Leibern ihrer gestürzten Vorfahren wurzelten. In der Modermasse hatten die Sämlinge einen vor­züglichen Nährboden gefunden; daher überragten sie bald die ungünstiger fituirten Genossen, welche auf dem weniger kräftigen Waldboden sich erhoben, schließlich eine schnurgerade Reihe bildend, genau nach der Lage des gestürzten Stammes. Nachdem nun der alte Stamm gänzlich verschwunden, zeigte sich schließlich das barocke Bild einer Reihe von Stelzenbäumen, deren Wurzelgeflecht einen passirbaren Gittertunnel bildete.

Um noch eine richtige Urwaldszenerie zu finden, braucht man aber nicht nach dem Süden zu gehen; unser nordwestliches Deutschland   bietet, allerdings in ab­gelegenen Gegenden, noch drei echte, erst in neuerer Zeit für die Allgemeinheit entdeckte Urwaldbezirke; zwei befinden sich im Großherzogthum Oldenburg, einer bei Unterliß an der Bahn Hamburg- Lehrte.

In Oldenburg   finden wir den Hasbruch und den Wildheit ist vorzugsweise darauf zurückzuführen, daß das Terrain vieler Orten feucht und sumpfig ist. Neuenburger Urwald. Großartig sind die Festons von Epheu, welche oft aus schwindelnder Höhe dem Erdboden wieder zu­streben, vergleichbar dem Lianengewirr der tropischen Urwälder.

Der Hasbruch, der bereits in einer Urkunde, in welcher Karl der Große   im Jahre 786 die Grenzen des von ihm gegründeten Bisthums Hude   bestimmte, unter dem Namen Aschbrouch erwähnt wird, liegt im südöstlichen Winkel Oldenburgs  , nahe bei Bremen  . Der Weg dahin führt über Delmenhorst  . Um den Wald, den die Leute der Umgegend einfach Brook nennen, liegen in theilweise öder Haide zahllose Hünengräber, am Waldessaum die malerischen Ruinen des bereits erwähnten Cisterzienser Klosters Hude. Leider hat seit 1830 die Forstverwaltung tüchtig unter den Waldesriesen aufgeräumt, doch ist in neuerer Zeit glücklicherweise die Verwüstung eingestellt worden.

Früher war der einsam liegende Brook in Fach­und Künstlerkreisen völlig unbekannt; erst der Olden= burger Maler Willers porträtirte Mitte der sech ziger Jahre einige der Bäume. Seit jener Zeit ist der Wald ein Hauptwallfahrtsort der Landschafts­maler und Touristen. Schon in dem auf dem Schon in dem auf dem Wege nach dem Walde liegenden Stenumer Holze finden sich gewaltige Eichen, doch staunenswerth werden die Dimensionen erst im eigentlichen Has bruch, den man über die Orte Hohenboken, Ohlen­busch und Wupperhorst( alle drei Namen deuten auf ehemalige Urwälder) erreicht.

Die großen Eichen sind im ganzen Walde ver­streut, viele stehen mitten im Dickicht, die meisten besitzen 1 Meter über dem Boden noch 10 Meter im Umfang, hart am Boden 4-6 Meter im Durch messer. Vor wenigen Jahren zählte man noch 100 Stämme von 10 Fuß und darüber im Durch messer; jeder dieser Bäume ist anders gestaltet und mit barocken Auswüchsen, den vernarbten Verlegungen früherer Jahrhunderte, bedeckt. In dem Dickicht des Waldes und den Höhlungen der mächtigen Stämme soll noch heute die in Deutschland   nahezu ausgerottete Wildkaze vereinzelt hauſen. Vielfach stehen noch alte, vermoderte Stümpfe umher. In einen solchen hohlen Stumpf, von noch 40 Fuß Höhe, war in unverständlicher Laune durch ein unten befind= liches Loch vor einigen Jahren eine Ruh eingedrungen, welche man erst nach langem Suchen in dem hohlen Baume entdeckte. Als man nun versuchte, das Thier rückwärts aus dem Loche zu ziehen, sträubte es sich in Todesangst derart, daß man sich gezwungen sah, um das Thier zu befreien, den alten Stamm zu fällen. Die größte Eiche des Bezirks ist die ,, Amalieneiche". Das Volk nennt sie einfach die große Eiche". Die Hauptäste des Baumes würden, in die Erde gesteckt, noch immer starke Bäume ab­geben. Ihr Umfang, 1/2 Meter über dem Boden, beträgt etwa 11 Meter, in 8 Meter Höhe ist der Stamm merkwürdiger Weise noch stärker, hier beträgt sein Durchmesser an 3/ 2-4 Meter.

Ueber das Alter eines dieser Bäume, und noch nicht einmal des stärksten, erhielt man Aufschluß, als vor einigen Jahren ein ziemlich gesunder Stamm gefällt werden mußte. Bei dieser Gelegenheit zählte man 600 Jahresringe mit bloßem Auge, ferner 200 mit der Loupe  . Außer diesen 800 Ringen gab es aber noch Holzmasse, in der keine Ringe mehr zu erkennen waren; nach der Dicke der Substanz müßten aber mindestens noch 300 Ringe vorhanden sein. Demnach wäre das Gesammtalter des Baumes etwa Demnach wäre das Gesammtalter des Baumes etwa 1100 Jahre; er feimte also etwa im Jahre 700.

Der zweite Urwald Oldenburgs, der Neuen­burger Wald, liegt im Norden des Landes, nahe der Stadt Varel  . Um denselben zu erreichen, muß man die Bahn nach Wilhelmshaven   auf der Station Ellenserdamm verlassen, dann erblickt man im Westen in einer Meile Entfernung den Wald als langen, düsteren Streifen. Der Weg führt anfänglich über Marschland, dann über Haide und Geest, schließlich durch schattige Waldungen; eine Viertelstunde vor dem Dorfe Neuenburg ist nun ein schmaler, rechts abbiegender Fußpfad zu verfolgen. Wenn auch die Bäume dieses Waldes nicht stärker sind, als die des Hasbruch, so ist doch der Gesammteindruck der Wald­Hasbruch, so ist doch der Gesammteindruck der Wald­wüste weit großartiger; die Wildniß ist so gewaltig und markig in ihren Einzelheiten und so großartig in der Gruppirung, daß man in ganz Deutschland  vergeblich nach Gleichem suchen wird. Die größere

Unzweifelhaft ist der Besuch des Neuenburger Urwaldes noch erheblich lohnender, als der des doch schon so schönen Hasbruchs.

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Völlig abweichend von den geschilderten Olden­ burger   Wildnissen ist der Urwald Süll bei Unterliß, zwischen Uelzen   und Celle  . Während wir im Olden­burgischen Eichen- und Buchenwald   mit kräftigem, zum Theil sumpfigem Boden vor uns haben, reprä­sentirt der Sill den Typus des Urwaldes der wasser­armen Haide und des sandigen Bodens. Die Eichen und Buchen des Sill sind daher nicht sehr imposant, vielfach auch krank, dann aber meistens mit gewaltigen, übermetergroßen, schwefelgelben Rosetten eines eß­baren Löcherpilzes( Polyporus sulphureus) bedeckt. Großartig sind dagegen die Fichten, welche vielfach eine Form mit mehreren Seitenwipfeln, entstanden aus emporstrebenden Aesten, nachdem der Haupt­wipfel vom Sturme gebrochen, darstellen. sind dieses die großen, sogenannten Wettertannen, welche sich sonst vorzugsweise in den Alpenländern finden, im übrigen Deutschland   aber äußerst selten sein dürften. Wie sich im Süll zeigt, nimmt die Fichte im hohen Alter eine Gestalt an, die man im modernen Forste vergeblich sucht; fast harfenartig stehen dicht gedrängt die Seitenäste übereinander, während die Aeste der zwischen diesen 3-4 Harfen eines Stammes liegenden Partien verdorrt und ver­fümmert sind. Mehrfach greifen die Aeste nahe bei­einander stehender Bäume ineinander, so daß es unmöglich ist, das Gewirr zu durchdringen. Der Wald ist durchsetzt von entrindeten, bleichen Baum­leichen. Ein elastischer, meterdicker Moosrasen bedeckt den Boden, in dem vor Jahren gestürzte Stämme nach allen Nichtungen liegen, oft nur noch angedeutet durch gerade Längswälle der Moosmasse. Leicht ist der Süll zu erreichen, denn von der Station Unterliß braucht man nur etwa eine halbe Stunde auf der nach Lutterloh führenden Straße zurück­zulegen, um dann, rechts( nördlich) abbiegend, durch einen 200 Schritt breiten Buschholzstreifen in den eigentlichen Urwald, der leider nur noch etwa 800 Meter Durchmesser besitzt, zu gelangen.-

Zeitmesser.

Von Bruno Borchardt.  

in Bedürfniß, das sich wohl schon in den allerältesten Zeiten herausgestellt hat, ist das nach einer Zeiteintheilung und nach einem Maße für die Zeit. Der regelmäßige Wechsel der Jahreszeiten, der von den Aenderungen der Mittags­höhe der Sonne abhängt, gab von selbst ein Maß für längere Zeitabschnitte. Mit derselben sicheren Regelmäßigkeit, mit der die Sonne binnen Jahres­frist dieselbe Mittagshöhe erreicht und den friiheren Stand zwischen den anderen Sternen wieder ein­nimmt, ändert sich die Lichtgestalt des Mondes; die Mondphasen geben daher ein weiteres Zeitmaß von erheblich kürzerer Dauer, als das Jahr. Aber selbst einen einzelnen Tag mußte man wieder eintheilen, zumal da der Tag selbst, die Zeit, in welcher die Sonne scheint, von ungleicher Dauer ist; im Sommer haben wir lange Tage bei furzen Nächten, im Winter umgekehrt kurze Tage bei langen Nächten.

Auch für den Tag bot sich als bequemste Ein­theilung der Gang der Sonne am Himmel dar; bei ihrem täglichen Rundgang von Osten über Süden nach Westen legt sie in gleichen Zeiten stets gleich große Strecken zurück. Aber diese Strecken und somit die Zeit zu messen, erfordert schon eine genaue astro­nomische Beobachtung, deren Kenntniß eine längere Entwickelung voraussetzt. Ein bedeutend einfacheres Mittel zur Beurtheilung dieses Ganges   der Sonne bietet der Schatten eines in die Erde gesenkten Stabes dar, der sich von Westen über Norden nach Osten