( Fortsetzung.)

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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

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orn wußte selbst nicht, wie ihm war; er hatte es aufgegeben, Rechenschaft von sich zu fordern, immer zu fragen: wozu? Er hatte ganz ver­gessen, was er ihr eigentlich sagen wollte, daß seine Braut fam, bald übermorgen! Er scheuchte mit der Hand durch die Luft, als könne er etwas Widriges verjagen noch nicht, nicht daran denken, erst kam noch eine Nacht und noch ein langer schöner Tag! Dann erst war's an der Zeit. Mit großen Augen folgte er jeder ihrer elastischen Be­wegungen; so geschmeidig war seine Braut nicht, die hatte immer auf ihr Kleid zu achten, auf ihre ganze zierliche Person wie winzig würde sich die hier in der großen Natur ausnehmen!

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Mit einem langen, tiefen Athemzug stand er still und sah sich um. Troßig ragten die Berge nieder, als hätten sie Jahrtausende so zu Thal ge­blickt; unten in der Schlucht donnerte das Wild­wasser, die dunkeln Tannen streckten schirmend die breiten Aeste. Und ihm zur Seite ein Weib, eine starke Gefährtin, die herben Lippen verlangend ge= öffnet, in den flugen Augen ein neues, zärtlicheres Licht. Er tastete nach Irenens Hand, sie ließ sie ihm. Hand in Hand schritten sie dahin, wortkarg, schein­bar ruhig und doch im Herzen ein glimmendes Feuer.

Es wurde Abend, es wurde Nacht; sie mußten sich trennen. Sie hatten noch spät in der Dorf­gasse vor der Thür gesessen, es war empfindlich kühl, sie merkten es nicht; ihnen war heiß. Als er endlich ging und ihr die Hand zum Abschied reichte, that er es zögernd, widerwillig; ihr Gute Nacht" klang gepreßt wie aus verquollener Kehle.

Ruhelos warf sich Dorn auf seinem Bett um= her noch nichts vom Kommen seiner Braut ge­sagt, aber morgen, morgen! Im Zimmer war's dumpfig, er ächzte, er schwizte ob sie schlief oder ob sie wachte? Eine Menge geistreicher Ge­danken schoß ihm plößlich durch den Kopf, wie hervorgelockt durch das Denken an sie; die mußte er ihr alle anvertrauen, rasch, ehe sie wieder ver­gessen wurden! Was würde sie wohl zu dieser Idee sagen und zu jener? Er richtete sich höher im Kissen auf und strich sich wohlgefällig den Schnurrbart das waren gute Gedanken!

Und hiermit träumte er sich in den Augenblick hinein, in dem er ihr Alles sagen würde und freute sich darauf. Er konnte sich genau vorstellen, was sie für ein Gesicht machte so verständnißinnig

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und dann hatte sie eine ganz eigene Art, mit dem Kopf zu nicken; es war so schön, wenn der feste Nacken sich beugte. Wie schön mußte es sein, wenn dieser herbe Mund flüsterte: Ich liebe dich-." Ja, ihre Arme mußten umschließen können, stark, heiß und doch weich; das Blut stieg ihm zu Kopf; wilde Phantastereien bemächtigten sich seiner und hezten ihn herum bis zum Morgen.

Noch war das Zifferblatt der Uhr nicht zu er fennen, aber er konnte es nicht lassen, immer wieder darauf zu sehen. Ob sie schon auf war? Nein, jezt frähten die Hähne, noch trabten keine nägel­beschlagenen Bauernschuhe draußen über's Pflaster. Er zwang sich mit Gewalt, liegen zu bleiben, eine Viertelstunde, eine halbe Stunde, eine Stunde. Und dann sprang er wie ein Rasender auf und fuhr in die Kleider er hatte zu lange gelegen, es war schon spät, spät!

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Athemlos stürzte er über die Gasse; da trat sie ihm schon entgegen, rascher als sonst, ein freudiges Lächeln um den Mund, einen selig verträumten Glanz im Gesicht. Kam's ihm nur so, vor oder hatte sie sich verändert, seitdem er sie zuerst ge= sehen? Ja, plöglich, seit gestern war's geschehen, ihr helles Auge war dunkler geworden, feuchter; tief sah sie ihn an, als sie ihm die Hand reichte. Ihre Stimme flang weich, voll von einem zärtlichen Wohllaut. Eine heitere Fröhlichkeit umleuchtete ihr ganzes Wesen; sie schien ihm mädchenhaft, jung, liebenswürdig. Seine Stimme bebte bei dem gleich­gültigen Wort: Guten Morgen," und die ihre bebte

Dor Thau und Tag.

Von Clara Viebig .

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wieder. Was war das? Ihm wurde so angst, Kopf hineinstreckte. Die Bäbbi lächelte schelmisch, beklommen stand er vor ihr. als der Herr Doktor verwirrt auffuhr; mit was für Augen sie der ansah! So guckte ihr Schatz, der Jakob, sie immer am Sonntag an, wenn sie im Wirthshaus mitsammen getanzt und er eins zu viel getrunken hatte. Jesses, Herr Doktor," sagte sie und zeigte die blizenden Zähne

Sie lehnte am Pfosten der Thür, die Arme unter der Brust gekreuzt, es fiel Dorn auf, sie war mit mehr Sorgfalt gekleidet als sonst, das Haar mit einer gewissen Eitelkeit geordnet. Warum für ihn? Sein Blick wurde starr.

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Was sehen Sie mich so an?" lachte sie. Nun, geschlaof! Et Essen is fertig!" wohin gehen wir heute?"

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Er biß sich auf die Lippen, ihr Lachen schnitt ihm in die Seele, brisk stieß er heraus: Ich ich habe einen Brief bekommen, meine meine" -er brachte es kaum hervor, es würgte ihn in der Kehle meine Braut kommt morgen!"

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Sie starrte ihn an, einen Augenblick ganz ver­ständnißlos, dann unsicher fragend und dann dunkelroth werdend mit einem wahrhaft ent­setzten Ausdruck. Kein Wort kam über ihre Lippen, sie preßte die Arme fester zusammen und lehnte sich schwerer gegen den Pfosten.

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Er wagte nicht, sie anzusehen; wie ein Ver­nichteter ließ er den Kopf auf die Brust sinken. Vor ihm gähnte plößlich eine Kluft driiben stand drüben stand sie und hier, neben ihm stand Anna Bröker, ihre verständig kühle Mädchenstimme drang an sein Ohr: Hier bin ich, Brautleute gehören zu ein­ander." Sein Herz krampfte sich zusammen, ein Stöhnen wollte sich ihm auf die Lippen drängen, ein Fluch, und dann Gott sei Dank, noch war er nicht zu weit gegangen! Wie eine plößliche Er­leichterung fühlte er's. Er wurde ruhiger; zum ersten Male seit Tagen fragte er sich wieder: wozu?

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such zur Heiterkeit, das

Es war ein schöner Traum", sagte er leise und unsicher ,, wir waren so gute Kameraden, nun kommt ein Dritter und drängt sich dazwischen. Aber wir werden ein hübsches Trifolium bilden, nicht wahr? Haha!" nicht wahr? Haha!" Es war ein kläglicher Ver­Lachen krampfhaft. Wir wollen es versuchen." Ihre Stimme flang ganz ruhig, aber der weiche, zärtliche Wohl­laut drin wie weggewischt, das Organ war hart. Ihre Augen sahen an ihm vorbei in's Leere, und dann, plößlich zusammenzuckend, wendete sie sich in die Hausthür zurück. Es ist besser, wir gehen heute Morgen nicht, ich ich habe Nothwendiges zu schreibenverzeihen Sie heut heut Nach mittag lieber!" Wie ungeschickt sie zum Lügen war!

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Aber heute Nachmittag, Fräulein, heute Nach­mittag, gewiß! ja?" Seine Stimme drängte.

Heute Nachmittag, ja!" Sie senfte grüßend den Kopf; die Hand, die er ausstreckte, sah sie nicht. Schwerfällig ging sie durch den Flur, mit müden Schritten die knarrende Stiege hinauf.

Erich Dorn wischte sich die schweißbedeckte Stirn, als er über die Gasse zurückschritt, es war ihm elend zu Muth, wie bei einem großen Kazenjammer. Unsanft stieß er die Kinder bei Seite, die mit Buch und Schiefertafel zur Schule sprangen.

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Ach!" Er warf klirrend das Fenster seines Zimmers zu und ging über die krachende Diele auf und nieder, immer auf und nieder. Die Stunden frochen langsam; er bemühte sich, an seine Braut zu denken morgen um diese Zeit war die da, erst würde sie Toilette machen und dann hier Ord­nung in seiner Stube schaffen, und dann? Er reckte sich, eine unsägliche Langweile gähnte ihn an. Halbtodt vor Müdigkeit warf er sich auf's Bett, in den Kleidern querüber; an Schlaf war gewiß nicht zu denken, aber wenigstens die Glieder ruhen, die waren schwer wie Blei.

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Es verging noch keine Viertelstunde, da tönte ein tiefes Athmen und ein gleichmäßiges Schnarchen durch die Stube er schlief, sehr lange, sehr fest. Er stöhnte im Schlaf, er lächelte dann, wendete sich hin und her und warf, undeutliche Worte murmelnd, die Arme weit voneinander.

So lag er, das Gesicht erhitzt, Schweißperlen auf der Stirn und darüber die wirren, dunkeln Haare, bis es polternd an die Thür klopfte und die hübsche Magd, die braunäugige Bäbbi, den

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Nachmittag! Eine feuchtlane, gehaltene Stille im Wald, mitunter nur ein Säuseln in Busch und Baum; wollte es regnen?

Die beiden Menschen fühlten den Druck in der Luft; gleich einer unsichtbaren Hand lag es ihnen auf der Stirn, der Athem ging furz, das Steigen wurde schwer. Ohne Wort, ohne Verabredung, wie durch geheime innere Verständigung hatten sie den Weg zum Berg eingeschlagen, jenem Ziel des ersten gemeinsamen Spaziergangs. Kaum acht Tage her, und welch eine Ewigkeit dazwischen! Sie wechselten Worte, die ebenso gut hätten ungesprochen bleiben können: vom Wetter, von der Aussicht, von den Tannen am Weg; sie beeiferten sich, die arm­seligen Gedanken weit auszuspinnen, ihr Herz wußte nichts von dem, was der Mund sprach, das pochte nur bange: morgen kommt sie!

Jezt waren sie oben. Ein Wind hatte sich aufgemacht und warf ihnen die Haare in's Gesicht; aus Westen kommend, schnob er urplößlich mit ge­waltigem Sausen über den Gipfel. Mit elementarer Wuth zerrte er an den Kleidern des Weibes und breitete die Rockschöße des Mannes aus wie Fleder­mausflügel. Sie mußten sich aneinander drängen, gegenseitig Schuß suchen vor dem Sturm; ihre Ge­wänder flatterten ineinander.

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Wir müssen dahin, unten am Wasser zwischen den Felsen ist mehr Schuß!" Flüsternd wies Dorn hinüber zu den Blöcken, die, in der Mitte aus­gehöhlt, wie riesige Schußdächer sich über den dunkeln Wasserspiegel neigten. Der war heut nicht glatt wie das erste Mal; vom Wind aufgewühlt, jagte sich Welle auf Welle, kurze, unruhige Wellen, am Ufer mit einem schaumigen Gischt zerplagend. Gierig schluckte der dirre Nasen das Naß ein. Am Himmel fabelhafte Wolkengebilde, ganz in der Ferne dumpf mahnender Donner. Nun ein Zucken in der Luft, ein schnelles schwefelfarbiges Licht und nun wieder das Grollen, näher, dringlicher.

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Das Wetter kommt!" Dorn flüsterte noch immer; wie selbstverständlich legte er den Arm um den Leib der Gefährtin, sie fester an sich ziehend. Ohne Laut ließ sie es geschehen. Der Hut war ihr vom Kopf gerissen, sie trug ihn achtlos in der Hand; der Sturm zerrte ihr die Nadeln aus den Haaren, die dunkeln Strähnen peitschten ihr um's Gesicht.

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Mühsam kämpften sie sich weiter, die Leiber vorgebogen gegen den Anprall des Windes. Hui, Hui! es pfiff, es toste. Die lange verhaltene Schwüle macht sich Luft.' Bliz auf Blizz, Donner auf Donner ; und Wolfen und Regen, schwere ver­einzelte Tropfen.

Unter dem größten Block fauerten sie sich nieder, die schwärzliche zerklüftete Höhlung sprang weit über ihren Köpfen vor: sausend fuhr das Wetter drüber hin. Es war dämmerig; im fahlen Licht erkannte er kaum ihre Züge, ungewiß schimmerte ihr weißes Gesicht. Sie war so weit wie möglich von ihm abgerückt; sie schmiegte sich an die äußerste Ecke der rauhen Wand, ihre Füße wurden schon vom Regen getroffen.

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Kommen Sie hierher, Irene, ich bitte Sie! Näher zu mir! Sie werden naß!" Nein!"

,, So kommen Sie doch!" Er streckte die Hand nach ihr aus.

Nein!" Nauh stieß sie es hervor, ein Schaudern ging ihr über den Leib. Mit einer hastigen Ge­bärde raffte sie ihr Kleid an sich.

Ueber den schmalen Raum fühlte er ihre bangen Athemzüge, es wurde ihm heiß. Frieren Sie, Irene?"

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