Die reue Welt

Nr. 21

( Fortsetzung.)

Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

& war ein feuchtwarmer Aprilmorgen, an welchem die Sachsengänger aus Halbenau aufbrachen zur Reise nach dem Westen. Ein Himmel wie Wolle. Hin und wieder matte Sonnenblicke, wie verschlafen, durch grämliche Nebel.

Auf einem Leiterwagen fauerten sie beieinander, Männer und Weiber, mit ihren Habseligkeiten. Die Mädchen saßen auf Laden und Federbetten, die Burschen hatten leichtere Bündel zwischen den Knien. Vorn beim Kutscher , auf einem bevorzugten Plage, saß Pauline, ihren Jungen im Schooße, neben ihr Ernestine.

Gustav ging umher, die Uhr in der Hand, und hielt besorgt Umschau. Drei von seinen Mädchen fehlten ihm; sie waren in ihren Wohnungen nicht aufzufinden, wahrscheinlich hielten sie sich versteckt. Der Entschluß, in die Fremde zu gehen, mochte sie nachträglich gerent haben. Von Einer hieß es, daß sie sich einem anderen Trupp angeschlossen habe, der bereits zeitiger die Fahrt nach den Rübengütern an­getreten hatte. Der Aufseheragent hatte also Recht behalten: es brannten immer Einige durch.

Gut, daß Gustav noch den fünften Mann ge­funden hatte in der Person eines polnischen Arbeiters. Rogalla, so hieß er, saß jezt mit unzufriedener Polen­miene in einen Schafpelz gehillt, mit langem, schwarzem Haupthaar und Schnurrbart, wie ein fremder Bogel unter den blonden Halbenauerinnen und faute Tabak.

Der frühen Stunde zum Troze, hatte sich doch eine ganze Anzahl Lente aus dem Dorfe zusammen­gefunden, um Abschied von den Wanderern zu nehmen. Da wurde im letzten Augenblicke noch alles Mögliche herbeigeschleppt: Kleidungsstücke, Bettzeug, Eßwaaren. Auch einige junge Burschen hatten sich eingefunden, wohl ihrer Mädchen wegen, die in die Fremde gingen.

Den Meisten wurde der Abschied schwerer, als sie es sich anmerken lassen wollten. Wer fonnte wissen, was ihrer da draußen wartete! Und auch den Zurückbleibenden war das Herz schwer. Mancher junge Mann zagte, daß ihm die Geliebte, die er widerwillig ziehen ließ, in der Fremde die Treue brechen möchte. Manche Mahnung und Warnung wurde da noch durch Blick und Händedruck mit auf die Reise gegeben, ohne Worte, zu denen es keine Zeit mehr gab.

Der Einzige von der ganzen Gesellschaft, dem es leicht um's Herz schien, war Häschkekarl. Heute hatte er wieder seinen buntscheckigen Vagabunden Anzug angelegt. Den Hut verwegen auf einem Ohre, ein rothes Halstuch statt eines Kragens, sah er einem Stromer verzweifelt ähnlich. Jezt, wo es auf die Reise ging, fühlte er sich erst wieder wohl und behaglich. Und diesmal sollte er noch dazu

Der Büttnerbauer.

Roman von Wilhelm von Polenz.

in guter Gesellschaft walzen. Eine ganze Mandel Schicksen" waren mit so nannte er die Mädchen

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-da würde sich's schon leben lassen. Er summte ein Wanderlied vor sich hin. Als der kleine Gustav auf Paulinen's Schooß unruhig wurde und zu schreien anfing, brachte er die" Quarre" durch eine seiner drolligen Grimassen schnell wieder zur Ruhe.

Die Büttnerbänerin war auch herausgehumpelt, ihrer Lähme zum Troße. Zwei von ihren Kindern gingen ja mit hinaus in die Fremde. Gustav, ihr bester Sohn, und Ernstinel, ihre Jüngstgeborene.

Die alte Frau hatte es bisher garnicht recht glauben wollen, daß aus diesem abenteuerlichen Plane etwas werden solle. Zu so vielen Sorgen und Kümmernissen der letzten Zeit kam nun auch noch die Zersplitterung der Familie! Das war zit viel! Als sie den Wagen sah mit den Wanderern und dem Gepäck, drohten sie die Kräfte zu ver­lassen. Zum Abschied hatte sie nur ein sinnloses Gestammel: Ne, ach Gutt! Gustav! Ne, ach Gutt, Pauline! Paßt ack auf's Ernstinel uff. Ne, ach Gutt ach Du lieber Herr Gutt! was wern mer ack Alles noch derlaben!" Gustav mußte es den Frauen überlassen, von der Mutter zärtlichen Abschied zu nehmen. Er war ganz von der neuen Pflicht in Anspruch genommen, die schon wie eine schwere Verantwortung auf ihm lastete und ihn hart und ungesellig erscheinen ließ.

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Nene

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Er glaubte, daß sie nun nicht länger warten dürften, wenn sie den Zug nicht versäumen wollten. Er schwang sich auf den Wagen und gab den Be­fehl zur Abfahrt.

Die Peitsche des Kutschers hob sich, die Pferde zogen an. Noch ein Händedruck, ein Schluchzen, ein Winken, ein Müßenschwenken. Im Trabe ging's durch's Dorf. Vor den Häusern standen Leute, welche den Wanderern ein freundliches Wort zu= riefen. Dann zeigte das letzte Gehöft des Dorfes, Dann zeigte das letzte Gehöft des Dorfes, der Büttner'sche Hof, seine Giebelseite. Gustav blickte noch einmal dort hiniiber. Er hatte den Vater nicht gesehen vor der Abreise. Ganz in der Frühe heute wollte er noch zu ihm gehen, aber dann hatte er's doch gelassen. Als Vorwand war ihm die Geburt von Toni's Kind gerade recht.

Er trieb den Kutscher zur Eile an. Jezt auf einmal war es ihm, als fönne er nicht schnell genug von der Heimath wegkommen.

An bekannten Feldern ging's vorbei, an Bäumen, Steinen und Wasserläufen. Nun zog sich der Weg ein Stück durch den gräflichen Wald. Dann hatte man die Halbenauer Flur verlassen.

Eine Stunde darauf saßen sie eng zusammen­gepfercht in einem Wagen vierter Klasse mit fremdem Volt, Sachsengänger gleich ihnen, die schon weit her

1898

kamen aus dem Osten. Unheimliches Gesindel mit braunen Gesichtern, das untereinander eine unver­ständliche Sprache redete.

Ats Pauline mit einem dieser schmußstarrenden, fraushaarigen Frauenzimmer den schmalen Siz theilen mußte, verlor sie alle Fassung, nachdem sie vorher tapfer mit dem Heimweh gekämpft hatte. Sie nahm ihren Jungen dicht an sich und haschte nach Gustav's Hand.

Das war fürwahr eine traurige Nachfeier ihrer Hochzeit!

XIX.

Der Termin zur Zwangsversteigerung war her­angekommen. Subhastationen waren im Bezirke dieses Amtsgerichts nichts Seltenes gewesen in der lezten Zeit." In diesen Zeitläufen fallen die Bauern wie Fliegen von der Decke, wenn es Winter wird, hatte erst kürzlich ein Kenner geäußert. Man war im Allgemeinen ziemlich abgeſtumpft gegen bäuerlichen Bankerott.

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Immerhin machte es einiges Aufsehen, als be­kannt wurde, daß das Büttner'sche Bauerngut unter den Hammer kommen solle. Einmal, weil es ein großes Grundstick war, das nicht, wie die meisten anderen seiner Art, heruntergewirthschaftet und aus­geraubt war. Dann gab es auch noch Nebenumstände, die den Fall interessant machten. Man wußte, daß die Herrschaft Saland um das Bauerngut gehandelt hatte und, nachdem der Handel so gut wie abge= schlossen gewesen, davon zurückgetreten war. Das gab zu allerhand Vermuthungen Anlaß. Die Herr­schaft hatte sich bisher noch nie einen Bauern, der , wackelig" wurde, entgehen lassen und hatte, nach der Behauptung fleinerer Güterhändler, die Preise des Grund und Bodens auf diese Weise nicht wenig in die Höhe geschraubt. Es war auffällig, daß sich die Herrschaft bei diesem Bauerngute, welches ihr geradezu vor der Nase lag, so zurückhaltend - Ungewöhnlich wurde der Fall auch benahm. dadurch, daß der betreibende Gläubiger kein Anderer war, als der eigene Schwager des bankerotten Bauern. Was konnte der Mann für ein Interesse an dem Untergange seines Schwagers haben? fragte man sich unwillkürlich. Wollte er das Gut aus der Sub­hastation billig erstehen? Und wozu sollte er, als Besizer einer großen Gastwirthschaft, sich mit so be­deutendem Grundbesitz belasten?-

In der Gerichtsstube begannen sich von früh neun Uhr ab einzelne Leute einzufinden. Meist waren es Neugierige, Gerichtsbummler, die selten bei solchen Anlässen fehlen.

Die eigentlichen Interessenten saßen drüben im Löwen". Der Gasthof lebte geradezu von den Gerichtsverhandlungen, denn dort pflegten vor und

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