1G2Die Neue N)elt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.nach den Terminen Freund und Feind einzukehren.Dort stärkten sich die Parteien zn schwerem Gange,dort tranken Nichter, Staatsanwalt, Vertheidiger,Zeugen und Schöffen ihren Schoppen in derselbenStube und vom nämlichen Fasse, nachdem sie sichdrüben vielleicht im Rechtsstreite bis auf's Messerbefehdet hatten.Auch Samuel Harrassowitz trank hier sein Bier.Er saß, wie gewöhnlich, ans seinem Platze amFenster, von dem ans er den schmalen Platz zwischenGasthof und Gerichtsgebände überblicken konnte.Edmund Schmeiß saß neben dem Händler. Ertrug einen neuen Anzug von hauptstädtischem Schnittzur Schau, den er sich bei seinem letzten Aufenthaltin Berlin hatte anfertigen lassen. Er bestellte sich einenEognac,„aber this Champagne, garr�on!" fügte ernäselnd hinzu.Jetzt traten zwei Herren ein. Der BankierIsidor Schönberger, fett, mit weißem Gesicht undum so schwärzerem Haar. Bei ihm war BrunoNiefenthal, der junge Advokat, der sich kürzlich indem Städtchen niedergelassen und seiner Fixigkeitwegen hier bereits eine namhafte Praxis gefundenhatte. Die Herren schienen einander säuuntlich gutzu kennen. Zum Gruße zwinkerten sie einander nurmit den schlauen Augen zu. Schönberger setzte sichmit verdrossenem Gesicht. Riesenthal kramte in seinerAdvokatenmappe. Die Unterhaltung wurde halblautgeführt, denn an den Nebentischen saßen Leute, derenman nicht sicher war.„Heute is der Kaphroh dran!" sagte Schönberger.Harrassowitz nickte.„Machst Du de Massematten?"„Kairousche!"„Bis jetzt ist keine Konkurrenz da," damit mischtesich Edmund Schmeiß in das Zwiegespräch.„Konkurrenz!" meinte Sam und nahm eine ver-ächtliche Miene an.„Konkurrenz giebt's nich!"„Wird der Graf sich ganz fern halten?" fragteder Advokat halblaut.„Der Graf is besorgt!" flüsterte Schmeiß.„Dafürsteh' ich! Und das Andere sind alles Schnorrer!"In diesem Augenblicke ertönte vom Pflasterdraußen Pferdegeklapper und Wagenrasseln. Einoffener Jagdwagen mit zwei guten Pferden davorhielt vor dem„Löwen". Die vier Männer machtenlange Hälse. Sam stieß einen Fluch aus. Er er-kannte in dem langen bärtigen Manne, der selbstdie Zügel geführt hatte, den Giiterdircktor des Grafen,Hauptmann Schroff. Der kleine Grauhaarige warwohl ebenfalls ein Beamter der Herrschaft Saland.Die„Konkurrenz" war also dennoch gekommen!Sam stand auf, ohne sein Glas geleert zn haben.Jetzt galt's die Ohren steif halten! So leichtenKaufes, wie er speknlirt hatte, würde er nun dochnicht zu den. Gute konunen. Aber Sam gab nichtsverloren. Wann wäre er jemals in schwierigerLage verzagt oder um Mittel und Wege verlorengewesen! Er besaß den ganzen rücksichtslosen, katzen-zähen Optimismus seiner Rasse.Er hatte den Kretschamwirth von Halbenau voreiniger Zeit mit seinem Wägelchen einfahren sehen;den suchte er jetzt auf.Kaschelernst und Harrassowitz hatten ein längeresGespräch im Flur des Gerichtsgebäudes. Die Unter-Haltung endete damit, daß Sam die Hand aus-streckte und Kaschelernst grinsend einschlug und„Ab-gemacht!" sagte.Die Gerichtsuhr hatte zehn geschlagen. Wer sichbis dahin noch im„Löwen" aufgehalten hatte, kamnunmehr herüber, nicht allzu eilig, falls er mit demGerichtsgebrauche vertraut war.?lus Halbenau waren eine Anzahl Leute ein-getroffen, Freunde der Biittner'schen Familie. Teralte Bauer selbst hatte sich fern gehalten, aber KarlBüttner war gekommen. Er blickte unverständigdrein, wie gewöhnlich..Die Bedeutung dieses Tagesfür ihn und seine Familie war dem Denkfaulenschwerlich klar geworden.Hinter den Schranken erschien jetzt der Amts-Achter mit dem Kalkulator. Sie nahmen am grünenTische Platz.Nun nahm der Termin seinen üblichen Verlauf.Zunächst wurden die Interessenten festgestellt. Har-rassowitz, der in diesen Dingen zn Hause war, wieder Fisch im Wasser, verlangte Vorweisen der Kau-tion. Da würde man ja gleich sehen, iver alsernsthafter Bieter in Betracht komme. Bor Alleminteressirte es den Schlaukopf, zu wissen, ob jeneBeiden, der Giiterdircktor und der Rendaüt desGrafen, mit Geldmitteln versehen seien. Er hattebereits seinen Geschäftsfreund, den KommissionärSchmeiß, vorgeschickt, der sollte sich den Herren inmöglichst harmloser Form nähern und sie zum Lüftenihrer Maske bringen. Aber die Beiden hatten sichzugeknöpft und den diplomatischen K iinsteu des jungenSchmeiß gegenüber unzugänglich verhalten. Sampaßte genau auf, was der Hauptmann zeigen würde,als er daran kam, Kaution vorzulegen. Staatspapicre,ein ganzes Packet! Der Mann war also gewappnetund nicht etwa aus bloßer Neugier hier erschienen.Nachdem Namen und Personalien der Jnter-essenten mit gerichtsüblicher Umständlichkeit erfragtund aufgeschrieben waren, wurde zur Feststellungdes geringsten Gebotes übergegangen. Dann forderteder Richter zur Abgabe von Geboten auf. Er hatteeine zweistündige Pause angesetzt, innerhalb derengeboten werden konnte.Der Gerichtssaal leerte sich wieder; nur einigewenige Leute blieben zurück, die hier eben so gutwie anderwärts ihre Zeit mit Nichtsthnn verbringenzu können meinten. Der Richter arbeitete an seinenAkten. Der Kalkulator schrieb das Protokoll aus,in der Ecke nickte der Gerichtsdiener. Der Geistder Langeweile und der Schläfrigkeit hatte sich überden Raum gesenkt.Der Richter war ein älterer Beamter. Wie vieleGrundstücke waren nicht schon im Laufe der langenPraxis unter seinem Hammer weggegangen! DieVerhandlung pflegte unter seinem Vorsitz glatt, ohneStocken, wie eine gut geölte Maschine, zu laufen.Nüchtern, geschäftsmäßig und trocken erklangen seineFragen.Was kümmerte es ihn, wer schließlich der Er-steher wurde! Sache des Juristen war es nicht,Mitgefühl zu empfinden; das hätte ja höchstensseine„strikte Objektivität" trüben können. Für ihnexistirte das Stück Erde, welches zufälligerweiseeinem gewissen Traugott Büttner gehörte, nur in-sofern, als es durch ein in„legaler Weise" herbei-geführtes Zwangsversteigerungsverfahreu in„foren-fischen Konnex" getreten war zum Gesetz und damitzu ihm, dem Diener des Gesetzes. Dadurch war für denJuristen ein Zaun abgesteckt, innerhalb dessen er sichvon Rechts wegen bewegen durfte. Wenn er sich'shätte einfallen lassen, den Zaun zu überschreiten,tiefer zu blicken, als seines Amtes war, dann würdeer vielleicht entdeckt haben, daß dieses Stück Erde,welches heute unter den Hannner kam, doch nochetwas mehr als ein bloßes Subhastationsaktenstücksei. Er würde gefunden haben, wenn er das„legale"Gewand der Sache zu lüften sich die Mühe gegebenhätte, daß er nichts Geringeres als das Wohl einerFamilie, daß er Menschenschweiß und Menschenblutzu„Meistbietender Versteigerung" brachte, lind daßso das„von Rechts wegen" eine eigenthümliche Be-deutung gewann.Der Saal füllte sich allmälig wieder, als diezweistündige Pause sich ihrem Ende zuzuneigen be-gann, und das Bieten nahm seinen Anfang. Zn-nächst erfolgten einzelne Gebote, gleichsam tropfen-weise; denn keiner der Interessenten wollte demanderen seinen Eifer merken lassen. Bankier Schön-bergcr hatte angeboten mit einer Summe, welchegerade die Höhe seiner Hypothek erreichte. Dannüberbot ihn Harrassowitz.Jetzt begann der gräfliche Rendant sich an derBietung zu betheiligen. Zuerst langsam, dann inimmer schnellerer Folge überboten sich Sam undder Rendant mit Beträgen von geringem Umfang.Der Händler legte kühlste Ruhe an den Tag; dieHände in den Taschen, wiegte er sich ans den Ab-sätzen und suchte den Gegner durch seine überlegenspöttische Biiene in Verwirrunz zu setzen. Dergräfliche Beamte, ein Graukopf, mit glatt rasirtemGesicht, war unruhig. Die Gebote kamen zaghaftund hastig von seinen Lippen. Mehrfach sah ersich nach Hauptmann Schroff um, der weiter hintenunter den Zuschauern mit sichtlicher Spannung demGange der Versteigerung folgte.Auf diese Weise hatten sich die Beiden bis andie letzte Hypothek herangetrieben, welche ErnstKaschel gehörte. Ter Gastwirth war im Salonanwesend, bot aber nicht mit. Harrassowitz hattesoeben geboten. Ter Rendant bat um eine kurzeHinausschiebung des Zuschlages, lief nach hintenund besprach sich mit dem Giiterdircktor.„Bis zurHöhe der Schulden, nicht wahr, ging der Limit?"fragte er. Der Hauptmann stand mit gerunzelterStirn und überlegte.„Hundert Mark darüber,"sagte er dann.„So viel will ich noch zulegen;mehr kann ich nicht!"Der Rendant ging wieder an die Schranken undmachte sein Gebot. Sam überbot ihn lächelnd.Die Spannung unter den Zuschauern hatteeinen hohen Grad erreicht. Die Sympathien derMeisten waren auf Seiten der gräflichen Beamten.Der Rendant bot noch einmal mit zitternderStimme. Die Schulden waren mit seinem Geboteum hundert Mark überschritten.„Noch Fünfzig!" rief Harrassowitz und sah denGegner herausfordernd an.Es entstand eine Pause. Der Richter sah nachder Uhr.„Wenn keine weiteren Gebote abgegebenwerden, schließe ich die Subhastation."Kein weiteres Gebot erfolgte.„Demnach ist Herr Samuel Harrassowitz Meist-bietender geblieben. Ich frage, ob Einwendungengegen Ertheilung des Zuschlages an Harrassowitzerhoben werden?— Einwendungen werden nichterhoben!— Die Ertheilung des Zuschlages wirdmorgen um elf Uhr verkündet werden!"XX.Während in der Stadt sein Gut versteigertwurde, pflügte der Biittnerbaner seinen Acker. Schonbei frühestem Morgengrauen hatte er die Ochsenaus dem Stalle gezogen, hatte sie vor den Pfluggespannt und war hinausgefahren bis dorthin, woWald und Felder grenzten.Die Bäuerin war seit einer Woche bettlägerig.Toni hatte mit dem Säugling zu thuu. AufTheresen's Schultern lastete, seitdem die Sachsen-gänger das Dorf verlassen hatten, ganz allein dieSorge um das Hauswesen.Der Bauer wollte heute das Büschelgeweudebeackern. Dem verwilderten Schlage— gleichsamdas Stiefkind des Gutes— galt doch im Grundeseine eifrigste Sorge. Der Gedanke, daß ein Theilseines Besitzes vernachlässigt und unbenutzt daliege,ließ ihm keine Ruhe, quälte ihn wie einen Krankendie offene Wunde. Ten Schlag mußte er wiederurbar machen, noch in diesem Sommer. Haferwollte er darauf säen, als die ivenigst anspruchs-volle Frucht. Vor der Aussaat aber sollte derBoden noch einige Biale mit Pflug und Egge umund um gewendet werden.Es wollte ein wundervoller Frühjahrstag werden.Der Boden dampfte von dem warmen Regen, derin der Nacht niedergegangen war. Laue Frucht-barkeit schwebte greifbar über der Scholle. Ueberalldrängte und sproßte junges Leben zum Tage empor.Die Wiesen waren bereits mit dem ersten ver-schämten Grün beschlagen. Die Wintersaatenstanden dicht und üppig in vielverheißendem,saftigem Dunkelgrün.Mit dem Pflügen ging es langsam genug vor-wärts in dem zähen Lehm, der seit Jahren keinePflugschar gefühlt hatte. Brombeerranken undandere Schmarotzer des verwilderten Landes be-deckten die magere Ackerkrume und wichen nur ungern dem Pfluge. Kiesel und Feldsteine stemmtensich gegen die Schar. Und dazu ein Paar trägeOchsen vorgespannt! Die Zeiten, wo er Pferdeim Stalle gehabt, waren für den Biittnerbanervorbei.Ter alte Mann fluchte nicht, trotz der Lang-samkeit der Thicre. Sein Trotz war stumm. Atitzusammengebissenen Zähnen blickte er starr gcradeansüber die Rücken der Ochsen. Die Hand am Sterz,in der Linken Leine und Peitsche, so schritt erhinter dem Pfluge. Wenn er die Lippen öffnete,