Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
dann war es höchstens zu einem„ Hiiii" oder„ Hoo". An der Anewand angelangt, hielt er die Ochsen durch einen Ruck der Leine an, hob den Pflug aus, wendete ihn und fuhr eine neue Furche an, genaue Richtung haltend. Er pflügte noch wie ein Jüngling, mit starker Hand und scharfem Augenmaß. Die Sonne rückte höher. Der Dampf über den Auen hatte sich verflüchtigt. Klar lag jetzt Halbenau unter ihm, das er von seinem erhöhten Stande überblicken konnte, Haus für Haus, bis hinab zur Kirche. Schon begannen sich die Frucht bäume hier und da zu schmücken mit weißen Perrücken. In langen, schmalen Streifen zogen sich die Güter der Bauern, Halbhufner und Gärtner vom Dorfe nach dem Walde zu, vielfach durch Naine und Gräben in viereckige Stücken und Streifen zerlegt, in vielen Farben leuchtend, bald braun, bald griin, bald gelblich oder gräulich, je nach der Frucht und Bodenart. Ein scheckiges Bild, wie ein Stück Zeug mit vielen Flicken darauf. Und am Feldrande ein Kranz von Niederwald, der lichtgrün und lila schimmerte, mit seinen hellen Stämmchen von Birke und Erle. Dahinter der Kiefernwald, im männlichen Ernste seines dunklen Nadelkleides. Und darüber hin der Frühjahrshimmel, mit einzelnen schwimmenden Wolfen von milchweißer Farbe.
Der Büttnerbauer sah nichts von der Schönheit, die sich rings um ihn breitete. Sechzig Mal war er Zeuge geworden des Frühjahrswunders. Sechzig Mal hatte sich für ihn die Flur geschmückt mit gleicher Pracht. Er war fein empfindsamer Naturschwärmer; dafür gab es in seiner trockenen Bauernnatur feinen Raum.
Frühjahr, das bedeutete für ihn: Erwachen aus der falten, finsteren, öden Winterszeit zum sonnigen, flaren, milden Sommer; wo man nicht länger gezwungen war, mit müßigen Händen im Zimmer zu hocken, wo man hinaus durfte auf den geliebten Acker, die Zeit, da man die Glieder in emfiger Arbeit rührte, wo man aber auch die Früchte seiner Arbeit sehen durfte, wie sie heranwuchsen und ge= diehen, der Ernte entgegen.
Auch in diesem Frühjahr schien die Sonne warm und belebend. Sie wärmte auch die Glieder des Alten und brachte sein Blut in schnellere Strömung. Das Neuwerden in der Natur rief selbst in seinem verbrauchten Körper eine Steigerung aller Kräfte, eine unbewußte Spannung der Lebensenergie hervor. Aber es war diesmal anders als sonst.
Etwas war erstorben in dem alten Mann, lag wie mit Eis und Schnee des Winters zugedeckt, war nicht grün geworden mit dem Erwachen des Frühlings ringsum: die Hoffnung.
Es hatte seinen guten Grund, warum er die Zähne so fest zusammengepreßt hatte, und die Augen so starr geradeaus gerichtet hielt, zwischen die Köpfe seiner Thiere. Hätte er die Blicke hinabschweifen lassen über Felder und Wiesen, hinab nach seinem Hause und Hofe, sie wären wohl übergegangen von salzigen Thränen. Und der Troß, der Grimm, die Menschenverachtung, die allein ihm die Kraft gaben, diesen Tag zu ertragen, möchten dahingeschmolzen sein von der Uebergewalt des Schmerzes, den ihm der Anblick seines Eigenthums heute bereiten mußte.
( Fortsetzung folgt.)
ine Tragödie aus groß bewegter Zeit knüpft sich an das Gedenken Savonarola's , der vor vierhundert Jahren, am 23. Mai 1498, auf dem Scheiterhaufen endete. Auch Savonarola ge= Auch Savonarola ge= hörte zu jenen Naturen, die über die Kraft" wollen. Wie durch ein Wunder steigen sie in denkwürdigen Tagen zur Höhe, aber noch tragen sie die Zeitverhältnisse nicht, und friih sinken sie wieder. Auf religiösen wie sozialpolitischen Momenten baut sich die Tragödie Savonarola's auf, und so entsteht ein seltsam bewegtes historisches Charakterbild, und es
schwankt in der Beurtheilung, je nachdem man Savonarola nach katholischer oder protestantischer Anschauung, nach Herrenmoral oder nach demokratischer Gesinnung beurtheilt hat. Die protestantische Forschung hat ihn einen Propheten genannt, den letzten der neuen Propheten vor dem Reformationswerke, also einen Johannes etwa, der dem Größeren die Bahn weist. Und dennoch war Savonarola im Grunde ein rückwärtsgewandter Prophet, der in der entarteten Kirchenwelt nach der alten, strengen strengen Gläubigkeit rang und das mit puritanischem Eifer inmitten der Renaissance, die in den üppig gewordenen italienischen Weltstädten sich aufthat. Der Gegenschlag wider die Renaissance ist es, der Gegenschlag wider die Renaissance ist es, der Savonarola's innerstes Wesen erklärt. Er leitete ihn zur Auschauung, die alte christliche Gemeinde wieder aufzurichten, er trieb ihn zu seiner besonderen sozialen Republik auf theokratischer, priesterlicher Grundlage.
Ohne den glanzvollen Lorenzo, den Medicäer, ist der Dominikanermönch Savonarola nicht voll zu begreifen. In Beiden verkörpern sich zwei große Weltanschauungen. In der wildbewegten Poesie jener Tage ragen die Gestalten Lorenzo's, des fürstlichen Kapitalisten, wie Savonarola's, des Priors von San Marco, bedeutsam hervor. Sie Beide ergeben erst das Weltbild jener Zeit.
Dem Individualismus, der in der Renaissance alle Schranken durchbrach, das Kraftgefühl der Einzelnen in's Unbändige hob und so die herrlichen Bestien im Sinne Nietzsche's schuf: die großen Lebenskünstler und die großen Verbrecher, stellte sich der kommunistische Gedanke empört gegenüber. Er konnte in der damaligen Welt keine anderen Ziige tragen als urchriftliche. Sie offenbarten sich zum Ausgang des Mittelalters in Exaltationen; Seher und Mystiker tauchten auf. Auf der einen Seite die strahlenden Heiden, die selbst auf päpst= lichen Stühlen saßen; auf der anderen die seelisch Zerknirschten, die Gewissensmahner. Fanden diese einen wohlgedingten Boden in der Massennoth, vermehrt durch Pestilenz und epidemische Krankheiten, so konnten Schwarmgeister, wie Savonarola , leicht zu revolutionärem Ansehen, zu revolutionirender Gewalt revolutionärem Ansehen, zu revolutionirender Gewalt gelangen.
Früh schon hat sich in Savonarola , der zu Ferrara 1452 geboren wurde, die mönchische Er altation geregt. Das ist gewiß; selbst wenn man von allem Legendären absieht, das sich an große Erscheinungen fnüpft. Eine dieser Legenden berichtet von einem tiefen Liebesschmerz. Man kommit auch ohne diese Romantik aus; sie bringt beinahe in das Leben einer Kampfnatur, wie Savonarola war, etwas Befremdliches. Gewiß ist, daß der Jüngling in Befremdliches. Gewiß ist, daß der Jüngling in ertatischer Bewegung Vater und Mutter verließ und in den Dominikanerorden eintrat.
In seinem
dreißigsten Lebensjahre taucht er zum ersten Male in Florenz als Prediger auf. Er wandert dann viel und 1490 wird er zum Prior des Klosters San Marco in Florenz gewählt.
Florenz war damals eine wichtige Handelsherrin, ihre Oberherrschaft erstreckte sich im fünfzehnten Jahrhundert über mehr als tausend geschützte Ortschaften, und durch die Unterwerfung von Pisa , das vordem seemächtig war, gewannen die Florentiner das freie Meer. Bankherren, Wollen- und Seidenhändler waren vornehmlich die Herrschenden in Florenz . Die ursprünglich streng republikanische Verfassung, die von der Bourgeoisie nach der Vernichtung des städtischen Feudeladels geschaffen wurde, gerieth durch die großkapitalistische Entwickelung immer mehr in's Schwanken, je gewaltiger der Seeverkehr und die Steigerung des Großkapitals wurde. Selbst die Amtsdauer der Behörden war raschem Wechsel unterworfen, damit feine persönliche Macht sich entwickle. Mit der unpersönlichen des Großfapitals hatte man nicht gerechnet. Der erste Spetulant im gewaltigen Stil war Cosimo Medici , da Florenz der politische Mittelpunkt Italiens geworden war. Er war der Rothschild des Papstes und der Fürsten , sein Reichthum unermeßlich; und so ließ er die biirgerliche Verfassung wohl bestehen, aber alle Aemter mit seinen Kreaturen beseßen. Zum Schluß zogen sich die Medicis vom Geldgeschäft und Groß
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handel zurück, und die fürstlichen Kaufleute nannten sich lieber Großagrarier und widmeten sich fast ausschließlich dem öffentlichen Leben, der Politik, den Wissenschaften und den Künsten.
Unter Lorenzo von Medici, der sich„ Principe" nannte, was sowohl Fürst wie erster Bürger" heißen kann, war die prunkvollste Zeit von Florenz gekommen, aber zugleich kündigte sich der Verfall des Hauses Medici an. Zu einem herrlichen Städtebild hatte sich Florenz entwickelt. Der Dom mit der Wunderkuppel hatte schon länger bestanden, und unter den Medicis blühte die Plastit, befruchtet von dem Aufleben des klassischen Geistes( der Renaissance"), reich empor. Der gewaltige Michelangelo war Tafelgenosse Lorenzo's, und im Medicäerpalaste mit seinem Park sah es aus wie in einem„ heidnischen Hain ".
Diesen Gewalten troßte der Mann der Armuth, der Nichtästhetiker, der Anti- Heide Savonarola , und er predigte zunächst im Klostergarten unter einem Busch:" Die Kirche Gottes muß erneuert werden; vorher wird Gott mit schwerer Geißel Italien ziichtigen, und Beides wird bald geschehen."
Es muß etwas Merkwürdiges um die Art Savonarola's gewesen sein. Denn er sprach heiser, und Plattes wie Zündendes fließen in seinen Predigten wie später in seinen journalistischen Arbeiten, die er ebenfalls zur Propaganda benutzte, zusammen. Er wird von jeweiligen Stimmungen sehr abhängig gewesen sein. Dazu paßt auch die Por traitstudie des Fanatifers, die Villari, sein Biograph, von ihm entwirft. Seine Physiognomie war nicht schön, seine Züge hart. Er war sonst von mittlerer Größe und dunkler Gesichtsfarbe. Er hatte flammende Augen unter schwarzen Brauen, eine Adlernaſe, einen breiten Mund und große aber festgeschlossene Lippen, ein Zeichen von unerschütterlicher Festigkeit".
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Lorenzo muß dem„ Bußpfaffen" und entflamment= den Redner, der gegen die Großen bald sehr heftig sprach und auch die unwürdigen Päpste" nicht schonte, als seinem Widerspiel doch wohl starke Bedeutung beigelegt haben. Nach Art der großen Herren versuchte er es zunächst mit milder Bestechung. Aber Savonarola , dessen Leben sich mit seiner Lehre deckte, erividerte dem Zwischenträger: Ein guter Hund bellt immer, um das Haus seines Herrn zu ver theidigen, und wirft ein Räuber ihm einen Knochen vor, so schiebt er ihn bei Seite und läßt darum das Bellen nicht."
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Die Unerschrockenheit des Fra Girolamo , des Bruders Girolamo Bruders Girolamo dies der Klostername Savona rola's , der unerschütterliche Glaube an sich und seine Mission wirkte auf die gedrückte, sehnsüchtige Menge mit suggestivem Zauber. Man schloß sich zu Brüderschaften zusammen. Die Frateschi, die Genossen, waren schon im Aeußeren kenntlich. Spöttisch nannten sie die„ Arrabiati", die schneidig städtischen Junker, auch„ Piagnoni "( d. h. die Wimmernden), weil sie den Gegensatz zu den stolzen Genußmenschen der Renaissance bildeten.
Aber allem Hochgefühl der Renaissance zum Troß ereignete sich 1492 eine Begebenheit, die psychologisch ganz merkwürdig war und eines großen heroischen Zuges nicht entbehrt. Lorenzo ließ, als er auf dem Todtenbett lag, den Fra Girolamo zu sich kommen. Vielleicht war es ein politischer Aft und Lorenzo dachte an die Fortdauer seines Geschlechts, vielleicht hatte Todesangst den sonst so klaren und zielbewußten Geist Lorenzo's getrübt, vielleicht auch wollte der Fürst sich in der Todesstunde wenigstens nicht über die kirchliche Form hinwegsehen: Genug, Savonarola traf mit dem Principe Lorenzo zu sammen.
Dies Ereigniß hat die Künstlerphantasie oft an geregt und wohl seinen mächtigsten Ausdruck findet es in Lenau's Savonarola, im Gesang„ Der Tod des Erlauchten". Hier finden sich die berühmten Verse, die mehr als nur dichterische Wahrheit enthalten, die Verse, in denen Fra Girolamo von Lorenzo die alten Rechte der christlichen Republik zurückverlangt. Da sie in's Geistesleben Savonarola's tief einführen und auch die Art seiner Predigt, wenn der Geist über ihn kam, kongenial fennzeichnen, seien sie hier wiedergegeben: