( Fortsetzung.)
Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
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echt begreifen kann ich es eigentlich nicht, wie Du es hier schon so lange ausgehalten hast," sagte Fräulein Anna Bröker und ging am Arm ihres Verlobten die Dorfstraße herunter." Sieh' ' mal, diese Dunghaufen und die schmutzigen Kinder! Nein, nun sieh' nur' mal, der Kleine da ist doch ganz reizend, ich begreife garnicht, warum ihn seine Mutter nicht wäscht! Sag', Kind, wie heißt Du?" Sie bückte sich und faßte den rothbackigen Jungen, der mit aufgerissenem Mund vor ihr stand, unter das Kinn. Sie hatte eine allerliebste Art, mit Kindern umzugehen. Mit der fein behandschuhten Hand strich sie über die schmußbemalten Backen, und nun 30g sie gar ihr blüthenweißes Schnupftuch und pugte dem Kind die Nase. Ich kann das nicht sehen," sagte sie entschuldigend, und dann erröthend:„ Ich habe Kinder schrecklich gern!"
Dorn drückte leise ihren Arm an sich; es war das erste Mal, daß er seit der Ankunft seiner Braut eine zärtliche Regung zeigte. Pflichtschuldigst, mit einem Kuß auf Hand und Wange hatte er sie gestern aus dem Wagen gehoben, sich von den Schwiegereltern mit freundlichen Vorwürfen überhäufen lassen wegen der selbstgewählten Verbannung, und dann seiner Freude, sie hier zu sehen, in wohl= gesetzten Worten Ausdruck gegeben. Nun betrachtete er seine Braut einmal näher. Es war ein liebliches Bild, wie sie sich zu dem schmutzigen Bengel neigte. Wie die verkörperte Jugend stand sie in der engen Dorfgasse, ihr rosiges Gesicht zeigte den immer gleichen freundlichen Ausdruc. Er hatte diesen hübschen Mund noch nie leidenschaftlich bewegt gesehen; die Oberlippe war ein wenig kurz, noch dazu meistens leicht lächelnd. heraufgezogen, daß man die gesunden weißen Schneidezähne blinken sah. Ein allerliebstes Mäulchen!
Dorn blickte sich eilig um es war Niemand in Sicht - und dann streifte sein rascher Kuß diesen allerliebsten Mund; es war ihm geradezu eine Herzenserleichterung, daß Anna nett mit Kindern war wozu heirathete er sie denn sonst?
" Duaber!" Sie sah ihn mit großen, verwunderten Augen an." Was fällt Dir eigentlich ein? Ach Gott" sie wurde roth bis hinter die zierlichen Ohren" jetzt hat die das gesehen, wie unangenehm!"
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Eine große, schlanke Frauengestalt schritt eben an ihnen vorüber; eilig, wie auf der Flucht, glitt sie dicht an den Häusern entlang, sie hatte einen blizschnellen Blick zu dem Paar herübergeworfen und ihn dann sofort wieder gesenkt.
" Mein Fräulein, Fräulein Lang!" Dorn hatte so hastig seine Braut losgelassen, daß die fast taumelte. Nun war er mit einem Saz neben der großen Gestalt dicht an den Häusern jezt zog er sie mitten auf die Straße, fast schien es gewaltjam; die Schlanke ging mit schlotternden Füßen.
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,, Gestatten Sie, Fräulein Lang- meine Braut! Anna, Du hast die Ehre, hier Fräulein Irene Lang zu sehen, Du weißt schon, die Verfasserin von, Vor Thau und Tag'!" Er zupfte seine Braut heimlich am Kleid und sah sie bittend an.„ Ich hoffe, die beiden Damen werden gute Freundschaft schließen, ia? Ich verdanke Fräulein Lang meine besten Stunden hier, Anna!- Wo waren Sie gestern, Fräulein Lang? Wo waren Sie? Ich habe Sie bergebens gesucht!"
Versteckte Unruhe lag in seinem Ton, ein flehender Blick streifte die Schlanke; sie sah an ihm vorbei und war sehr bleich. Als hätte er garnicht gesprochen, so suchte ihr Auge nur das junge, rosige Gesicht der Braut.
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" Ich freue mich" mühsam fielen ihr die Worte von den Lippen, die sich nach jedem Absatz herb zusammenpreẞten ,, ich freue mich Ihr Herr Bräutigam hat mir viel" Ob sie liigen Ob sie liigen wiirde? Nein, eine flammende Röthe stieg in ihr blasses Gesicht hat mir von Ihnen erzählt. Ich hoffe, es gefällt Ihnen hier!"
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Dor Thau und Tag.
O ja, o ja!" Anna Bröker war zu wohl erzogen, um nein zu sagen.„ Es gefällt mir außer ordentlich hier!"
" So? Das freut mich!" Irene Lang neigte den Kopf auf die Brust.
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Eine verlegene Pause. Keiner sagte ein Wort. Dorn sah vor sich nieder, seine Fußspite spielte mit einem Steinchen und schnellte es hin und her über's Pflaster. Seine Braut hing sich ihm auf einmal fest in den Arm. Auffahrend riß er die Augen auf wie Einer, der jäh erwacht Fräulein Lang, darf ich Sie bitten, heute Nachmittag mit uns spazieren zu gehen? Wir Drei gehen allein, die Schwiegereltern sind nicht für weite Parteien. Bitte, kommen Sie mit uns bitte!" Er sah, wie es in ihrem Gesicht kämpfte, wie sie zögerte. Bitte" wie ein Hauch traf es an ihr Ohr. Und nun noch einmal, kaum verständlich:" Bitte!" Für Sekunden tauchten ihre Blicke ineinander; es lag viel in diesem kurzen, athemlosen Anstarren: Liebe, Haß, Furcht, Verlangen. Da war etwas von Gegnerschaft, von der wilden Vertheidigung der in die Enge getriebenen Kaze in den Augen des Weibes; die Pupillen erweiterten sich unnatürlich, das feuchte Gran der Iris schillerte grünlich. Sie nickte kurz und streckte dann die Hand aus:„ Ich werde kommen; also auf Wiedersehen heute Nachmittag!" Wie ein großer dunkler Schatten glitt sie an den Häusern weiter.
Die Gasse hinunter flatterte der rosenfarbene Rock von Anna Bröfer; sie war, jetzt sehr gesprächig, auf ihr rechtes Thema gekommen: die moderne Einrichtung. Sie hatte gar keinen Blick für den Wald und die Berge; mit gerötheten Backen erzählte sie von dem wunderbaren Schränkchen mit geschnitten Engelsköpfen auf den Thüren und imitirt antiken Beschlägen, das sie in Köln gesehen. Ich sage Dir, süß! Das müssen wir haben, das möchtest Du auch, Erich, nicht? Wie entzückend wird unsere Einrichtung! Es war sehr theuer, aber das schadet ja nichts!"
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Nein, das schadete in der That nichts, man brauchte nicht zu rechnen. Dorn ließ sich mit einem gewissen Wohlgefühl neben seiner Braut auf der Bank im Walde nieder es war dieselbe Bank, auf der er zum ersten Male mit Irene Lang zu= sammengetroffen; hier hatte er gesessen und den Worten des alten Kinderliedes nachgesonnen ,, Und wenn das Kind erwacht, Dann dann Heute kein schläfriges Summen in der Luft, teine geheimnißvolle Erwartung webte zwischen den Bäumen, die flare, ruhige Stimme von Anna Bröker litt keinen Zaubersput, die übertönte die alte Melodie.
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Es war kein Genuß, dies Spazierengehen am Nachmittag zu Dreien. Anna ließ den Arm ihres Bräutigams nicht los; es war so selbstverständlich, daß sie sich bei ihm einhängte, auch wenn der Weg schmal war und das Gehen zu Zweien erschwerte.
Irene schritt voran oder sie schlenderte langsam hinterdrein; ein angenehmes Gespräch wollte nicht in Fluß kommen. Es waren fast gereizte Bemerkungen, die von Dorn's Lippen kamen; er sah nervös aus, die Stirn verfinstert, unaufhörlich zwirbelte er den Schnurrbart. Seine Braut reizte ihn, sie war bald müde und hatte seiner Meinung nach nicht das richtige Verständniß für die Landschaft; wie könnte sie sonst beim Anblick dieses melancholischen Wassers, das dister beschattet zwischen dunklen Bäumen dahinschlich, sagen:„ Ach, wie niedlich!" Und hier beim gewaltigen Absturz des zerklüfteten Felsens: Gott, wenn man da herunterfiele!"
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Und Irene, warum sah sie ihn nicht ein einziges Mal an, warum drehte sie so hartnäckig den Kopf weg? Was hatte er gethan? Er konnte doch nichts gegen das Geschick! Eine wahre Gier überkam ihn, den festen Nacken da herumzureißen und wild die
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eigenen Lippen auf jene herben zu pressen; die konnten küssen, er wußte es. Wenn er die Augen schloß und sich die Szene in Gewittersturm und Regen oben auf dem Berge vergegenwärtigte, dann schwindelte ihm, das Blut raste ihm durch die Adern die Lippen, die sich so berührt"
Abgespannt kam man heim.
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„ Du siehst blaß aus, lieber Sohn," sagte Schwiegervater Bröfer eines Morgens,„ ja, ja, die Liebe!" Dabei zwinkerte er vergnügt mit den Augen und streckte Dorn die fleischige Hand über den Tisch entgegen.
" Ich habe schon gesagt, Papa, wenn wir erst verheirathet sind, darf Erich Abends nicht so lange über den Büchern sizen, das ist ihm ungesund. Er hatte gestern wieder ewig Licht, ich sah's gegenüber ganz genau; wie lange es noch brannte, weiß ich nicht, ich war so müde, ich schlief darüber ein!" Anna gähnte zierlich in der Erinnerung ihres festen, traumlosen Schlafes.
Ja, dieser glückselige Kinderschlaf, wer den noch hätte! Dorn hatte nicht Ruhe, es graute ihm Abends vor der Nacht und Morgens vor dem Tag. Sie entzog sich ihm bereits seit Tagen; sie war wie ver schwunden. Ob sie heute wieder nicht mit auf den Spaziergang kommen würde? Er schickte hinüber und ließ fragen. Die alte Wirthin brachte selbst die Antwort:" Ne, uns' Freilein is net ganz wohl, se läßt sich bedanken!" Also sie kam nicht, sie wollte nicht!
Anna hätte mehr als einmal Gelegenheit gehabt, sich über ihren Bräutigam zu beklagen, er war einsilbig, unfreundlich. Sie that es aber nicht.
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Männer haben ihre Stimmungen; es ist flug, die garnicht zu bemerken," hatte die Mutter gesagt. So trug sie allein die Kosten der Unterhaltung, und er gähnte verstohlen dazu.
Was war das für ein Abend! Lind die Luft, weich wie mit Liebesarmen umfing sie. Mildes Mondlicht am Himmel.
Dorn stand in seiner einsamen Stube, die Arme um's Fensterkreuz geschlungen, und starrte über die Gasse mit trockenen, brennenden Augen. Sie schliefen Alle, nur ihm tobte eine wahnsinnige Ungeduld im Körper, eine verzehrende Aufregung hielt ihn wach. Wenn er doch
Halt, klirrte da nicht ein Fensterriegel?! In der Stille war dieser einzige Laut vernehmbar. Weit beugte sich der Lauscher über die schmale Brüstung. Da war das Fenster seiner Braut, unbeweglich der weiße Vorhang davor, sie schlief den Schlaf des ruhigen Besizes aber da da, im Nebenhaus, wo sie wohnte die Augen quollen ihm aus dem Kopfe Kopfe da stand die große Gestalt am Fenster!
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Weiß leuchtete ihr Gesicht im Mondschein, sie hielt es unbeweglich geradeauf gerichtet und jetzt jetzt sie sah jetzt zu ihm herüber. Er fühlte es, er wußte es, das Herz stand ihm still.
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Mechanisch streckte er die Arme aus und hob sie, ließ sie sinken und hob sie wieder. Das weiße Gesicht drüben wurde grell beschienen, es starrte ihn an. Er fuhr zusammen. Hastig und doch behutsam wie ein Dieb öffnete er seine Zimmerthür; er lauschte Niemand!
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Er schlich die Treppe hinunter nun war er vor'm Haus sie schliefen Alle. Nur sie nicht. Da trat sie aus ihrer Thür im Mondschein.
Langsam, langsam, mit geschlossenen Füßen schien sie zu gehen; sie kam ihm entgegen und er ihr. Zwei Automaten, von einer geheimnißvollen Maschinerie gelenkt unwiderstehlich, unabänderlich- so näherten sie sich einander. Jetzt standen sie mitten in der Gasse, Stirn an Stirn.
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Irene!" Er breitete die Arme aus. Irene, wowo warst Du? Ich vergehe!" Erstickt kamen ihm die Worte aus der Kehle, er stammelte.
Sie sah ihn an, thränenüberströmt ihr Gesicht, hell glänzten die Tropfen auf ihren Wangen; auch sie hob die Arme.