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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Aber sie umfaßten sich nicht, sie zitterten Beide. Ein glühender Strom fluthete durch die stille Mond­nacht und mischte die heißen Athemzüge ineinander. Irene Sehnsucht nicht ertragen-!" Abgerissene Worte.

Jezt griff der Mann nach des Weibes Hand und preßte die Lippen darauf, wieder und immer wieder.

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Sie ließ ihm die Hand willenlos, fast be­wußtlos ihre Gestalt schien kleiner, in sich zu­sammengefunken, jeden Augenblick bereit, sich an eine starke Stüße zu lehnen. Ihr Gesicht, sonst so stolz, trug einen bittenden, demüthigen Ausdruck; es stand im scheu fragenden Blick ihrer Augen: Ich bin schwach, ich bin müde, nimm mich warum nimmst Du mich denn nicht?

Hatte sie es laut gesprochen, oder drang nur Gedanke mit unheimlicher Schärfe in Gedanke? Laß Deine Braut, noch bist Du nicht unlöslich ge­

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bunden; wir gehören zueinander, mein bist Du, wie ich Dein!

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Kein Wort famt über ihre Lippen, und doch sagte er gepreßt, ohne Athem: Es kann nicht sein ich ich es muß ein Traum bleiben. Mein Gott, Irene, o mein Gott, wie soll das enden?!" Ein Schauder schüttelte sie, sie kniff die Augen zusammen wie ein Kind, das sich im Dunkeln fürchtet; sie ließ den Kopf auf die Brust sinken.

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Liebst Du mich?" fragte er flüsternd.

Sie nickte.

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Liebst Du mich über Alles?"- Sie nickte wieder. "," er stöhnte und griff sich in die Haare- ,, warum, warum, warum kann ich nicht, wie ich möchte? Ich ich bin nicht in der Lage- ich­wir müssen entsagen! Irene, Irene! Und doch lieb' ich Dich rasend zum Verzweifeln Irene!" Er hob ihr Gesicht in die Höhe und suchte ihren Blick: Ein Wort!"

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Mit seltsam glänzenden Augen, in denen das Mondlicht spiegelte, starrte sie ihn an. Trunken schlug er beide Arme um ihren Leib und hob sie vom Boden. Mit schwankenden Füßen stand sie dann wieder auf der Erde, schwer ließ sie den Kopf an seine Schulter fallen; sie taumelte.

Ich ich kann nicht mehr ich bin blind, ich bin taub!" Das Weitere ging unter in Lauten, halb Schluchzen, halb Lachen.

Ihre Erregung gab ihm die Fassung wieder, die Besonnenheit fehrte zurück nur sich hüten, sich nicht unlöslich verstricken!" Ruhig, Irene, Liebste, Geliebte!" Er strich ihr das wirre Haar aus der Stirn.

Sich umschlungen haltend, schritten sie dann die Gasse hinunter in Mondlicht; sie warfen ungeheure verzerrte Schatten an die weißen Mauern. Hinter'm letzten Haus standen sie wieder still und umarmten sich. ( Fortsetzung folgt.)

Die Wetterharten. Draußen am Strande, an ein auf dem Lande liegendes Boot gelehnt, stehen ein paar Schiffer. Aufmerksam beobachten sie den Lauf eines Schiffes, das auf der See mit den Wellen kämpft. Echte Seemannstypen führt uns der Norweger Michael Ancher in den Wetterharten" vor. In stetem Kampfe mit Wind und Wetter, in harter Arbeit sind ihre Muskeln stahlhart, ist ihr Körper widerstandsfähig geworden. Die schwere Lebensführung hat ihr Aeußeres gemodelt. Wie ihre Gesichter im Laufe des Lebens immer schärfer in den Linien werden, wie sich allmälig tiefe Runzeln ein­stellen, das zeigen die Züge der drei rechtsstehenden Schiffer, das runde Gesicht des jüngsten, der am weitesten zurücksteht, das breite, eckige des Mannes rechts und das schon von tiefen Furchen durchzogene Geficht des mit­leren, im besten Mannesalter stehenden Seemannes. Richtige Seebären" aber sind die beiden Alten. Der Erste, der energische Bootsführer, verfolgt mit Kenner­miene die Manöver des Schiffes auf See. Er lugt scharf aus, wie wenn er selbst das Boot durch hohe Wellen ficher leiten müßte. Der zweite Alte ist aus weicherem Holze. Das zeigt die Art, wie er in sich zusammenfinft und sich auf den Rand des Bootes lehnt. In seinen Augen liegt etwas Weiches, Treuherziges. Er ist ein alter Träumer, der seinen Kameraden die verwunder­lichsten Geschichten erzählt; er will sie alle selbst erlebt haben und glaubt auch selbst fest daran, allerdings als Einziger. Die Deljacken haben die Männer heute nicht umsonst angezogen. Vom Meere her zieht ein schweres Wetter herauf. Eine steife Brise jagt die grauen Wolkenmassen, die den Himmel weit und breit verhängen, vor sich her. In niedrigem Zuge fliegen sie vorüber und Schwer wälzen sich die bringen furze Regenschauer. fturmgepeitschten Wogen heran und werfen da, wo sie sich am flachen Strande brechen, mächtige Schaumkronen auf.

Das Kind im Sprichwort der Völker. Eine Ehe ohne Kinder ist wie der Tag ohne Sonne ", heißt es bei den Wenden;" Frauen schämen sich, keine Kinder zu sehen," spricht der Russe, und in Moskau fügt man hinzu: Eine Frau ohne Kinder ist wie eine Wiese ohne Gras." Mit der Elternschaft beginnt erst die Ehe," behauptet der Lette, und der Däne weiß: Kinder sind der Mutter liebstes Spielzeug." Wer keine Kinder hat, weiß nicht, wozu er lebt," sagt der Deutsche und der Jsländer bestätigt es: ,, Kinder sind besser als Reichthum." Ja, man sagt sogar: " Ein Kind, fein Kind, Zwei Kinder, ein halb Stind, Drei Kinder, ein Kind," weil ein Kind bald sterben kann. Es heißt darum auch: Ein Kind, Nothkind," oder, wie der Franzose und der Däne sagen: Ein Kind, Trauerfind."

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Ein Stind, Angstfind, Zwei Kinder, Spielfinder." Freilich fommt es dabei sehr auf das Geschlecht der Kinder_an ; nicht überall werden Knaben und Mädchen gleich geachtet. Wenn die Morlaken Dalmatiens die Geburt eines Mädchens zu melden haben, fügen sie stets hinzu:" Mit Verlaub zu sagen." Der Sohn ist dagegen nach des Hindu Mei­nung: Die Lampe eines dunklen Hauses." Der Araber nennt ihn:" Die Frucht des Herzens," und der Perser: " Des Blinden Stab." In Mailand heißt es: Wenn ein Knabe geboren wird, freut sich die Familie, wenn es ein Mädchen ist, geräth sie in Wuth." Dafür versichert aber der Portugiese:" Dem glücklichen Manne wird zuerst die Tochter geboren," der Venetianer meint: Glücklich ist die Frau, deren erstes Kind ein Mädchen ist," reinit aber weiter: Töchter an den Mann zu bringen, harter Knochen zu verschlingen." Das Mädchen macht die Mutter schön," sagt man in Toscana, aber: Wer sagt: Söhne, sage: stöhne," denn Söhne zu erziehen, ist wie Eisen zu verdauen." Ganz anders die Mädchen; sie wachsen nach dem Polen schneller wie der Hanf" und

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Feuilleton.

sind nach dem Litthauer wie Weidenruthen, wo Du sie hinlegst, da wachsen sie." Und wenn auch der Holländer sagt: Ein Haus voll Töchter ist ein Keller voll Sauer­bier," und der Provençale hinzufügt: Viel Töchter find der Ruin des Hauses," so weiß doch der Deutsche: Töchter sind leicht zu erzieh'n, nur schwer zu verheirathen." Kind macht der Mutter immer Müh'," lautet ein alter deutscher Spruch, und fast alle anderen Völker stimmen mit ihm überein. Ebenso aber singt und sagt auch die ganze Erde von jenem Born, der nie versiegt, der ewig fluthenden Mutterliebe. Selbst das häßliche Kind ist in den Augen der Mutter das schönste, flügste und beste. " Jeder Aeffin gefallen ihre Aeffchen" sagt der Bergamaste; die Hindufrau erklärt: Wenn mein Kind schielt, hat des Nachbars Kind Glogaugen." Die Lettin spricht gleicher weise: Mein einbeiniges Kind ist mir lieber, als Dein zweibeiniges," der Finne aber spottet der blinden Mutter­liebe: Willst Du meinen Sprößling sehen, meinen Sohn, den jungen Walfisch? Also rief die Robbenmutter, deren Sohn um eine Spanne größer war, als andere Robben." Auch der Holländer findet: Es giebt nichts Alberneres, als eine Mutter mit ihrem ersten Kinde." Ueberhaupt scheint der Holländer sehr kinderfeindlich zu sein, zürnend ruft er in einem anderen Sprichwort: Kinder zieht Ihr auf? Zieht lieber Spanferkel auf, da habt Ihre alle sechs Wochen Geld," oder:" Wohl Dem, der keine Kinder hat!" denn: Kinder sind ein Segen des Herrn, aber sie reißen die Knöpfe von den Kleidern."" Von alten Leuten und jungen Kindern hat man wenig Dank." Darum:

Kinder, wär't Ihr groß! O Eltern, wär't Ihr todt!" Allerdings sagt auch der Litthauer:" Wer Kinder hat, hat Sorgen," und der Baske fügt hinzu: Wer Kinder hat, ißt die besten Bissen nicht selbst," aber er tröstet doch: Die Kinderlosen sind auch nicht frei von Sorgen." Ja, es ist ein altes Wort: Kleine Kinder, kleine Sorgen, große Kinder, große Sorgen." Aber wenn auch der Italiener seufzt: Kleine Kinder, Stopfweh, große Kinder, Herzweh!" und der Engländer im selben Sinne spricht: ,, Kinder saugen an der Mutter, wenn sie jung sind, und am Vater, wenn sie alt sind," so mag doch Niemand eines seiner Kleinen missen. Ist schon die Erziehung der eigenen Kinder so schwer, daß der Deutsche fragt: Wären Kinder nicht lieb, wer möchte sie ziehn?" so ist es noch schwerer, fremden Vater oder Mutter zu ersezen. Wer ein fremdes Kind erzieht, sammelt Kohlen im Busen," warnt der Andalusier, und auch der Harzer spricht: Wer will leben ohne Pein, der hüte sich vor Stieftindern und Winterschweinen." Das Loos der Waisen ist kein beneidenswerthes. Wer giebt Kringel einer Waisen, wer den Methkrug dem Verlassenen?" fragt der Finne mitleidig; er weiß, daß Jeder sich scheut, den Elternlosen Elternstelle zu ersetzen, daß selbst die zweite Mutter dem Kinde nichts als Unheil bringt. Das Kind der Stiefmutter wird doppelt genährt," höhnt der Pole, und der Nusse weiß: Die rechten Kinder bekommen süß Madeirachen, aber die Stieffinder sauren Kwas." " Der Wittwer findet leicht ein Weib, aber die Waisen nie eine Mutter." Der Afrikaner predigt zwar: Wenn Dein Kind Dein Stieffind betrügt, ist's nicht recht, und wenn Dein Stieffind Dein Kind betrügt, ist's auch nicht recht," im Allgemeinen aber bleibt doch das Wort des Bulgaren bestehen:" Das bucklige eigene Kind gilt vor dem graden Stieffind." dg.

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Die Höhe der Atmosphäre. Die Lufthülle, welche unsere Erde als Atmosphäre umgiebt, ist durch die Schwere an sie gefesselt und nimmt an ihrer Bewegung Theil. Sie erstreckt sich nicht bis in's Grenzenlose und Un­ermeßliche, sondern bildet nur eine zarte Nebelhülle, gleichsam einen feinen, durchsichtigen Schleier, der einem außerhalb der Erde befindlichen Auge die Einzelheiten

auf ihrer Oberfläche etwas entzieht und bei bewölktem Zustande völlig verbirgt. Die Schwere der Luft reicht gerade aus, um der Quecksilbersäule im Barometer das Gleichgewicht zu halten; da nun Quecksilber etwa hundert­tausend Mal so schwer ist, als Luft, so würde daraus folgen, daß die Luftsäule etwa hunderttausend Mal so hoch ist als das Quecksilber im Barometer steht. Es ist das nur wenig mehr als eine Meile. In Wirklichkeit ist sie aber doch beträchtlich höher; denn steigt man auf hohe Berge oder fliegt man im Luftballon auf, so wird die Luft stets dünner und leichter. Es ist das auch ganz erklärlich; die untersten Luftschichten können durch ihr Ge­wicht nicht auf den über ihnen befindlichen lasten, so daß diese weniger zusammengepreßt sein müssen, als die untersten, die das Gewicht der ganzen darüber lagernden Luftsäule tragen müssen. Aus diesem Grunde kann es auch keine scharfe Grenze zwischen der Luft und dem leeren Naumie geben, sondern die Luft wird immer dünner und dünner und verschwindet ganz allmälig. Auf die Frage, wie hoch ist die Atmosphäre, kann man daher auch keine ganz bestimmte Antwort geben, sondern man muß die Frage etwas einschränken, etwa, in welcher Höhe bringt die Atmosphäre keine wahrnehmbaren Wirkungen mehr hervor? Auf einer wohlthätigen Wirkung der Luft beruht die Dämmerung. Wenn die Sonne, die goldene Lichtspenderin, unter den Horizont hinabsinkt, so tritt fein unvermittelter Uebergang vom hellen Tageslicht zur dunkelsten Nacht ein, sondern nur ganz allmälig wird es dunkler, und erst nach einer Stunde etwa sind wir genöthigt, für unsere Verrichtungen zum künstlichen Lichte zu greifen. Dieses Dämmerlicht sendet uns die über unseren Häuptern befindliche Luft zu; je höher man steigt, um so länger erblickt man die Sonne, und die erleuchteten Lufttheilchen senden das empfangene Licht wieder zur Erde. In welcher Höhe befinden sich die äußersten, legten Luft­theilchen, kann man fragen, die noch Licht zur Erde senden? Es ist klar, daß man diese Frage beantworten fann, wenn man beobachtet, wie lange Zeit nach Sonnen­untergang vergeht, bis der letzte Lichtschimmer am west­lichen Himmel der vollen Nacht weicht. Die bürgerliche Dämmerung ist dann allerdings schon lange vorbei, da das schwache Licht für unsere Arbeiten nicht mehr aus= reicht; für den Astronomen aber hört die Dämmerung erst mit dem letzten, schwächsten Lichtschimmer auf. Aus der Dauer derselben, etwa drei Stunden, folgt mit Hülfe einer nicht schwierigen geometrischen Konstruktion, daß die letzten Lufttheilchen, die uns noch Licht zu senden vermögen, etwa elf Meilen hoch sind. Daher kann man wohl sagen, daß in einer Höhe von elf bis zwölf Meilen die Atmosphäre allmälig aufhört. Um ein anschauliches Bild dieser Hülle zu gewinnen, wollen wir uns die Erde in verkleinertem Maßstabe, als einen Globus von einem halben Meter Durchmesser, vorstellen; dann würde die Atmosphäre sich nur einen viertel Millimeter weit er­strecken. Sie bildet also wirklich nur einen zarten Nebel­schleier für die Erde, der sie schüßend umgiebt und zum Beispiel die sonst unerträgliche Gluth der Sonnenstrahlen h. sänftigt und mildert.

Es giebt Leute, die so wenig Herz haben, etwas zu behaupten, daß sie sich nicht zutrauen, zu sagen, es wehe ein falter Wind, so sehr sie ihn auch fühlen mögen, wenn sie nicht vorher gehört haben, daß es andere Leute gesagt haben.

Nachdruck des Juhalts verboten!

Alle für die Redaktion der Neuen Welt" bestimmten Sendungen sind nach Berlin , SW 19, Beuthstraße 2, zu richten.

Berantwortlicher Redakteur: Dscar Kühl in Charlottenburg. - Verlag: Hamburger Buchbruckeret und Verlagsanstalt Auer& Co. in Hamburg . Druck: Mar Bading in Berlin .

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