Die Fene Welt

Nr. 24

( Fortsegung.)

Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

ährend der Mittagspause ging er auf's Vor­werf, zum Inspektor. Der Beamte riß er­staunt die Augen auf, als er den Aufseher zu ungewohnter Zeit bei sich eintreten sah. Als er bernommen hatte, um was es sich handle, gerieth er in maßlose Wuth.

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Was! Ihr wollt Forderungen stellen? Das ist Betrügerei! Was steht im Kontrakte? Ich kann Euch allezusammen entlassen ohne Weiteres! Ueberstunden? Nicht einen Pfennig bezahle ich mehr. Wer morgen früh nicht Punkt vier Uhr auf dem Posten ist, dem ziehe ich drei Mark ab. Rasselbande! Mit Euch wird man wohl noch fertig werden!"

Gustav hörte sich das Schimpfen des erbosten Menschen nicht bis zum Ende an, machte kurz Kehrt und verließ das Zimmer.

Gustav war anfangs im Zweifel gewesen, ob die Forderungen, welche er im Namen seiner Leute gestellt, auch wirklich berechtigt seien; nunmehr war er fest entschlossen, der Ueberhebung des Beamten seinen Trotz entgegenzusetzen. Als er zu den Arbeitern zurückkehrte und ihnen brühwarm berichtete, wie er behandelt worden sei, brach das Gefühl lang verhaltener Erbitterung bei Allen durch. Häschte sprach die Ansicht der Mehrzahl aus, als er erklärte, daß die gebührende Antwort hierauf nur Niederlegen der Arbeit sein könne.

Obgleich Gustav die ihm und seinen Leuten widerfahrene Ungerechtigkeit tief empfand, erschien ihm der Gedanke einer Arbeitseinstellung doch bedenk­lich. Häschke hatte nicht Unrecht, wenn er ihm hohn lachend vorwarf, ihm säße noch die Vorgesezten­angst" vom Militär her in den Gliedern. Der Plan, die Arbeit niederzulegen, kam Gustav ungeheuerlich vor; das grenzte an Desertiren, an Meuterei. Er wollte und konnte so etwas nicht gutheißen.

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Aber Häschke stellte ihm die Sache mit beredtem Munde noch einmal vor: man war in seinem guten Rechte. Der Inspektor war es, welcher den Kontrakt brechen wollte, nicht sie. Wenn sie sich hierin nach­giebig zeigten, würden bald noch andere, ärgere Uebergriffe von Seiten des Arbeitgebers und seiner Beamtenschaft erfolgen. Es handele sich hier nicht blos um die paar Groschen, um deretwillen der Streit entbrannt war, sondern um die Sache. Sie Sie dürften der Ehre halber nicht klein beigeben, denn das könnte aussehen, als hätten sie Furcht. Der Aufseher aber müßte in erster Linie für seine Leute und ihre Rechte eintreten, denn nur in diesem Ver­trauen wären sie ihm hierher gefolgt. Im Stiche dürfe er sie nicht lassen.

Mit solchen, auf Sustav's Ehrgefühl berechneten Gründen tam Häschte zu seinem Ziele.

Im Stiche lassen wolle er sie nimmermehr,

Der Büttnerbauer. W

Roman von Wilhelm von Polenz .

erklärte der Aufseher. Und Ungerechtigkeit würde er nicht dulden.

Hurrah, jetzt machen wir, Striffe'!" rief Häschtekarl.

Er wisse genau, wie dergleichen gemacht werden miisse, behauptete er. Wenn die Arbeiter nur wüßten, was sie wollten und untereinander festhielten, dann fönne es garnicht fehlen, dann müßten schließlich die Aussauger, die Brotherren, klein beigeben. Dann diftire der Arbeitnehmer seine Forderungen. Häschte nannte das mit geheimnißvoller Miene:" Boykott"!

Er hielt eine Art von Ansprache an die Leute, die gespickt war mit hochtrabenden Redensarten aus unverdauten Zeitungsartikeln. Seiner Zuhörerschaft imponirte er mit diesen dunklen Wendungen gewaltig. Je weniger sie verstanden, desto stärker fühlten sie sich überzeugt. Die Mädchen hatte er sowieso auf seiner Seite, denn die waren dem Schwerenöther alle zugethan. Selbst die nüchterne, überlegte Ernestine zeigte sich für den Plan, die Arbeit nieder­zulegen, begeistert.

Das Ende war, daß die Sachsengänger vom Felde abzogen und das bereits gemähte Getreide unaufgestellt liegen ließen. Sie begaben sich in die Kaserne.

Es herrschte jene gehobene Stimmung unter ihnen, wie sie in der Schule nach einem gelungenen Streiche zu folgen pflegt.

Die Männer legten sich in's Gras vor das Haus und zündeten ihre Zigarren an. Die Mädchen hatten sich in ihren Schlafsaal im ersten Stock zu rückgezogen, zu Näh- und Flickarbeit. Bald ertönte Gesang von hellen Frauenstimmen durch die geöff­neten Fenster. Ernestine war die Chorführerin. Nach einiger Zeit antworteten unten vom Rasen her tiefere Töne; Häschtekarl leitete den Männergesang. Und so löste ein Lied das andere ab; die Mädchen stimmten an, die Burschen fielen ein.

Auf einmal erschienen Köpfe von außen an den Fenstern des Schlafsaales. Die Burschen waren es, die mit Hülfe der Dachrinne und eines Simses dahinauf geklettert waren. Die Mädchen stoben schreiend auseinander. Nur Ernestine fand Geistes­gegenwart genug, die Fenster schnell zu schließen und zu verriegeln. Häschte und seine Kumpanen stiegen, nachdem sie genugsam Grimassen geschnitten und sich an dem Schrecken, den sie eingejagt, ge­weidet hatten, wieder zum Erdboden hinab.

Nach dieser Heldenthat legten sie sich von Neuem auf den Rasen, rauchten ihre Pfeifen, die Hände unter dem Kopf, die Beine übereinander geschlagen, und ließen sich von der Sonne bescheinen, deren Strahlen an der falfgetüinchten Wand abprallten. Auf einmal wurden die Faullenzer von wohlgezielten

1898

Wasserstrahlen getroffen. Schreiend und sprudelnd sprangen sie auf und konnten über sich gerade noch die lachenden Mädchen verschwinden sehen.

So gab es noch mancherlei Kurzweil und Schaber­nack an diesem Nachmittage. Man hatte sich nun einmal in ein Unternehmen eingelassen, dessen Aus­gang zweifelhaft war, und in verwegenem Galgen­humor meinte man, daß es auf ein paar Dumm heiten mehr oder weniger nicht ankomme.

Einer war, dem sehr wenig nach Lachen und Scherzen zu Muthe war: Gustav. Das junge Volk hatte nichts zu verlieren; die waren ohne Verant­wortung. Was bedeutete es ihnen, wenn sie brotlos wurden? Aber er, der für Weib und Kind zu denken und zu sorgen hatte!

Gegen Abend ließ der Inspektor sagen, er wünsche mit dem Aufseher zu sprechen. Gustav begab sich hinüber. Häschte legte ihm noch an's Herz, er solle ,, die Ohren steif halten" und auf keinen Fall klein beigeben.

Der Inspektor empfing den Aufseher auf ganz andere Weise, als zu Mittag. Von der hochfahrenden Miene war nichts mehr zu sehen, sein Ton war wesentlich freundlicher, er bot Gustav sogar einen Stuhl an, was noch nie bisher vorgekommen war.

Kein Zweifel, der Ausstand der Wanderarbeiter kam ihm äußerst ungelegen. Man hatte auf den ausgedehnten Besizungen des Herrn Hallstädt noch mehrere Abtheilungen von Sachsengängern in Lohn; wenn nun der Ausstand zu den anderen Gruppen übersprang! Jetzt, wo gerade die Ernte auf dem Felde stand und geborgen sein wollte! Wo sollte er denn jetzt andere Leute herbekommen? Ningsum herrschte Arbeiternoth.

Der Inspektor verlangte von Gustav, er möge noch einmal auseinandersetzen, was die Leute eigent­lich wollten; Mittags habe er es nicht ganz ver­standen.

Der Aufseher wiederholte seine Forderungen. Der Inspektor kragte sich hinter dem Ohr. Wenn's nach ihm gehe, sagte er, würden die Arbeiter Ales bewilligt bekommen, was sie verlangten, aber Herr Hallstädt habe sehr bestimmte Ansichten, und auf eine Bezahlung der Ueberstunden im Tagelohn werde er niemals eingehen.

Gustav meinte, dann könne er ja mal zu Herrn Hallstädt nach Welzleben gehen.

Aber davon wollte der Beamte durchaus nichts wissen. Er rieth dringend davon ab, fa, er warnte davor. Der Aufseher würde damit garnichts er­reichen. Herr Hallstädt sei völlig unzugänglich und habe ein für alle Mal verboten, daß die Arbeiter direkt mit ihm verhandelten.

" Sie sind ja ein vernünftiger Mann, Büttner!"