( Fortsetzung.)
Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
2m nächsten Mittwoch ging er nach dem Klubhause. Der kleine Saal war noch ziemlich leer; er setzte sich an einen der hintersten Tische und wartete. Seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt; erst als schon ziemlich alle Plätze besetzt waren, erschien Frau Grabow. Sie blieb in der Thür stehen und überflog mit einem ihrer raschen Blicke den Saal; als sie ihn erblickt hatte, kam sie direkt auf ihn zu: ,, Wie reizend, daß Sie gekommen find! Sie haben es jedoch wieder schlecht getroffen, wie ich eben höre, spricht Egidy auch heute noch nicht. Hier hab' ich Ihnen übrigens einige seiner neuesten Sachen mitgebracht."
,, Wie liebenswürdig von Ihnen!"
,, Ach, es hat nichts zu sagen. Haben Sie schon wieder neue Erkursionen durch Berlin gemacht?"
,, Wo denken Sie hin! Ich habe gearbeitet." ,,, so fleißig? Was haben Sie denn viel zu thun?"
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, Eine ganze Menge, ich habe augenblicklich eine Reihe literarhistorischer Aufsäße vor."
,, Ach, Sie sind Schriftsteller?"
,, Eigentlich wohl nicht, gnädige Frau, oder noch nicht." Das Schicksal hat mich erst seit ganz kurzer Zeit so gestellt, daß ich meinen literarischen Neigungen folgen darf. Von Beruf war ich Lehrer."
,, Das ist ja riesig interessant! Und darf ich Ihre Arbeiten auch einmal kennen lernen?"
,, Es ist ja noch Alles Anfang, gnädige Frau, nur die Vorbereitung."
,, Aber um so interessanter! Bitte, bitte, lassen Sie mich doch daran Theil nehmen. Ich hab' es mir schon so lange mal gewünscht, einen Schriftsteller in seiner Werkstatt zu belauschen."
Aber herzlich gern, wenn es Sie nicht langweilt, ich weiß nur nicht recht wie..."
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,, Ganz einfach Sie lesen mir vor. Wollen Sie? Vielleicht am Sonntag Abend? Hier haben Sie meine Adresse."
Er sah einen Augenblick gedankenvoll vor sich hin, dann streckte er ihr die Hand entgegen: Ich werde kommen. Wollen Sie mich schon verlassen?"
,, Ja, ich sehe Bekannte, also leben Sie wohl." Er sah ihr nach. Wer war sie? Die Umgebung, in der er sie getroffen, die Achtung, mit der ihr die Anwesenden begegneten, verrieth die Dame; und doch lag in ihrem Wesen etwas Freies, Ungezwungenes. Die ungenirte Art, in der sie ihn zu sich einlud, entsprach den gesellschaftlichen Formen sehr wenig. Ah bah! Wozu grübeln? Jedenfalls bot sie ihm, was sein Herz so sehnlichst verlangte: Aussprache, Theilnahme, Interesse für ihn und seine Bestrebungen. Er fühlte bei der Aussicht, den Sonntag Abend mit ihr zu verplaudern, eine stille Fröh lichkeit.
Ueber all seinen Grübeleien hörte er auf die Vorträge fast garnicht und wurde erst aufmerksam, als sie sich plößlich erhob und nach allen Seiten stumme Grüße ſendend dem Ausgange zuschritt. Ehe sie die Thür öffnete, drehte sie sich noch einmal zu ihm hinüber, ihre Augen begegneten sich. Sie machte eine Bewegung mit der Hand, die unwillfürlich sein konnte, aber auch ebenso deutlich nach einem Wink aussah. Er stußte, wenn das ihm galt, war es nicht weniger als damenhaft. Wieder kam ihm der Gedanke: wer ist sie? Zugleich aber faßte ihn das Verlangen, zu wissen, ob sie wirklich ihn gemeint. Er erhob sich vorsichtig und folgte ihr.
Sie stand noch im Hausflur, emsig bemüht, die Knöpfe ihrer langen Glacés zu schließen. Als er tam, sah sie auf: ,, Sie? Wollen Sie denn auch schon gehen?"
Das flang so ehrlich erstaunt, daß er ihr im Stillen seinen Verdacht abbat und beinahe verlegen wurde: ,, Ja, ich- ich--meine Frau erwartet mich."
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Sie sind verheirathet?"
Er meinte etwas wie Enttäuschung in ihrer Stimme zu hören, aber wenn dem wirklich so war,
Schuldige.
Novelle von Dorothee Goebeler.
hatte sie sich schnell gefaßt; scherzhaft drohend hob sie den Finger: Und dann flagen Sie über Einſamfeit?"
Auf seiner Stirne zog sich eine Falte, mit einem unterdrückten Seufzer sagte er: ,, Es giebt auch eine Einsamkeit zu zweien."
,, Die giebt es, und- ,, Das flingt, als hätten fahren?"
die ist die schwerste." Sie es auch schon er
Sie antwortete nicht; schweigend schritt sie an seiner Seite hin. Erst nach einer ganzen Weile sah sie wieder auf: ,, Ja, die ist die schwerste. Das ist gerade, als wenn zwei Saiten auf ein Instrument gespannt sind, die nicht zusammen passen."
Blos mit dem Unterschied, daß man die Saiten wieder trennen kann, die Seelen, deren Beieinandersein in feine Harmonie ausklingt, jedoch auf Harmonie verzichten müssen."
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,, Müssen Sie das?"
,, Ich wüßte keinen Ausweg."
,, Doch. Harmoniren blos die Saiten einer Geige? Klingen nicht auch die verschiedener zusammen?"
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, Sie meinen, daß die Seele, die daheim nicht Wohllaut findet, nach einer anderen gleichgestimmten suchen darf?"
,, Ja, das meine ich!"
,, Das wäre allerdings ein Ausweg." Er sah vor sich hin, dann blieb er plößlich stehen, und einem fähen Impuls folgend, streckte er ihr seine Hand entgegen: ,, Wollen wir es nicht einmal versuchen?"
,, Was?"
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Seelenkonzert!"
,, Solch ein solch ein- Sie lachte etwas; dann legte sie die feine, schmale Hand in die seine: Glauben Sie denn, daß es einen Wohlflang giebt?"
,, Ich bin dessen sicher, Sie verstehen mich so gut." ,, Also probiren wir's!" Sie stieß ein helles, fröhliches Lachen aus. ,, Jezt hab' ich aber noch eine Bitte: stellen Sie mir Ihre Frau Gemahlin vor." Sein Gesicht verfinsterte sich wieder. ,, Sie sind sehr liebenswürdig, aber meine Frau geht nies mals aus."
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,, Wieso? Ist sie frank?" ,, Sie nicht, aber unser Kind es ist- blödsinnig."
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Armer Freund!" Sie drückte leise seine Hand. ,, Und Sie haben das arme Ding daheim?"
,, Meine Frau fann sich leider nicht von ihm trennen."
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Aber solch ein Kranker ist für das ganze Haus eine Qual."
,, Ja eine Qual!"
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Sie sah ihn prüfend an: ,, Und jetzt müssen Sie mir erst recht Ihre Gattin vorstellen wenn ich recht schön bitte?"
,, Kann ich es Ihnen natürlich nicht abschlagen! Also- wir werden Ihnen Visite machen." „ Mieze!"
" Du bist ja ganz begeistert."
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Du meinst?"... Seine Stimme hatte einen drohenden Klang.
„ Garnichts.
Also morgen Vormittag?" , Ja, wir wollen um elf Uhr aufbrechen; sie wohnt in der Fasanenstraße."
Sie bückte sich tiefer über ihre Häkelei und sagte zu seinem größten Erstaunen:„ Ich werde bereit sein!"
Als sie am anderen Tage zum Ausgehen gerüstet vor ihm stand, zog er ein finsteres Gesicht. " Ist das wirklich Dein Bestes? Das hast Du ja schon voriges Jahr getragen!"
,, Es ist ja noch ganz gut, Paul! Ich habe es kaum dreimal angehabt."
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Du siehst aus, als kämst Du direkt aus Krähwinkel. Ich verstehe nicht, wie eine Frau so wenig Chic haben kann."
In ihre Augen traten bei seinen harten Worten Thränen, sie wäre am liebsten daheim geblieben, aber sie bezwang sich und ging mit.
Frau Hella Grabow empfing sie mit einem Freudenruf.„ D, lieber Besuch! Wie nett, daß Sie wirklich kamen, Frau Seefeld! Wie ich mich freue, Sie kennen zu lernen! Es ist liebenswürdig, daß Sie meinetwegen Ihren kleinen Patienten einmal im Stiche ließen."
Marie sah mit einem hülflosen Lächeln zu Paul hinüber, ste wußte nicht recht, was sie anfangen sollte gegenüber dieser, ihr so plöglich entgegen gebrachten Freundlichkeit; erst als sie in dem kleinen, gemithlichen Salon saßen, sagte sie schüchtern:„ Ja, ich gehe auch wirklich sonst nicht fort." Zugleich fühlte sie, daß sie eine Dummheit gesagt, und ihre Verlegenheit wuchs noch mehr.
Frau Hella half ihr darüber fort.„ Ja, Ihr Gatte erzählte mir schon, daß Sie für nichts Anderes Sinn haben als für den Kleinen, ich verstehe das nicht."
,,, ich bitte, es ist doch mein Kind!"
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Aber Sie müssen doch auch etwas vom Leben haben! Ich hatte sogar die Absicht, Sie einmal, nein, recht oft zu entführen."
O, ich verlange nichts."
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„ Das ist sehr bescheiden!" Frau Hella lachte, etwas mokant sogar. Da hören Sie es, Herr See feld , Ihre Gattin verzichtet auf unsere Gesellschaft. Nun, lassen wir ihr die Befriedigung, eine tüchtige Krankenpflegerin zu sein. Haben Sie übrigens gehört, daß übermorgen Sudermann in der Freien. Literarischen Gesellschaft sein neuestes Werk vortragen wird? Das wäre etwas für Sie. Gehen Sie hin?"
,, Recht gern... aber... wie hineingelangen? Ich bin nicht bekannt dort."
" O, nichts leichter. Ich führe Sie ein. Wir treffen uns vorher bei Buchholz, oder noch besser bei Bauer. Der Vortrag ist in der Sing- Akademie . Angenommen?"
,, Angenommen, und mit Dank sogar." Er schlug
Sie saß am Fenster und häkelte, langsam wandte in ihre Rechte ein. sie den Kopf:„ Was ist denn, Paul."
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„ Ich wollte Dir nur sagen, daß wir morgen bei Frau Baumeister Grabow Besuch machen werden; es ist die Dame, die ich neulich bei Egidy kennen lernte, ich sprach Dir doch schon von ihr?" Sehr viel sogar, aber Er ließ sie nicht ausreden. wieder; sie möchte Dich kennen Du schlössest Dich an sie an, könntest viel von ihr lernen." Sie maß ihn mit einem erstaunt forschenden Blick:„ Wer... wer ist diese Frau?"
,, Wegen Sonntag bleibt es bei unserer Vereinbarung, Herr Seefeld . Um sechs Uhr finden Sie sich bei mir ein mit all ihren Geisteskindern, mögen sie noch so sehr in den Windeln liegen. Werden Sie mir auch das Vergnügen machen, Frau Seefeld?" Marie starrte sie verständnißlos an, Paul fam ihr zu Hülfe. Ich habe meiner Frau noch garnichts von Ihrer Einladung gesagt, Frau Baumeister, ich glaube aber, wir werden auf ihre Gesellschaft verzichten müssen; einen ganzen Abend läßt sie das Kind nicht mit dem Mädchen allein."
„ Ich traf sie gestern zu Hülfe. Ich traf sie gestern lernen. Ich wollte, sie ist reizend, Du
" Ich sage Dir ja, Frau Baumeister Grabow." Aber sonst?... Ich weiß nicht... ehe man Visite macht Du kennst sie ja garnicht."
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Mieze, Du bringst Einen um mit Deiner Schwerfälligkeit! Wir sind doch hier nicht mehr in Poſemuckel, wo Jeder erst Tauf- und Trauschein vorlegen muß. Jedenfalls ist sie eine entzückende Frau."
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„ Das ist schade! Ich glaube indessen auch, Sie würden keine Ruhe haben, Frau Seefeld. Ihr Herr Gemahl will so freundlich sein, mir etwas aus seinen Arbeiten vorzulesen. Verrathen Sie mal ein Bischen... Nicht wahr, sie sind sehr interessant?"
„ Ich.. ich..." Sie konnte nicht weiter sprechen. Ihre Kehle war plößlich wie zugeschniirt, aber ehe noch die beiden Anderen ihre Verlegenheit