Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Sie blieb bis über das Neujahr in Halbenau. Wohnung hatte sie schließlich doch beim Vater ge=

nommen.

Mit jedem Tage, den sie in der Heimath zu­brachte, fiel von dem großstädtischen Wesen, das sie anfangs aufrecht zu erhalten versuchte, etwas mehr ab. Der Puzz war nur oberflächlich aufgeworfen, wollte nicht recht haften bei diesem echten Bauernfinde. Ein paar Tage lang lief fie völlig scheckig umher; halb Bauernmagd, halb Stadtfräulein. Ihr modisches Kleid hoch aufgebunden, daß man die schwarzen Strümpfe sah, war sie im Stalle anzutreffen, saß sie auf dem Meltschemel, die Milchgelte zwischen den Knien.

Dann fand sie in einer Lade auf dem Boden einige ihrer alten Kleider, die dort geblieben waren aus früherer Zeit; die legte sie an. Nun war sie wieder ganz die alte Toni. Höchstens, daß ihre Wangen und Arme noch nicht die ehemalige braun­rothe Färbung angenommen hatten.

Jetzt fühlte sich Toni wieder ganz in ihrem Elemente. Längst war es ihr ein Dorn im Auge gewesen, zu sehen, wie die Kühe bis an die Euter im Miste standen; da mußte mal ordentlich aus­geräumt werden! Eines schönen Vormittags machte sie sich daran, mistete den Stall, karrte den Mist auf die Düngerstätte und streute dem Vieh neu ein.

Des Sonntags ging sie in den Kretscham zum Tanze. Dort war sie mit ihrem Seidenkleide und durch den Nuf des außergewöhnlichen Glückes, das sie gemacht, die gefeiertste und begehrteste Tänzerin. Und Toni war harmlos genug geblieben, sich über diesen Erfolg von Herzen zu freuen.

Ernestine rümpfte die Nase über die Aufführung ihrer Schwester. Auch für Gustav war das Wieder­sehen mit Toni peinlich. Er hatte genug vom Leben kennen gelernt, um zu wissen, daß sich ein Mädchen auf anständige Weise nicht so viel Geld verdient, wie Toni verthat.

Toni selbst begriff nicht, warum die Geschwister ihr so fühl begegneten. Sie hatte erwartet, daß die Ihrigen sie mit Jubel aufnehmen und sich an ihrem Glücke freuen wiirden, und war nun erstaunt, als sie auf zurückhaltung stieß. Aber sie war nicht dazu veranlagt, sich Skrupel zu machen.

Ans Berlin   kam ein Geldbrief an Toni an. Sie lief damit bei den Verwandten umher, zeigte ihnen in naiver Freude, wie ihr Freund sie bedacht habe. Sie beschenkte Theresen für ihre Mühe um das verstorbene Kind und sprach davon, dem Vater etwas zuwenden zu wollen. Kurz, sie gefiel sich der Familie gegenüber in der Rolle einer Gönnerin.

Am Morgen vor Toni's Abreise rief der alte Bauer seinen Sohn Gustav bei Seite; er hatte offenbar etwas auf dem Herzen. Nach einigem Drucksen, wie es seine Art war, fing er an, den Sohn auszuforschen: woher Toni die schönen Kleider habe und wie sie zu so viel Geld käme.

Gustav merkte bald, worauf der Vater hinaus wollte. Er hielt mit seiner Ansicht über Toni's Erwerbsquellen nicht hinter dem Berge.

Der alte Mann griff in die Tasche, holte etwas in Papier   Gewickeltes hervor, pacte es sorgfältig aus; es waren: zwei blanke Goldstücke.

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,, Dos hoat se mer gegahn, de Toni. Iche mog's ne behalen, ich ne! Gieb's Du's er zuricke! Ich mog sickes Gald ne!"

Damit ging er von dannen.

Toni weinte, als Gustav ihr das Geld zurück gab; sie hatte es doch so gut gemeint!

XXIX.

Karl kam neuerdings nur noch nach Haus, um seine Näusche auszuschlafen.

Therese hoffte anfangs, es werde ihr gelingen, ihm im bewußtlosen Zustande das Geld abermals abzunehmen. Aber Karl war durch die früheren Erfahrungen gewißigt. So oft sie auch seine Taschen durchstöberte, sie fand nichts darin. Jedenfalls hielt er das Geld außerhalb des Hauses verborgen.

Wenn der Trunkenbold erwachte, schwankte er zwischen Stumpfsinn und Tobsucht hin und her.

Sobald er seinen Anfall bekam, mußte Therese die Kinder vor ihm verbergen, für deren Leben sie zitterte.

Im Kretscham zu Halbenau war Karl jeßt ein häufiger Gast. Richard Kaschel, sein Vetter, war neuerdings Karl's Vertrauter geworden.

Richard übertraf seinen Vater wohl noch an boshafter Verschlagenheit. Den Büttners den Garaus zu machen, das war, ohne daß sie sich dazu ver abredet hätten, die geheime Wollust dieser Beiden.

Der alte Kaschel hatte, obgleich er eine Büttner geheirathet, ja, obgleich er seinen Wohlstand Bittner­schem Gelde verdankte, doch immer einen tiefein­gewurzelten Haß gegen diese Familie gehegt. In seiner guten Zeit war Traugott Büttner dem Schwager durch jene Kraft und Würde überlegen gewesen, die den ehrlichen Mann vor dem Nänkeschmied auszeichnet.

Inzwischen war der ehemalige Büttnerbauer ruinirt worden. Nur noch eine Frage der Zeit schien es, wann der Erbe des größten Bauerngutes im Orte der Armenversorgung anheimfallen werde. An ihm noch sein Müthchen zu fühlen, war unmöglich. Ihm konnte ja nichts mehr genommen werden; er war von Allem entblößt, was einem Menschen Ansehen und Bedeutung verleiht auf der Welt.

Aber auch das gute Gedeihen der Büttner'schen Kinder war stets ein Stachel in der Seele des Kretschamwirths gewesen. Er haßte vor Allem Gustav. Der Mensch schien sich, allem Unglück zum Troze, das seine Familie betroffen, wacker durch die Welt zu schlagen.

Gustav bildete auch den Gegenstand stummer Wuth für Richard Kaschel. Die Prügel, die er einstmals von dem Vetter erhalten, waren unver­gessen.

Aber an Gustav fonnte man nicht heran; der verkehrte nicht im Kretscham. Auch von Ernestine bekam man nicht viel zu sehen; es hieß, sie habe einen Bräutigam in der Fremde und werde bald heirathen. Toni war wieder nach Berlin   zurück­gekehrt, nachdem sie den Ort durch ihr Auftreten in Aufregung versezt hatte.

Nun blieb noch Karl. Der schien allerdings die schiefe Ebene ganz von selbst hinabzugleiten. An den reißenden Fortschritten, die Karl's Verlotterung machte, hatte das edle Paar: Vater und Sohn Kaschel, seine helle Frende.

Richard Kaschel hatte außerdem noch einen be= sonderen Grund, sich für Karl zu interessiren.

In Halbenau wurde trotz der Armuth seiner Bewohner viel und verhältnißmäßig hoch gespielt. Ein nach dem Hofe hinaus gelegenes Hinterzimmer im Kretscham bot willkommene Gelegenheit zu jeder Art lichtscheuem Treiben. Dort flogen die bunten Blätter oft ganze Nächte hindurch. Es war be. fannt, daß ein Halbenauer Bauer dort Haus und Hof und alles Hab und Gut im Laufe weniger Jahre verspielt hatte.

Richard Kaschel gehörte zu der Spielerzunft. Der Vater wußte um das Treiben des Sohnes Bescheid. Er hatte versucht, ihn abzuhalten vom Spiel. Aber das Bürschchen, das dem Alten längst über den Kopf gewachsen war, hatte geantwortet: der Vater habe ja seine Kümmelpulle; da möge er ihm gefälligst die Starten lassen.

Eines Abends, als Karl in den Kretscham kam, setzte sich Richard wie gewöhnlich zu dem Vetter an den Tisch. Nachdem Karl sein zweites Fläschchen Korn geleert, fragte ihn Richard, ob er Lust habe, ein Viertel Schwein zu gewinnen.

Karl begriff zunächst nicht, was Jener damit meine. Der Vetter erklärte ihm, im Hinterzimmer fäßen zwei fremde Herren, die Lust hätten, ein Spielchen zu machen. Der eine habe eine Gans mitgebracht, der andere ein Paar Magenwürste, er selbst, Richard, wolle ein Viertel von dem eben ge= schlachteten Schweine sezen; es fehle ihnen aber der vierte Mann. Wenn Karl nichts anderes bei sich habe, könne er auch Geld setzen, die Herren würden das schon erlauben. das schon erlauben. Dann schilderte er die Herr lichkeiten, die man gewinnen könne, ließ Speckseiten und Würste vor den Sinnen des bereits Halb­berauschten aufmarschiren.

Start hatte beim Militär hin und wieder Karten in Händen gehabt, seitdem nicht mehr. Aber Richard

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versprach zu helfen; sie Zwei wollten die beiden Anderen tüchtig ausnehmen, raunte er dem Better in's Ohr.

Der Gedanke an den fetten Einsaß erschien vers lockend. Karl taumelte in's Hinterzimmer. Die beiden Fremden saßen bereits da. Ueber dem ganzen Zimmer, das von einer Hängelampe beleuchtet wurde, schwebte es wie bläulicher Dunst.

Karl wußte, daß er betrunken sei. Aber er befand sich in jenem Stadium des Rausches, wo Alles selbstverständlich erscheint, wo alle Bedenken leicht wie Rauch verfliegen. Du wirst diesen Kerlen mal zeigen! Du wirst ihnen mal zeigen..." dachte er bei sich.

Dann saß er am Tisch, die Faust voll Karten; das war der Schellenkönig und das die rothe Zehne! - O, er fannte sie noch ganz genau, die Karten, wußte auch ihren Namen!

Ihm gegenüber der Fremde hatte einen schwarzen Bart, in den sich auf der einen Gesichtsseite ein dunkelrothes Muttermal verlief. Karl wurde ganz zerstreut durch dieses Anzeichen; er mußte unaus­gesezt darauf starren.

,, Karle, Du bist am Ausspielen!" mahnte der Vetter.

"

, Gegen solche Karten ist nicht aufzukommen," sagte der andere Fremde, ein kleiner bartloser Mann, dessen Kopf wie mit Mehlstaub bestreut erschien. Das ist also ein Müller!" dachte Karl. Aber als der Mann seinen Kopf in's Licht vorbeugte, sah man, daß sein Haar von Natur so grau sei.

,, Herr Büttner hat die Partie gewonnen," hieß es. Richard zeigte eine Magenwurst vor, die hatte Karl gewonnen. Der lachte vor Vergnügen über das ganze Gesicht. Er hatte es ja gleich gesagt, daß er die Kerle' reinlegen würde.

,, Jezt woll'n mer um de Knöppe spielen!" rief Richard.

Der mit dem Muttermale griff in die Tasche und legte eine Hand voll Silber auf den Tisch. Ein Gleiches that der Graukopf. Ich bin auch versehen," erklärte Richard Kaschel und klopfte prozig auf seine Tasche.

Karl brachte das Ledertäschchen mit dem Stahl­bügel hervor. Er lächelte verächtlich. Jetzt sollten die Fremden mal sehen, was er für ein Kerl war! Mit ungeschickten Fingern holte er die einzelnen Gold­stücke heraus. Es waren noch fünfzig Mark; das Uebrige war vergeudet.

"

Noch' nen Nordhäuser vorher!" sagte Richard, " den gebe ich." Er holte aus dem Wandschranke eine Flasche hervor, schenkte die Gläser voll und stellte die Flasche auf den Tisch.

Das Spiel begann von Neuem. Der gudt durch a Astloch!" sagte Jemand. Karl lachte über die Bemerkung, weil er die Anderen lachen sah. Diesmal hatte er verloren.

,, Immer gleich bezahlen! Da giebt's nich lange Qualen!" meinte der Gewinner. Fünf Mark hieß es, habe Karl auszuzahlen. Richard wechselte ihm ein Goldstück gegen Silbergeld ein.

( Fortsetzung folgt.)

Nomadenleben in der Kirgisensleppe.

Von Heinrich Cunow  .

ie so manche andere Völker haben auch die Bewohner des westsibirischen Steppen­rayons im letzten halben Jahrhundert Manches von ihren alten Sitten aufgegeben, theils gezwungen durch die neuen Lebensbedingungen, welche die russische Kolonisation für sie mit sich brachte, theils in Nachahmung der bei den russischen An­siedlern beobachteten Gebräuche; und dieses Ein­dringen europäischer Sitten wird zweifellos noch weit schneller vor sich gehen, wenn erst die transsibirische Bahn vollendet und durch die projektirte Linie über Petropawlowst, Atbasur- Taschkent mit der trans­kaspischen Bahn verbunden ist. Ueber die weiten Ebenen, wo heute noch der Kirgise seine Heerde  weidet, wird dann, ebenso wie über die nordamerika­