Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Ja, war denn das wirklich der Büttnerbauer! Oder war es sein Geist? Die bleichen Wangen, nicht mehr vom Bart versteckt, zeigten jezt erst ihre ganze hohle Magerkeit.
Er erwiderte keinen der vielen Morgengrüße, die ihm von allen Seiten geboten wurden. Sein Gang war langsam, aber fest, die Blicke hielt er starr geradeaus gerichtet.
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Mau steckte die Köpfe zusammen.„ Saht ack! Er war eine Büttnertraugott gieht beichten!". ungewohnte Erscheinung geworden in der Kirchfahrt. Beim Hauptgottesdienste, der der Kommunion folgt, nahm Büttner seinen altgewohnten Kirchenplaz ein. Vieler Augen waren auf ihn gerichtet; es war, als ob nach langem Krantenlager Giner wiederum unter Menschen geht. Selbst der Geist liche schien unter dem Eindrucke zu stehen, daß heute ein besonderer Gast in ihrer Mitte weile; er sprach einige Male mit Betonung nach jener Nichtung hin, wo der alte Mann saß.
Der hörte der Predigt vom ersten bis zum letzten Worte mit Aufmerksamkeit zu. Beim Schlusse des Gottesdienstes opferte er seinen Groschen, wie er es von jeher gethan, so oft er das Abendmahl genossen.
Man wollte ihn anreden, als er aus der Kirche trat. Alte Freunde drängten sich an ihn heran. „ Nu, Traugott!" hieß es:„ wo hast denn Du su lange gestackt?"
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Er schien für die Frager keine Zeit zu haben. Mit eigenartig ernſtem Blicke sah er die Leute an, schittelte den Kopf, wandte sich und ging. Mancher, der jetzt kaum darauf geachtet, sollte sich später daran erinnern. Grade als ob' r D'ch durch und durch buhren wullte; und duch als ob' r ganz wu andersch hin säte," schilderte ein Zeuge nachmals diesen Blick. Dann sei er auf einmal verschwunden aus der Menge der Kirchgänger; Keiner wollte wissen, wie das ge= schehen.
Traugott Bittner schritt auf seinen ehemaligen Hof zu. Heute war das Haus menschenleer; des Feiertags wegen arbeiteten die Handwerker nicht.
Er ging in die Kammer, legte die Feiertagsfleidung ab und zog die Werkeltagskleider wieder an. Dann legte er die guten Sachen sorgfältig zusammengefaltet auf einen Stuhl, das Gesangbuch zu oberst auf das Bündel.
Nachdem er das besorgt, begab er sich in den Stall. Er steckte den Kühen Futter auf, reichlich, fiir zwei Mahlzeiten. Den Schweinen schüttete er Trebern vor und goß einen Rest von Milch darüber, zu einer rechten Feiertagsmahlzeit. Darauf sah er sich noch einmal um, wie um sich zu überzeugen, daß Alles beschickt und in Ordnung sei. Dann machte er die Thür hinter sich zu und schritt zum Hofe hinaus, auf dem Wege hin, der nach dem Walde führt.
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Nach einer Weile machte er Halt, wandte sich um. Hatte er etwas vergessen? Er wollte nur das Dach noch einmal sehen, unter dem er Zeit seines Lebens gehaust hatte. Dort ragte der freund liche Giebel über die Scheune hinweg.
Der alte Mann hielt die Hand über die Augen, um sie vor den blendenden Strahlen der Frühjahrssonne zu schützen. Er stand da eine Zeit lang, be= trachtete Alles noch einmal ganz genau; das würde er nicht wieder sehen!
Dort auf den Scheunenfirsten war schon wieder mal das Stroh lose geworden; es sträubte sich wie unordentliches Haar nach allen Richtungen. Daß er das garnicht bemerkt hatte bisher!- Nun, der Neue würde das schon in Ordnung bringen!
Ihn fröstelte auf einmal.
Warum stand er denn hier eigentlich? Was wollte er denn?- Ja, richtig! Nur schnell! Je Ja, richtig! Nur schnell! Je eher, je besser! Wozu hier noch stehen und gaffen? Das nüßte ja doch nichts! Aber das Strohdach... Er hätte garnicht gedacht, daß der Wind so stark gewesen wäre neulich!- Er war selten hier heraus gekommen in der letzten Zeit, weil ihn die Ziegelei ärgerte. Ach, diese Ziegelei! Das ganze Gut war schimpfirt. Dort blickte die Esse vor; er mochte garnicht hinblicken!
In weitem Bogen umging er das Bauwerk; bis er hinter der Ziegelei wieder auf den Hauptweg des Gutes tam.
Wie viel tausend und abertausendmal in seinem Leben war er diesen Weg hinausgeschritten! Zu allen Jahreszeiten, ledig und mit Bürde, allein, oder in Gesellschaft der Frau, der Kinder, mit den Gespannen. Vom Büttner'schen Hofe kam der Weg, führte durch Büttner'sche Felder und Wiesen, lief in den Bittner'schen Wald aus. Eine halbe Stunde und mehr konnte der Bauer geradeaus schreiten, ohne von seinem Grund und Boden herunter zu kommen.
Hier war er umgeben von den Zeugen seines Lebens und Wirkens. Jener flobige Steinblock er= innerte ihn an die tagelange schwere Arbeit, mittelst der er ihn aus dem Acker gehoben. An dieser Ecke war er in früher Jugend bewahrt worden vor Unfall, wie durch ein Wunder: die Pferde waren schen geworden, hatten den Knaben geschleift, als der Vater desselben Weges kam, sich den Thieren entgegenwarf und so des Kindes Leben rettete. Dort jenen wilden Rosenstrauch hatte er stehen lassen, während rings alles Gebüsch gerodet wurde, der Hagebutten wegen, aus denen die Bäuerin ein schmackhaftes Mus zu bereiten verstand. Hier hatte jeder Fußbreit Landes Bedeutung für ihn, jedes Hälmchen erzählte ihm eine Geschichte.
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Jezt verließ er den Hauptweg, schlug einen schmalen Gang zwischen zwei Feldern ein. Dabei stieß er auf einen frisch gesezten Grenzstein. Das war die neue Eintheilung! Alles hatten sie ihm durcheinander geworfen: die Grenzen, die Schläge, die Fruchtfolge.
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Da war ein Stück mit griner Saat. Hafer konnte das nicht sein. Ja, zum Teufel, was war denn das?- Der Bauer blieb stehen, bückte sich, betrachte sich die Hälmchen genau. Das war ja Gerste! Gerste! War der Mann verrückt, hier Gerste zu bauen, auf diesem nassen Zipfel! Der würde sich mal wundern im Herbst, was er hiervon ernten mochte! Er mußte doch seinen Acker kennen. Hier gerade war undurchlässiger Thonboden, und immer Nässe. Da wollte solch ein Esel Gerste bauen! Der Alte lachte grimmig in sich hinein. Aber er hatte ja noch was vor heute. Richtig! Ein kleiner Schauer lief ihm den Rücken hinab. Nur die Furcht nicht Herr werden lassen! Die Sache war schnell vorüber, wenn man's richtig anfing. Er überzeugte sich durch einen Griff in die Brusttasche, daß das, was er brauchte, auch da sei.
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Was sie wohl sagen würden, wenn sie ihn erst Was seine Peiniger gefunden haben würden! da sagen würden! Kaschelernst, der Hund! Dort lag sein Feld. Sein Korn schien gut zu stehen heuer. Wie er ihm im vorigen Jahre die Saat umgestürzt hatte, das war doch mal ein gelungener Streich gewesen! Der Schimmer eines Lächelns flog über die verbissenen Ziige des alten Mannes.
Jeßt mußte er Halt machen; er war zu schnell gegangen. Nur Ruhe! Er kam noch zeitig genug! Er warf einen Blick auf das Dorf, das man von hier aus in seiner ganzen Länge übersehen konnte bis zur Kirche hinab. Eben begannen sie dort zu läuten; es war wohl zum zweiten Gottesdienste. Bittner nahm unwillkürlich die Müße vom Kopfe, faltete die Hände, betete ein Vaterunser. Dann seufzte er tief und wandte sich wieder zum Gehen.
Ob sie ihm wohl ein christliches Begräbniß ge= statten würden?
Daß er als Christ gestorben und nicht wie ein Heidenmensch, das mußten sie doch einsehen! Die ganze Gemeinde und der Pastor hatten ihn ja in der Kirche und am Altar gesehen. Das mußte Das mußte doch gelten.
Es war ja am Ende nicht recht in den Augen der Menschen, was er that, und eine Sünde vor Gott dem Herrn war es auch. Aber konnte er denn anders? Tausendmal hatte er's erwogen. Wie viel schlaflose Nächte waren darüber hingegangen seit jener, wo ihm der Gedanke zum ersten Male gekommen! Es war damals gewesen, als seine Frau unbeerdigt im Hause lag. Er selbst hatte die Todte gewaschen und angekleidet. Still hatte sie dagelegen und zufrieden, im Leichenhemde. Da war ihm beim Anblicke des friedlichen Angesichts seiner Lebens gefährtin zum ersten Male der Gedanke gekommen, wie viel besser es doch die Todten hätten, als die
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Lebenden. Garnicht schrecklich war der Tod; er hatte etwas so Natürliches und Gutes. Seitdem ließ ihn die geheime Sehnsucht nach der Ruhe nicht wieder los.
Anfangs hatte ihm oft gegraust bei dem Gedanken, wie doch ein solches Ende wider Natur und Sitte sei. Er scheute vor der Ausführung zurück. Allmälig aber hatte er sich an die Vorstellung des Grauenhaften so gewöhnt, daß seine Pulse kaum schneller gingen, so oft er daran dachte.
Es gab ja teinen anderen Weg! Sie hatten ihm Alles zerstört, was den Menschen an's Leben fesselt. Nichtig hinausgedrängt war er worden aus seinem Hause, aus seinem Besiz, aus allen seinen Rechten. Den Boden hatten sie ihm unter den Füßen weggerissen. Wenn sie's gefonnt hätten, sie hätten ihm gewiß auch Licht und Luft genommen.
Ein Bettler war er. Aber in's Armenhaus sollten sie ihn doch nicht bekommen. Die Freude wollte er ihnen nicht machen, den ehemaligen Büttnerbauer im Armenhause zu sehen. Nun wiirde er's ihnen gerade mal zeigen, daß er seinen Kopf für sich hatte. Mit guten Lehren und Rathschlägen waren sie immer schnell bei der Hand gewesen, aber ihn zu retten, hatte keiner den Finger gerührt. Er verachtete sie Alle, die ganze Sippe! Daß er num endlich keine Gesichter mehr zu sehen brauchte, war ihm ein langersehntes Glück. Sie ließen Einen ja doch nicht in Frieden, wie tief man sich auch verkroch, sie kamen Einem nach, überall hin, die geschwäßige neugierige Art. Man mußte schon ganz aus der Welt gehen, um Ruhe zu haben. Und nach seinem Tode würden sie wahrscheinlich erst recht flug reden. Das hätte er nicht thun sollen, würden sie sagen. Ein großes Gezeter würden sie anheben. Er kannte sie ja, wie sie waren, taltherzig und gleichgültig, so lange Einer zappelt, und dann, wenn ihm der Athem ansgegangen, wenn er verröchelt war, dann kamen sie herbeigelaufen, umſtanden das Opfer mit Thränen und Seufzern und Redensarten.
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Aber das sollte ihn nicht bekümmern, das hörte er ja Alles nicht mehr! Er that, was er für recht hielt. Hier durfte ihm Keiner mehr was' rein reden. Mit sich selber konnte man anfangen, was man wollte. Wer Einem nichts gab, hatte Einem auch nichts zu befehlen!
Jezt war er seinem Ziele schon ganz nahe. Dort am äußersten Feldrande stand der Baum; ein wilder Kirschbaum, schlank gewachsen. Ein Haufen Steine, aus dem Felde zusammen gelesen, lag darunter. Die Krone stand in voller Blüthenpracht, leuchtete weithin, wie eine weiße Haube. Dahinter lag das Büschelgewende.
Der Alte machte Halt. Was war denn hier vorgegangen? Erdhäufchen an Erdhäufchen, in langen schnurgerade ausgerichteten Reihen! Und die grünen Quirle, die aus den Haufen hervorlugten: junge Fichtenpflanzen!
Hatten sie ihm das Biischelgewende also doch zugepflanzt! Wie viele Tage und Stunden miihevoller Arbeit, mit Pflug und Egge, steckten in dem Boden! Und diese Arbeit war für nichts und wieder nichts gewesen. Was er im Laufe eines Lebens der Wildniß entrissen, hatte die gräfliche Forstverwaltung in wenigen Tagen zupflanzen lassen.
Also auch dieses Zeugniß seines Schaffens war vernichtet; so hatten sie ihm denn alle Maschen seines Lebenswertes aufgelöst.
Er stand und starrte die grünen Spizen der Fichtenpflänzchen an. Fichtenpflänzchen an. Eine dumpfe Wuth stieg in ihm auf.
Da fiel ihm noch zur rechten Zeit ein, wie sinnlos sein Aerger sei; er brauchte sich ja nicht mehr zu ärgern. Nichts auf der Welt ging ihn mehr was an, wie er keinen mehr was anging.
Noch einmal empfand er die ganze Wonne des wirklich Einsamen, den Stolz, die Verachtung des Bedürfnißlosen, der im Begriffe ist, das letzte abgetragene Gewand von sich zu werfen.
Er war mit hastigen Schritten an sein Ziel gelangt. Hier stand der Kirschbaum mit dunklem, glänzendem, wie polirtem Schafte, bis in's kleinste Aestchen von zierlichen Blüthenkelchen bedeckt. Die ersten Bienen schwärmten bereits in der Krone.