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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
und er mochte den Baum noch so heftig schütteln, der Delinquent rithrte sich nicht.
„ Du leistest also der Behörde Widerstand, Du Hallunke? Holla, Ihr da, bringt mir doch einmal eine Art, aber fir!"
Dieser Aufforderung, die er mit Donnerstimme ausgestoßen, gehorchten zwei Sträflinge. Seurrot ergriff wüthend die Art, und ohne sich darum zu fümmern, daß er einen Waldfrevel beging, griff er die Esche bei der Wurzel an. Bei den ersten Schlägen, die er führte, zitterte der Baum von der Wurzel bis zum Wipfel." Herzkirsche" blieb unbeweglich. Die Artschläge folgten immer schneller aufeinander, die Rinde flog nur so herum, der Schweiß stand dem Oberaufseher auf der Stirn. Die beiden jungen Sträflinge, die dieses Schauspiel im höchsten Grade belustigte, folgten mit großem Interesse den Verwüstungen, die die Art im Holze des Baumes anrichtete. Man hörte ein plößliches Krachen. Jetzt ließ sich„ Herzkirsche", der jedenfalls glaubte, daß es flug sei, von zwei Uebeln das schlimmere zu vermeiden, zwischen die Zweige gleiten, um wie ein Packet auf den Erdboden zu fallen, der zum Glück mit weichem Moose wie gepolstert war.
Schuft! ich werde Dich lehren, mich zu foppen!" brüllte Seurrot und packte ihn beim Arm. Er war Polizist gewesen, und seine Finger drückten wie Daumschrauben. Gleichzeitig versetzte er mit der anderen Hand dem Jungen Püffe in die Lenden.
Sommernacht."
An ferne Berge schlug die Donnerkeulen Ein rasch verrauschtes Nachmittaggewitter. Die Bauern zogen heim auf müden Häulen, nd fingend kehrten Winzervolk und Schnitter. Auf allen Dächern qualmten blaue Säulen Genügsam himmelan, ein luffig Sitter. Nun ist es Nacht, es geistern schon die Eulen, Einfam aus einer Haube klingt die Hither.
Erntezeit. Der Weizen ist reif, überreif. Noch ein oder zwei Tage, und die Körner lösen sich aus den Aehren, und ein guter Theil des Ertrages ist dahin. Man hätte schon in der vorigen Woche an das Stück heran sollen, die paar grünen Halme wären in der Mandel" nachgereift, aber die Witterung hatte es nicht erlaubt. Regen und immer wieder Regen und nur ganz selten und vorübergehend etwas Sonne. Als dann das Wetter schön geworden, hatte man sich zuerst über die Außenschläge machen müssen; das knapp am Hofe liegende Weizenstück hatte man sich als Lettes aufbehalten. Es war ja nicht groß, und bis zur Scheuer nur ein Kazensprung. Aber jetzt war auch wirklich die höchste Zeit. Schon am Abend hatte das Barometer wieder zu sinken begonnen, am frühen Morgen schoffen die Schwalben glatt meg über die Oberfläche des Teiches, und kaum war die Sonne heraus, so stachen die Bremsen, daß man sich ihrer kaum erwehren konnte. Da mußte heraus, was Hände hatte, um den Erntesegen zu bergen. Und mit den Schnittern zugleich kam diesmal der Erntewagen, um das in Garben gebundene Getreide aufzunehmen und sofort heimzuführen.
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Unser Bild zeigt die Schnitter in voller Thätigkeit. Im Vordergrunde der Großknecht. Er haut" mit dem Gerüft". So nennt man das Holzgestell mit den zwei, drei Holzspießen, die parallel zur Sense angebracht sind. Das„ Gerüft" ermöglicht es dem Schnitter, die abgeschnittenen Halmie aus freier Hand zu einem Schwaden aufzuwerfen und erspart somit die Aufnehmerin". Beim Roggen ist das Gerüst" nicht zu verwenden; die zu langen Halme würden sich in den Holzstäben verfangen und schon auf dem Felde Wirrstroh geben. Der im Hintergrunde hantirende Knecht und die drei Frauen arbeiten nicht mit der Sense, sie schneiden mit der Sichel. Diese Art des Getreideschnittes trifft man besonders in gebirgigen Gegenden, auf steinigen Hängen. Die Stoppeln werden ungleich und höher als beim Sensenschnitt. Vor den Pferden des Erntewagens steht der junge Befizer des Hofes und sieht zu, wie eine junge Magd mit kräftiger Hand das Strohband um eine Garbe knotet. Weiter
" Du rauchst also heimlich?" fuhr der Aufseher fort und begleitete jedes Wort mit einem Stoß. Dabei wühlte er dem Sträfling die Taschen durch und entdeckte die Zigarretten. Wo hast Du das Geld gestohlen, um Dir das zu kaufen?"
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Man hat es mir geschenkt!" protestirte„ Herztirsche".
,, Ruhe!... An die Arbeit, Du Galeerenbrut!... Wir werden die Sache morgen beim Rapport aufklären, wenn der Herr Direktor zurückkommt... Inzwischen wirst Du heute als Abendessen trockenes Brot bekommen!"
Der Nachmittag verging recht traurig für Herzkirsche". Als er sich Abends um neun Uhr in seiner Hängematte ausstrecken konnte, war ihm der Magen leer und die Finger vom Graben steif. Da fing er an, über das Elend dieses Tages und die Möglichkeiten des nächsten nachzudenken. Noch war nicht lichkeiten des nächsten nachzudenken. Noch war nicht Alles vorüber. Der Direktor mußte im Laufe des Vormittags eintreffen. Der war noch unerbittlicher als die Aufseher." Herzkirsche" kannte die Manier, mit der dieser schreckliche Beamte die geringsten Verlegungen der Disziplin bestrafte, aus Erfahrung.
" Nein," dachte er, sich in seiner Hängematte zusammenkauernd, ich habe genug und werde seine Rückkehr nicht abwarten."
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Gedanken an Flucht schwirrten ihm von Neuem durch den Kopf. Der für die Sträflinge zum Schlafsaal eingerichtete Raum war schlecht verschlossen; die
Feuilleton.
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rückwärts sind bereits Garben zu Puppen" zusammengestellt.
Der Befizer mag sich der reichen Ernte freuen. Für die Arbeiter bringt die Ernte Tage der härtesten Anstrengung. Mit der Sonne müssen sie hinaus, die Dämmerung beendet ihr Tagewerk. Unter den Strahlen der Juli- und August- Sonne wird die Haut der Hände, Arme und des Nackens trocken wie Papier , braunroth, Blasen springen auf, die Haut löst sich in langen Streifen. Wer nie eine Spießgabel in der Hand gehabt, weiß nicht, wie so eine Gerstenähre zwischen Hemd und Haut fragen fann. Die furze Nachtruhe bringt keine Stärkung, wie zerschlagen, wie hölzern ist man am Morgen, es ist, als müßte man immer wieder das Gehen lernen.
Unser Bild zeigt im Hintergrunde einen Bauernhof. Auf einer mäßigen Höhe liegt er, im Schatten der Bäume. Hunderte solche Höfe giebt es noch, besonders in Süd deutschland . Zur Zeit der Baumblüthe sehen sie aus wie große, weiße Kugeln. Rings um den Hof liegen die ,, Gemein- Freie" saßen einst auf Felder und Wiesen. diesen Höfen. Jahrhunderte hindurch mußten fie fich stemmen gegen die Naffgier des Adels, der Klöster und Fürsten . Heute hat sich der Troß dieser Freibauern ge= wandelt. In schnarrendem Kommandoton fahren sie ihre Leute an, um jeden Pfennig Lohn handeln sie; sie zählen jedes Knödel den Dienstboten in den Mund, verkaufen das letzte Pfund Butter und wollen die Arbeiter mit Margarine abspeisen. Aber was ihnen so ein ostelbischer Junker vormacht, das glauben fie.
Die gerade Linie. In einer früheren Nummer brachten wir die Ausführungen des Münchener Künstlers Wollten August Endell über Formenschönheit. wir die Schönheit der Formen verstehen, so müßten wir fie in jeder Einzelheit miterleben. Neuerdings setzt nun Endell seine Beobachtungen in der„ dekorativen Kunst" fort und führt sie an einem einzelnen Beispiel, der geraden Linie, durch. Da fie mancherlei Anregung bieten, setzen wir sie im Auszuge hierher: Die gerade Linie ist nicht nur mathematisch, sondern auch aesthetisch vor allen anderen Linien ausgezeichnet. Denn verfolgen wir eine gerade, etwa eine senkrechte, mit dem Auge, so behält diese immer dieselbe Richtung in unserem Gesichtsfeld. Eine krumme Linie dagegen, etwa die eines freisförmigen Thorbogens, ändert ihre Richtung fortwährend. Während wir also beim Durchlaufen von krummen Linien immer ein neues aufzufassen haben, bietet die gerade fortwährend dasselbe Bild. Es wird somit die Wahrnehmung sich rascher vollziehen, und zwar um so rascher, je länger die gerade sich dehnt. Denn jeder neue Moment giebt ja nur der Art nach schon Bekanntes. Es wird aber ganz allgemein das Bekanntere auch rascher aufgefaßt und macht auch rascher Anderem Plaz. Jede rasche Thätigkeit erfüllt uns mit einem bestimmten Gefühl, das wir einstweilen das Gefühl des Naschen nennen wollen. Die gerade Linie erweckt dieses Gefühl in uns. Die Breite der realen geraden Linie übt eine verlang= samende Wirkung aus. Denn eine breite gerade Linie erfordert mehr Auffassungszeit als eine schmale, weil sie
Wärter hatten einen festen Schlaf. Gegen Mitternacht konnte man vielleicht hinauskommen, eine Mauer erklettern und das Gehölz erreichen. In jedem Falle fonnte man die Sache einmal versuchen.
Die Nacht war vollends hereingebrochen; er hörte einen der Wärter seine Runde machen, sich dann entkleiden und dumpf auf sein Lager werfen." Bald erfüllte Schnarchen den ganzen Schlafsaal. Behend wie eine Kaze verließ Herzkirsche" ſeine Hängematte und zog seine Hose und Jacke an. Seine Holzschuhe, die mit einem Bindfaden zusammengebunden waren, hängte er sich um den Hals. Dann schlich er mit nackten Füßen, den Athem zuriickhaltend, bis zu einem Fenster, das man offen ge= lassen hatte, um den im ersten Stock gelegenen Saal etwas zu liften. Als er auf das Fenstergesims geklettert war, steckte er seinen Kopf hinaus. Unten unterschied er im Halbdunkel der Juninacht Gemüsebeete.
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Der Boden, der frisch begossen war, mußte weich sein. Die Hände an dem Sims festhaltend, wagte Herzkirsche" den Sprung. Er fiel auf Kohlköpfe, die seinen Fall milderten. Er stand auf, betastete sich und spizte die Ohren; kein Geräusch, außer dem hellen Rieseln der Aube, die durch den Garten floß. Nun ging er den Fluß entlang bis zu der kleinen Bucht, durch die die Aube den Park verließ. Dann sprang er muthig in's Wasser: es reichte ihm nur bis zu den Knieen. So folgte er der Strömung und gewann mit ihr das freie Feld. ( Fortsetzung folgt.)
mehr Empfindungselemente enthält. Die gerade Linie erscheint also um so rascher, je schmaler, um so langsamer, je breiter sie ist.
Ganz anderer Natur ist die Wirkung der Richtung. Die senkrecht fallende gerade Linie, d. h. die gerade, die wir von oben nach unten durchlaufen, hat den Charakter des Leichten und Mühelosen, die horizontale etwas ruhig Kräftiges, die sentrecht ansteigende giebt das Gefühl starker Anspannung. Die schrägen Lagen, schräg abwärts und schräg aufwärts, bieten die dazwischen liegenden Nuancen, sodaß wir eine stetige Reihe von Charaktern haben, vom Gefühl der geringsten Anstrengung zu dem der stärksten. Diese Gefühlswirkung hat ihren Grund wohl darin, daß die Aufwärtsrichtung des Auges mehr Anstrengung erfordert als die Abwärtsbewegung.
Nun bilden aber Anstrengung und Schnelligkeit ( Tempo) die beiden konstituirenden Bestandtheile aller Gefühle. Eben darum vermögen die Formen alle Gefühlsnuancen in uns zu erwecken. Denn wir sahen, daß die gerade Linie jene beiden Gefühlselemente immer in uns erweckt, und zwar in allen möglichen Abstufungen.
Nun ist aber der Eindruck einer einzelnen Linie von zu kurzer Dauer, um uns intensiv zu beschäftigen. Erst reichere Gebilde vermögen unsere Aufmerksamkeit länger zu fesseln, und erst in ihnen kommen die einzelnen Elemente durch den Kontrast mit den übrigen zu vollerer und intensiverer Wirkung.-
Der Reiz gefährlicher Schauspiele, so schreibt der Berliner Gelehrte Georg Simmel in seiner„ Einleitung in die Moralwissenschaft"( Berlin . W. Hertz) die in Zirkussen von Seiltänzern, Trapezturnern usw. der Menge mit so großem Erfolge dargeboten werden, ist wohl hauptsächlich aus einem Rudiment der Grausamkeitswolluft zu erklären. Bei noch roherer Empfindung sättigte sich diese etwa an Gladiatorenkämpfen, von denen die Stierkämpfe gewissermaßen einen Uebergang zu jenen feineren Formen des Spielens um das Leben darstellen. Jezt knüpft sich das Vergnügen schon an die Vorſtadien des eigentlichen Grausamkeitsmomentes, das an der Vernichtung eines Menschen Wollust finden läßt, und es ist um so größer, in je größerer Nähe des definitiven Momentes sich der Vorgang begiebt. Die Erregung und Fortgerissenheit des Publikums steigert sich in dem Grade der größeren Gefährlichkeit des Schauspiels, nimmt also mit der Höhe über dem Boden, in der die halsbrechende Produktion stattfindet, und mit dem Mangel an Sicherheitsvorrichtungen zu. Die bloße Gefahr, die Andeutung des die Grausamkeitslust definitiv befriedigenden Ausganges hat für die Empfindung die Stelle dieses letzteren eingenommen, und zwar mit derartiger Festigkeit, daß die Lust bei diesem selbst versagen würde. Von dem tödtlichen Erfolge eines solchen Spiels würden sich die Meisten unluftvoll abwenden, die durch die Steigerung ihres Interesses mit der Annäherung an diesen Erfolg beweisen, daß dessen Vorempfindung boch das eigentliche Luftmoment ausmacht.
Nachdruck des Juhalts verboten!