Zwei Menschen.
(Fortsetzung�
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ßV�in halbes Jahr darauf starb die Frau auf dem Hof Batten. Die Ehe war kinderlos und nicht glücklich gewesen. Thormod hatte sich immer mehr dem Trünke ergeben, und man wollte wissen, daß er seine Frau mißhandelt hatte. Beret Klöften erfuhr mit Herzklopfen und in großer Erregung den Todesfall und Alles, was damit zusammenhing. Es dauerte auch nicht lange, so bekam sie eine größere Geldsendung. Thormod Talen war der Absender, er hatte auch bei der Gelegenheit einen Brief an sie geschrieben. Kurz darauf hatte sie eine längere Unterredung mit Knud Solhaug und zwar mit dem Resultat, daß der Besitzer des Hofes ihr und Agestin eine kleine Hütte zur Wohnung anwies, die seit Johanni leer gestanden hatte.—— Der Winter kam dieses Jahr friih mit starker Kälte und Massen von Schnee. Es war kurz vor Weihnachten . Der Schnee lag so hoch, daß die hart gefrorene Kruste mit grünlichem Schimmer durch das kleine niedrige Fenster der Hütte herein- lugte. Die Felder, die sich vom Birkeuwäldcheu bis zur Landstraße streckten, trugen unzählige Spuren von Agestins Schneeschuhen. Das Gartenstaket vor dem Hauptgebäude war gänzlich niedergeschneit. Der Knabe hatte heute einen neuen Anzug bekommen. Er und Ragnhild waren neben dem Stall be- schäftigt, einen Schneemann zu bauen, als Beret Klöften sich in der geöffneten Thür der Hütte zeigte und ihn beim Namen rief. Als Agestin herein trat, stand die Mutter in einem ganz neuen Kleid vor ihm. Auf dem Kopf hatte sie ein neues schwarzes Tuch. So fein hatte Agestin sie noch nicht gesehen, er fand sie wunderhübsch! „Du wirst heute mit mir gehen, zieh Dir die alten Stiefel ans und zieh die an, die dort am Ofen stehen." Der Knabe war wie vom Himmel gefallen. Neue Stiefel und dazu noch Stulpenstiefel! Er warf sich der Mutter um den Hals und küßte sie. Beret wurde beinahe böse. Die stürmische Zärtlichkeit ihres Sohnes machte sie verlegen. So etwas kannte man garnicht auf dem Laude. „Mach', Agestin, wir haben weit zu laufen und müssen bis zum Melken wieder hier sein." Wo der Junge wohl diese Manieren her hatte? Er war so ganz anders als andere Kinder auf dem Lande. Auch wenn er sprach waren seine Ausdrücke so sonderbar, er benutzte so viele Bilder und wurde so leicht erregt. Sollte etwas Besonderes in ihm stecken? Sie dachte an den Vater und biß sich ängstlich auf die Lippen. Agestin schlüpfte in einem Nu in die großen Stiefel. Stolz ging er in dem ärmlichen Raum auf und ab. „Wo gehen wir eigentlich hin, Mutter?"
Roman von H. Fries-Schwenzeo. „Nach Batten." „Zu meinem Vater?" „Ja— Du brauchst ihn aber nicht Vater zu nennen." „Warum? Er ist ja mein Vater." „Weil ich es sage!... Er mag es nicht gern hören; er hat es lieber, wenn Du ihn Thormod Talen nennst." „Hat er das lieber?" „Ja, konim nun." Sie verließen die Hütte. Agestin schnallte seine Ski an, während die Mutter voranging. In voller Fahrt holte er sie ein. „Ho!" rief er und schwang seine Mütze, indem er an ihr vorüber huschte. Unten angekommen, wartete er auf sie. Tann setzten sie ihren Weg zusammen fort, die Mutter mitten in der Fahrstraße, er nebenher in dem lockeren Schnee. Sie begegneten einer langen Reihe von Schlitten, die Holz nach dem Flößplatz, östlich von Batten, fuhren. „Thormod Talen scheint ja auch an den Sonn- tagen Holz zu fahren." Sie gingen über den großen Hofplatz. Heu und Stroh lag umher. Neben dem Stall im Wasch- hause waren alle Fensterscheiben zerschlagen. Ein Beil lag im Schnee neben dem Holzstall. Ein Spaten und eine Hacke lagen auch auf der Erde vor der Eingangsthür.— „Guten Tag Beret Klöften! Wie geht's? Bist auch nicht jünger geworden seit damals— hm! Na, so, da ist der Bursche. Na, höre mal, meine Diru', Du willst mir doch nicht weiß machen, daß der große Beugel— hm. Wie alt bist Du, mein Junge?" „Sieben Jahre." „Sieben Jahre, sich mal Einer an. Du bist ja ein strammer Bursche! Er ist riesig groß für sein Alter, Du Beret." Thormod Talen betrachtete seinen Sohn mit sichtlicher Freude. „Du sollst auch einen klugen Kopf haben, sagt man; so kommt nun herein, gieb mir die Hand, Schlingel! Nimm Dir doch einen Stuhl, Beret. Hm— so, das ist also Agestin, so heißt er ja, nicht wahr?" „Augustinus Martinus Klöften heiß' ich," sagte der Knabe keck und schlug mit seiner kleineu festen Hand kräftig ein, als der Vater ihm spielend die seine entgegen streckte. „Klöften, ja— selbstverständlich— Du bist ja ein' unverfrorene kleine Kröt'." Thormod um- schloß die Hand des Kindes und drückte fest zu. „Thut es weh?" „Nein." „Noch immer nicht?"
„Nein." Dem Knaben traten die Thränen in die Augen. „Prachtjunge! Prachtjunge! Du, Beret.... Ja ja, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm." „Was sagt er von einem Apfel, Mutter?" fragte Agestin und wandte sich um zu Beret, die erröthend vor Stolz und zugleich verlegen auf der äußersten Kante ihres Stuhles da saß. „Hahaha!" lachte Thormod,„habe ich von einem Apfel gesprochen? Der Junge ist schlau, wart' mal." Er erhob sich und holte aus einem Schrank einen großen rothbackigen Apfel.„Da, mein Junge." Agestin griff zu und biß vergnügt in die saftige Frucht. „Du hast doch die fünfzig Thaler bekommen, Beret, die ich Dir durch den Küster schickte?" „Ja, und ich sage Dir noch vielen Dank Thor- mod, die Hälfte habe ich schon ausgegeben. Wir waren schlecht gekleidet, der Junge und ich." „Läßt sich denken, ja. Nun wir werden sehen, was sich für Euch machen läßt. Die Ernte war nicht besonders dies Jahr, das Heu war zum großen Theil verfault, weil wir solchen feuchten Herbst hatten, ja." Thormod Talen erhob sich aus dem Lehnsessel und ging an den Rauchtisch, um eine nut schwerem Silberbeschlag versehene und kunstvoll geschnitzte Meer- schaumpfeife zu stopfen. Eine mächtige Rauchwolke ausblasend kam er wieder zurück und blieb in einigen Schritten Entfernung stehen, um Agestin zu beob- achten, der mit großem Appetit seinen Apfel aß. Thormod war noch ein schöner stattlicher Mann, aber der verschleierte Blick, die starke Röthe im Ge- ficht nnd eine gewisse Schlaffheit in der Haltung verriethen, daß er ein unverbesserlicher Trinker sei. Der Kopf war klein und saß frei auf den breiten Schultern. Das Gesicht war scharf geschnitten, mit einer kräftigen geraden Nase und etwas großem Mund, der ein wenig nach der rechten Seite ge- zogen wurde, wenn er sprach und besonders, wenn er lachte. Bis auf einen kurzen Backenbart, der schon einzelne graue Haare zeigte, war sein Gesicht glatt rasirt. Er trug Kleider aus feinem dunkel- blauen Tuch, der Schnitt derselben war nur wenig bäuerisch, aber Weste und Beinkleider, sowie das vorn offene, nicht ganz saubere Oberhemd trugen deutliche Spuren von Schnupftabak, Asche und anderen nicht leicht zu bestimmenden Substanzen. „Du rauchst doch schon Tabak, mein Bursche, oder wie?" „Nein." „So, das thust Du nicht? Aber einen Schluck Wein trinkst Du doch?" Agestin schwieg. Er hatte noch nie in seinem Leben Wein getrunken.