" Bald haue ich wieder!"

Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

" Ja, untersteh' Dich, Du! Schon lange habe ich vorausgesehen, daß dies kommen würde. Nun wird es sich ja zeigen, wer von uns das letzte Wort zu reden hat, Du Lümmel- dada!" Sie schlug ihn unter seine, den Kopf schüßenden Arme in's Gesicht. Agestin riß sich los und sprang ge= schickt wie eine Kaze in's Zimmer zurück. Seine Augen funkelten wie Feuer.

Ich blute," schrie er.

,, Und wenn auch, schadet nichts. Windelweich will ich Dich hauen!" Sie schritt auf ihn zu.

" Haha! Es hat garnicht weh gethan. Aber es fann genug sein kommst Du noch ein Mal dann." Er hielt ihr die geballte Faust vor das Gesicht.

Die Mutter wurde todtenblaß und ließ den ge­hobenen Arm fallen.

Jesus ! Der Vater!" stotterte sie. Minuten­lang stand sie wortlos da, mitunter überfuhr sie ein faltes Schaudern. Dann ging sie an den Herd. Der Knabe hatte sich schluchzend in die dunkelste Ecke des Zimmers zurückgezogen.

Keine Antwort.

" Agestin," sagte die Mutter. ,, Agestin mein Junge komm her zu mir." Wieder keine Antwort.

-

Hörst Du nicht, daß Deine Mutter ruft?" Ja ich bin nicht taub."

"

Komm mein Kind, ich will Dich nicht schlagen." ,, nein, ich denke, Du wirst Dich hüten." Beret that einen tiefen Seufzer. Die Thränen traten ihr in die Augen.

Wenn Du nicht zu Deiner Mutter kommen willst, so mußt Du es bleiben lassen."

"

Das werde ich," lautete die trozige Antwort. Dann zieh Dich aus und gehe zu Bett." Wortlos kleidete der Knabe sich aus, huschte in's Bett und zog das Schaffell, welches ihm als Bettdecke diente, über die Ohren.

Beret zündete einen Kienspahn an und nahm ihr Strickzeug wieder zur Hand. Sie strickte an einem wollenen Hemd für ihren Sohn. Als der Spahn abgebrannt war, erhob sie sich und ging leise an Agestins Lager. Hier fniete sie nieder und fuhr mit der Hand tastend über die Bettdecke. Sie suchte seinen Kopf, fand ihn aber nicht. Er hatte ihn unter die Decke gezogen.

Agestin!" Keine Antwort.

Agestin! Wollen wir zusammen beten?" Er schwieg beharrlich. Es war so still in dem kleinen Raum, daß man die Schelle von einem Schlitten unten auf der Landstraße hören konnte. Das ganze übereiſte, vom Mondenscheine durchleuchtete, kleine Fenster, auf das die Birkenzweige draußen sonder bare Schattenrisse zeichneten, ließ einen schwachen Lichtschimmer in die Stube hineinfallen.

Allmälig wurde ein unterdrücktes Schluchzen hör­bar. Es war Beret Klöften, die arme Kuhmagd, die über ihrem Kinde weinte, anfangs leise, dann schluchzend und stoßweise, aber schließlich brachen die Thränen los, wie ein heißer Strom liefen sie über das bleiche, magere Gesicht....( Fortsetzung folgt.)

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Der Erwartete.

Von Hans Ostwald.

rähen flattern frächzend über die letzten Häuser der Stadt. Ihr Flug geht taumelnd über den schmalen Fluß, der glatt und glänzend die kleinen, alten Gärten von den Wiesen trennt. Dann ziehen die Vögel wie schwarze Flecken über den erglühten Himmel. Jenseits der Wiesen fallen sie in die frisch aufgehende Saat.

In dem Garten, der sich von dem letzten Haus bei der Brücke bis zur grauen Chaussee zieht, steht eine alte Frau. Sie legt die rauhe, verarbeitete Hand vor die Augen und sieht den Weg hinab, über die Wiesen, die braunen Felder mit den grünen Saat­streifen. Der Weg ist leer. Unter den Pappeln geht Niemand. Nichts bewegt sich. Auch die rothen

Wolfen stehen still. Nur ganz hinten zerflattert ein Rauchband.

Die alte Frau blickt lange den Weg hinab. Sie zuckt nicht einmal mit den Wimpern.

Hier draußen ist es still. Nur alle zwei Stunden gehen einige Menschen vorbei nach dem Bahnhof, gehen einige Menschen vorbei nach dem Bahnhof, der am Ende der Pappelallee liegt.

Für die Fremden, die vom Bahnhof kommen und vielleicht glauben könnten, daß Randau ein Dorf ist, weil es nur eine Straße und mehrere Gassen hat, ist vor der Brücke ein großes weißes Schild aufgestellt, auf dem ausdrücklich zu lesen ist, daß der Ankommende jezt in den Bezirk der Stadt Randau eintritt. Das Wort Stadt ist, damit es Niemand übersehen kann, dreimal so hoch und vier­mal so stark gemalt, als die übrigen Wörter. Dann aber hat Nandau noch Eines, wodurch es sich wesent­lich von den Dörfern der Umgegend unterscheidet: eine Zuckerfabrik liegt hinter den Häusern. Ihre Schlote heben sich schlank und hell aus dem Gebüsch; sie überragen den grünen Kirchthurm um ein ganzes Stick.

In die feierliche Stille der ersten Häuser dringt von der Fabrik her ein grelles Läuten. Die Arbeit ist für diesen Tag zu Ende.

Die alte Frau scheint es nicht zu hören. Sie steht immer noch unbeweglich auf dem Fleck zwischen den verblühenden Reseden und Georginen. Erst als auf dem holprigen Straßenpflaster schwere Tritte näher kommen, läßt sie die Hand sinken und dreht den Kopf nach dem alten Mann, der langsam heran­schreitet. Er geht gebückt, doch will er sich noch immer gerade aufrichten. In seinem breiten Kopf mit den kleinen Augen und schmalen Lippen prägt sich das halb Herrische, halb Unterwürfige aus, das den meisten Vorarbeitern und Aufsehern eigen ist.

Er sagt nicht Guten Abend", als er an seiner Frau vorbei in das einstöckige Haus tritt, das neben der Thür nur zwei Fenster mit kleinen, grünlichen Scheiben hat. Die beiden Alten haben es in dem stillen Winkel verlernt, viel zu sprechen. Sie ver stehen einander auch schweigend.

Sie folgt ihm in das Haus. Langsam gehen sie über den rothgetiinchten Ziegelflur, in dem ein Schrank in die Wand eingemauert ist. Hinten, wo eine schmale, steile Stiege nach dem Giebelstübchen führt, steht ein hoher, brauner Kochofen, dicht daneben ein Tisch, eine Wasserbank mit blankgescheuerten Holzeimern und ein offenes Küchenspind. Der Alte setzt sich zwischen Kochofen und Tisch, während seine Frau eine kleine Milchglaslampe anzündet.

Dann setzt sie sich ihm gegenüber auf eine Ecke der Wasserbank und legt die Hände auf der blauen, verschlissenen Schürze zusammen. Der Mann keucht noch etwas vom Gehen. Sie sißt ganz bewegungs­los. In dem matten Schein der Lampe, der in den gelben Messingreifen der Eimer und im Kupfer­geschirr aufblist, erscheinen die Beiden wie Geschwister. So ähneln sie einander. Und doch haben sie ver­schiedene Haarfarbe, verschiedene Körperformen. Nur die Gesichtszüge gleichen sich, jene Linien, die gleiche Erlebnisse, gemeinsame Kämpfe und Freuden ein­rizen; die wir bei allen Menschen finden, die mit­einander leben.

"

Wo is denn dei Jung?" fragt der Mann. Sie dreht die Handflächen nach außen: Jo, hei is noch nich da."

Der Mann blickt sie eine Weile fragend an. Ihr scheint es unter seinen Blicken heiß zu werden; sie fährt sich rasch mit der Hand über die Stirn und streicht die dünnen, aschblonden, graudurch= wirkten Haare zurück. Mit schüchterner Stimme meint sie: Soll ick Di dat Essen taurecht maken?"

Ne, ne, ne!" antwortet er, gütig entrüstet. " Nu wart' man, bis dat dei Jung do is."

Sie sißen sich noch ein Weilchen stumm gegen­über. Dann steht sie auf und sieht nach dem Essen. Hastig zieht sie die Töpfe aus dem Ofen und wirft rasch einige Kohlen auf das erlöschende Feuer.

Wieder sißen sie schweigsam. Plötzlich steht der Mann auf und geht hinaus. Sie folgt ihm.

Die Abendgluth hat sich im fernen Westen zusammengezogen. Die Spizen mehrerer Wolken, die sich von einem Busch über die Felder ziehen, brennen

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blutig. Ueber der frischen Saat wiegt sich ein feiner Nebel, der unmerklich, langsam wächst. Auch ihn durchzieht die letzte Röthe, grauroth kommt er über die Felder heran.

Die beiden Alten stehen und starren den Weg hinab, über dem sich der Nebel zusammenzieht. Die Pappeln werden von dem Dunst eingehüllt.

Jetzt kommen Menschen aus der Stadt. Einige junge Mädchen, mehrere Bauern in hohen Stiefeln, Frauen in weiten, bunten Röcken.

,, Nu kömmt bald der Achtuhrzug," sagt die Frau.

"

"

Awerst, daß dei Jung nich schonst um söß fimmen dhat... hei kunt schonst um vier, um twee hier sün."

Jo, jo! Awerst, man weeß man nix Genaues nich Vielleicht hät hei nich gliek de Messer un dat Handwerkstiig so fix kaufen können. Dat is doch man mannichmal so."

"

"

Ei wo!"

Oder, wenn em man blos nich een Unglück taustooten is!"

,, Ach, Quark! Hei is enn strammen Kerl; hei is doch flink un behend.".

"

Awerst, Du weeßt doch, neilich, Bauer Anders fin Jung is ook in Barlin üwerfahr'n wor'n." " I, so rasch wird man nich immertan eens üwerfahr'n."

Sie machen sich Beide auf den Beeten zu schaffen. Der Alte untersucht die Kohlköpfe, ob sie auch schon groß und fest genug sind. Die Frau zieht Nunkel­rüben aus, die an der mit Wein bezogenen Seiten­wand des Hauses stehen.

Als sie mit einer Schürze voll grüner Blätter und dicker Rüben vorkommt, steht der Mann wieder am Zaun und starrt den Weg hinab, auf dem die Gestalten der zum Bahnhof Gehenden nach und nach immer undeutlicher werden, immer mehr in den Nebel tauchen.

"

Werner's un Zühlfe's holen ihre Jungen ab..."

Möcht'st woll ook gahn? Ne, dei Bengel kunt' zur rechten Tied hier siin!"

,, Awerst, wenn se'n nu noch nich von de Soldaten entlassen haben?"

Er lacht rauh, höhnisch:" He, Du meinst man? Ne, dat giwt et nich. Wenn se von't Manöver kommen, wer'n se ook frei!"

" Jo, jo, awerst-"

,, Ach wat. De Schlats, wer weeß, wat hei dreibt?"

"

, Du denkst ook man immer glik dat Schlecht'ste." " Jo, jo!" Er nickt spöttisch. Dat arme Muttersöhnken! Dat is jo so gaut!.. Nu giw mi man min Essen ."

Er schlürft in das Haus zurück. Sie folgt ihm gehorsam. Es ist ihnen garnicht aufgefallen, daß sie in einer halben Stunde mehr gesprochen haben, wie sonst an einem Tage.

Drinnen stellt sie Teller und Näpfe hin, mit sicherem Griff, den sie durch lange Uebung bekommen hat. Dann zieht sie wieder die Töpfe aus dem Ofen und stellt sie auf den Tisch, nachdem sie Papier ausgebreitet hat.

Wat hast denn?"

" Ick hew een Swinsbraten matt."

Der Alte langt in den Topf und füllt sich Essen auf. Auch die Frau nimmt sich mit ängstlicher Miene, als der Mann sie fragend angesehen hat; doch nur einen Bissen steckt sie in den Mund. Er scheint zu quellen; sie bekommt ihn nicht hinunter.

Der Mann schimpft:" Wie Leder is dat Tüg!" Sie quälen sich noch mit dem Essen. Da tönt es von draußen:

Ein jedes Ding hat seine Zeit, Drei Jahr' find keine Ewigkeit.

Drum, Brüder, stoßt die Gläser an: Es lebe der Reservemann!"

Die beiden Alten werfen die Gabeln hin und eilen hinaus. Es ist inzwischen fast ganz dunkel geworden. Nur ein leichtes Dämmern durchzittert noch die feuchte Abendluft. Auf dem Wege ist eine dichte Masse zu sehen, die sich nähert. Heisere Stehlen singen:

Wer treu gedient hat seine Zeit, Dem sei ein Lebehoch geweiht."