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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Eine halbe Stunde lief er auf der Landstraße in hatte ausruhen wollen. Das Bewußtsein der östlicher Richtung.

Die Bahn war auf der Landstraße ziemlich fest, der Wind hatte den jüngst gefallenen Schnee fort­gefegt und in kleine Haufen zusammen geweht, über welche die auf der harten Bahn flappenden Schnee­schuhe lautlos dahin glitten. Das Nordlicht flackerte unftät hinter dem Elch- Nut, der wie ein riesenhafter Schatten fahl und finster aus der unübersehbaren Schneefläche emporragte. Hinter dem Nut schimmerte hin und wieder, wenn das launische Licht lodernd und flackernd sich über den Himmel verbreitete, der Elch- Rücken schneebedeckt, mit seinen Zacken und Zinnen hervor. Jezt erhob sich der Mond groß und blank hinter dem Fuchsberg, es wurde mit einem Male ganz hell! Bald funkelte in magischem Glanz das Eis auf dem Elch- Rücken. Ueber die riesige schneebedeckte Hochebene vor ihm wurden lange gespensterhafte Schatten geworfen. Agestin freute Agestin freute sich, daß er nun doch gegangen war; nur eine kleine Viertelmeile noch, und er würde den ganzen Flyberg übersehen können. Plößlich schrak er zusammen, er hatte deutlich einen Klageruf gehört. Ihm war, als fäme er aus einer der schwarzen Klüfte drüben beim Elch- Nut. Ein fernes Brüllen und ein lang gezogenes Pfeifen. Dem Knaben zitterten vor Angst die Knie.

drohenden Gefahr und die Todesangst wichen all­mälig einem Gefühle des Behagens und einer wohl­thuenden Müdigkeit. Er brauchte seinen Körper nicht länger zu tragen, er stand so weich und mollig darin. Wenn er doch nur ein wenig schlafen dürfte, und wenn es nur fiinf Minuten wären! Nachher würde er den Weg schon finden, und wenn nicht, mun dann war es auch nicht so schlimm, er brauchte ja nur dem Mond den Rücken zuzukehren und seinem eigenen Schatten nachzulaufen. Dann hatte er die Richtung. Mit müden, schweren Augenlidern sah er noch, wie der trockene Schnee mit Riesenschaufeln geworfen auf die mondbeschienene Ebene vor ihm niederſtürzte, vom Sturmwinde wieder gefaßt große Kreise und Spi­ralen zeichnete, die wieder verlöscht wurden, sich dann in eine hohe Säule sammelte und in eine Felskluft hineinstürzte, die ganz voll gepackt wurde, ganz voll. Die Augen fielen ihm zu. Ihm träumte, daß seine Mutter ihn zu Bett brachte, aber das Bett war kalt, schauerlich kalt. Wenige Minuten darauf öffnete er traumumfangen die Augen, es kam ihm zu spaßig vor, wie immer abwechselnd die schwarzen Felsen weiß und die weißen schwarz wurden. Plößlich blickten seine Augen starr in die Ferne. seine Augen starr in die Ferne. Seine bleichen Lippen bewegten sich und flüsterten irre Worte. Es war ja doch der große Berggeist, der mit seinen Jetzt fängt' s an!" dachte er und starrte wie weißen Jungfrauen tanzte. Leicht beschwingt und gebannt in die Mondnacht hinein.

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Driben links vom Nut erhoben sich von den mondbeschienenen Hügeln weiße Schleier, sie wehten, lösten sich auf und verschwanden. Dann erschienen sie wieder auf derselben Stelle, sie nahten, wirbelten über die Ebene, lösten sich wieder auf und glänzten in der Luft wie tausend Millionen Sterne. Aber dort drüben tanzten ja schon die Jungfrauen! Sie kamen näher, reichten einander die Hände und liefen wieder auseinander. Dort hinter ihnen kam eine neue Schaar, sie überholten die ersten, jetzt reichten sie sich alle die Hände und sprangen auf ihn zu­Ein wildes, gellendes Lachen ertönte Agestin verlor vor Angst beinahe die Besinnung. Er wollte fliichten, aber seine Füße wurden festgehalten. Da schrie er laut auf und schlug mit dem Stab um sich. Als er den Blick nach unten richtete, sah er, daß er bis über die Knöchel im Schnee stand. Seine Sti waren gänzlich eingeschneit. Er befreite sie mit dem Stab von der schweren Last, machte Kehrt und ergriff die Flucht. Jezt, wo er dem Mond den Rücken kehrte, sah er, daß die Luft mit weißen Flocken gefüllt und seine Spuren fort waren; es galt, die Landstraße wiederzufinden. Er wußte mit Bestimmt­heit, daß er auf derselben gestanden hatte, als jener Klageruf zum ersten Male ertönte. Dann hatte er sie verlassen und war schräg nach rechts in die Rich­tung des Mondes gelaufen. Der Weg war nicht zu finden, er war verschneit. Ein furchtbarer Wind­stoß und eine Wolke von Schnee fiel über ihn her. Auf's Geradewohl tappte er in dem lockeren Element umher. Es mußte ihm doch gelingen, die Zwerg­birken wiederzufinden, die er sich erinnerte am Wege gesehen zu haben. Vergebens, selbst die Zwergbirken waren nicht zu finden. Nings um ihn her tobte der Sturm mit fürchterlicher Gewalt. Er blieb stehen, um Athem zu holen. Ein langgezogenes tiefes Brummen aus einer Schlucht wurde von einem un­heimlichen Heulen, wie von hungrigen Wölfen über tönt. Dann pfiff es start an einem steilen Felsen vorbei; dort oben auf dem Fuchsberg wurde eine weiße Stelle reingefegt und wurde schwarz, während fast gleichzeitig eine schwarze Stelle weiß wurde. Agestin raffte sich zusammen, denn oft genug hatte er von der Gefahr gehört, die Denjenigen bedroht, der im Schneesturm zu lange ausruht. Es hieß jetzt mit den Elementen ringen; gab man ihnen einen Finger, dann hatten sie bald die ganze Hand. Mit einer furchtbaren Kraftanstrengung arbeitete er sich und seine Sti heraus. Er steckte schon bis zu den Knieen darin! Es fiel ihm jezt ein, daß er irgendwo am Wege einen langen Pfahl gesehen hatte. Den mußte er wiederfinden können. Doch umsonst war all sein Suchen, der Pfahl war umgeweht. Der Knabe konnte nicht mehr. Bis zum Leibe stand er wieder im Schnee, nur weil er ein paar Minuten

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lieblich tanzend kamen sie auf ihn zu. Sie reichten einander die weißen Hände und schwirrten in wirbeln­dem Reigen um ihn her. Dann trat die Schönste auf ihn zu und streichelte seine Wange. Dich friert, Und sie deckte Agestin, ich will Dich zudecken." ihn zu mit einer weichen Decke, ganz fest unter den Armen.

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" Damit Du keinem Zug ausgefeßt bist," fliisterte sie; es ist kalt hier oben auf dem Flyberg." Sie zog ihm die Decke bis an das Kinn.

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Gute Nacht, Agestin!" flüsterte sie dann und füßte ihn auf den Mund falt und naß. Er wollte seinen Mund abwischen, konnte es aber nicht, er hatte ja die Arme unter der Decke.

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, Gute Nacht, Agestin!" riefen die Jungfrauen im Chor und flüchteten.

Ein Stöhnen wie von hundert müde geheßten Pferden, und der Berggeist kam in einer Sturmwolke gehüllt auf ihn zu.

" Schlaf wohl, Agestin," brummte er- zog ihm die Decke über die Ohren....

V.

und

Die Wolfenmassen, welche bisher am Horizont gestanden, bedecken jetzt den Himmel und verdunkeln den Mond. Der Sturm ist vorüber. Zwei rothe Lichter werden in der Ferne sichtbar. Sie nahen langsam; hin und wieder kann man die Töne einer Schelle hören. Der Laut kommt näher, und mit ihm die flackernden rothen Lichter, dann schweigt plößlich die Schelle, das eine Licht bleibt zurück, während das andere vorwärts eilt; es zeigt sich, daß es eine Fackel ist. Sie wird von einem Schnee­schuhläufer getragen, der jetzt von der etwas höher liegenden Landstraße über die schwachfallende Ebene Hergleitet. Neben ihm läuft ein Weib, auch auf Schneeschuhen.

Ich sage Dir, Hans, wir finden ihn noch, wir müssen ihn finden, und wenn ich in der Nacht allein zurück bleiben soll, um ihn mit den Nägeln heraus­zugraben!" klingt es klagend durch die Nacht.

Ja, ja, wir wollen es hoffen, Beret; ich sage mur, daß es doppelt schwer ist, weil wir doch keine Spuren finden können. Wie hat der Sturm hier gewirthschaftet! Hier ist der Pfahl umgeweht, den ich als Zeichen für die Ingenieure in die Erde ge­steckt habe. Nein, siehst Du wohl, Beret, wenn man so gar keine Ahnung davon hat, wo er gegangen Wir können ja wieder einmal rufen ist, dann Wir können ja wieder einmal rufen Agestin!"

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Ja Hans, ich will es Dir ja gern vergelten; was ich gespart habe... Viel ist es nicht, wie Du Dir wohl denken kannst..."

" Ich wäre ein schlechter Kerl, wenn ich dafür Geld annehmen wirde, Beret. Ich will Dir schon helfen so lange, wie Du es verlangst, aber es ist

nußlose Arbeit, glaub's mir! Wenn wir nur eine einzige Spur von seinen Schneeschuhen finden könnten."

Das können wir nicht verlangen, so wie der Sturm war, der Flugschnee hat alle Spuren aus­gelöscht. Nun, ich verlasse mich auf Freia."

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Der Bauer schüttelte den Kopf: Der Hund kann keine Witterung bekommen bei dem tiefen Schnee." Aber, so sag' das doch nicht," schrie Beret in Verzweiflung. Du darfst das noch nicht sagen. So lange wir suchen, haben wir noch Hoffnung. Wie kannst Du so grausam sein, mir meine Hoff­nung nehmen zu wollen!"

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Das will ich garnicht ich meine nur, daß es so viel leichter wäre, wenn wir eine Spur von ich will wieder rufen- ihm finden könnten Agestin!"

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Agestin, Agestin!" schrie Beret aus Leibes­kräften. Aber es fam feine Antwort. Hans hob die Fackel und beleuchtete einen runden zusammen­gewehten Schneehaufen.

Beret, stecke Deinen Stab da hinein." Sie that es, aber ohne Erfolg.

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" Paß auf"..

Hans Fly sentte die Fackel. - Der neue und der alte Schnee sind von verschiedener Färbung; der alte, den Du hier sehen kannst, wo der Wind den neuen fortgefegt hat, ist blauer. Nun meine ich, ist es doch wahrscheinlich, daß Agestin, wenn er hier gewesen ist, auch manchmal über solche Stellen gelaufen ist, wo kein Flugschnee war. Da muß er eine Spur von der Tiefe eines halben Zolls gemacht haben. Grade weil der Wind so stark ge­wirbelt hat, wäre es anzunehmen, daß einige von den nachher zugedeckten Stellen wieder abgedeckt sein könnten, und wenn das der Fall ist, müßten wir seine Spuren noch sehen können. Ich glaube nicht, daß er hier gewesen ist. Siehst Du, da kommit auch Freia zurück."

Ein knirschender Laut unter ihren Füßen kündigte an, daß sie über alten Schnee liefen. Plöglich warf Beret sich vornüber und schrie in höchster Aufregung: ,, Die Fackel, die Fackel!" Hans Fyl kam heran und Leuchtete.

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Es sind seine Spuren, es sind seine Spuren!" " Ja wahrhaftig, hier sind Schneeschuhe gewesen," sagte Hans Fly.

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Und es sind die seinen, ich erkenne sie an der Erhöhung in der Mitte."

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Freia such, verloren!" Der Bauer führte Wir den langhaarigen Jagdhund auf die Fährte. wollen Randi ein Zeichen geben, daß sie den Schlitten näher heranfährt." Er schwenkte wiederholt die Fackel, die Schelle wurde wieder hörbar, und das zweite Licht näherte sich. Freia hatte Witterung zweite Licht näherte sich. bekommen, sie wedelte mit der Ruthe und hob den einen Borderlauf.

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Such', verloren, such', verloren!" Der Hund sezte in großen Sprüngen über einen Schneehügel und kreiste witternd umher. Es dauerte eine Zeit, ehe er die Fährte wiederfand. Dann ging es aber schnell vorwärts.

,, Hier sind wieder seine Spuren," rief Hans, und zeigte auf die mit blendend weißem Flugschnee gefüllten gleichlaufenden Ränder im alten Schnee. Der Hund suchte eifrig, obgleich er manchmal durch Schneewehen mußte, die so hoch waren, daß man von ihm weiter nichts sehen konnte als den Behang und die Nuthe . Plößlich stand er ganz fest vor einem aus dem Schnee hervorragenden Gegenstand. Der Hund steht!" schrie Beret und eilte ihm nach. Ja und ganz fest!" rief Fly. Er senkte die Fackel, um besser sehen zu können.

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Sein Stab, Jesus Christus , sein Stab! Dann wird er wohl selbst darunter liegen." Die Mutter warf sich hin und fing an wie rasend mit den Händen zu graben.

Such', verloren, faß!" Freia begann eifrig neben Beret zu scharren. neben Beret zu scharren. Indessen leuchtete Hans mit seiner Fackel in das von den Beiden gegrabene Loch hinein.

Was hat Freia im Maul?" rief Beret außer Athem. Seine Müze! Ja, ja, es ist Agestin's Müße." Sie stiirzte sich wieder in das Loch und grub mit aller Straft.

Ich hab' ihn, Gott sei Dank, ich hab' ihn!"